INNOVATIVE KONZEPTE DER STÄDTISCHEN WÄRMEVERSORGUNG Lokal verfügbare erneuerbare Energiequellen für urbane Neubauund Sanierungsgebiete 19. Oktober 2017 Österreichische Energieagentur Dipl.-Ing. Franz Zach
ERNEUERBARE ENERGIETRÄGER IM URBANEN GEBIET Manche erneuerbare Energieformen sind flächenabhängig: Solarenergie PV, Solarthermie, PVT (Hybridkollektoren) Außenluft (Wärme) Wind Erdreich Grundwasser Wasserkraft (Lageenergie) Manche sind abhängig von menschlichen Aktivitäten: Kanalabwasser Abwärme von Bürogebäuden, Supermärkten, Industrie etc. (Abfallverwertung) Bei ersteren ergeben sich im urbanen Gebiet besondere Herausforderungen, bei zweiteren besondere Chancen. Bei Wärme und Kälte ist die örtliche Nähe zwischen Angebot und Nachfrage besonders wichtig, bei Strom die zeitliche Nähe.
HERAUSFORDERUNGEN FÜR DIE ZUKUNFT Erarbeitung technischer Lösungen zur Abdeckung des Strombedarfs Wärmebedarfs Kältebedarfs mit möglichst hohem Anteil vor Ort verfügbarer erneuerbarer Energieträger für Altbau (höhere Temperaturen) Neubau Nichtwohnbau (tlw. mehr Kältebedarf, sehr inhomogen) Wohnbau die wirtschaftlich konkurrenzfähig sind. Eine mögliche Lösung zur Bereitstellung von Wärme und Kälte ist das Niedertemperatur-Verteilnetz ( Anergienetz ).
DAS ANERGIENETZ Mit einem Anergienetz kann Wärme über größere Distanzen ohne wesentliche Wärmeverluste transportiert werden (kalte Nahwärme) und auch Kälte bereitgestellt werden. Es besteht aus meist ungedämmten Kunststoffrohren. Die Temperatur beträgt zwischen 8 und 22 C. Es sorgt für den Energietransport zwischen Saisonspeichern und den Heiz-/Kühlzentralen (Wärmepumpen). Erneuerbare Wärme aus Abwasser, Luft, Sonne und Abwärme (aus PVT, Kühlung, ) kann direkt oder über eine Wärmepumpe Energie einspeisen.
BEISPIEL: STADTENTWICKLUNGSGEBIET NORDWESTBAHNHOF IN WIEN (PROJEKT URBAN PV+GEOTHERM) Auf dem Stadtentwicklungsgebiet Nordwestbahnhof im 20. Wiener Gemeindebezirk (44 ha) entstehen ab ca. 2020 Wohnungen für etwa 11.800 Personen und 5.100 Arbeitsplätze. Aufgaben: Identifizierung vor Ort verfügbarer Energieträger Ermittlung der Potenziale Erarbeitung von Speicherkonzepten Vorschlag eines Wärme- und Kälteverteilkonzepts Variantenvergleich (wirtschaftlich und ökologisch) Viele erneuerbare Energieformen haben ein niedriges Temperaturniveau, das mit Wärmepumpen auf nutzbares Niveau gebracht werden kann. Im Sinne einer optimalen Effizienz sind daher Niedertemperaturverteilsysteme (Anergienetz) und -abgabesysteme (Flächenheizungen) zu bevorzugen.
LAGE DES STADTENTWICKLUNGSGEBIETS NORDWESTBAHNHOF IN WIEN
NORDWESTBAHNHOF ÜBERSICHT 1 großes Netz 5 kleine Netze
LEITUNGSKONZEPT
NUTZUNG DER ABWASSERENERGIE Die Nutzung erfolgt mittels externem Wärmetauscher. Teilstrom des Abwassers verlässt im Freispiegel den Kanal und gelangt zu einem Bauwerk, wo es grob vorgesiebt wird. Von dort gelangt es zu Wärmetauschern, die mit Wärmepumpen verbunden sind. Diese heizen mit geringem Temperaturhub das Anergienetz. Das Abwasser wird bis auf 6 C abgekühlt. Die Rückleitung zum Kanal befindet sich kurz nach dem Entnahmepunkt. Diesem Rücklauf wird vor der Rückgabe in den Kanal das Siebgut beigemischt. Damit werden dem Kanal letztlich weder Wasser noch Schmutzstoffe entnommen.
