Kleiner Leitfaden altsprachlicher Fachdidaktik

Transkript

1 Kleiner Leitfaden altsprachlicher Fachdidaktik Ulf Jesper 2015

2 Basisliteratur Kuhlmann, Peter: Fachdidaktik Latein kompakt, Göttingen Keip, Martina / Doepner, Thomas: Interaktive Fachdidaktik, Göttingen Kipf, Stefan: Integration durch Sprache, Bamberg Jesper, Ulf: jesper-jesper.de (Homepage) 2

3 Auf einen Blick Ziele des altsprachlichen Unterrichts Literarische und kulturelle Bildung Persönlichkeitsbildung Sprachbildung Hermeneutische Bildung Didaktische Prinzipien des modernen altsprachlichen Unterrichts! Problemorientierung! Sinnorientierung! Aktualisierung! Prozess- und Produktorientierung! Kontemplation und Progression! Differenzierung Indem die Schülerinnen und Schüler alte Texte übersetzen, setzen sie sich mit der Antike als dem nächsten Fremden (Uvo Hölscher) auseinander und damit mit sich selbst. Stationen des altsprachlichen Unterrichts L1 L2 L3 / G3 L4: Lehrbuchphase " Lektürephase " Latina / Graecum 3

4 Sprachbildung Im altsprachlichen Unterricht wird grundsätzlich über Sprache nachgedacht: Der altsprachliche Unterricht ist handfester Sprachphilosophieunterricht. Moderner altsprachlicher Unterricht achtet besonders auf den Sprachvergleich von Ausgangssprache (Latein / Griechisch) und Zielsprache (Deutsch). Einführung neuer Grammatik durch den Sprachvergleich Plinius nubem e Vesuvio ascendisse nuntiat. Plinius berichtet, dass eine Wolke aus dem Vesuv aufgestiegen sei. Die Schülerinnen und Schüler lernen, sprachliche Phänomene zu identifizieren und mit grammatischen Fachbegriffen zu klassifizieren. Sprachproduktive Aufgaben sind (von der Formenlehre abgesehen) in der Ausgangssprache die Ausnahme. Dagegen wird großer Wert auf die sprachproduktive Leistung in der Zielsprache gelegt: Es soll gutes Deutsch verfasst werden. Wortschatzarbeit ist Teil jeder Stunde und Vokabellernen permanente Hausaufgabe. Vokabellernen: Auch deutsche Wörter werden gelernt. transire durchqueren, hinübergehen, durchschreiten proponere darlegen, in Aussicht stellen Eine Übersetzung ist dann richtig, wenn sie 1. den Gesetzen und Gewohnheiten der deutschen Sprache folgt, 2. die Strukturen des altsprachlichen Textes angemessen aufgreift, 3. den Sinn des Ausgangstextes vermittelt. Klassenarbeiten werden daher sinnorientiert korrigiert. So genau wie möglich, so frei wie nötig. Sinnorientierte Korrektur Plinius nubem e Vesuvio ascendisse nuntiat. Plinius berichtet: Eine Wolke stieg aus dem Vesuv auf. Sb, M 4

5 Beispielhaft: Grammatik einführen und üben (Lehrbuch: Campus A, Bamberg 2012) Grammatiksätze: - vorentlastend - leicht - systematisch - narrativ - geeignet zum selbstständigen Forschen Übungen: - steigender Schwierigkeitsgrad - Zielrichtung: Deutsch - einfach und motivierend 5

6 Hermeneutische* Bildung * ἑρμηνεύειν (hermēneúein): erklären, auslegen, übersetzen Im Mittelpunkt des altsprachlichen Unterrichts steht das Verstehen. Das Werkzeug des Verstehens ist die Übersetzung. Übersetzen ist bereits Interpretieren. Das Interpretieren beginnt aber vor dem Übersetzen und folgt ihm auch nach. agenda (~ to do) o Am Anfang der Lektüre steht eine Problematisierung, die in eine Themenstellung oder Leitfrage mündet. o Der Text muss eine Antwort auf die Frage bieten. o Die Frage muss das Interesse der Schülerinnen und Schüler treffen. Sie sollte im besten Fall ein ethisches, existenzielles oder literarästhetisches Thema haben. (Narrative Texte dürfen auch plot -orientiert gelesen werden.) o Die Leitfrage darf von der Lehrkraft entwickelt und gestellt werden, aber so, dass die Schülerinnen und Schüler sich angesprochen fühlen und verwickelt werden. o Bevor der Text antwortet, entwickeln die Schülerinnen und Schüler eigene Antworten. o Während des Übersetzens darf der rote Faden des Verstehens nicht abreißen (Sinnorientierung). o Der antike Text bietet ein Denkmodell, mit dem sich die Schülerinnen und Schüler auseinandersetzen. o Der Text (auch der Lektionstext) ist Literatur. nec agenda (~ not to do) o Es wird erst (ziellos) übersetzt und danach interpretiert. o Der Text wird zurechtgebogen. o Wie geht es wohl weiter? o plumpe Aktualisierung o quälende Mäeutik: Worauf will er / sie wohl hinaus? o Es wird keine Erwartungshaltung aufgebaut. o Weiter! Nächster Satz! o Der antike Text präsentiert ein Vorbild. o Der Text ist ein grammatischer Steinbruch. Verstehen ist ein individueller Prozess. Es kann aber durch die Lerngemeinschaft unterstützt werden: Mit dem Schüler-hilft-Schüler-Prinzip wird Hilfe zur Selbsthilfe gegeben (z. B.: Achte noch auf das Tempus des Prädikats! ). 6

