Ein Einstieg ins Spanische spät, steil, schülerzentriert

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Transkript:

Ein Einstieg ins Spanische spät, steil, schülerzentriert Andreas Ulrich Die Nachfrage nach Spanischunterricht steigt auch an Waldorfschulen; sie artikuliert sich meist ab etwa der 8. oder 9. Klasse. Gelegenheiten, diesen Wunsch im Unterrichtsangebot zu berücksichtigen, bieten sich durchaus: etwa eine absehbar längere Vertretung, eine Projektwoche oder auch eine gewollte Unterbrechung eines an Effektivität nachlassenden Englisch-, Französisch- oder Russisch-Unterrichts in der späten Mittelstufe. Ich möchte ein Modell für einen Spanischkurs für Anfänger skizzieren, mit dem ich auch an Waldorfschulen gute Erfahrungen gemacht habe, und zwar auch mit altersgemischten Gruppen (15-19 Jahre), bei Gruppengrößen von ca. 12 Schülern, vorzugsweise in kompaktem Unterricht von 10 Stunden pro Woche und mehr. Vorrangige Ziele des Unterrichts waren Sicherheit in der Aussprache, der Mut zum Sprechen sowie die Fähigkeit, mit Hilfe von Wörterbüchern, Sprachführern usw. nach Ende des Kurses selbstständig weiterzulernen. Wie kann man also einen Einstieg ins Spanische gestalten, der sich für Schüler ab der oberen Mittelstufe eignet, die Vorteile eines Arbeitens ohne Lehrbuch voll ausschöpft, auch von Lehrern gegeben werden kann, die Spanisch nicht fließend sprechen, und innerhalb von 30-40 Stunden ein Niveau erreicht, ab dem interessierte Schüler allein weiterlernen können? Die Methode schöpft vor allem aus dem»silent Way«1 und sie nutzt die Einsichten der neueren Spracherwerbsforschung 2 hinsichtlich eines vernünftigen Umgangs mit Fehlern, der geringen Effizienz expliziter Grammatikvermittlung, der Bedeutung persönlich sinnvollen Handelns 3 für das Behalten des Gelernten, einer Rolle des Lehrers nicht als Wissensvermittler, sondern als Organisator von Lernmöglichkeiten. Unterrichtsgestaltung Das Vorgehen im Unterricht beruht auf drei Prinzipien: Der Lehrer wird möglichst nicht im wörtlichen Sinne»unterrichten«, das heißt, die Schüler so wenig wie möglich belehren und sie so viel wie möglich selbst herausfinden lassen z.b. durch Probieren (»ver- Erziehungskunst 1/2007 13

nünftiges Raten«), durch Nachschlagen in Wörterbüchern und Sprachführern, durch die Mobilisierung ihrer Kenntnisse aus anderen Sprachen und ihrer bisherigen Erfahrungen beim Sprachenlernen. Verschiedene Unterrichtsverfahren, gerade auch für den Anfangsunterricht, die auf dieser programmatischen Zurückhaltung des Lehrers beruhen, sind im Rahmen des»silent Way«ausgearbeitet worden. Sie eignen sich z.b. für die Vermittlung der Aussprache und der Rechtschreibung, aber auch der Grammatik (v.a. der Endungen). Die Schüler kommen mit diesen Verfahren meist gut zurecht, obwohl sie ihnen viel Mut und Ausdauer abverlangen (»produktive Überforderung«): Die Methode fußt auf dem Gedanken, dass man nur das wirklich behält, was man sich selbst erarbeitet hat und dass Fremdes ganz naturgemäß viel Zeit und Mühe braucht, bis es erobert ist; nur würde im traditionellen Unterricht dieser Aufwand auf viele Anlässe verteilt (der Lehrer erklärt es noch mal und noch mal, erinnert daran, ermahnt; der Schüler muss es sich jedes Mal wieder anhören), während nach dem»silent Way«ein Mal investiert wird: vom Lehrer in gut vorbereitetes Material, vom Lerner in (teils ausgiebige) Tüftelei. Den Lehrern fällt der»silent Way«oft schwer, nicht nur wegen der umfangreichen Unterrichtsvorbereitung, sondern vor allem, weil das radikale Schweigen nur wenigen Lehrern liegt. Eine recht gute Annäherung ist das Prinzip, keine Erklärungen von mehr als zwei Sekunden (!) Dauer zu geben. So gewöhnen sich die Schüler daran, ihre Fragen schon als Hypothesen zu formulieren und auch»was denkst du?