Intraoperative Strahlentherapie (IORT) beim Mammakarzinom



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Gynäkologe 2011 44:303 308 DOI 10.1007/s00129-011-2780-0 Online publiziert: 31. März 2011 Springer-Verlag 2011 Redaktion W. Janni, Düsseldorf R. Kimmig, Essen N. Maass, Aachen K. Zwiefel S. Mohrmann A. Schönherr W. Janni Klinikum der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf Intraoperative Strahlentherapie (IORT) beim Mammakarzinom Helfen wir wirklich den Patientinnen? Goldstandard in der Behandlung des Mammakarzinoms ist ein interdisziplinärer, multimodaler Ansatz mit der Kooperation verschiedener Disziplinen zur Erreichung des für die Patientin stadiengerecht optimalen Behandlungsablaufs von Chemotherapie, Operation, Strahlentherapie, endokriner und weiterer medikamentöser Therapien. Die Auswahl und Reihenfolge der Modalitäten wird durch die entsprechenden Experten in der interdisziplinären senologischen Tumorkonferenz geplant. Dabei spielt die Strahlentherapie eine der entscheidenden Rollen. Entwicklung der Strahlentherapie beim Mammakarzinom Für den überwiegenden Teil der Patientinnen wird insbesondere auch durch die bessere Früherkennung mit zunehmend kleineren Tumoren die brusterhaltende Therapie bevorzugt. Die Gleichwertigkeit von brusterhaltenden Operation mit anschließender Ganzbrustbestrahlung und Mastektomie wurde in vielen prospektiv randomisierten Studien überprüft [1, 2]. Dabei liegt die Lokalrezidivrate nach Mastektomie bei 6,2% und nach brusterhaltender Operation mit Strahlentherapie unter Berücksichtigung aller moderner Therapiemöglichkeiten bei 5,9% [3]. Der Standard für die Strahlentherapie des Mammakarzinoms hat sich über viele Jahre nicht verändert. Ziel der Strahlentherapie ist die Zerstörung von nach der operativen Tumorentfernung möglicherweise in der Brust verbliebenen Tumorzellen. Die Brust wird im Rahmen der brusterhaltenden Therapie mit 50 Gy homogen bestrahlt. Dies erfolgt in Einzeldosisschritten von 1,8 2 Gy. Diese Brustbestrahlung schließt neben der gesamten verbliebenen Brust die Thoraxwand ein. Feingewebliche Studien von Mastektomiepräparaten haben gezeigt, dass die meisten Tumorzellnester sich in der direkten Umgebung des Primärtumors befinden und damit dort das größte Rezidivrisiko besteht [4]. Bei erhöhtem Risiko für ein Lokalrezidiv wird eine Dosisaufsättigung als sogenannter Tumorboost um weitere 10 16 Gy im Tumorbett durchgeführt. Als Indikationen für einen Tumorboost gelten in den meisten Brustzentren folgende Kriterien: F Alter <60 Jahre, F G3-Karzinom und F Tumorgröße 2 cm sowie F Lymphangiosis carcinomatosa. Dadurch wird das Lokalrezidivrisiko von 5 19% auf 3 10% gesenkt [5, 6]. Als Standard wird der Tumorboost perkutan verabreicht. Lediglich die Indikation zur Brustwandbestrahlung nach Mastektomie wurde in den letzten Jahren großzügiger gestellt, insbesondere nachdem die EBCTCG (Early Breast Cancer Trialists Collaborative Group)-Metaanalyse auch einen Vorteil im Gesamtüberleben gezeigt hat und nicht nur in der Risikoreduktion für ein Lokalrezidiv zur lokoregionären Tumorkontrolle. Statistisch gesehen kann durch vier verhinderte Lokalrezidive ein brustkrebsbedingter Todesfall vermieden werden [7]. > Durch Brustwandbestrahlung nach Mastektomie ergibt sich ein Überlebensvorteil Die Operationsverfahren wurden verbessert und für die Patientinnen schonendere Techniken entwickelt. Hierbei ist insbesondere die Sentinel-Node-Biopsie zu nennen, die durch Vermeidung einer kompletten Axilladissektion zu weniger Armlymphödenem führt. Auch im Bereich der medikamentösen Tumortherapie wurden wesentliche Innovationen im Hinblick auf effektivere, zielgerichtetere und schonendere Therapien implementiert. Gezieltere Applikation von Strahlen Ein wesentlicher Entwicklungsschritt hin zur gezielteren Therapie ist nun auch für die Radiatio des Mammakarzinoms in der brusterhaltenden Therapie durch moderne transportable Strahlentherapiegeräte möglich geworden, die in den Operationssaal gefahren werden können. So kann die Bestrahlung zielgerichtet im offenen Operationsgebiet erfolgen. Mit diesen Verfahren werden, in Kombination mit der postoperativen perkuta 303

