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Oldwig Beutel
vor 6 Jahren
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2 einen ruhigen Dienst. Sie sitzen im Kaffeehaus und trinken Espresso. Meine ganze Nachbarschaft ist bereits auf den Beinen. Vor dem Haus gegenüber sitzt Scheich Ahmed auf einem weißen Plastikstuhl, ein gebückter, dürrer Mann mit schlohweißen Haaren, den ich noch kein einziges Mal ohne Zigarette gesehen habe. Er hat sich heute in seine besten Kleider gehüllt, trägt eine dunkle Baumwollhose und ein blauweißes Hemd. Auch mein Nachbar Seif vom Haus nebenan ist gerade auf die Straße gekommen. Sein arabischer Name bedeutet»schwert«, aber das passt nicht zu ihm. Er ist Ende zwanzig und trägt am heutigen Feiertag kurze Hose und Sonnenbrille. Er tätschelt mir mit der Hand auf meinen Kopf. Das macht er immer, wenn ich Arabisch spreche. Mein Nachbar von unten ist auch schon wach, Mohammed, dem das Schaf gehört. Er hat

3 eine Glatze und für seine dreißig Jahre einen etwas zu dicken Bauch. Mohammed brüllt meistens so laut herum, dass man seine Stimme im ganzen Haus hört und meine Frau ihn deshalb nur den»lautsprecher«nennt.»fürchte dich nicht!«, sagt er und will mir die Leine in die Hand drücken. Das sagt er schon seit Tagen zu mir, weil er denkt, ich hätte Angst vor dem Tier.»Das ist unsere Tradition«, erklärt er mir.»das habe ich von meinem Vater gelernt, und das lehre ich meine Kinder.«Seit einer Stunde stolzieren die Männer mit ihren Schafen durch die Nachbarschaft, damit jeder sieht, wer eines hat. Sie haben größte Mühe, die Tiere von den vielen Müllecken fernzuhalten. Mein Nachbar Mohammed ist schon zwei Mal um den Block gelaufen, als würde er mit seinem neuen Hund an der Leine Gassi gehen.

4 Das Blöken der Schafe dringt von überall her. Gegenüber, bei Scheich Ali, sehe ich Licht im Untergeschoss und höre, wie jemand die Messer wetzt. Die Schafe spüren das, wie das dicke Tier vor meiner Wohnungstür, das schon seit Tagen nervös ist. Auf einem Motorrad fahren zwei junge Männer vorbei. Ein Halbstarker, der lässig hinter dem Fahrer sitzt, hat eine Tasche umgehängt, aus der ein Messer blitzt.»braucht ihr einen Metzger?«, rufen sie vom fahrenden Motorrad. Für zwanzig Dinar, keine zehn Euro, schlachten sie ein Tier.»Kommt das Schaf aus Spanien?«, frage ich Mohammed, weil ich in der Zeitung gelesen habe, dass es viel zu wenig Tiere in Tunesien gebe.»spanien?«, ruft er entsetzt.»ich würde nie ein Schaf aus Spanien kaufen. Es ist aus Tunesien!«

5 Fünfhundert Dinar, seinen Monatslohn, hat er dafür ausgegeben. Neben Spanien verschifft auch Australien schon seit Jahren Schafe nach Ägypten und in den Maghreb; auch alte Tiere sind dabei, die sonst kaum noch einen Käufer fänden. Vor vielen Jahren importierte Tunesien Schafe aus Rumänien. Schnell gab es Gerüchte, sie seien radioaktiv verseucht, weil das havarierte Atomkraftwerk Tschernobyl in der Nähe sei. Als ein Schiff, das mit Hunderten Schafen beladen war, auf hoher See ins Schlingern kam und Tiere ins Wasser fielen, druckten Zeitungen Bilder von aufgequollenen Köpfen. Sie sollten beweisen, welch mutierte Geschöpfe man sich da ins Land holen wollte.»warum hast du das Schaf eigentlich in das Treppenhaus gesperrt?«, frage ich.»diebe!«, sagt er.»es gibt überall Diebe!«

6 »Während der Revolution wurden die Gefängnisse geöffnet«, fährt er fort.»da kamen alle raus, auch die Schwerverbrecher.«Die meisten seien zwar wieder geschnappt worden, aber eben nicht alle. Tatsächlich hat niemand in meiner Nachbarschaft die Schafe draußen angebunden. Ich hatte mich schon gefragt, ob die Tunesier das Opferfest etwa vergessen haben. Die meisten schleppten die Tiere zwei, drei Tage zuvor aufs Dach. Das hat auch Mohammed getan. Später aber schlichen sich seine Kinder nach oben und lösten die Leine. Am Ende landete das Tier vor meiner Tür und blökte. Mohammed erzählt mir, dass Bauern Angst um ihre Kühe hätten, weil Räuber durchs Land streiften.»ich habe auch schon von Lösegeldforderungen gehört«, sagt er. Die Polizei hatte sich in den ersten drei

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