«als Rückfrage, wo nötig, bleibt unter den zwei Sekunden, mit kaum zu überschätzendem Gewinn für den Erwerb nicht nur des Spanischen, sondern der Fremdsprachen überhaupt. Das zweite Prinzip: Der Lehrer arbeitet in jeder Phase darauf hin, dass er bald seine Frontalposition in der Klasse aufgeben kann und die Schüler entweder in Paaren weiterarbeiten oder selbst die Rolle des Lehrers einnehmen können. In den einsprachigen Phasen liefert er das Modell; danach benutzen die Schüler es selbstständig untereinander. Fast alle Wörter lassen sich mit diesem Verfahren semantisieren, und auch die Satzbaumuster lassen sich so recht gut vermitteln. In der jeweils folgenden Stunde wird der Lehrer für die schon geübten Fragen gar nicht mehr benötigt und sitzt unter den Schülern, während ein oder zwei Schüler Platz und Rolle des Lehrers eingenommen haben. 4 In der Einzelund Paararbeit fällt dem Lehrer ohnehin nur die Rolle eines Beraters zu wenn auch die eines Beraters mit Autorität: Die von den Schülern verfassten Texte sollen ja dem Plenum vorgetragen, die Dialoge vorgespielt, die Fragen tatsächlich gestellt (und verstanden) werden, und der Lehrer tritt in dem Bewusstsein auf, dass er hilft, Gestotter und Frustration zu vermeiden, u.a. indem er dafür sorgt, dass genügend oft und in genügend abwechslungsreichen»settings«geprobt wird. Das dritte Charakteristikum betrifft die Auswahl des Lernstoffs: Der Lehrer gibt die Richtung vor, aber die Schüler nehmen Einfluss auf die konkreten Inhalte. Für die ersten Stunden gilt ein Vorrang für die Metasprache: Ab dem ersten Tag praktizieren die Schüler diejenigen Fragen und Antworten, die sie brauchen, um auf Spanisch die Kommunikation zu steuern (» Otra vez!«) und ihre Lernerbedürfnisse zu artikulieren (» Cómo se dice Mädchen en español?«). 14 Erziehungskunst 1/2007

Die Methode zielt nicht auf die Abarbeitung irgendeines Grammatik-Kanons, sondern auf den Mut und die Fähigkeit zur Kommunikation in der Zielsprache. Daraus folgt, dass man in der Grammatik kaum etwas anlegen wird, was man nicht zuerst als Bedürfnis der Lernenden erkannt hat, und dass die traditionelle»wortschatzarbeit«entfällt: Sobald die Schüler beginnen, ihre eigenen Texte und Dialoge zu schreiben also schon nach wenigen Stunden wird deutlich, was sie gern ausdrücken können würden. Die Aufgabe des Lehrers besteht darin, dies zu beobachten, Unrealistisches auszufiltern und für das Te hablarán en español Andere geeignete Übformen zu suchen, wie etwa Rollenspiele und andere wirklichkeitsnahe Sprechanlässe. 