SOLARENERGIE 30.000 m² Dachflächen, ca. ein Drittel, werden für Solarenergienutzung vorgesehen. Damit bleiben genügend Flächen für Dachterrassen etc. übrig Diese Flächen können entweder mit PV-, Solarthermie-oder PVT-Kollektoren bestückt werden (oder auch Solarthermie) Natürlich sind auch Kombinationen möglich. PVT-Kollektoren sind zwar teurer als PV oder Solarthermie, aber haben die höchste Flächeneffizienz (Vorteil im dicht bebauten Gebiet).
LUFTWÄRMEPUMPEN Luftwärmepumpen sind auch im dicht bebauten Gebiet möglich. Im Energiekonzept füllen sie jene Lücke auf, die andere erneuerbare Quellen nicht decken können. Die Luft-WP laufen ab 10 C. Dies liefert ca. 5.000 Volllaststunden pro Jahr und eine durchschnittliche Quellentemperatur von 18 C. Mit der Wärmeenergie wird das Anergienetz versorgt, wobei ein Großteil in den Erdspeicher gelangen wird.
ABWÄRME UMLIEGENDER KÄLTEVERBRAUCHER Etwa 80 Meter vom Nordwestbahnhof entfernt befindet sich ein Bürogebäude mit 50.000 m² und einem Kühlbedarf von 1,1 GWh/a und Rückkühlern auf dem Dach. Möglicher Energieeintrag ins Anergienetz: 1,65 GWh (COP = 3) Anstatt diese Wärmemenge über die bestehenden luftgekühlten Kondensatoren an die Umwelt abzugeben, könnte über neue wassergekühlte Kondensatoren auch das Anergienetz gespeist werden. Das gilt auch für neue Kälteanlagen im Quartier (z.b. Lebensmittelkälte, gewerbliche Kälte, Bürokühlung usw.) auch diese Anlagen sollten möglichst das Anergienetz mit der Abwärme versorgen.
ERDSONDENSPEICHER Erneuerbare Energien stehen vermehrt im Sommer zur Verfügung, während der größte Wärmebedarf im Winter gegeben ist. Um die Unterschiede zwischen den Erzeugungs-und Verbrauchsprofilen überbrücken zu können, werden Speicher benötigt. Erdsondenspeicher stellen hier die beste Variante dar. Die Erdsonden können unter den bebauten Flächen installiert werden. Unter einem Teil der Gebäudefläche werden 100 Meter tiefe Erdsonden benötigt (ca. 5.000 Stück).
VIER ERNEUERBARE VARIANTEN Variante 1: PVT ohne Gas 30.000 m² Dachflächen werden mit PVT-Kollektoren bestückt, Wärmepumpen sind bis -12 C inkl. WW ausgelegt Variante 2: PV ohne Gas 30.000 m² Dachflächen werden mit PV-Kollektoren bestückt, Wärmepumpen sind bis -12 C inkl. WW ausgelegt Variante 3: PVT mit Gas 30.000 m² Dachflächen werden mit PVT-Kollektoren bestückt, WP sind bis 0 C inkl. WW ausgelegt, darunter bivalent-parallel mit Erdgas Variante 4: PV mit Gas 30.000 m² Dachflächen werden mit PV-Kollektoren bestückt, WP sind bis 0 C inkl. WW ausgelegt, darunter bivalent-parallel mit Erdgas
WÄRMEBILANZ
STROMBILANZ Stromverbrauch Wohngebäude: 17.031 MWh/a Stromverbrauch Nichtwohngebäude: 21.676 MWh/a Stromverbrauch Wärmepumpen: 14.113 MWh/a Stromproduktion PVT (2 der 4 Varianten): 4.585 MWh/a Defizit: 48.235 MWh/a Der Wärme-und Kältebedarf ist größtenteils (abgesehen vom elektrischen Strom für die Wärmepumpe) mit Vor-Ort-Erneuerbaren zu decken, der Strombedarf jedoch nur zu einem geringen Anteil.