Abb. 2 8 IORT (Intraoperative Strahlentherapie)- Bestrahlungsgerät Intrabeam. (Mit freundl. Genehmigung der Carl Zeiss AG) nen Bestrahlung exzellente langfristige lokale Tumorkontrollraten erzielt [8, 9]. Abb. 1 9 a Brusterhaltende Operation durch Segmentresektion, b Intraoperative Strahlentherapie mit Elektronenbeschleuniger Novac7 Hierfür stehen im Wesentlichen zwei verschiedene Methoden zur Verfügung: F die intraoperative Röntgen- (. Abb. 1) und F die intraoperative Elektronenbestrahlung [10, 11]. Für die Röntgenbestrahlung steht das Intrabeam (. Abb. 2) zur Verfügung. Die Elektronenbestrahlung kann mit zwei verschiedenen Elektronenbeschleunigern durchgeführt werden: Novac7 oder Mobitron. Als weitere lokale Stahlentherapieform ist die interstitielle Brachytherapie mit Multikatheter- oder Ballonkathetertechnik eine Alternative: z. B. Mammosite. Schon immer bestand die Schwierigkeit, einen Tumorboost auf die Tumorregion zu applizieren, da nach ausgedehnter Tumorchirurgie durch intramammäre Verschiebelappen oder insbesondere nach tumoradaptierten Reduktionsplastiken der Strahlentherapeut das eigentliche Tumorbett postoperativ nur schlecht lokalisieren konnte. Dann wurde sich mit Titanclips beholfen, die der Operateur in das Wundgebiet einbrachte. Sie zeigen die Tumorregion zur Dosisaufsättigung in diesem Bereich auch nach einem längeren Zeitintervall an. Doch insbesondere nach adjuvanter Chemotherapie liegt zwischen Operation und Radiatio häufig ein längerer Zeitraum, in dem die Clips migrieren können. Strahlentherapie während der Primäroperation Einleuchtender erscheint die zielgenaue Strahlentherapie während der Primäroperation mit Festlegung der rezidivgefährdeten Region um das ehemalige Tumorbett gemeinsam durch Operateur und Strahlentherapeut im Sinn einer interdisziplinären Kooperation. E Die intraoperative Teilbrustbestrahlung kann direkt nach der Tumorexzision bei offenem Operationssitus durchgeführt werden. Als Ausschlusskriterien gelten eine Tumorlokalisation dicht unter der Haut (<5 mm) oder im axillären Ausläufer oder multifokale bzw. multizentrische Karzinome. Die IORT wurde ursprünglich entwickelt, um bei niedrigem Gesamtrisiko auf die postoperative Ganzbrustbestrahlung verzichten zu können, da sich in Ländern mit wenig Strahlentherapieeinheiten manche Frauen nur deshalb gegen eine brust erhaltenden Therapie und für eine Ablatio entschieden, um die aufwendige postoperative Radiatio zu vermeiden. Da die meisten Rezidive (90%) im gleichen Quadranten (Indexquadranten) wie der Primarius auftreten [12], soll die Teilbrustbestrahlung möglicherweise der Ganzbrustbestrahlung zur lokalen Kontrolle gleichwertig sein. Dies wird derzeit in Studien überprüft. Dabei wird kontrovers diskutiert, welche Patientinnen einer alleinigen akzelerierten Teilbrustbestrahlung ( accelerated partial breast irradiation, APBI) in Form einer einzeitigen IORT ohne anschließende Ganzbrustbestrahlung ( whole breast irradiation, WBI) zugeführt werden dürfen. Außerhalb von Studien ist dies in Deutsch 304 Der Gynäkologe 4 2011