5 Die kognitive Arbeit der Schüler besteht u.a. darin, das»vorausahnen«erwartbarer Abweichungen der Ziel- von der Muttersprache zu üben: Welche Wörter könnten auf Spanisch ähnlich klingen wie auf Deutsch? An welchen Stellen würde ein Wort-für-Wort-Übersetzen zu»komischen«ergebnissen führen? Hier nutzen die Schüler natürlich ihr (implizites) Wissen aus dem Erlernen anderer Fremdsprachen, und sie erwerben Wissen, das ihnen dann beim Erlernen anderer Fremdsprachen wiederum nützlich sein wird. Es hat sich gezeigt, dass durch die im doppelten Sinne schülerzentrierte Herangehensweise die Schüler sind die Hauptakteure im Unterricht und sie bestimmen zu einem beträchtlichen Teil die Lerninhalte ein deutlich effektiveres Lernen als im konventionellen Unterricht möglich ist, bedingt durch das deutlich günstigere Verhältnis von Schüler- zu Lehrersprechzeit, bessere mnemotechnische Bedingungen (man behält wesentlich besser, was man selbst herausgetüftelt hat, was man selber als für sich wichtig ausgesucht hat und was man aktiv benutzt hat), die größere bzw. länger anhaltende Lernlust der Schüler, die u.a. dadurch entsteht, dass sich der Unterricht in für sie überschaubare»bögen«gliedert, nach denen sie jeweils ein Teilziel ganz erreicht haben: Nach 5 Stunden können sie die Lehrer-Rolle bei den Wörtertests übernehmen, nach 10 Stunden jedes beliebige spanische Wort, jeden noch nie gehörten spanischen Ortsnamen korrekt ablesen; nach 15 Stunden verstehen sie alle vernünftigerweise erwartbaren Durchsagen auf einem Flughafen, usw.: Sie erleben, dass sie sich von der Lehrerin emanzipieren. Erziehungskunst 1/2007 15

Unterrichtsphasen Ich möchte nun anhand von Unterrichtsprotokollen drei charakteristische Unterrichtsphasen nachzeichnen und dann noch zwei Sätze zu den Hausaufgaben sagen: 6 Der Beginn der allerersten Stunde: Einsprachige, lehrergesteuerte Phase»Guten Morgen!«(Gemurmel.)»Normalerweise würde ich Sie jetzt nach Ihren Namen fragen, aber das verschieben wir um zwei Minuten, dann geht das schon auf Spanisch. Ähm wir werden nicht den ganzen Kurs auf Spanisch machen, aber immer wieder Phasen haben, in denen wir nur Spanisch sprechen, und mit so einer fangen wir an. Entschuldigt wenn ich Euch duze auf Spanisch ist das normaler.«[kleine Sprechpause.]»Yo me llamo Vera Irslinger. Y tú?«die angesprochene Schülerin stottert nur. Das ist normal: Sie ist von anderen Lehrern gewohnt, dass sie alles zweimal und Wichtiges dreimal sagen und hat nicht zugehört. Die Lehrerin bedeutet ihr mit einer Geste, dass das jetzt nichts macht und dass sie später ihre Chance bekommt, und sie spricht, eine Spur langsamer, einen anderen Schüler an:»yo me llamo Vera Irslinger. Y tú?yo me llamo Ferdinand.«Vorname genügt: Er hat ja verstanden, was er tun soll. Jetzt bedeutet die Lehrerin ihm, dass er weiterfragen soll. Ferdinand zu Tina:» Y tú?«ferdinand hat sich die schwächste Schülerin ausgesucht: Tina wird rot und sagt gar nichts. Die Lehrerin stellt sich hinter sie, berührt leicht ihre Schulter und sagt leise:»yo me llamo Tina«, und nachdem Tina das selbst auch gesagt hat:» Y tú?«und sie bedeutet ihr nochmal, dass sie sich jemanden aussuchen soll, den sie fragt. Tina sagt zu Carolina:»Und du?«, alle lachen, und das ist beides ganz in Ordnung. Carolina:»Yo me llamo Carolina.«Es braucht nochmal die Geste; dann zu Tanja:» Y tú? Ab hier ist die Lehrerin überflüssig; sie zieht sich an den Rand zurück und greift nur noch ein, falls ein Fehler Nachahmung findet, d.h. falls ein falsches Modell entsteht. Nach dem gleichen Ablaufschema folgt eine Runde mit der Frage» Cómo te llamas tú?«und eine mit» Cómo se llama esa chica / ese chico?«dann schreibt die Lehrerin» Hola!«an die Tafel, bedeutet einem Schüler, dass er nach vorn kommen möge und beginnt das erste Rollenspiel: Lehrerin:» Hola! Yo me llamo Vera Irslinger. Y cómo te llamas tú?«daniel:»yo me llamo Daniel.«Lehrerin:»Y cómo se llama esa chica?«daniel:»se llama Muriel.«Lehrerin:»Gracias.«Daniel:»Nix zu danken.«er geht zurück auf seinen Platz. Die Lehrerin sagt laut»de nada«vor sich hin, bietet die Kreide an, eine Schülerin nimmt sie schließlich an und die Lehrerin wiederholt es zum Anschreiben:»De nada«. Sie schreibt es dann auch auf die Flipchart, wo es stehen und für alle sichtbar bleibt. Noch so ein Dialog, zwischen der Lehrerin und Tina, dann spielen die Schüler es paarweise miteinander. 16 Erziehungskunst 1/2007

