Achtung vor dem eigenen



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Transkript:

Achtung vor dem eigenen Existenzanalyse Schicksal und anthroposophische Biografiearbeit - eine Annäherung. Abschlussarbeit für die fachspezifische Ausbildung in Existenzanalyse April 2013 Eingereicht von: Eingereicht bei: Erika Salzmann Mag. Markus Angermayr DDr. Alfried Längle 1

Zusammenfassung In meiner Abschlussarbeit gehe ich der Frage nach, ob und wenn ja, bei welchen Fragestellungen die Existenzanalyse durch die anthroposophische Biografiearbeit erweitert werden kann. Einer Antwort auf diese Frage versuche ich durch Darstellung der jeweiligen Menschenbilder und der phänomenologischen Herangehensweisen sowie der genauen Beschreibung der beiden Methoden der biografischen Arbeit näherzukommen. Anhand eines Fallbeispiels aus meiner Praxis beschreibe ich den Versuch, die biografische Existenzanalyse und die anthroposophische Biografiearbeit zu verbinden. Ergänzt wird die Arbeit durch praktische Anregungen für die Biografiearbeit. Schlüsselwörter Biografische Existenzanalyse, anthroposophische Biografiearbeit, Menschenbild, Phänomenologie Abstract In my degree paper I tackle the question if - and, given that, in which cases - existential analysis can be extended through biographical work on the basis of antroposophy. I try to find an answer to this question through display of the particular conception of man and the respective phenomenological approach, as well as an in depth description of both methods of biography work. On the basis of a case study from my personal work experience, I attempt to bring together biographical existential analysis and biography work based on anthroposophy. I also give a few practical suggestions for biography work. Keywords biographical existential analysis, biography work on the basis of antroposophy, conception of man, phenomenological approach, case study 2

Inhaltsverzeichnis 1. Was mich zu diesem Thema geführt hat...4 2. Menschenbilder 7 2.1 Das Menschenbild in der Existenzanalyse..7 2.1.1 Die Person...8 2.2 Das anthroposophische Menschenbild...9 2.2.1 Der Mensch als Hüllenwesen...9 2.2.2 Die Wesensglieder bei Steiner.9 3. Die phänomenologische Haltung in der Existenzanalyse...11 3.l Philosophische Grundlagen.11 3.2 Die Phänomenologie in der Praxis.12 3.2.1 Die Personale Existenzanalyse.13 4. Die biografische Existenzanalyse.14 4.1 Die Schritte der biografischen Methode 16 4.2 Indikation der biografischen Existenzanalyse...18 5. Die Biografiearbeit auf anthroposophischer Grundlage..19 5.1 Theorie der anthroposophischen Biografiearbeit...19 5.2 Praxis der anthroposophischen Biografiearbeit.20 5.3 Rhythmen, Metamorphosen und andere Gesetzmäßigkeiten...21 5.3.1 Alle sieben Jahre...23 5.3.1.1 Die Themen der Jahrsiebte..23 5.3.2 Metamorphosen.25 5.3.3 Mondknoten...26 6. Die Haltung des Beraters, der Therapeutin in der ABA..27 7. Fallbeispiel Clara..30 8. Resumé.37 9. Anhänge 40 9.1. Fragen zur Biografie..40 9.2. Anregungen für die biografische Arbeit 44 10. Literaturverzeichnis...46 3

1. Was mich zu diesem Thema geführt hat Als ich vor über 20 Jahren zum ersten Mal an einem Workshop zum Thema Biografie- Arbeit teilnahm, wusste ich sofort, dass das etwas ist, was mich länger beschäftigen wird. Ich hatte richtiggehend Feuer gefangen und besorgte mir alle Bücher die es zu dieser Zeit zu diesem Thema gab. Ich war 28 Jahre alt (Das erwähne ich deshalb, weil es in der anthroposophischen Biografiearbeit nicht unbedeutend ist, wann solche lebensbestimmenden Entscheidungen getroffen werden. Mehr dazu im entsprechenden Kapitel). Einige Jahre später besuchte ich ein Seminar, in dem eine Woche lang intensiv an der eigenen Biografie gearbeitet wurde. Ich erlebte diese Arbeit ausgesprochen stärkend und motivierend, sie machte mich neugierig auf mein Leben. Mit ca. 35 Jahren kam ich in eine Sinnkrise, meine beiden Kinder besuchten mittlerweile die Schule bzw. den Kindergarten und mich plagte die Frage, welche Richtung ich meinem Leben nun geben soll, wohin mich mein Weg führen könnte. Das, was ich vorher gemacht hatte, passte nicht mehr zu mir. Da kam mir die biografische Arbeit wieder in den Sinn und ich entschloss mich zu einer Ausbildung in dieser Methodik beim Verein für Biographiearbeit auf der Grundlage der Anthroposophie in Arlesheim, Schweiz. Die intensive Beschäftigung mit den Gesetzmäßigkeiten, Rhythmen und spezifischen Themen der jeweiligen Lebensabschnitte eröffnete mir einen neuen Blick auf den Menschen und die Persönlichkeitsentwicklung. Nach Abschluss der Ausbildung arbeitete ich einige Jahre mit arbeitssuchenden Erwachsenen. Die biografische Arbeit war ein Angebot, das freiwillig im Rahmen der AMS(Arbeitsmarktservice)-Schulungen besucht werden konnte. Die Arbeit fand in Gruppen von drei bis zehn Menschen statt, die zentrale Fragestellung war naturgemäß eine berufliche: Welche Stärken habe ich? Gibt es liegengelassene rote Fäden? Wie möchte ich mein (berufliches) Leben in Zukunft gestalten? usf. Die Teilnehmer und Teilnehmerinnen empfanden die Auseinandersetzung mit ihrer Geschichte als sehr hilfreich in Bezug auf die Fragestellung. Besonders stärkend erlebten sie die Art und Weise der Arbeit: der betreffende Mensch erzählt seine Biografie (nach einer individuellen Vorbereitung) in ca. zwei Stunden, die anderen hören zu und stellen eventuell Verständnisfragen. Am Ende geben alle Zuhörer und Zuhörerinnen wertschätzendes und wohlwollendes Feedback: Wie wirkt diese Person auf mich? Was hat 4

