Deutsche Musterfeststellungsklage und US-amerikanische class action

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Transkript:

Deutsche Musterfeststellungsklage und US-amerikanische class action 2018 Deutscher Bundestag

Seite 2 Deutsche Musterfeststellungsklage und US-amerikanische class action Aktenzeichen: Abschluss der Arbeit: 2. Juli 2018 Fachbereich: WD 7: Zivil-, Straf- und Verfahrensrecht, Umweltschutzrecht, Bau und Stadtentwicklung Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen.

Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Die US-amerikanische class action 4 3. Die deutsche Musterfeststellungsklage 5 4. Gegenüberstellung 6 5. Kritik 7 6. Zusammenfassung und Ausblick 9

Seite 4 1. Einleitung Am 14. Juni 2018 hat der Bundestag das Gesetz zur Einführung einer zivilprozessualen Musterfeststellungsklage beschlossen. 1 Gegenstand der vorliegenden ist eine kursorische Gegenüberstellung der beschlossenen Musterfeststellungsklage mit der im US-amerikanischen Recht verankerten Class action. 2. Die US-amerikanische class action Die US-amerikanische class action ist auf US-bundesrechtlicher Ebene in Rule 23 der Federal Rules of Civil Procedure 2 niedergelegt: Rule 23 Class Actions (a) Prerequisites. One or more members of a class may sue or be sued as representative parties on behalf of all members only if: (1) the class is so numerous that joinder of all members is impracticable; (2) there are questions of law or fact common to the class; (3) the claims or defenses of the representative parties are typical of the claims or defenses of the class; and (4) the representative parties will fairly and adequately protect the interests of the class. (b) Types of Class Actions. A class action may be maintained if Rule 23(a) is satisfied and if: (1) prosecuting separate actions by or against individual class members would create a risk of: (A) inconsistent or varying adjudications with respect to individual class members that would establish incompatible standards of conduct for the party opposing the class; or (B) adjudications with respect to individual class members that, as a practical matter, would be dispositive of the interests of the other members not parties to the individual adjudications or would substantially impair or impede their ability to protect their interests; (2) the party opposing the class has acted or refused to act on grounds that apply generally to the class, so that final injunctive relief or corresponding declaratory relief is appropriate respecting the class as a whole; or (3) the court finds that the questions of law or fact common to class members predominate over any questions affecting only individual members, and that a class 1 Gesetzesbeschluss auf BR-Drs. 268/18 vom 15.06.18 (https://www.bundesrat.de/shareddocs/drucksachen/2018/0201-0300/268-18.pdf? blob=publicationfile&v=2) unter Bezugnahme auf den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD, BT-Drs. 19/2507 vom 05.06.2018, in der Fassung der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz, BT-Drs. 19/2741 vom 13.06.2018. 2 Abrufbar unter https://www.federalrulesofcivilprocedure.org/frcp/title-iv-parties/rule-23-class-actions/.