En la España profunda Den schon gespielten Dialog rekonstruieren anschließend die Schüler an der Tafel, indem sie nach und nach die Lücken zwischen» Hola!«und»De nada«füllen allein, auch wenn das an manchen Stellen (Schreibung von»llamo«!) recht lange dauert. Die Lehrerin liefert schweigend Feedback darüber, ob die Lücken richtig gefüllt werden.»silent Way«und Stillarbeit: Übersetzen und Umschreiben eines Textes (5. Stunde) Die Schüler beherrschen die Ausspracheregeln, können also auch unbekannte Wörter mit recht großer Sicherheit korrekt aussprechen. An der Tafel steht dieser Text, von dem sie aus dem Unterricht nur die Wörter yo, llamo, me, en und seis kennen, und den sie also nicht verstehen können: Yo llam_ Conchita Gutiérrez. Viv España, cerca d_ B_rcelona, en _n pueblo a s s kilóm_tros d_ l_ playa. En verano, voy a l_ playa cada día, o casi. Durante la_ vacaciones d_ verano, he trabajado e_ u_ kiosko. Trotzdem bedeutet die Lehrerin ihnen, indem sie ein Stück Kreide anbietet, dass sie ver-suchen sollen, die fehlenden Buchstaben zu ergänzen. Nach und nach kommen mehrere Schüler und füllen je ein oder zwei Lücken irgendwo im Text. Falsche Buchstaben wischt die Lehrerin vorsichtig und kommentarlos wieder aus. Schließlich steht der fertige Text an der Tafel, von dem jeder eine Kopie bekommen sollte, den die meisten aber inzwischen schon abgeschrieben haben. Anweisung:»Versucht s mit den Wörterbüchern, erstmal jeder für sich.übersetzen?ja.«die meisten arbeiten dann doch zu zweit. Die Lehrerin hilft nur minimal, und auch nur bei den Schwächeren. Einige sind verwirrt, dass»vivo«nicht im Wörterbuch steht: Die Funktion der Tilde hätte wohl vorher eingeführt werden sollen. He trabajado übersetzen alle falsch mit»arbeite ich«; die Lehrerin macht vergeblich Andeutungen, die weiterhelfen sollen, übergeht es dann aber und wird es als Planungsfehler verbuchen: Hier war der Bogen der»produktiven Überforderung«überspannt. Aufklären wird sich der Irrtum später, oder er wird in Vergessenheit geraten beides ist recht. Erziehungskunst 1/2007 17

Wer eine Übersetzung fertig hat, überprüft sie erst mit einem neuen Partner, dann wirft die Lehrerin einen Blick darauf, verweist bei den (seltenen) gröberen Irrtümern nochmals auf das Wörterbuch und sagt denjenigen, die nun eine brauchbare Übersetzung vorliegen haben, sie sollten jetzt einen Text über sich selbst schreiben, indem sie aus jedem Satz zwei machen. Das Muster schreibt sie an die Tafel: Yo no me llamo Conchita Gutiérrez, pero Muriel Hasler. No vivo en España, pero (»Muriel Hasler«wird gleich wieder ausgewischt, mit einer Geste, die»klar, nicht?