mich besonders beeindruckt? Wie ist sie bisher mit schwierigen Situationen umgegangen? usw. Der Fokus wurde ganz klar auf die Ressourcen gelegt, das Ziel war in erster Linie, wieder einen passenden Arbeitsplatz zu finden. In vielen Fällen reichte die ressourcenorientierte, beraterische Vorgehensweise aus, um die Menschen auf ihrem Weg zu unterstützen, in manchen anderen allerdings kam ich mit der Biografiearbeit an Grenzen. Da lagen die Probleme tiefer, es gab Traumatisierungen, nicht verarbeitete Verletzungen usw. Diese Erfahrung führte mich schließlich zur Therapie- Ausbildung. Ich wollte tiefer dringen, die Probleme an ihrer Wurzel packen können, die Menschen besser verstehen Die Entscheidung für die Existenzanalyse fiel mir leicht, es kam eigentlich gar nichts anderes in Frage, eine Psychotherapie vom Geist her, wie Frankl es einmal ausdrückte, das interessierte mich. Auch würde die Existenzanalyse gut zu meinem durch die Anthroposophie geprägten Menschenbild passen. Seit ich im Rahmen der Ausbildung die biografische Methode der Existenzanalyse kennenlernte, beschäftigt mich die Möglichkeit einer Verbindung der beiden Ansätze. Welche Gemeinsamkeiten gibt es? Wo unterscheiden sich die Methoden? Und wann macht es Sinn, die anthroposophische Methode im Rahmen einer Therapie einzusetzen? Interessanterweise bekam ich seit Abschluss der Grundausbildung in Existenzanalyse wieder vermehrt Anfragen und Gelegenheit zur anthroposophischen Biografiearbeit für mich eine Aufforderung, diese auf dem Hintergrund der Existenzanalyse zu versuchen. Die Erfahrungen, die ich bisher damit machte, möchte ich in dieser Arbeit mitteilen. Zuerst stelle ich die Menschenbilder der Existenzanalyse und Anthroposophie kurz vor. Darauf folgt ein Blick auf die phänomenologische Haltung der beiden Ansätze, die Darstellung der biografischen Existenzanalyse und der anthroposophischen Biografiearbeit schließen diesen ersten Teil ab. Anhand der Biografie von Clara (Name geändert) versuche ich aufzuzeigen, wie eine Annäherung von Existenzanalyse und anthroposophischer Biografiearbeit aussehen könnte. 5

Den Titel der Arbeit verdanke ich meiner Freundin Cornelia; sie fasste die Früchte, die sie durch die biografische Arbeit erhielt, so zusammen: Ich habe Achtung vor meinem eigenen Schicksal bekommen! Zum geschlechtergerechten Sprachgebrauch: Ich verwende im Text abwechselnd die weibliche und die männliche Form. 6

2. Menschenbilder 2.1 Das Menschenbild in der Existenzanalyse Das Menschenbild der Existenzanalyse ist ein dreidimensionales, d.h. es umfasst Leib, Seele und Geist. Frankl wählte zur Beschreibung des Menschen das geometrische Bild der drei Dimensionen: (Frankl 1959, zit. n. Längle 2008 S.65) Geist Emotion Kognition Psyche Körper Damit verließ er die zu seiner Zeit übliche Darstellungsform eines Schichtenmodells (Nikolai Hartmann, Max Scheler), die dimensionale Beschreibung erachtete er als geeigneter um für die Psychotherapie relevante Informationen wiederzugeben. (Längle 2005 S.88) Darin drückt sich aus, dass der Mensch an drei differenten Aspekten des Seins Anteil hat. Der Leib oder Körper ist das Materielle am Menschen, die Seele oder Psyche umfasst Triebe, Stimmungen (z.b. Ängste, Depressionen, Reizbarkeit), Charakter, Affekte sowie die Copingreaktionen. Der Geist oder die Person ist das Freie im Menschen und somit die Fähigkeit zu wählen und zu entscheiden, Verantwortung zu übernehmen; auch Sinn und Gespür sind hier angesiedelt. Die Emotion nimmt eine Zwischenstellung ein, sie hat Anteil an der Psyche und am Geist, während die Kognition Anteil am geistigen Erfassen und am Werkzeugcharakter von Gedächtnis und Erleben hat. (ebd.) Mit dieser dimensionalen Darstellungsweise beschreibt Frankl ein spezifisch humanes Spannungsfeld: die Differenz zwischen dem Geistigen und dem Psychophysikum, dem Personalen und der leiblich-seelischen Basis des Menschseins (Längle 2008) Das Geistige steht in ständiger Auseinandersetzung einerseits mit dem Psychophysikum und andererseits mit der Welt. Aber auch innerhalb jeder der drei Dimensionen besteht jeweils 7

