Die Sackgasse des Verbalradikalismus

Ähnliche Dokumente
Der allgegenwärtige Antisemit

Der Rotwein und die Rebellion

Aprilscherz aus Latinoland

Interview mit der ehemaligen Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages und Mitinitiatorin von #aufstehen Dr. Antje Vollmer.

Nicht noch einen Krieg!

Für Demokratie und Meinungsfreiheit!

Der mündige Konsument

Die Politik der Massen

Ein großer Teil der Gelder der Versicherten fließt in den Luxus der Versicherer.

Drama in Berlin! LINKER Kultursenator doch RECHTShänder. Donnerstag, 15. Februar 2018, 13:10 Uhr ~4 Minuten Lesezeit

Nach dem Trump-Putin-Treffen hören die Medien mit dem Hetzen gar nicht mehr auf.

Leben wir wirklich in einer Demokratie? Zweifel sind mehr als angebracht.

Wie lange gibt es noch kritische Medien

Advent, Advent, die Lunte brennt

Die GraswurzelRevolution

Wer sind die Bösen? Hysterisches Geschrei in der linken Presse. Dienstag, 16. Januar 2018, 11:41 Uhr ~4 Minuten Lesezeit

Haltet den Dieb! Wo steckt das Geld der Kunden der Lebensversicherungen? Freitag, 13. Juli 2018, 10:00 Uhr ~3 Minuten Lesezeit

Das Friedensgespräch

Medien-Misstrauen. Die Medien müssen sich unser Vertrauen erarbeiten, verschenken können wir es nicht.

Die Weisheit der Tiere

Die Waldkrieger des Hambacher Forsts haben den Winter überstanden und wollen weiter Widerstand leisten.

Versicherungsmärchen

Widerstand als Therapie

Leiden für die Wirtschaft

Taxifahrer, Haftbefehle und eine Großkundgebung

Meinungsfreiheit in Ketten

Trommeln für Krieg. Trump schließt sich den Demokraten in der Kriegspartei an. Ein Gastbeitrag aus der USamerikanischen

Friedhof der Kuscheltiere

Nicht in unserem Namen!

Im Sommer 2014 erlebten wir einen medialen Putsch: Mit der

Auftrag ausgeführt! Der Rubikon ist leserfreundlicher und sicherer geworden. Samstag, 06. Oktober 2018, 15:50 Uhr ~3 Minuten Lesezeit

ab abend Abend aber Aber acht AG Aktien alle Alle allein allen aller allerdings Allerdings alles als Als also alt alte alten am Am amerikanische

Wortformen des Deutschen nach fallender Häufigkeit:

Der mächtigste Mann. Was ist von Trumps Präsidentschaft zu halten? Mittwoch, 17. Oktober 2018, 16:00 Uhr ~4 Minuten Lesezeit

Es lebe die Demokratie!

Zeilen aus Barcelona

Es regnet. Seit Wochen, und nur mit ein paar Unterbrechungen.

Die Studenten auf der Krim sind am härtesten betroffen

Wohlstand migrieren, nicht Menschen!

Rubikon-Leserin Gisela Feldhaus schrieb demselben zum Geburtstag einen Liebesbrief.

Die Hyperaktivitäts- Lüge

Der Bundestagsabgeordnete Marco Bülow verlässt die SPD, da mit ihr keine Politik für die Menschen im Lande mehr möglich ist.

Für Menschenrechte und Säkularisierung stehen

Die Sucht nach Anerkennung

Die Weltpolizei. Die absolute Dominanz im 21. Jahrhundert. Die USA wähnen sich als Herrscher der Welt.

Weshalb es im Iran keine Revolution geben wird

Wollen wir wirklich Demokratie?

Warum wir demokratische Medien brauchen

Ehe für alle: Triumph einer Massenbewegung

Inhalt. Statt einer Einleitung 1 Lust auf Demokratie? 11 2 Oder Demokratiefrust? 13

Wer lebt, stört. Aktuell werde ich mit Nachrichten über das. Bayern will seelisch Bedürftige wie Straftäter behandeln.

Zwei Weltkriege sind genug!

Der Fall Attac belegt: Der bürgerliche Staat ist kein Verbündeter im Kampf für eine bessere Welt.

Rede des Botschafters zum Tag der Deutschen Einheit 2017

In den letzten Wochen hatte die Erinnerung an die Pleite von

Facebook und die Frage nach dem Glück

Ralf Dahrendorf Jj. Vom Fall der Mauer zum Krieg im Irak

Reise nach Jerusalem

Meltdown und Spectre

Das vergiftete Geschenk

Wie habt ihr denn die Rolle von Künstlern in Bezug auf das Friedensthema in den letzten drei Jahren wahrgenommen?