land derzeit von Seiten des Bundesamtes für Strahlenschutz nicht gestattet. Die DEGRO (Deutsche Gesellschaft für Radioonkologie) unterstützt diese Position und empfiehlt ebenfalls die weitere Evaluation innerhalb von Studien, bis eine ausreichende Nachbeobachtungszeit erreicht ist [13]. Die IORT kann also als vorgezogene Boostbestrahlung (10 Gy) oder (in Studien) als alleinige Teilbrustbestrahlung (21 Gy) durchgeführt werden. Durchführung Der Brustoperateur trägt bei der IORT die Verantwortung für die Vorbereitung der Patientin, die operative Prozedur und das intraoperative Management sowie die postoperative Versorgung [14]. Vor der Intervention erfolgt die Absprache mit dem Strahlentherapeuten über die Indikation zur IORT und das geplante Strahlenfeld. Intraoperativ wird die Hochrisikoregion festgelegt, und der Operateur bereitet die optimale Exposition für die IORT durch Mobilisation des Gewebes vor sowie einen direkten Zugang durch die entsprechende Schnittführung und die Schonung des gesunden Gewebes, insbesondere der Haut. Die Hautinzision muss zur Elektronenbestrahlung ausreichend Platz für den Kollimator bieten, von dem verschiedene Größen (von 4 10 cm) und Winkel (0,25 und 45 ) zur Verfügung stehen. Je nach Tumorsitz sind zirkuläre hautlinienadaptierte oder (seltener) radiär verlaufende Inzisionen geeignet. Bei nichtpalpablen Läsionen wird in üblicher Weise eine bildgebend gesteuerte Drahtmakierung durchgeführt. Eine zusätzliche Farbmarkierung des Tumorsitzes auf der Haut visualisiert dem Operateur den besten Zugang. Bei Läsionen knapp an der Areola oder der Submammärfalte kann manchmal eine T- bzw. y-förmige Inzision geeignet sein. Der Tumor wird mit makroskopisch ausreichendem Sicherheitssaum segmental exzidiert. Dies sollte durch intraoperative Schnellschnittuntersuchung des kooperierenden Pathologen abgesichert werden. Hier kann die Randsaumbeurteilung sowie die Bestätigung der Tumorgröße erfolgen. Gegebenenfalls können vor der IORT Nachresektate entnommen werden, um eine sekundäre Nachresektion des bereits bestrahlten Gebietes zu vermeiden. Es erfolgt dann die Remodellierung der Brust zum Verschluss des Parenchymdefektes und zur Vorbereitung des Bestrahlungsfeldes. Dabei wird die Drüse von der Dermis und Subkutis abgelöst und entsprechend freigelegt. Die Präparation sollte die Vaskularisation der Haut und der intramammären Drüsenlappen berücksichtigen, um Fibrosen und Fettgewebsnekrosen zu vermeiden. Mit dem Ziel einer homogenen Dosis sollte eine gleichmäßige Schichtdicke erreicht werden. Diese wird sorgfältig zur Auswahl der geeigneten Strahlenenergie ausgemessen. Die Gewebedicke kann mit skalierter Knopfkanüle gemessen werden. E Für die Messung der Drüsenkörperdicke empfehlen wir die intraoperative Mammasonographie bis zum M. pectoralis und zum (zu schonenden) Rippenperiost. Bei Boostbestrahlung mit 10 Gy ist kein zusätzlicher Brustwandprotektor erforderlich. Bei einer höheren IORT-Strahlendosis muss dieser zwischen Drüsengewebe und Brustwand geschoben werden. Hierzu muss eine ausreichende Mobilisation des Drüsenkörpers auf der Pectoralisfaszie gewährleistet sein. Verwendet werden sterile Blei-Aluminium-Platten. Eine gute Blutstillung im Wundgebiet ist selbstverständlich, um Hämatome im bestrahlten Gebiet zu vermeiden. Das Andockmanöver wird unter sterilen Kautelen durchgeführt. Hier wird der Applikationstubus aus Plexiglas in das Wundgebiet unter Sicht eingebracht. Der Linearbeschleuniger wird dann an den Tubus gefahren, dessen Kopf in drei Ebenen beweglich ist und befestigt. Die Haut wird sorgfältig aus dem Strahlenfeld retrahiert. So wird die entsprechende Dosis direkt auf das an das Tumorbett angrenzende Drüsenge webe aufgebracht und die Strahlendosis auf die Haut wird vermindert. Damit können strahlenbedingte Hautfibrosen und Teleangiektasien über dem Tumorbett, wie sie bei postoperativer Tumorboostbestrahlung vorkommen, weitgehend vermindert werden [15]. Während der etwa drei Minuten dauernden Bestrahlung verlässt das Operationspersonal den Operationssaal, und die Patientin wird über Monitore vom