eine Polarität und dadurch eine Dynamik: auf der körperlichen Ebene ist der Mensch eingespannt zwischen Gesundheit und Krankheit, auf der psychischen Ebene zwischen Lust und Unlust und schließlich auf der geistigen Ebene zwischen Erfüllung und Leere. Da die drei Dimensionen einer gewissen Eigengesetzlichkeit unterliegen, kann es zu einer Divergenz im Kräftefeld kommen. So kann beispielsweise der Körper müde sein, während die Psyche ängstlich und unruhig ist. Das kann zu einem Spannungszustand führen, in dem keine Erholung möglich ist. Erst wenn die Psyche ruhig wird, stellt sich der Schlaf ein. (Längle 2005 S.89) 2.1.1 Die Person Frankl bezeichnet die Person, das Freie im Menschen als die spezifisch menschliche Dimension. Sie ist einmalig und einzigartig, sie befindet sich in einem ständigen Wechselverhältnis mit dem anderen (dem Psychophysikum und der Welt) von dem sie sich zwar abgrenzt auf das sie sich aber zugleich auch bezieht. Die Person zeigt sich in dem wie sie mit etwas umgeht, wie sie sich entscheidet. Sie ist nicht fassbar, ich kann der Person des anderen Menschen jedoch begegnen. (Frankl 1982) Ein besonderes Charakteristikum der menschlichen Existenz ist lt. Frankl die Fähigkeit des Menschen zur Transzendenz, d.h. der Mensch transzendiert sein Sein auf ein Sollen hin. Dadurch erhöht er sich über sein Psychophysikum in das Geistige, das eigentlich Menschliche. Während das Psychophysikum von der Psychodynamik (Triebe) beherrscht wird, ist das Geistige, die Person auf Werte und Sinn hin ausgerichtet. Dem Menschen geht es nach Frankl nicht darum, sich selbst zu verwirklichen sondern darum, Sinn zu erfüllen und Werte zu verwirklichen. In dem Maße wie ihm das gelingt, erfüllt er auch sich selbst. (Frankl 1986) 8

2.2 Das anthroposophische Menschenbild Das der hier vorgestellten Biografiearbeit zugrundliegende Menschenbild geht zurück auf Rudolf Steiner (1861-1925), dem Begründer der Anthroposophie. Anthroposophie bedeutet in etwa die Weisheit vom Menschen. Sie ist eine spirituelle Bewegung auf philosophischer Grundlage mit sozialer Ausrichtung (Heisterkamp 2010 S.11) Diese Bewegung war und ist auch heute noch impulsgebend für verschiedene Lebensbereiche wie Medizin, Kunst, Landwirtschaft oder Pädagogik. Anthroposophie ist aber auch ein Erkenntnisweg mit einer detailliert beschriebenen Methode zur Erweiterung des Bewusstseins und der Entwicklung von Sozialkompetenz. Ziel des Schulungsweges ist ein Leben in Freiheit und Verantwortung. Steiner knüpft hier vor allem an die christliche Mystik, das Rosenkreuzertum, den Idealismus und die Theosophie an, die wiederum ihre Wurzeln in der indischen Philosophie, insbesondere des Hinduismus hat. 2.2.1 Der Mensch als Hüllenwesen Während Frankl Leib, Seele und Geist dreidimensional darstellt, wird der Mensch in der anthroposophischen Anthropologie als Hüllenwesen beschrieben. Das Ich als geistiger Wesenskern des Menschen bildet das Innere, die dem Ich nächste Hülle ist die Seele, während der physische Leib die äußerste Schicht bildet. Wie bei Frankl hat das Seelische hierbei eine Zwischenfunktion, es hat Anteil am Leiblichen als auch am Geistigen, und steht somit einer zweifachen Notwendigkeit (Steiner 1904 in 1962 S.26) gegenüber. Durch diese drei verschiedenen Bereiche ist der Mensch Bürger dreier Welten (ebd. S.23): Mit der physischen Welt ist er über seine Sinne verbunden, er sieht, hört, riecht, schmeckt und tastet die Gegenstände der Welt. Diese Wahrnehmungen machen Eindrücke auf die Seele, sie erwecken Lust oder Unlust und Gefallen oder Missfallen. In der seelischen Welt reicht das Spektrum von bewussten bis zu weitgehend unbewussten Bereichen, wo das Ich kaum hinreicht. Die dritte Welt ist die der Erkenntnis, die der Mensch aus den Wahrnehmungen und Eindrücken gewinnt, die geistige Ebene. (ebd.) 2.2.2 Die Wesensglieder bei Steiner Rudolf Steiner differenziert Leib, Seele und Geist weiter in jeweils drei Bereiche und beschreibt so neun verschiedene Wesensglieder (Steiner 1904 in 1962), die sich im Laufe des Lebens entwickeln bzw. vom Menschen zu entwickeln sind: 9