Ein neues Jahr ist da und mit ihm die Hoffnung, dass dieses Mal

Unbeliebt na und? Befreien wir uns endlich von der Sucht, allen gefallen zu wollen! Samstag, 26. Januar 2019, 10:00 Uhr ~5 Minuten Lesezeit

Annehmen statt wegstoßen

Vorwort. 1. Gegenstand und Entwicklung des wissenschaftlichen Kommunismus 7

Eu eu. Freunde. Freunde treffen. Hallo. Freunde! Komm, der Stuhl hier ist frei! Hallo. Mariam. Was siehst du? Sprich. Höre und sprich nach. 12.

Das Fest der Liebe. Das Weihnachtsfest ist Anlass für gegenseitige Wertschätzung und Versöhnung.

Die Welt ist nicht, wie wir sie sehen. Exklusivabdruck aus Die Welt neu bewerten.

Die Hauptströmungen des Marxismus

FAN. Mehr Info s unter:

Die letzten Einparteiensysteme der Welt

Die Gerechtigkeits- Mär

Trumps Ohnmacht und Inkompetenz

Verlogene Milliardäre

Wir streamen uns zu Tode

Katalanen versammelten sich in fünf Städten in der nordöstlichen Region, darunter Barcelona, und schwenkte gelben Flaggen während des Singens.

Deutschland trägt Kippa

Werte Kolleginnen, Werte Kollegen, Werte Mitglieder der Regierung,

Mathe mit Mieze Mia Mia rechnet bis zum Zehner. Mathe mit Mieze Mia

Die Geschichtsschreibung in den Händen der Macht

Bombenstimmung im Imperium

Das Dilemma der radikalen Linken

Die NATO muss weg! Über eine Demonstration, die es medial gar nicht gab, die aber dennoch stattfand.

Graben wir tiefer! Sie ist genervt.

Reißt die Mauern ein!

Stiefel. Das gefällt mir. Wie gefallen dir die Stiefel? Sie gefallen mir sehr gut. Was siehst du? Sprich. Höre und sprich nach. 9

NEWSLETTER VON DR. SASCHA RAABE AUSGABE 1 / 2017

Die Sache stinkt zum Himmel

Politik und Demokratie ein BNE Wahlangebot

Wer setzt gar den Maßstab für das, was sinnvoll ist?

Blitzkrieg 2.0. Krieg, bitte aber schnell!

Vom doppelt falschen Sprachgebrauch wider die Armen

Europa-Utopien EINE ALTERNATIVE ZUR ALTERNATIVLOSIGKEIT VON NORA SOPHIE SCHRÖDER

1911 ist das Jahr, in dem der Reichstag die Reichsversicherungsordnung verabschiedete, die als Vorläufer des Sozialgesetzbuches die Grundlage für den

Die Furcht vor der Freiheit

Hashtags aus dem Bundestag

maximal Nach links oder rechts? Guten Tag. Ich suche eine Bank. Gehen Sie hier nach rechts und an der Ampel links! Es sind maximal 300 Meter.

Wie ernst ist die Gefahr eines deutschen Faschismus? Vortrag auf der IX. Konferenz Der Hauptfeind steht im eigenen Land!

Es geht um Asien, verdammt!

Erasmus+ Redet mit uns, nicht über uns.

Transkript:

Donnerstag, 12. Oktober 2017, 12:21 Uhr ~6 Minuten Lesezeit Die Sackgasse des Verbalradikalismus #Katalonien, oder: Warum wir eine echte Politik der Massen brauchen. von Florian Kirner Foto: donfiore/shutterstock.com Sie heißen Alexis Tsipras, Bernie Sanders oder nun auch: Carles Puigdemont. Sie rufen die Massen herbei und fordern kühn die alte Macht heraus. Wenn die Macht allerdings zurückschlägt, verharren sie im Handlungsrahmen des Parlamentarismus. Schließlich kapitulieren sie sang- und klanglos. Hinterher beklagen sie, man habe sie brutal erpresst.