Anästhesisten und Strahlentherapeuten überwacht. Der Operationssaal muss entsprechend den Strahlenschutzrichtlinien eingerichtet sein. Am Ende der Bestrahlung wird der Tubus unter sterilen Kautelen wieder entfernt, ggf. werden dann weitere kosmetische Rekonstruktionen vorgenommen und eine Drainage eingelegt. Ähnlich ist das Vorgehen bei der IORT mit der intraoperativen Röntgenstrahlenanwendung. Dabei wird jedoch das Tumorbett nicht verschlossen, sondern unter sterilen Kautelen ein kugelförmiger Applikator in das Tumorbett eingebracht. Es stehen verschiedene Größen bzw. Durchmesser der kugelförmigen Applikatoren zur Verfügung, die der ursprünglichen Tumorgröße angepasst werden können. Danach wird eine Tabaksbeutelnaht angebracht. Auch hier muss ein ausreichender Abstand zur Haut und Brustwand beachtet werden. Die Strahlentherapie während der Operation dauert bei diesem Verfahren etwa bis 45 Minuten. Anschließend erfolgen die Drüsenkörperadaptation und die kosmetische Defektdeckung. Folgende Vorteile machen die IORT als kompletten Ersatz für die Perkutanradiatio perspektivisch attraktiv: F Die Haut bleibt intakt, und es können plastisch-chirurgische Eingriffe kombiniert werden. F Die Lebensqualität wird durch die eingesparte sechswöchige postoperative Ganzbrustbestrahlung verbessert. F Es gibt keine Zeitverzögerung der Radiotherapie wegen einer Durchführung erst nach der adjuvanten Chemotherapie. F Es tritt keine wesentliche Streustrahlung auf die Lunge und die kontralaterale Brust auf, anders als bei der Ganzbrustbestrahlung. Evidenzlage Zwei randomisierte Studien liegen derzeit zur IORT vor: die TARGIT (Targeted Intraoperative Radiotherapy)- und die ELIOT (Electrons Intraoperative The r apy)-studie: In der TARGIT-Studie wird ein Orthovoltsystem mit 50 kv-röntgenstrah 305

len verwendet. Beteiligt sind 28 Zentren in neun Ländern. In der prospektiv randomisierten Studie wurden 2232 Patientinnen untersucht. Sie erhielten nach Tumorentfernung entweder eine intraoperative Strahlentherapie (IORT) mit einer Dosis von 20 Gy oder eine übliche Ganzbrustbestrahlung (WBI). Eine alleinige IORT erhielten 854 Patientinnen, bei weiteren 142 ergab sich die Indikation zu einer zusätzlichen WBI anhand des postoperativen pathologischen Befundes. In der Kontrollgruppe mit WBI±Boost wurden 1025 Patientinnen behandelt. Die mediane Nachbeobachtungszeit beträgt in der aktuellen Auswertung 24,6 Monate. Im IORT-Arm traten sechs Lokalrezidive auf, im WBI- Arm fünf. Die lokalrezdivfreie Zeit unterschied sich zwischen den beiden Therapiearmen nicht signifikant (p=0,41) Die Lokalrezidive traten überwiegend im zweiten und dritten Jahr auf, ihre Lokalisation (innerhalb oder außerhalb des Indexquadranten) wird in der vorliegenden Auswertung nicht angegeben. Damit ergibt sich eine Lokalrezidivrate von 1,2% im IORT-Arm und 0,95% im WBI-Arm (nicht signifikant). Die Frühkomplikationen waren in beiden Armen mit 3,3% bei IORT und 3,9% bei WBI vergleichbar, bei der IORT traten mehr Serome auf, bei der WBI mehr Hautreaktionen. Als Caveat zu dieser Studie ist vor allem die kurze Nachbeobachtungszeit anzumerken. Das mediane Intervall bis zum Rezidiv im Indexquadranten beträgt 5,7 Jahre, das für distante Rezidive 7,4 Jahre, sodass in der vorliegenden Studie noch deutlich mehr Lokalrezidive auftreten werden. Derzeit ist noch keine sichere Bewertung möglich. In der ELIOT-Studie wurde intraoperativ eine Elektronenbestrahlung verwendet. An einem Zentrum (Istituto Europeo di Oncologia, IEO, Mailand) wurden 1822 Patientinnen prospektiv behandelt. Gleichzeitig wurde eine prospektiv randomisierte Studie durchgeführt, deren Ergebnisse noch nicht veröffentlicht wurden. Bei der brusterhaltenden Therapie wurde die IORT mit 21 Gy mit 5 10 MeV- Elektronen eines