Leib: Physischer Leib Ätherleib Astralleib Seele: Empfindungsseele Verstandes- oder Gemütsseele Bewusstseinsseele Geist: Lebensgeist Geistselbst Geistesmensch Da die genaue Beschreibung der Wesensglieder den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde, beschränke ich mich auf einige wenige Hinweise (frei nach anthrowiki.at, abgerufen am 08.02.2013): Physischer Leib: Das unterste und entwicklungsgeschichtlich älteste Wesensglied des Menschen. Ätherleib: Umfasst jene Kräfte, die den physischen Leib bilden und erhalten. Astralleib: Der eigentliche Seelenleib, Träger des Bewusstseins jedoch nicht des Selbstbewusstseins. (Auch Tiere verfügen über einen Astralleib ) Empfindungsseele: Sitz der Triebe, Begierden, Leidenschaften, Affekte, Willensimpulse Verstandes- oder Gemütsseele: Wechselspiel zwischen Verstand und Gemüt, bereits etwas abgeklärter als die reine Empfindungsseele. Bewusstseinsseele: Diese Seelenqualität beinhaltet u.a. die Fähigkeit, etwas als wahr zu erkennen und danach zu leben. Lebensgeist (Sanskrit: Buddhi): der Lebensgeist wird gebildet, indem das menschliche Ich nach und nach die bewusste Herrschaft über die tiefergehenden Lebensgewohnheiten und Charaktereigenschaften gewinnt. Geistselbst (Sanskrit: Manas): das höhere Selbst des Menschen im engeren Sinn, das ihn als Genius inspiriert. Es wird durch die bewusste Arbeit des individuellen Ichs am menschlichen Astralleib gebildet. Geistesmensch (Sanskrit: Atma): die Bezeichnung für das dritte und höchste geistige Wesensglied des Menschen. Indem das menschliche Ich verwandelnd bis in den physischen Leib hineinwirkt, erfüllt es sich nach und nach mit den schöpferischen geistigen Kräften des Geistesmenschen. Während sich physischer Leib, Ätherleib und Astralleib beim gesunden Menschen sozusagen von selbst entwickeln, bedarf es für die Ausbildung der höheren Wesensglieder zunehmend einer bewussten Schulung durch das Ich. Die Anthroposophische Biografiearbeit baut auf diesem Entwicklungsweg auf und beschreibt 10

die Themen der verschiedenen Lebensphasen im Hinblick auf die Entwicklung, die jeweils ansteht. Diese Themen sind in Kapitel 5 beschrieben. 3. Die phänomenologische Haltung in der Existenzanalyse Um der Person gemäß dem der Existenzanalyse zugrundeliegenden Menschenbild gerecht werden zu können, bedarf es weniger einer Methode als einer bestimmten Haltung. (siehe Kap. 2.1 Mensch als Einheit von Leib, Psyche und personalem Geist) Geht es in der Existenzanalytischen Therapie doch darum, im Gespräch mit dem Patienten die Person zu sehen und in ihrer Freiheit anzusprechen (Längle 2007 S.18) Die Existenzanalyse als phänomenologisch-personale Psychotherapie hat zum Ziel, der Person zu einem (geistig und emotional) freien Erleben, zu authentischen Stellungnahmen und zu eigenverantwortlichem Umgang mit sich selbst und ihrer Welt zu verhelfen. (Längle 2005 S.8) Um sich diesem Ziel annähern zu können, ist eine Haltung angezeigt, die von der Einmaligkeit und Einzigartigkeit der Person ausgeht: die phänomenologische Haltung. 3.1 Philosophische Grundlagen Leitend für die phänomenologische Haltung in der Existenzanalyse (Offenheit zum anderen hin und ihn in seiner Eigenart belassend) ist Heideggers hermeneutische Wende (vgl. 1967, 7) von Husserls Phänomenologie, wonach Phänomen das ist, was sich von ihm selbst her zeigt. Etwas kann sich aber nie ganz zeigen, sondern nur so, wie es in Wechselwirkung mit einem Medium in Erscheinung treten kann. Diese verdeckte Form des alltäglichen Seins gilt es phänomenologisch aufzudecken, von ihm selbst her sehen zu lassen. Die Phänomenologie wird zu einer hermeneutischen, indem sie nicht von der Anschauung von Objekten -, sondern vom Verstehen ausgeht. (Fernando Lleras 2000 zit. nach Längle 2007 S.25) Alfried Längle beschreibt die phänomenologische Haltung in der Existenzanalyse folgendermaßen: Phänomenologie ist Wesensschau, ist geistiges Erfassen des Wesens einer Sache oder eines Menschen. Das Wesen ist jener zentrale Inhalt, der etwas zu dem macht, was es ist, unverwechselbar und eindeutig. Die phänomenologische Sicht erhellt das Einmalige und Einzigartige z.b. eines Menschen also nicht das, was er an sich ist, ohne Anspruch und ohne Vorgaben für die Zukunft, wie er nun zu sein hätte, 11

