Rechtliche Aspekte beim Einsatz von Herdenschutzhunden Vortrag von Dr. Michael Bütler, Rechtsanwalt in Zürich Nationale Herdenschutztagung 2013 in Bern 1
Inhalt des Vortrags I. Einleitung II. Rechtsgrundlagen des Herdenschutzes III. Revision von JSV, TSchV, TSV IV. Zwei Anwendungsfälle V. Schlussfolgerungen VI. Zusammenfassung 2
I. Einleitung 3
II. Rechtsgrundlagen des Herdenschutzes Verfassungsrecht: Bundeskompetenzen bei Fischerei und Jagd, Artenschutz, Landwirtschaft. Geltendes Recht, Stufe Gesetz u. Verordnung: - Art. 12 Abs. 1 Jagdgesetz (JSG, Massnahmen zur Verhütung von Wildschaden), keine explizite Regelung. - Herdenschutzhunde (HSH) genannt in TSchV, TSV. - Art. 10 Abs. 4 Jagdverordnung (JSV): Der Bund kann Massnahmen fördern, die in regionalen Projekten getroffen werden, um Wildschäden durch Luchse, Bären oder Wölfe zu verhüten (räumliche und zeitliche Beschränkung). 4
Revision per 1. Januar 2014 (Agrarpolitik 2014-17): Art. 12 Abs. 5 Satz 1 JSG: «Der Bund fördert und koordiniert die Massnahmen der Kantone zur Verhütung von Wildschaden, der durch Grossraubtiere an Nutztieren verursacht wird.» Revision per 2016 (Waldrecht): Art. 12 Abs. 5 Satz 2 JSG: «Er kann gegen Entschädigung private Organisationen mit dem Vollzug dieser Aufgaben beauftragen.» Landwirtschaftsrecht (ab 1. Januar 2014): Alpungs- und Sömmerungsbeiträge für die Sömmerung von Nutztieren (im Berggebiet). 5
Kantone kompetent, Präventionsmassnahmen zu wählen. Die vom BAFU geförderten Herdenschutzmassnahmen sind für Kantone und Bewirtschafter freiwillig. Bund: fördert und koordiniert präventive Herdenschutzmassnahmen der Kantone permanent und (gegebenenfalls) flächendeckend. Keine Änderungen bei den Voraussetzungen zum Abschuss von einzelnen Grossraubtieren (Herdenschutzmassnahmen zum Teil vorausgesetzt, z.b. bei früheren Wolfsschäden). 6
III. Revision von JSV, TSchV, TSV 7
Art. 10 ter Jagdverordnung (JSV, Verhütung von Schäden durch Grossraubtiere): - Abs. 1: BAFU fördert a) Zucht, Ausbildung, Haltung und Einsatz von HSH sowie b) den Schutz von Bienenstöcken mit Elektrozäunen. - Abs. 2: Förderung weiterer Massnahmen der Kantone möglich. - Abs. 3: BAFU unterstützt und koordiniert räumliche Planung der Massnahmen durch Kantone; Erlass einer Richtlinie vorgesehen. 8
- Abs. 4: Kantone integrieren Herden- und Bienenschutz in landwirtschaftliche Beratung. - Abs. 5: BAFU kann Organisationen von gesamtschweizerischer Bedeutung unterstützen, welche die Behörden und betroffenen Kreise über Herdenschutz informieren und beraten. Art. 10 quater JSV (Herdenschutzhunde): - Abs. 1: Definition Einsatzzweck von HSH: weitgehend selbständige Bewachung von Nutztieren (Abwehr fremder Tiere). 9
- Abs. 2: BAFU fördert Herdenschutz mit Hunden; Kriterien: a) geeignete Rasse, b) fachgerechte Züchtung, Ausbildung, Haltung, fachgerechter Einsatz, c) Einsatz hauptsächlich für die Bewachung von Nutztieren, deren Haltung oder Sömmerung nach der Direktzahlungsverordnung gefördert wird, d) Meldung als Herdenschutzhund nach TSV. 10
- Abs. 3: BAFU erlässt nach Anhörung BLV Richtlinien zu Eignung, Zucht, Ausbildung, Haltung, Einsatz und Meldung von geförderten Herdenschutzhunden. Art. 77 Tierschutzverordnung (TSchV): Wer einen Hund hält oder ausbildet, hat Vorkehrungen zu treffen, damit der Hund Menschen und Tiere nicht gefährdet. Bei der Beurteilung der Verantwortlichkeit für Herdenschutzhunde wird deren Einsatzzweck zur Abwehr fremder Tiere berücksichtigt (Satz 2 neu). 11
Art. 16 Abs. 3 bis Bst. b Tierseuchenverordnung (TSV): Der Tierhalter muss der Betreiberin der Datenbank zusätzlich melden: b. für Herdenschutzhunde: den vorgesehenen Einsatz als Herdenschutzhund und, sofern eine Förderung nach Art. 10 quater Abs. 2 JSV beansprucht wird, jährlich die Erfüllung der entsprechenden Anforderungen. > Neue Regelungen in Kraft ab 1. Januar 2014. 12