mobilen Linearbeschleunigers appliziert. Nach einer medianen Nachbeobachtungszeit von 36,1 Monaten erlitten 42 (2,3%) der Patientinnen ein Lokalrezidiv, 24 (1,3%) hatten ipsilaterale Zweitumoren (außerhalb des Indexquadranten), 26 (1,4%) Fernmetastasen. Sechsundvierzig (2,5%) Frauen verstarben im Nachbeobachtungszeitraum. Als Nebenwirkungen traten Liponekrosen (4,2%) und Fibrosen (1,8%) auf. Kritisch ist anzumerken, dass auch in der ELIOT-Studie aussagekräftige Langzeitdaten im randomisierten Vergleich fehlen. Das von den Studienleitern angekündigte Update der Studiendaten steht weiterhin aus. E Die bislang vorliegenden Daten sprechen am ehesten für eine ausreichende Sicherheit bei älteren Patientinnen mit niedrigem Lokalrezidivrisiko. In beiden Studien hatten die Patientinnen überwiegend ein relatives Niedrigrisikoprofil: kleine Tumoren, nicht befallene Lymphknoten und einen positiven Hormonrezeptorstatus. Dies sollte bei der Bewertung der Ergebnisse berücksichtigt werden. Auffällig war die erhöhte Lokalrezidivrate bei den jüngeren Patientinnen <50 Jahre mit 7,7% in der ELIOT-Studie, sodass die jüngeren Patientinnen von der alleinigen IORT ausgeschlossen werden sollten. Das Alter der Patientin ist der wichtigste prädiktive Faktor für die Lokalrezidivrate [16]. Fazit für die Praxis F Die intraoperative Strahlentherapie als Tumorboost verkürzt die Gesamtzeit der postoperativen Bestrahlung und verbessert die Genauigkeit der Applikation des Boost auf das Tumorbett als Region der höchsten Wahrscheinlichkeit eines Lokalrezidivs. F Die Strahlendosis auf die Haut über dem Tumorbett wird durch die IORT reduziert; dadurch ergeben sich weniger Hautfibrosen und Teleangiektasien, sodass ein besseres kosmetisches Ergebnis resultiert. F Der antizipierte Tumorboost ist aktuell die derzeit einzige gesicherte Indikation für eine IORT. F Für ausgewählte Patientinnen mit niedrigem Gesamtrisiko kommt möglicherweise in Zukunft auch die intraoperative Strahlentherapie als Teilbrustbestrahlung ohne anschließende Ganzbrustbestrahlung in Frage (dies wird momentan in Studien überprüft und ist derzeit von den Strahlenschutzbehörden außerhalb von Studien untersagt). F Vor dem flächendeckenden Einsatz sollte eine ausreichende Nachbeobachtungszeit abgewartet werden. F Zur Beurteilung der Lokalrezidiv rate und auch der Überlebensrate nach Teil- vs. Ganzbrustbestrahlung ist vermutlich ein Follow-up von mindestens 10 Jahren erforderlich [17]. F Zukünftig sind zusätzliche Indikationen für die IORT, wie z. B. die erneute brusterhaltende Therapie bei einem Mammakarzinomrezidiv statt der leitliniengerechten Mastektomie oder die IORT von intraduktalen Karzinomen, in Studien zu überprüfen. Korrespondenzadresse Univ.-Prof. Dr. W. Janni Klinikum der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf Moorenstr. 5, 40225 Düsseldorf wolfgang.janni@med.uni-duesseldorf.de Interessenkonflikt. Der korrespondierende Autor gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht. Literatur 1. Fisher B, Anderson S, Bryant J et al (2002) Twentyyear follow-up of a randomized trial comparing total mastectomy, lumpectomy, and lumpectomy plus irradiation fort he treatment of invasive breast cancer. N Engl J Med 347(16):1233 1241 2. 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Fachnachrichten 6. Dunst J (1995) Adjuvante Strahlentherapie beim operablen Mammakarzinom. Onkologe 1(7):205 213 7. Clarke M, Collins R, Darby S et al (2005) Effects of radiotherapy and of differences in the extent of surgery for early breast cancer on local recurrence and 15-year survival: an overview of the randomised trials. Lancet 366(9503):2087 2106 8. Sedlmayer F, Fastner G, Merz F et al (2007) ISIORT Europe. IORT with electrons as boost strategy during breast conserving therapy in limited stage breast cancer: results of an ISIORT pooled analysis. Strahlenther Onkol (S) 183:32 34 9. Wenz F, Welzel G, Blank E et al (2010) Intraoperative radiotherapy as a boost during breast-conserving surgery using low-kilovoltage X-rays: the first 5 years of experience with a novel approach. Int J Radiat Oncol Biol Phys 77:1309 1314 10. 