sondern nur das, wie er in dieser Begegnung dem Betrachter gerade erscheint und sich in diese Begegnung von sich her zeigen konnte. (Längle 2008 S.61) 3.2 Phänomenologie in der Praxis Wie schaut diese Haltung nun praktisch in der Therapiestunde aus? Welche Gestimmtheit der Therapeutin ist notwendig? Wie kann Zuhören so gelingen, dass ein Raum entsteht zwischen Therapeutin und Patient, ein Schwingungsfeld (Längle 2007 S.18), in dem sich etwas Wesentliches zeigen kann? In dem der Patient eben nicht nur ein Patient ist und die Therapeutin eine Expertin, sondern wo eine Begegnung von Mensch zu Mensch stattfinden kann? a) Achtsamkeit Eine wichtige Voraussetzung dafür ist die Achtsamkeit einerseits dem Patienten gegenüber, andererseits aber auch sich selbst als Therapeutin gegenüber: Wie zeigt er sich? Was nehme ich bewusst wahr? Wie wirkt er auf mich? Wie ist seine Haltung, seine Stimme? Wie spricht er? Wie passen die einzelnen Elemente zusammen? Wie sind sie aufeinander bezogen? Wie zeigt sich dieser Mensch im Hier und Jetzt? Wie ist er im Dialog mit sich, mit der Welt? Wesentliches beim anderen kann nur mit dem eigenen Wesen wahrgenommen werden: der Zuhörerende nimmt das Gehörte ernst und gleichzeitig sich selbst: das, was ihm das Gehörte sagt. b) Gelassenheit Wesensschau braucht Zeit und Gelassenheit, man muss bereit sein, sich so lange der Anschauung des Gegebenen hinzugeben, bis aus den einzelnen Phänomenen eine Ganzheit entsteht die das Geschaute erst verständlich macht. (Längle 2008 S. 62) c) Offenheit Damit sich die Therapeutin voll und ganz auf die Erscheinung, auf das, was sich zeigt, einlassen kann, bedarf es einer Offenheit und Voraussetzungslosigkeit. D.h. alles Vorwissen muss (vorläufig) beiseite gestellt, eingeklammert werden (Epoché) (ebd.) Durch die Offenheit entsteht ein generatives Feld ein Raum zwischen Therapeut und Patientin, in dem sich das Wesentliche ereignen kann (Längle 2007 S.21). Da kann etwas Neues hereinkommen, etwas, das es vorher so noch nicht gegeben hat. 12

Des Weiteren verlangt die phänomenologische Haltung die Bereitschaft, sich auf ein Schauen einzulassen und eine ganzheitliche Zuwendung mit allen Sinnen und der Intuition. Auch Mut ist nötig, um das Bekannte zurückzulassen und sich dem Anschauungsgehalt auszuliefern, ohne zu wissen, wessen man gewahr wird. Dieser Mut gründet sich im Vertrauen in das Gehalten-Sein und in das Selbstvertrauen, es aushalten zu können. Und schließlich braucht es auch die Bereitschaft, sich dem zu unterwerfen, was man zu Gesicht bekommt, und was sich einem einstellt. Das erfordert eine gewisse Demut. (Längle 2007 S.21) 3.2.2 Konkrete Vorgehensweise bei Heidegger Für die konkrete Vorgangsweise gibt Heidegger (1975 5, zitiert nach Längle 2005 S.62) drei Schritte an, die erforderlich sind, um sich dem Phänomen des Menschseins zuwenden zu können: 1. Reduktion: Was zeigt sich (spontan)? Dabei wird die interessengeleitete Einstellung des Alltags zurückgelassen, von den praktischen Eigenschaften abgesehen und auf die Seinsweise geachtet. 2. Konstruktion: Wie ist es? Das Kernstück der Methode besteht in der Aus-ein-andersetzung der Grundzüge des Phänomens, die dann aufeinander bezogen werden. Das ist das freie, kreative Moment der Phänomenologie, in der die intuitive Fähigkeit der Person zum Tragen kommt. 3. Destruktion: Ist es so? Im Sinne einer Suche nach Ganzheitlichkeit ist alle gefundene Erkenntnis laufend weiterhin kritisch zu hinterfragen und sind unthematisierte Verständnisse zu erhellen. (Längle 2007 S.23) 3.2.3 Die Personale Existenzanalyse In Anlehnung an die o.g. Vorgangsweise findet sich für die existenzanalytische Praxis in der Personalen Existenzanalyse (PEA) eine geeignete Methode, sich dem Wesen eines Menschen phänomenologisch zu nähern. (Längle 2007 S.23 und 2008 S.161) Ausgangspunkt ist die konkrete Wahrnehmung des WAS : Was zeigt sich (mir) spontan? ( Deskription ) Der Patient schildert, um was es ihm geht. Der Therapeut achtet beim Zuhören gleichzeitig auf den Inhalt der Schilderung und darauf, wie er es sagt. In dieser 13

Phase der Reduktion (siehe oben) wird alles Vorwissen eingeklammert. Man bezieht sich auf das, was einem erscheint und wie es bei einem ankommt. (PEA 1) Im zweiten Schritt geht es darum, das WIE zu erfassen: Wie ist es? ( Konstruktion ) Hier werden die einzelnen Fakten zu einem Gesamtbild zusammengefügt. Es geht darum, die im ersten Schritt beobachteten Phänomene miteinander in Beziehung zu setzen und ihre Gesamtwirkung auf das eigene Wesen zu betrachten: die Erscheinung der Tonfall, Erregung oder Entspannung, eigene Konzentration ) Was verstehe ich? Was ist das Wichtige? Wie hängen die Sachen zusammen? (PEA 2) Im letzten Schritt geht es darum, sich selbst und das Wahrgenommene immer wieder in Frage zu stellen und nie als hundert prozentig sicher anzunehmen. Ist das wirklich das Wichtige? Ist das alles, was ich, du, wir beide verstanden haben? Ziel dieses Schrittes ist der eigene Ausdruck, der nun folgerichtig aus dem Geschauten hervorgehen kann. ( Destruktion ) (PEA 3) 4. Die biografische Existenzanalyse Die Methode der biografischen Existenzanalyse wurde erstmals 1991 auf der Tagung der GLE zum Thema Persönlichkeitsreifung und Biographie in Hannover vorgestellt. Alfried Längle und Christoph Kolbe haben in ihren Vorträgen die Bedeutung der biografischen Arbeit aufgezeigt, methodische Schritte entwickelt und beschrieben, wo die biografische Herangehensweise innerhalb der Existenzanalyse angezeigt ist. (Kolbe 1992) Um dem Ziel der Existenzanalytischen Psychotherapie, der Person zu einem Leben in Freiheit und Verantwortung zu verhelfen, gerecht werden zu können, muss die Person in ihrer Ganzheitlichkeit, d.h. auch in ihrer Geschichtlichkeit, erfasst werden. (vgl. Längle 1992) Die Methode der biografischen Existenzanalyse ermöglicht es, den Menschen in seinem Gewordensein zu verstehen. Ihn zu verstehen heißt, zu sehen, wie er mit seiner Welt verbunden ist, in welchem Wirkungsbezug er steht, was ihn bewegt und was ihm wichtig ist. (Längle 2007, S.20) Dies bezieht sich jedoch nicht nur auf den aktuellen Lebenskontext, in dem der Mensch steht, sondern auch auf seine Lebensgeschichte, die Biografie. 14