7 Beispielhaft: Ein Kapitel aus einem Lektüreheft ( Ich bitte um Gnade, Caesar. Cicero, Pro Ligario, Bamberg 2012) Die Rede Ciceros wird unter der Frage gelesen, welche rhetorische Strategien und Techniken Cicero verwendet, um sein Ziel zu erreichen. Hier findet eine Zuspitzung statt: Angriff auf den Ankläger! Die Überschrift und eine Einleitung bzw. ein bildlicher Impuls erzeugen Spannung und helfen eine vorentlastende Makrostruktur aufzubauen. Hilfen: - ad lineam - basierend auf einem Grundwortschatz - Kolometrie (im Text) Hier nicht abgedruckt, aber Standard: - Aufgaben zur sprachlichen und inhaltlichen Vorentlastung - texterschließende Aufgaben - Aufgaben zur inhaltlichen und stilistischen Vertiefung - kreativ-produktive Aufgaben 7

8 Literarische und kulturelle Bildung Altsprachlicher Unterricht ist Literaturunterricht. Es geht also nicht um die rein technische Fähigkeit, sich Texte erschließen zu können, sondern um die Begegnung und Auseinandersetzung mit Inhalten und Gehalten. Die Textauswahl erfolgt nach drei Kriterien: 1. kulturelle Bedeutung (Weltliteratur) 2. Zugänglichkeit 3. Bildungswirkung Pflichtautoren sind: o Ovid (E-Phase) und Cicero sowie einer der folgenden Autoren: Plinius, Sallust, Seneca, Ovid, Vergil (Q-Phase). o Platon und Homer Der Fokus der Texte liegt wieder stärker auf den klassischen Texten. Ergänzend treten Texte aus anderen Zeiten hinzu. Um einen Lektüreschock zu vermeiden, beginnt die Phase der Originallektüre mit adaptierten Texten (Übergangslektüre), setzt sich dann fort mit leichten Texten ohne Veränderung (Einstiegslektüre) und mündet dann in die anspruchsvolle Hauptlektüre. Der Lektüreunterricht beginnt bereits in der Lehrbuchphase mit Lektionstexten, die als Vorformen von Literatur behandelt werden. Um ausreichend viel Zeit für die Lektürephase zu haben, endet im L-2-Unterricht die Lehrbucharbeit nach drei Jahren. Begegnung mit antiker Kultur Begegnung mit der Rezeption 8

9 Die Latina und das Graecum 9

10 Differenzierung Kieler Differenzierungsmodell von G. Hey und U. Jesper (2012) 10

11 Klassenarbeiten gelingen lassen Klassenarbeiten werden gründlich vorbereitet. Klassenarbeiten werden sinnvoll gestaltet: o Textumfang (Latein): 2 Wörter / Minute (Sek. I) bzw. 1 Wort / Minute (Sek. II) o Es gibt eine Überschrift und eine Hinführung zum Text. o Der Text stammt aus einem bekannten Sujet. o Der erste Satz ist leicht. o Der Text beinhaltet nach Möglichkeit reproduktive Elemente. o Der Text ist kein Grammatiktext. o Der Aufgabenteil ist überschaubar. o Die Aufgabenformate sind bekannt. Klassenarbeiten werden angemessen korrigiert und bewertet: o Die Übersetzung wird danach bewertet, ob der Sinn erfasst worden ist. o Eine ausreichende Leistung liegt vor, wenn auf 100 Wörter max. 12 Fehler gemacht wurden. o Die Übersetzung wird doppelt so stark gewichtet wie der Aufgabenteil. 11

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