KOSTENVERGLEICH NACH DER ANNUITÄTENMETHODE Zwar ist die Variante mit Erdgas in diesem Vergleich die günstigste. Würden aber z.b. nur die Hälfte der Kosten der PVT-Kollektoren (also ca. 8 Mio. ) gefördert, wäre die Variante PVT bereits die wirtschaftlichste. Aufgrund der unsicheren Weiterentwicklung der Energieträgerpreise ist diese Variante gegenüber Erdgas vorteilhaft.
ÖKOLOGISCHE BILANZ Basis: OIB 6 Richtlinie (2015)
HEATSWAP SALZBURG: ENERGETISCHE ANALYSE DES GEBÄUDEBESTANDES Ausschnitt Wärmekarte Stadt Salzburg hier: Gebiete, die für Wärmenetze geeignet sind Auch darstellbar: Erneuerbare Energien, Abwärmestandorte, Niedertemperaturbedarf Kombinationen von Layern erlaubt die Ausweisung von Gebieten mit Optimierungspotenzial
AKTUELLE FORSCHUNG: ECO DISTRICT HEAT SYSTEMANALYSE FERNWÄRME Motivation für die Analyse: Oft ist der Blick durch festgefahrene Meinungen verstellt, die Analyse von Grund auf kann alle vorhandenen Zusammenhänge darlegen. Methodische Grundlage: Systemanalyse nach Vester Systemelemente werden in interdisziplinären Diskussionen identifiziert. Gegenseitige Beeinflussungen werden qualitativ erfasst (Matrix). Vier Arten von Systemelementen: aktiv: beeinflussen andere Systemelemente stark werden kaum von anderen beeinflusst passiv: beeinflussen andere Systemelemente kaum werden stark von anderen beeinflusst kritisch: beeinflussen andere Systemelemente stark werden stark von anderen beeinflusst puffernd: beeinflussen andere Systemelemente kaum werden kaum von anderen beeinflusst
ERGEBNIS DER SYSTEMANALYSE NACH VESTER waagrecht wirkt auf senkrecht : 0 keine Wirkung; 1 Wirkung vorhanden
AKTIVE UND KRITISCHE ELEMENTE Aktive und kritische Elemente sind entscheidend, um das System steuern zu können. Folgende aktive und kritische Elemente wurden identifiziert: 1. Funktionsmischung 2. Nachverdichtungs- und Erweiterungspotenzial 3. bauliche Dichte 4. Einwohnerdichte, 5. Beschäftigtendichte 6. Gebäudetyp 7. thermisches Sanierungspotenzial 8. genutzte Wärmequellen Puffende Elemente wirken stabilisierend. Passive Elemente eignen sich als Indikatoren.
AUSBLICK Ziel: Entwicklung eines Tools, mit dem Gemeinden Zielgebiete für Fernwärmeausbau identifizieren und schnell bewerten können belastbare Aussagen mit relativ wenigen Eingaben möglich sind Varianten nach ökonomischen und ökologischen Kriterien vergleichen können Erarbeitung von Szenarien, die typische Veränderungen abbilden, z.b. Verdichtung Bevölkerungswachstum Klimawandel thermische Sanierung neue Wärmeerzeugungstechnologien
KONTAKT DI Franz Zach Österreichische Energieagentur 1150 Wien, Mariahilfer Straße 136 T. +43 (0)15861524-106 franz.zach@energyagency.at Partner: Link zu urban PV+geotherm (Projekt über Nordwestbahnhof): https://www.energyagency.at/projekte-forschung/gebaeude-haushalt/detail/artikel/urban-pvgeotherm-innovative-konzepte-zur-versorgung-grossvolumiger-staedtischer-gebaeude-mitphotovo.html Link zu Eco.District.Heat(Projekt in Arbeit): https://nachhaltigwirtschaften.at/de/sdz/projekte/eco-district-heat-potenziale-undrestriktionen-leitungsgebundener-waermeversorgung-in-stadtquartieren.php 24