Biografie als zum Ausdruck gebrachtes, individuelles Leben ist, wenn sie einmal entfaltet ist, der eigenen als auch der fremden Betrachtung zugänglich. (Längle 1992 S.9) In der biographischen Existenzanalyse ist jedoch nicht die Lebensgeschichte als solche Gegenstand der Betrachtung. Nicht die Fakten und die Chronologie der Ereignisse interessieren hier, sondern das Lebendige, nicht das Was sondern das Wie. Die Lebensgeschichte bildet lediglich die Grundlage, die Bühne, auf der sich das Leben abspielt. Dafür ist es nicht nötig, die ganze Biografie von der Geburt bis zum jetzigen Zeitpunkt aufzurollen, sondern nur gezielt einzelne Ereignisse, je nach Fragestellung. Denn wie ein einzelnes Blatt Auskunft über den Baum gibt, von dem es stammt, kann eine einzige Handlung in einer bestimmten Situation Auskunft über das Wesen dieser Person geben. Was wesentlich ist, ist gegenwärtig und in jeder lebendigen Äußerung enthalten. Es interessieren also die Ereignisse, die in einem Zusammenhang mit dem aktuellen Problem, der aktuellen Frage stehen. (vgl. Längle 1992) Auch die biografische Arbeit in der Existenzanalyse ist geprägt durch eine phänomenologische Grundhaltung. Ziel ist hier die Restrukturierung der Person in ihrer Lebensgeschichte. (Längle 2009 S.95) Eine mögliche Herangehensweise an die Biografie, ausgehend vom Strukturmodell der vier personal-existenziellen Grundmotivationen, lässt sich mit folgenden Fragen beschreiben: (eine genaue Darstellung der Grundmotivationen findet sich z.b. in Längle 2008) 1.GM: Was ist auf der Bühne des Lebens geschehen? 2.GM: Wie hat es die Person erlebt? Was hat sie bewegt, was war ihr wertvoll? 3.GM: Wie hat die Person entschieden, was waren ihre Beweggründe? 4.GM: Für was hat die Person gelebt, wie hat sie gehandelt, wie ist es ihr dabei ergangen? Diese Fragen zeigen bereits, dass also nicht so sehr das zeitliche Nacheinander für Biographie in der Existenzanalyse von Interesse ist, als vielmehr das qualitativ von der Person Geformte (Jaspers, 1973, 563 zitiert nach Längle 1992 S.19) Wie lässt sich dieses von der Person Geformte in der Biografie nun erfassen? Indem man danach fragt, wie die Person bisher mit sich und der Welt umgegangen ist: (Längle 2009 S. 97) Was hat dich getroffen was hast du ausgewählt? Was hat dich bewegt? Warum hast du das ausgewählt? 15

Was hast du daraus gemacht und warum? Wie beurteilst du das heute? Ausgangspunkt existenzanalytischer biographischer Arbeit ist das Bewegtsein durch das, was zum jetzigen Zeitpunkt aktuell ist. Um das Bewegtsein zu verstehen kann es hilfreich sein, Situationen oder Ereignisse in der Vergangenheit, die den Menschen ähnlich bewegt haben, aufzuspüren. 4.1 Die Schritte der biografischen Methode in der Existenzanalyse Die methodischen Schritte der biografischen Existenzanalyse (BEA) entsprechen jenen der Personalen Existenzanalyse (PEA). Zu Beginn muss jedoch ein Zugang zu den biografischen Inhalten geschaffen werden, die für das Verständnis der aktuellen Situation / Frage relevant sind. So gliedert sich die BEA in zwei große Teile: A) Erschließen des biografisch relevanten Inhalts: 1. Durch Sammeln von Informationen und Bilden eines gemeinsamen Nenners wird der biografisch relevante Inhalt erschlossen. Die Indikation wird geklärt durch Fragen wie: Was hat das heutige Problem mit der Vergangenheit zu tun? Finden sich ähnliche Situationen, in denen das Problem vorkommt? Was ist daran typisch, was ist der gemeinsame Nenner dieser Probleme? (Z.B.: sich wiederholt in verschiedenen Situationen ausgenützt fühlen Hinweis, dass hier etwas aus der Vergangenheit aktiv ist.) 2. Biografische Deskription: Im zweiten Schritt wird das gegenwärtige Gefühl mit Aktuellem aus der Biographie verknüpft. Dies kann mit folgenden Fragen geschehen: Woher kennen Sie das? Haben Sie das schon einmal erlebt? Wann zum ersten Mal? Gab es früher schon Erfahrungen mit ausgenützt werden? Es muss sich beim aktuell Erlebten um das gleiche Gefühl handeln wie bei früheren Erlebnissen. Dadurch erfolgt die Ortung der Störung im lebensgeschichtlichen Kontext, eine phänomenologische Rückführung zum.eiterherd. (Im o.g. Beispiel fand die Patientin Beispiele dafür, dass sie von ihrer Mutter und auch in der Schule ausgenutzt wurde; wenn sie daran denke, wird ihr ganz heiß Hinweis auf den aktuellen Lebenskontext) 16