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IV. Zwei Anwendungsfälle 1) Zwischenfall bei Weidewechsel auf Wanderweg Sachverhalt: - Landwirt X. hielt Schafherde (200 Tiere) und seit 2004 zwei HSH (wegen Bärenpräsenz). - am 19. Oktober 2010 Weidewechsel mit zwei HSH (unangeleint), drei Helfern auf Wanderweg von A nach B im Unterengadin (Graubünden). - Schafe weigerten sich weiterzugehen. - X. begab sich nach 17 Uhr an Ende der Herde, schickte Helfer Y. mit Leitschaf voraus. 14
- an unübersichtlicher, enger Wegstelle kam Z. mit unangeleinter Schäferhündin entgegen. - HSH B. sah Schäferhündin, griff sie an und verletzte sie leicht (Bissverletzung am Oberschenkel). Verfahren: Strafanzeige durch Z; Eröffnung einer Strafuntersuchung durch Bündner Departement gegen X. - Strafbefehl wegen fahrlässiger Widerhandlung gegen Art. 77 TSchV in Verbindung mit Art. 28 Abs. 3 TSchG. Busse von Fr. 200.-. 15
- Einsprache, Freispruch vor Bezirksgericht Inn; dagegen Beschwerde durch Departement, Verurteilung durch Kantonsgericht GR. - bei früheren Weidewechseln keine Probleme, anno 2010 gab es noch keine Richtlinien und Empfehlungen. - Verzicht auf Weiterzug ans BGer (aus Zeitgründen), ev. gewisse Erfolgschancen. Konsequenz: Landwirt X. hat Schafhaltung bereits weitgehend aufgegeben, wird HSH auf nächste Sömmerungssaison definitiv abgeben. 16
Ratgeber mit Checkliste seit 2012 Empfehlungen für HSH- Halter und Wanderwegverantwortliche. Checkliste mit Fragen. Bsp.: Bei Weidewechsel in Risikobereichen sind HSH an die Leine zu nehmen und wenn nötig zusätzliche Hilfspersonen einzusetzen. 17
2) Zwischenfall ausserhalb der Schafweide Sachverhalt (nicht ganz geklärt): - Landwirt X. hält rund 250 Schafe und zwei HSH seit 2010 im Entlebuch (Kanton Luzern). - an Schafweide führt viel begangener Güterweg (kein Wanderweg) vorbei. - Installation eines Holzzauns (1,2 m hoch) mit Knotengitter und Elektrolitze; neun offizielle Hinweistafeln. - am 24. Februar 2012 (hohe Schneelage), HSH M. übersprang Zaun vermutlich wegen anderem Hund, verliess Schafweide. 18
- HSH M. befand sich danach auf einer anderen Weide, spielte mit einem bekannten Hund. - Ein weiterer, unangeleinter Dritthund überraschte HSH M. von hinten, HSH M. verletzte den Dritthund durch Bisse leicht (Hautperforierung an der Kruppe). Hundebissmeldung (durch Tierarzt) beim Veterinärdienst LU, welches verfügt: - Weide muss so umzäunt sein, dass HSH nicht entweicht. 19
- ständige Beaufsichtigung, wenn HSH nicht auf Weide ist. - Informationspflicht gegenüber nahem Kinderheim (erfüllt). - sofortige Umsetzung der Massnahmen, ansonsten oder bei erneutem Vorfall Einziehung des HSH, Fremdplatzierung oder Einschläferung. - Entzug der aufschiebenden Wirkung einer allfälligen Beschwerde. - Androhung von Busse bei Zuwiderhandlung. 20
Beschwerde ans kant. Verwaltungsgericht; vollumfängliche Gutheissung der Beschwerde: - rechtserheblicher Sachverhalt ungenügend abgeklärt. - Angeordnete Massnahmen sind unverhältnismässig (v.a. ausbruchssichere Umzäunung). - HSH M. wies keine Verhaltensauffälligkeit auf. - Art. 77 TSchV: spezieller Einsatzzweck von HSH ist zu berücksichtigen. Bundesrecht geht entgegenstehendem kantonalem Recht vor (einzelfallbezogener Anwendungsvorrang). 21
V. Schlussfolgerungen Kantone kompetent im Bereich Sicherheit/ Hundegesetzgebung; z.t. Anpassung erfolgt (Bsp. Bern). Bund kompetent, Bestimmungen zum Herdenschutz zu erlassen und Herdenschutz zu fördern. > Spannungsfeld Bundesrecht - kantonales/kommunales Recht. Bundesrecht geht entgegenstehendem kantonalem Recht vor (Art. 49 Abs. 1 Bundesverfassung); gilt v.a. für Kantone, welche Hundegesetzgebung bisher nicht angepasst haben (Bsp. Luzern). HSH-Halter müssen Richtlinien/Empfehlungen einhalten. Massnahmen im Einzelfall gegen verhaltensauffällige HSH möglich; sorgfältige Abklärungen nötig. 22
VI. Zusammenfassung Freiwillige Herdenschutzmassnahmen der Kantone werden mit Revision gestärkt. BAFU fördert Herdenschutz mit offiziellen Hunden; Einhaltung der Richtlinien wichtig bei Beurteilung der Sorgfaltspflicht. Behörden dürfen sorgfältig durchgeführten (rechtskonformen) Herdenschutz mit HSH nicht verhindern oder unnötig erschweren. Massnahmen gegen nachgewiesenermassen verhaltensauffällige HSH bleiben möglich. Danke für Ihre Aufmerksamkeit! Fragen? 23