Dieses Muster sehen wir in den vergangenen Jahren wieder und wieder. Es zeigt sich darin der steigende Radikalisierungsdruck von unten, der sich immer neue Ventile sucht. Wo die Selbstorganisation und die Kampferfahrung der Massen aber noch nicht ausreichen, eine neue, eigene, handlungsfähige, revolutionäre Führung hervorzubringen, hebt der Druck von unten Menschen an die Spitze, deren Radikalismus ausschließlich verbaler Natur ist. Tsipras, Sanders, Puigdemont Es sind das typischerweise Außenseiter bürgerlicher Politik mit einem Hang zum Hasard. Die offiziellen Wege zur Spitze sind ihnen verbaut. Die korrupte Fäulnis der bestehenden Institutionen widert sie ehrlich an. Es sind durchaus keine Menschen ohne ein echtes Anliegen. Alexis Tsipras war 2001 auf der militanten Demonstration in Genua und kam als echter Aktivist der globalisierungskritischen Bewegung in die Politik. Einem Bernie Sanders geht es zweifellos um eine Verbesserung der Lebensverhältnisse der Arbeiter. Und Carles Puigdemont ist durchdrungen von der katalanischen Sache. Er will die Unabhängigkeit. Aber wollen bedeutet wenig. Man muss auch können. Und diese Sorte politischer Führer erweist sich immer wieder als unfähig, im Ernstfall tatsächlich die Führung zu übernehmen. Zunächst stützen sie sich in ihrem politischen Aufstieg auf eine Massenbewegung, von der sie sich die Erreichung ihrer Ziele versprechen. Soweit sie diese Stütze benötigen und sich auf sicherem Terrain wähnen, sind sie bereit, rhetorisch bis an die

Grenze des Radikalismus zu gehen. Während die Massenbewegung sie nach oben hebt, werden sie sogar ein wenig übermütig, wie Bernie Sanders, der eine politische Revolution forderte. Das Zentrum der Politik Diese Leute sind aber keine Revolutionäre. Die Massen sind für sie kein eigenständiges Subjekt, eher Mittel zu einem sicherlich lobenswerten Zweck. Ihr Zentrum der Politik ist nicht die massenhafte Bewegung selbstorganisierter Menschen, die ihren Aufstieg ermöglicht - sondern es sind die vorgefundenen staatlichen Institutionen, sei es das Parlament oder auch die Europäische Union. Ein Ausbruch aus diesem Rahmen ist mit den Sanders, Tsipras, Puigdemont keineswegs zu machen. Sie wollen die Institutionen des bürgerlichen Parlamentarismus verbessern und reformieren, sicherlich. Sie abzuschaffen, ist ihnen unvorstellbar. Im Fall der Fälle sind ihnen diese Institutionen sogar so lieb und teuer, dass sie lieber die Hoffnungen der Massen enttäuschen, als den Institutionen wirklichen Schaden zuzufügen. Das zeigt sich spätestens, wenn die alte Macht die Herausforderung annimmt und ihre Folterinstrumente zeigt. Diese Folterinstrumente heißen dann Finanzkrieg gegen Griechenland oder drohende Präsidentschaft Donald Trumps oder katalanische Unabhängigkeit gegen den erklärten Willen der EU. Das ist der Punkt, an dem es darauf ankäme, die Massen nicht nur rhetorisch zu mobilisieren. Jetzt bräuchte es echte Massenaktivität, massenhafte Selbstorganisation, um den entscheidenden letzten Schritt zu echter Veränderung entschlossen zu gehen.

Die Rede, die es jetzt bräuchte, wäre wahrlich historischen Formats. Man müsste jetzt zur Besetzung der Banken aufrufen, um Kapitalflucht zu verhindern. Oder man müsste jetzt den Bruch mit der demokratischen Partei vollziehen und eine eigenständige Kandidatur gegen Clinton und Trump verkünden. Oder aber man müsste die Unabhängigkeit ausrufen und die Massen auffordern, sofort in die Straßen zu strömen, um das Parlament millionenfach zu schützen und die Institutionen des Staates in Katalonien zu übernehmen. Das historische Zeitfenster Stattdessen beginnen unsere gerade noch so kühnen Führer zu taktieren und zu zögern. Sie beginnen hinter den Kulissen Verhandlungen über die Kapitulationsbedingungen und bitten den Feind um Aufschub und Nachsicht. Der Feind erhöht unbarmherzig den Druck, macht aber auch einige sehr attraktive Angebote. Einige davon betreffen die persönliche Zukunft der besagten Führer selbst. So kommt es hart auf hart und weich auf weich - und die Verbalrevolutionäre brechen ein. Sie unterschreiben dann eben doch einen Knebelvertrag mit der EU und machen sich anschließend zum Knüppel des Finanzkapitals in Griechenland. Sie unterwerfen sich trotz Wahlbetrugs bei den Vorwahlen Hillary Clinton und spielen anschließend das linke Feigenblatt der demokratischen Partei anstatt einer neuen, gesunden Organisation als Galionsfigur zu dienen. Oder aber sie verzichten darauf, die Unabhängigkeit auszurufen, um neue Verhandlungen mit einem spanischen Zentralstaat zu führen, der wenige Tage zuvor mit Polizeigewalt gezeigt hat, wie er es mit