Hier muss die Therapeutin entscheiden, a) ob Beratung oder Therapie für die derzeitige Situation oder Fähigkeit des Patienten vordringlich ist, und b) wenn biographische Arbeit angezeigt ist: ist es für die therapeutische Arbeit jetzt wichtig? Wie steht das Thema zum Therapieauftrag, Therapieziel? B) Durcharbeitung Der zweite Teil der BEA besteht in der Durcharbeitung des biografischen Hintergrundes anhand der PEA mit dem Unterschied, dass es zwei Perspektiven gibt: Die heutige und die damalige Sicht, das ist spezifisch für die BEA. Eindruck: Einholen der primären Emotion auf 2 Ebenen: a) Gegenwart (aus der Position des Erwachsenen): Gefühl: Wie ist das für Sie, wenn Sie mir das jetzt erzählen? Was empfinden Sie jetzt dabei? Intention: Was würden Sie am liebsten tun? b) Vergangenheit: Gefühl: Wie war das damals? Was haben Sie damals empfunden? Intention: Was hätten Sie am liebsten getan? Phänomenaler Gehalt: Was sagt es Ihnen heute? Wie haben Sie es damals verstanden? Stellungnahme als integrierte Emotionalität a) Aus der heutigen Sicht: Verstehen Sie das Vorgefallene, verstehen Sie Ihre Reaktion und Ihre Gefühle? Glauben Sie, hat Ihre Mutter vorsichtig gehandelt? Was fühlen Sie ganz zuinnerst dabei? Was war richtig, was nicht, nach Ihrem Gefühl aus heutiger Sicht? Was halten Sie heute, als erwachsener Mensch, von dem Verhalten der Mutter? (Stellungnahme) Spüren Sie, ob Sie heute etwas tun möchten um das auszugleichen? (Wille) Aktuelles Abgrenzen und Finden des Eigenen b) Aus der damaligen Sicht: Wäre Ihnen damals ein anderes Verhalten oder eine andere Entscheidung möglich gewesen? Wie haben Sie das Vorgefallene damals verstanden? Haben Sie es damals für 17

richtig empfunden? Wie haben Sie das beurteilt? Was haben Sie davon gehalten? (Stellungnahme) Haben Sie damals gespürt, dass Sie etwas hätten tun wollen? (Wille) Mit den Antworten restrukturiert die Person wieder ihre Mitte. Verstehen des eigenen Lebens als Antwort auf ein erstes Verstehen. Ausdruck: Gegenwart: Was würden Sie heute am liebsten und ganz konkret damit machen und sagen? Vergangenheit: Welche Antworten tragen Sie in sich? Seit damals? Was hätten Sie damals eigentlich sagen wollen? Und was haben Sie tatsächlich gesagt und getan? Gegenwart: Können Sie dieses Antwortverhalten, das Sie heute in sich tragen, verantworten? Was davon können Sie heute noch verwirklichen? Welche Konsequenzen hätte das? Abschluss: Damit die biografische Methode beendet werden kann, müssen Selbstverständnis und Fremdverständnis gegeben sein. Das Verstehen des Therapeuten ist heilsam und bahnend für die Restrukturierung der eigenen Person. Haltung des Therapeuten: Verstehe ich dich, so kann ich dir helfen, verstehe ich dich nicht, so ist es nicht sicher, ob du dich selber verstehst und hast. (Längle 2009, S.101ff und 1992, S.23ff) 4.2 Indikation der BEA Die BEA wird nicht systematisch aus theoretischen Erfordernissen angewandt, sondern nur dann, wenn sich biografische Themen blockierend oder belastend in der Gegenwart auswirken. Oft sind es auch Probleme, die sich in gleicher Weise wiederholen, die eine biografische Bearbeitung verlangen. Aber auch wenn etwas aus der Zukunft hereindrängt das die Person beschäftigt oder das Leben im Jetzt gar behindert, ist die BEA angezeigt. Das kann bei anstehenden beruflichen Entscheidungen geschehen, bei der Wahl eines Partners oder bei der Frage nach dem Umgang mit schweren Diagnosen. (Längle 2009, S. 101) Anders gesagt, biografische Arbeit ist überall dort indiziert, wo die phänomenologische Grundhaltung der Offenheit eingeschränkt ist und diese Einschränkung auf mangelnde Verarbeitung biografischer Erfahrungen zurückzuführen ist. Diese nicht integrierten 18