Seite 5 (c) ( ) action is superior to other available methods for fairly and efficiently adjudicating the controversy. The matters pertinent to these findings include: (A) the class members interests in individually controlling the prosecution or defense of separate actions; (B) the extent and nature of any litigation concerning the controversy already begun by or against class members; (C) the desirability or undesirability of concentrating the litigation of the claims in the particular forum; and (D) the likely difficulties in managing a class action. Bei dieser class action werden potentielle Streitgenossen auf Kläger- oder Beklagtenseite, die class, von Repräsentanten vertreten. Eine class umfasst Personen, die ein gleichartiges Recht oder Rechte aus einem gleichartigen Sachverhalt geltend machen bzw. gegen die solche geltend gemacht werden. ( ) Prozessbeteiligt sind nur die Repräsentanten, von denen laut Rule 23 (a) mindestens einer Mitglied der class sein muss. Das Urteil ist jedoch für die ganze class bindend, außer für Mitglieder, die sich der opt out-möglichkeit bedienen durften und diese auch wahrnahmen. Die durch das Urteil gebundenen Mitglieder sind aus ihm berechtigt und auch verpflichtet und können den Gegenstand des Verfahrens nicht noch einmal gerichtlich geltend machen (res judicata-wirkung). Die Bindungswirkung einer class action hinsichtlich aller Mitglieder einer class, die nicht von der Möglichkeit des opting out Gebrauch gemacht haben, erfordert eine besondere verfahrensrechtliche Ausgestaltung, um den Anforderungen des due process gerecht zu werden. Die Klage bedarf der ausdrücklichen Zulassung durch das Gericht. Der Kläger muss das Vorliegen der Voraussetzungen der Rule 23 (a) und die Existentz einer identifizierbaren class darlegen. 3 Wenn die Möglichkeit eines opting out grundsätzlich eröffnet ist, müssen die Repräsentanten alle Mitglieder der class auf eigene Kosten per Post von der Anhängigkeit informieren, was angesichts des damit verbundenen Aufwands manche class action von vornherein verhindert. 4 3. Die deutsche Musterfeststellungsklage Bei der Musterfeststellungsklage gemäß 606 ff. ZPO-E 5 handelt es sich um ein von einem Verband initiiertes Musterverfahren mit verjährungshemmender Wirkung für Individualansprüche von Verbrauchern gegen Unternehmer. 6 3 Hay, US-Amerikanisches Recht Ein Studienbuch, 6. Auflage 2015, Rn. 179, 181. 4 Hay, US-Amerikanisches Recht Ein Studienbuch, 6. Auflage 2015, Rn. 179, 182. 5 Soweit vorliegend Gesetze mit dem Suffix -E gekennzeichnet sind, wird hiermit in Bezug genommen die Fassung in Gestalt des vom Bundestag verabschiedeten Gesetzentwurfs (siehe oben Fußn. 1). 6 Meller-Hannich, Sammelklagen, Gruppenklagen, Verbandsklagen bedarf es neuer Instrumente des kollektiven Rechtsschutzes im Zivilprozess? NJW-Beil 2018, 29, 30.