der Demokratie hält, der seit Jahren beweist, dass er an fairen Verhandlungen nicht interessiert ist - und der jeden Dialog auch wenige Stunden nach dieser Rede wieder brüsk zurückweisen wird. Freilich wird die Kapitulation dann üblicherweise als Kriegslist dargestellt. Man habe Zeit gewonnen, heißt es dann. Oder man brüstet sich damit, wie Kurt Tucholsky bissig sagte, als Sozialdemokrat Schlimmeres verhütet zu haben. In Wirklichkeit hat man nicht Zeit gewonnen, sondern eine historische Gelegenheit verschleudert. Und man hat nicht Schlimmeres verhütet, sondern Besseres unmöglich gemacht. Die Massen wurden dabei am entscheidenden Punkt nicht mobilisiert und ins Gefecht geführt, sondern verwirrt und frustriert nach Hause geschickt. Wie Michael Böhner aus Barcelona berichtet: Die Rede Puigdemonts hat Betroffenheit und Bestürzung bei den Katalanen ausgelöst. Mehrere tausend Demonstranten gingen sofort, und die Stimmung war auf dem Tiefpunkt. Kritik des Zentrismus Aus deutscher Perspektive sind das alles noch Luxusprobleme. Sie entstehen erst dann, wenn es eine wirkliche Massenbewegung gibt, deren Sturmböen auch einige Fenstern des Parlaments von außen aufdrücken. Eine solche Massenbewegung haben wir in Deutschland noch nicht. Wir beginnen erst, sie aufzubauen.

Als wir noch eine massenhafte, mitunter sehr kämpferische Arbeiterbewegung in Deutschland hatten, wurde das hier beschriebene Phänomen unter dem Begriff des Zentrismus sehr ausführlich analysiert. Der Zentrismus beschrieb eine Position, die zwischen Revolution und Reform hin und her schwankte. In dem Aufsatz Was nun? von Leo Trotzki wird der Zentrismus linker Sozialdemokraten am Beispiel des Österreichers Max Adler dargestellt. Diese Beschreibung trifft aber auch auf Tsipras, Sanders oder Puigdemont zu: Max Adler ist ein ziemlich empfindliches zentristisches Barometer. Auf den Gebrauch eines solchen Instruments darf man nicht verzichten, muß jedoch genau wissen, daß es den Wetterwechsel zwar registriert, aber nicht beeinflußt. Unter dem Druck der kapitalistischen Ausweglosigkeit ist Max Adler nicht ohne philosophische Bitternis bereit, die Unvermeidlichkeit der Revolution anzuerkennen. Was ist das aber für eine Anerkennung! Wieviel Klauseln und Seufzer! Am vorteilhaftesten, den Sozialismus auf demokratischem Wege einzuführen. Aber ach, diese Methode ist offenbar nicht zu verwirklichen. Auch in den zivilisierten Ländern, nicht nur in den barbarischen, wird die Arbeiterklasse leider, leider die Revolution vollbringen müssen. Aber auch diese melancholische Anerkennung der Revolution bleibt nur ein literarisches Faktum. Bedingungen, unter denen Max Adler sagen könnte: Es ist so weit!, hat es niemals gegeben und wird es in der Geschichte niemals geben. Leute vom Typus Adlers sind fähig, vergangene Revolutionen zu rechtfertigen, ihre künftige Unausbleiblichkeit anzuerkennen, nie aber mögen sie hierzu in der Gegenwart aufrufen. Von dieser ganzen Gruppe alter linker Sozialdemokraten, die weder der imperialistische Krieg noch die russische Revolution verwandelt hat, ist nichts zu hoffen. Als Barometerinstrumente vielleicht. Als revolutionäre Führer nein!

Florian Kirner ist als Sohn friedensbewegter,

sozialdemokratischer Eltern seit seiner Kindheit politisch aktiv. Unter dem Namen Prinz Chaos II. ist er als Liedermacher und Kabarettist bekannt. In Südthüringen entwickelt er seit 2008 ein Kultur- und Gemeinschaftsprojekt auf Schloss Weitersroda. Zuvor hat er an der Universität zu Köln Anglo-Amerikanische Geschichte, Japanologie und Neuere und Mittelalterliche Geschichte studiert, sowie Internationale Beziehungen an der Sophia-Universität Tokio. 2013 verfasste er mit Konstantin Wecker einen Aufruf zur Revolte. Als Journalist schrieb er lange für die junge Welt. Seit dessen Gründung unterstützt er den Rubikon. Dieses Werk ist unter einer Creative Commons-Lizenz (Namensnennung - Nicht kommerziell - Keine Bearbeitungen 4.0 International (https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/4.0/deed.de)) lizenziert. Unter Einhaltung der Lizenzbedingungen dürfen Sie es verbreiten und vervielfältigen.