biografischen Erfahrungen können ein Einfallstor für Projektionen und persönliche Ideologien bilden. (Kolbe 1992, S.45) Durch das Anschauen und die Verarbeitung der biografischen Erfahrungen anhand der BEA wird der Realitätsbezug geklärt. Dies ermöglicht es der Person, die Wirklichkeit adäquat einzuschätzen eine wichtige Voraussetzung für die Entfaltung der Potentiale. (ebd.) 5. Die Biografiearbeit auf anthroposophischer Grundlage 5.1 Theorie der anthroposophischen Biografiearbeit Die anthroposophische Biografiearbeit hat ihre Anfänge in den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts. Insbesondere der niederländische Arzt, Psychiater, Unternehmensberater und Sozialforscher Bernhard Lievegoed hat mit dem Buch Lebenskrisen, Lebenschancen (1976) die Grundlagen für die Arbeit an der Biografie geschaffen. Die Entwicklungsstufen des Seelenlebens und die Störungen, die in den jeweiligen Abschnitten auftreten können, hat Rudolf Treichler ( Die Entwicklung der Seele im Lebenslauf 1982) als erster genau beschrieben. Gudrun Burkhard schließlich hat die Biografiearbeit für viele Menschen zugänglich und praktikabel gemacht (z.b. in Das Leben in die Hand nehmen Arbeit an der eigenen Biographie 1992). Im Mittelpunkt der Biografiearbeit auf der Grundlage des Menschenbildes Rudolf Steiners steht die Entwicklung der Individualität. Diese Entwicklung verläuft lt. Steiner vor dem Hintergrund objektiv wirksamer Gesetzmäßigkeiten wie Rhythmen, Phasen oder Metamorphosen. Entwicklung bedeutet immer wieder Infragestellung, Umschmelzung oder Auflösung von Altem zu Gunsten von Neuem. Dieser Prozess ist oft von existentiellen Krisen begleitet. Der Mensch kann aber, wenn er sich den Herausforderungen in rechter Weise stellt, gestärkt aus den Krisen hervorgehen. (vgl. Wais 1992) Die Kenntnis der allgemeinen biografischen Gesetzmäßigkeiten soll den Umgang mit Krisen und Störungen erleichtern, da der Blick für die verborgenen Motive und Entwicklungsaufgaben geöffnet wird. Angenommen, ein junger Mann mit Mitte Zwanzig leidet darunter, seinen Platz in der Welt noch nicht gefunden zu haben, er erlebt sich einem Druck ausgesetzt, sich doch endlich für eine Sache zu entscheiden. Für diesen jungen Mann kann es entlastend sein, wenn er erfährt, dass er sich biografisch in den Lehr-und 19

Wanderjahren befindet, es also gut und richtig ist, wenn er sich in der Welt umschaut, bevor er sich festlegt. Wenn sich dieser Mann dann allerdings mit 35 immer noch nicht für eine bestimmte Aufgabe entscheiden kann wird er erkennen müssen, dass die Wanderjahre nun vorbei sind und dieser Lebensabschnitt anderes von ihm verlangt. Durch das Bewusstmachen der allgemeinen Gesetzmäßigkeiten wird die eigene Biografie in ein größeres Ganzes eingebettet. Das Erleben einer größeren Ordnung kann das Grundvertrauens in die Welt sehr stärken. Die Arbeit an der eigenen Biografie kann auch zu einem tieferen Verständnis des Schicksals führen. Wobei Schicksal nicht als etwas von außen wirkendes zu verstehen ist sondern als eine Kraft, die dann zu wirken beginnt wenn wir aktiv werden. Wenn wir unser Leben nicht nur leben sondern wenn wir am gelebten Leben zu uns selbst erwachen. (Schneider 2010, S. 35) 5.2 Praxis der anthroposophischen Biografiearbeit In meiner Tätigkeit als Trainerin für arbeitssuchende Erwachsene habe ich hauptsächlich mit Gruppen zu 3 bis max. 10 Personen biografisch gearbeitet. Auch in den Workshops für Jugendliche auf der Suche nach einem Ausbildungsplatz konnte ich mit dem Gruppensetting sehr gute Erfahrungen machen. Innerhalb eines bestimmten, vorher festgelegten Themas formuliert jeder Teilnehmer eine aktuelle Frage. Ausgehend von dieser individuellen Fragestellung erzählt die Person in einem ungefähr festgelegten Zeitrahmen (je nach Alter ca. 1-2 Stunden) ihre Biografie, die anderen hören aufmerksam zu und stellen nur Verständnisfragen. Am Ende gibt jede in der Runde ein Feedback: was fällt auf, welche Stärken werden sichtbar, gibt es rote Fäden, die sich durchziehen? Je nach Fragestellung (Beruf, Beziehung, Entwicklungsaufgabe ) kann das Feedback variieren. Die biografische Methode eignet sich aber auch sehr gut für das Einzelsetting. Auch hier bilden die aktuelle Lebenssituation und die damit verbundene Fragestellung die Ausgangslage für die Herangehensweise. So kann man chronologisch vorgehen und sich an den Entwicklungsschwerpunkten der Lebensphasen orientieren: Wie war mein Nest in den ersten Jahren? Was ist meine erste Erinnerung? Gab es in der Grundschulzeit Lehrer, die ich verehrt habe? Was wurde mir oft gesagt? Hatte ich in der Zeit von 14 bis 21 Jahre Ideale? um nur einige zu nennen (weitere Fragen sind im Anhang angeführt). Die Verbindung zur Gegenwart kann durch Fragen wie: Welche Prägungen aus diesen 20