Seite 6 Zur Klage befugt sind nur qualifizierte Einrichtungen im Sinne von 3 UKlaG 7, soweit sie die in 606 Absatz 1 Satz 2 ZPO-E aufgelisteten weiteren Voraussetzungen erfüllen, insbesondere keine Gewinnerzielungsabsicht haben und nicht mehr als 5 % ihrer Mittel durch Zuwendungen von Unternehmen erhalten. Die Klageschrift muss Angaben und Nachweise enthalten über das Vorliegen dieser Anforderungen sowie darüber, dass von den Feststellungszielen die Ansprüche oder Rechtsverhältnisse von mindestens zehn Verbrauchern abhängen ( 606 Absatz 2 ZPO-E). Das Gericht veranlasst, wenn die Klageschrift die vorgeschriebenen Anforderungen erfüllt, innerhalb von 14 Tagen nach Erhebung der Musterfeststellungklage deren öffentliche Bekanntmachung ( 607 Absatz 2 ZPO-E). Verbraucher können sodann bis zum Ablauf des Tages vor Beginn des ersten Termins Ansprüche oder Rechtsverhältnisse, die von den Feststellungszielen abhängen, gegenüber dem das Klageregister führenden Bundesamt für Justiz zur Eintragung anmelden ( 608 Absatz 1, 4, 609 ZPO-E). Haben zwei Monate nach öffentlicher Bekanntmachung der Musterfeststellungsklage nicht mindestens 50 Verbraucher ihre Ansprüche oder Rechtsverhältnisse zur Eintragung in das Klageregister wirksam angemeldet, ist die Musterfeststellungsklage unzulässig ( 606 Absatz 3 Nr. 3 ZPO-E). Die Anmeldung kann bis zum Ablauf des Tages des Beginns der mündlichen Verhandlung in der ersten Instanz zurückgenommen werden ( 608 Absatz 3 ZPO-E). Ab dem Tag der Rechtshängigkeit der Musterfeststellungsklage kann gegen den Beklagten keine andere Musterfeststellungsklage erhoben werden, soweit deren Streitgegenstand denselben Lebenssachverhalt und dieselben Feststellungsziele betrifft ( 610 Absatz 1 Satz 1 ZPO-E). Während der Rechtshängigkeit der Musterfeststellungsklage kann ein angemeldeter Verbraucher gegen den Beklagten keine Klage erheben, deren Streitgegenstand denselben Lebenssachverhalt und dieselben Feststellungsziele betrifft ( 610 Absatz 3 ZPO-E). Die Erhebung einer Musterfeststellungsklage hemmt die Verjährung für einen Anspruch, den ein Gläubiger zu dem zu der Klage geführten Klageregister wirksam angemeldet hat, wenn dem angemeldeten Anspruch derselbe Lebenssachverhalt zugrunde liegt wie den Feststellungszielen der Musterfeststellungsklage ( 204 Absatz 1 Nr. 1a BGB-E 8 ). Ein rechtskräftiges Musterfeststellungsurteil bindet das zur Entscheidung eines Rechtsstreits zwischen einem angemeldeten Verbraucher und dem Beklagten berufene Gericht, soweit dessen Entscheidung die Feststellungsziele und den Lebenssachverhalt der Musterfeststellungsklage betrifft es sei denn, der angemeldete Verbraucher hat seine Anmeldung wirksam zurückgenommen ( 613 Absatz 1 ZPO-E). 4. Gegenüberstellung Die obigen kursorischen Beschreibungen von class action und Musterfeststellungsklage haben gezeigt, dass die beiden Klagearten unterschiedlicher Natur sind und kaum Gemeinsamkeiten aufweisen. 7 Unterlassungsklagengesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 27. August 2002 (BGBl. I S. 3422, 4346), das zuletzt durch Artikel 4 des Gesetzes vom 17. Juli 2017 (BGBl. I S. 2446) geändert worden ist. 8 Siehe oben Fußn. 5.