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Bereits seit langem vermuten Wissenschaftler einen Zusammenhang mit der Chemotherapie was jedoch genau dabei abläuft, war bislang unbekannt. Während die männlichen Keimzellen kontinuierlich in riesiger Anzahl bis ins hohe Alter produziert werden, ist die Anzahl der weiblichen Eizellen begrenzt. Werden diese durch die Krebsbehandlung geschädigt, sterben sie dank einer strikten Qualitätskontrolle ab. Entscheidend beteiligt an dieser Qualitätskontrolle ist das Protein p63. Es hat eine bemerkenswert große Ähnlichkeit mit einem anderen wichtigen Protein, dem p53. Deshalb spricht man auch von der Proteinfamilie p53. Als Wächter des Genoms bekannt, reguliert p53 Zellteilung und Zelltod in kranken Zellen und hat damit eine Schlüsselrolle bei der Unterdrückung von genetischen Abweichungen, die zu Krebs führen können. Bei mehr als der Hälfte aller menschlichen Tumore ist p53 verändert und dadurch nicht mehr funktionsfähig. Nach dem gegenwärtig allgemein akzeptierten Modell ist die Konzentration von p53 in gesunden Zellen sehr gering. Treten in einer Zelle jedoch genetische Defekte auf, durch die sie zur Tumorzelle entarten könnte, erhöht sich die Konzentration von p53 und es kommt zur Zusammenlagerung von vier p53-proteinen zu einem Tetramer. In dieser Tetramerstruktur ist der Tumorsuppressor aktiv und kann je nach Schädigung bewirken, dass die Zelle den entstandenen Schaden repariert oder zellulären Selbstmord betreibt. Überraschenderweise schien der Mechanismus, der die Aktivität des Proteins p63 in Eizellen kontrolliert ein anderer zu sein. Zwischen beiden Mechanismen besteht eine enge Verwandtschaft. Das Protein p63 liegt in gesunden Eizellen in hoher Konzentration als kompaktes inaktives Dimer vor. Treten jedoch in Eizellen DNA-Doppelstrangbrüche auf, etwa in Folge radioaktiver Strahlung, wird p63 phosphoryliert. Durch diese Anlagerung von Phosphatgruppen wird die kompakte Struktur des inaktiven Zustandes aufgebrochen, und es kann sich ein zweites Dimer anlagern. Damit entsteht ein aktives Tetramer, das auch für p53 charakteristisch ist und das den Zelltod der beschädigten Eizellen einleitet. Da die Wirkungsweise vieler Chemotherapeutika auf der Erzeugung von Doppelstrangbrüchen in der DNA der Zellen beruht, führen diese Medikamente letztendlich auch zur Aktivierung von p63 in Eizellen und damit zu deren Absterben. Als Modellsystem untersuchen die Forscher Proteine des Fadenwurms Caenorhabditis elegans. Dieser Nematode hat ein p53-ähnliches Protein, das aber aufgrund der kurzen Lebenszeit des Fadenwurms nicht als Tumorsuppressor wirkt, sondern hauptsächlich der Kontrolle der genetischen Stabilität der Keimzellen dient. Die genetische Kontrolle der Keimzellen ist demnach die ursprüngliche Funktion der gesamten p53-proteinfamilie und legt die Vermutung nahe, dass p63 das primitivste und älteste Mitglied und damit der Urahn der p53-familie ist. Interessanterweise hat p63 noch eine weitere Funktion: Es ist essenziell für den Erhalt von Stammzellen in Epithelgeweben wie etwa der Haut. Damit kommt der p53- Proteinfamilie eine der größten Bedeutungen für die Entwicklung und die Gesundheit des Menschen zu. Literatur. Deutsch et al. (2011) DNA Damage in Oocytes Induces a Switch of the Quality Control Factor TAp63a; from Dimer to Tetramer. Cell 144:566-576 Quelle: Goethe-Universität Frankfurt am Main, www.muk.uni-frankfurt.de 307