«besagt.) Manche Schüler helfen sich noch beim Verfassen des Textes; die meisten arbeiten allein. Die Regel für die Stellung von no haben trotz der Hervorhebung nicht alle verstanden wiederum eine Spur zuviel der Überforderung: Günstig wäre eine Vorübung gewesen, in der die Schüler sich Sätze mit no aus dem Sprachführer zusammensuchen und davon Interlinearübersetzungen anfertigen. Auch andere Wortstellungsfehler, ebenso wie falsch nachgeschlagene Wörter, kommen vor. Bei manchen Wörtern, die sich die Schüler aus dem Wörterbuch gesucht haben, weist die Lehrerin auf leichter zu verstehende Synonyme hin. Die Texte üben die Schüler vorzulesen erst allein, dann zu zweit, in irgendeiner Ecke des Raumes (die Lehrerin hört rein), und sie überlegen sich, welche Wörter sie erst für die Anderen anschreiben und übersetzen werden, bevor sie ihren Text vor der Klasse vorlesen. Zwei Schülerinnen als Lehrerin (ca. 15. Unterrichtsstunde)»Vielleicht können Sie heute schon darauf achten, dass Sie nicht irgendwelche Fragen nacheinander stellen, sondern dass zwei oder drei Fragen beim gleichen Thema bleiben und die zweite Frage sich irgendwie auf die Antwort der ersten bezieht. Wirkt intelligenter.«die Lehrerin bedeutet Tanja, dass sie gern mit ihr die Plätze tauschen würde; Tanja wählt sich Nora als»mit-lehrerin«, die neben ihr sitzt. Die Schüler kennen das Verfahren; sie hatten eine Viertelstunde Zeit, sich mögliche Fragen zu notieren, und die Lehrerin hat die Fragen auf sprachliche Korrektheit durchgesehen. Danach haben sich die Schüler die Fragen schon einmal paarweise gestellt und beantwortet, ohne dass die Anderen mitgehört haben. Kurze Verhandlung zwischen den»lehrerinnen«, wer anfangen soll. Nora:»Lena, cuántos años tiene el perro de Carolina?«Lena:»Hä? Ich meine: Cómo? Otra vez!«nora:» Cuántos años tiene el perro de Carolina?«Lena:»Äh hm Cómo se dice perro en alemán?«tanja:»hund!!«lena:»ah ja, klar. Claro! Äh Otra vez?«tanja:» Cuántos años tiene el perro de Carolina?«Lena:»Ah! Äh No lo sé!«nora (schaut kurz auf die Flipchart):» Pregúntale!«18 Erziehungskunst 1/2007

Lena:»Caro, cuántos años tiene äh tu perro?«carolina (zu Lena):»Tiene seis años.«lena (zu Tanja):»Tiene seis años.«nora:»y cómo se llama, Ferdi?«Ferdinand:»Se llama Laika.«Carolina:» No! Se llama no Laika, se llama L-o-r-ca!«(Fehler, s.u.) Ferdinand:» Vale!«(sein Lieblingswort) Tanja:»Muriel, te gustan tus hermanos?«muriel:»ob ich meine Brüder mag?«tanja:»sí.«muriel:»me gustan (zur Lehrerin): Cómo se dice nicht besonders en español?«lehrerin:»no tanto.«muriel:»me gustan no tanto.«nora:» Dónde están tus hermanos äh jetzt?«muriel:»johann está en casa y Markus äh auch, der ist krank.«(usw.) Für die beteiligten Schüler findet wohl trotz der Zähigkeit des Ablaufs eine intensive, weil persönliche Art des Lernens statt wie sehr sie sich als Individuen angesprochen fühlen, erkennt man z.b. daran, wie wichtig ihnen inhaltliche Genauigkeit in manchen Aussagen ist: Ob sie von jemandem sagen, dass sie ihn»gern«oder»ganz gern«mögen, das entscheiden sie keineswegs danach, was von beidem sie sprachlich leichter zustande bringen. Da aber schon bei Gruppen mit 12 Lernern in solchen Phasen zu jedem Zeitpunkt zwei Drittel der Schüler gerade nicht»dran«sind, kommen einem als Lehrer doch Skrupel wegen der Langsamkeit dieser Abläufe. Umso erstaunlicher war die Geduld (oder besser vielleicht: Empathie) der bloß zuhörenden Schüler, und mit der Zeit gewinnt man den Eindruck, dass über diese Empathie»ich könnte jetzt auch dort vorn sitzen: was würde ich sagen?