Seite 7 So ist die Musterfeststellungsklage von vornherein sachlich auf Verbraucherstreitigkeiten beschränkt, während die class action eine solche Einschränkung nicht kennt. Weiterhin steht die Musterfeststellungsklage im Gegensatz zur class action nicht einzelnen betroffenen Bürgern zur Verfügung, um ihre Ansprüche zu verfolgen, sondern nur Verbänden. Wie sich bereits aus ihrem Namen ergibt, kann eine Musterfeststellungsklage anders als eine class action zudem nicht dazu führen, dass das Gericht direkte Leistungsansprüche zuspricht die Musterfeststellungsklage beschränkt sich vielmehr stets auf die bloße Feststellung des Vorliegens oder Nichtvorliegens von tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen für das Bestehen oder Nichtbestehen von Ansprüchen oder Rechtsverhältnissen ( 606 Absatz 1 ZPO-E). Ein Verbraucher, der gestützt auf den einer Musterfeststellungsklage zugrundeliegenden Sachverhalt eine Leistung vom beklagten Unternehmer begehrt, ist deshalb stets gezwungen, noch einen gesonderten, eigenständigen Prozess anzustrengen, wenn der Unternehmer nicht freiwillig leistet. Im Gegensatz zur class action kann mit einer Musterfeststellungsklage also gerade keine gebündelte Verfolgung von Ansprüchen Einzelner auf dem Klageweg erfolgen; die Musterfeststellungsklage ist damit keine Gruppen- bzw. Sammelklage. 9 Ein erheblicher Unterschied liegt auch in der jeweiligen Rechtskraft der beiden Klagearten: Die Musterfeststellungsklage wirkt nur für nachfolgende Prozesse explizit im Klageregister angemeldeter Verbraucher, nicht für andere Verbraucher oder sonstige Anspruchsteller, selbst, wenn es sich um einen im Wesentlichen identischen Lebenssachverhalt und identische Rechtsfragen handelt. Die Rechtskraft der class action dagegen gilt grundsätzlich umfassend für den fraglichen Lebenssachverhalt auch gegenüber Dritten. Dem entsprechend entfaltet eine anhängige Musterfeststellungsklage auch nur eine Sperrwirkung gegenüber anderen Musterfeststellungsklagen in gleicher Sache, nicht aber gegenüber anderen Klagen gegen den betroffenen Unternehmer aus dem gleichen Sachverhalt, während die class action hier umfassende Sperrwirkung hat. 5. Kritik Der Gesetzgeber hat die Einführung der Musterfeststellungsklage unter anderem damit begründet, dass in einem durch standardisierte Massengeschäfte geprägten Wirtschaftsleben unrechtmäßige Verhaltensweisen von Anbietern häufig eine Vielzahl gleichartig geschädigter Verbraucher hinterließen und Schadensersatz- oder Erstattungsansprüche oft nicht individuell verfolgt würden, da der erforderliche Aufwand aus Sicht des Geschädigten unverhältnismäßig erscheine. 10 Die Eignung der vom Gesetzgeber zur Bekämpfung dieser konstatierten Missstände konzipierten Musterfeststellungsklage wird nicht nur vereinzelt kritisch beurteilt. Zentraler Kritikpunkt ist dabei oftmals, dass ein im Musterfeststellungsprozess zu fällendes Urteil gerade keine Leistung zusprechen könne und damit einen folgenden Prozess nicht entbehrlich mache: Der entscheidende Nachteil des Verfahrens liegt darin, dass der klagende Verband kein vollstreckbares Urteil auf Schadensersatz erwirken kann. Die registrierten Geschädigten können sich zwar auf ein positives Feststellungsurteil berufen ( 614 E-ZPO), müssen ihren Schadensersatz danach aber nach wie vor individuell einklagen und tragen insoweit das 9 Stadler, Musterfeststellungsklagen im deutschen Verbraucherrecht? VuR 2018, 83, 84. 10 BT-Drs. 19/2507, S. 1 i.v.m. BT-Drs. 19/2741, S. 24 Ziff. IV vor Nr. 1, Satz 2.