«ein gutes Stück Mit-Lernen stattfindet. Dass die Lehrerin weder bei Fehlern (»Me gustan no tanto«) noch beim Gebrauch deutscher Wörter eingreift, hat v.a. zwei Gründe: Zum einen sieht sie die Fehler als natürliche Stadien im Spracherwerbsprozess an, die nicht übersprungen werden können. Ihre Aufgabe sieht sie nicht darin, Fehler zu verhindern oder zu beseitigen, sondern sie zu beobachten und diejenigen zu bemerken, die Hinweise auf Lernversuche der Schüler geben und also für die weitere Unterrichtsplanung nützlich sind. Zum anderen würde sie schon mit der ersten Intervention riskieren, dass sie doch wieder als Lehrerin angesehen wird, die neuen»lehrer«würden nicht mehr zur Klasse, sondern vor allem zu ihr sprechen, und der motivierende Effekt des Verfahrens (»Das können wir jetzt allein«) wäre verdorben. Hausaufgaben Die Hausaufgaben bestanden im Lesen, Sortieren und Ins-Reine-Schreiben der während der Stunde gemachten Notizen; die Schüler wussten daneben, dass jeder Tag mit einem von ihnen selbst zu gestaltenden gegenseitigen Wörtertest (» Cómo se dice en alemán?«u.ä.) begann und haben sich natürlich mit unterschiedlichem Ehrgeiz auf Erziehungskunst 1/2007 19

diesen vorbereitet. Manche Schüler stellten sich nicht ganz zu Unrecht auf den Standpunkt, die wichtigen Wörter prägten sich ohnehin durch das dauernde Benutzen im Kurs ein und»vokabellernen«als solches sei nicht nötig. Ausblick Nach einem Kurs von 40 Stunden sind die Schüler in der Lage, sich auf abwechslungsreiche Art Fragen zu ihrer Person, ihrer Familie, zu Schule, Freizeit und Ferien zu stellen und zu beantworten. Sie verfügen über Selbstsicherheit in der Aussprache und haben so viel mit Sprachführern und Wörterbüchern gearbeitet, dass sie bei entsprechendem Interesse allein weiterlernen können. Alle haben schon -zig, wenn nicht Hunderte von Sätzen gesagt und die Schwelle vor dem eigenen aktiven Sprachgebrauch längst überwunden. Die Treffsicherheit bei der Schreibung vorher nie gehörter Wörter ist hoch auch dies eine wichtige Voraussetzung für das selbstständige Weiterlernen, besonders»im Land«. Ihr deklaratives Wissen in Grammatik ist gering, aber sie haben sich durch den Vergleich der deutschen und spanischen Sätze für das sensibilisiert, worauf sie beim Bilden spanischer Sätze achten sollten, und haben jedenfalls den Mut, selbst spanische Sätze zu fabrizieren. Zum Autor: Andreas Ulrich, Jahrgang 1953, Studium der Sprachwissenschaften, danach Fremdsprachenunterricht u.a. in Steiner-Schulen; Lehrerfortbildung, Lehrmaterial- und Curriculumentwicklung. Derzeit Lehrbeauftragter an der Universität Konstanz. Anmerkungen: 1 Konzipiert von Caleb Gattegno, aber am lesbarsten dargestellt in Earl Stevick: Teaching Languages, A Way and Ways, Rowley/Mass. 1980; dort auch weiterführende Literaturangaben. 2 Einen kurzen, aber instruktiven Überblick geben Erika Diehl und Hannelore Pistorius in:»grammatik am Wendepunkt. Überlegungen zu einer Neubestimmung des Unterrichtsgegenstandes Grammatik «, in: Deutsch als Fremdsprache, Heft 4 (2002), S. 226-231 3 Die englischsprachige Literatur spricht, griffiger, von»meaningful discourse«. 4 Die Schüler fanden es»viel weniger stressig«, wenn sie zu zweit waren: Während der eine seine Frage stellt und schaut, ob der Gefragte ihn verstanden hat, kann der andere sich in Ruhe die nächste Frage überlegen. 5 Caleb Gattegno würde das»the subordination of teaching to learning«nennen. 6 Weiteres Material zur Illustration des Vorgehens kann per E-Mail vom Autor angefordert werden. 20 Erziehungskunst 1/2007