Seite 8 volle Prozessrisiko. ( ) Für die Fälle von Bagatell- und Streuschäden, an die der Referentenentwurf die Musterfeststellungsklage offenbar vorrangig gedacht hatte, ist das Instrument schon im Ansatz verfehlt. Für größere Individualschäden, bei denen mit einer nennenswerten Anzahl von Registrierungen zu rechnen ist, bleibt das Problem der Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen nach erfolgreicher Musterfeststellung ungelöst. Der Referentenentwurf bürdet ohne dies zu benennen den klagebefugten Einrichtungen de facto eine hohe Verantwortung auf, diese zweite Stufe nicht den Betroffenen zu überlassen. Dies können die Verbände aber nur in wenigen ausgewählten Fällen leisten. 11 Die vorhersehbare Ineffizienz der Musterfeststellungsklage wird noch dadurch gesteigert, dass die Rechtssuchenden aufgrund der bloßen Feststellungswirkung des Musterurteils keinen vollstreckbaren Leistungstitel erhalten. Das Entwurfskonzept geht davon aus, dass sich nach Erlass des Musterfeststellungsurteils in den meisten Fällen Anmelder und Beklagte außergerichtlich einigen. Verbleiben Streitpunkte, steht es Anmeldern und Beklagten offen, die außergerichtliche Streitschlichtung in Anspruch zu nehmen oder den Rechtsweg zu beschreiten. Die Annahme einer Vermeidung von Individualverfahren durch massenhafte Vergleichsabschlüsse dürfte sich jedoch als blauäugig erweisen, so lange einzelne Leistungsklagen mit geringen Streitwerten das einzige Druckmittel darstellen, um Rechtsverletzer zu Zahlungen zu bewegen. Denn die Anreize für Schädiger, überhaupt in Vergleichsverhandlungen einzusteigen, sind gering, so lange kein adäquates Abschreckungs- oder Drohpotenzial besteht. 12 Der große Nachteil der Musterfeststellungsklage besteht aber darin, dass sie den Beklagten auch bei dessen Prozessverlust zu nichts verpflichtet. Die Feststellung hat keine weiteren rechtlichen Konsequenzen, so dass weder die durch das festgestellte Verhalten Geschädigten entschädigt werden noch die rechtswidrige Geschäftspraxis in Zukunft untersagt ist. Nur wenn ein Geschädigter eigenständig im Anschluss an das Musterfeststellungsurteil aktiv wird, kann er Entschädigung erhalten. Und selbst dann kann sich noch die fehlende Vorgreiflichkeit der Musterfeststellung für das individuelle Verfahren herausstellen, was nicht nur zum Wegfall der Bindungswirkung, sondern auch zum Wegfall der verjährungshemmenden Wirkung der Anmeldung zur Musterfeststellungsklage führt. Deshalb können die trotz Musterfeststellung notwendigen Einzelprozesse mühsam und kostenträchtig sein. Sie werden bei Streuschäden regelmäßig am rationalen Desinteresse der Anspruchsinhaber scheitern. ( ) Eine Musterfeststellungsklage ist deshalb für die Behebung der diagnostizierten Rechtsschutzdefizite ungeeignet. 13 11 Stadler, Musterfeststellungsklagen im deutschen Verbraucherrecht? VuR 2018, 83, 84, 87. 12 Kranz, Der Diskussionsentwurf zur Muster-Feststellungsklage ein stumpfes Schwert? NZG 2017, 1099, 1101. 13 Meller-Hannich, Sammelklagen, Gruppenklagen, Verbandsklagen bedarf es neuer Instrumente des kollektiven Rechtsschutzes im Zivilprozess? NJW-Beil 2018, 29, 31.

Seite 9 Entsprechende Kritik wurde auch in der zum Gesetzentwurf durchgeführten Sachverständigenanhörung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz geübt. 14 6. Zusammenfassung und Ausblick Zwar bestehen zwischen der deutschen Musterfeststellungsklage und der US-amerikanischen class action insofern Berührungspunkte, als beide Klagearten maßgeblich auch für die Durchsetzung von Ansprüchen auf Ersatz sogenannter Massen- und Streuschäden insbesondere aus illegalen Geschäftspraktiken konzipiert sind. Hinsichtlich ihrer Ausgestaltung weisen beide Klagearten jedoch kaum Gemeinsamkeiten auf. Das vom Gesetzgeber gewählte Modell der Musterfeststellungsklage war und ist ebenso wie die Frage, ob auch in Deutschland Sammelklagen eingeführt werden sollten, in Fachkreisen Gegenstand lebhafter Kontroverse. Dem entspricht, dass sich der 72. Deutsche Juristentag in Leipzig vom 26. bis 28. September 2018 in der Abteilung Verfahrensrecht mit dem Thema Sammelklagen, Gruppenklagen, Verbandsklagen bedarf es neuer Instrumente des kollektiven Rechtsschutzes im Zivilprozess? befassen wird. 15 * * * 14 Vgl. die Meldung Experten: Gesetzentwurf zur Musterfeststellungsklage nachbessern, https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2018/kw24-pa-recht-musterfeststellungsklage/558342. Die schriftlichen Stellungnahmen der Sachverständigen sind abrufbar unter https://www.bundestag.de/ausschuesse/a06_recht/anhoerungen_archiv/stellungnahmen/558740. 15 Vgl. https://www.djt.de/fileadmin/downloads/72/djt_72_verfahrensrecht_180413.pdf.