Gesundheitsförderung und Prävention im Kanton Zug



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Transkript:

Rahmenkonzept Gesundheitsförderung und Prävention im Kanton Zug Thomas Pfister-Auf der Maur Karin Zollinger Gesundheitsdirektion des Kantons Zug

Rahmenkonzept Gesundheitsförderung und Prävention im Kanton Zug Thomas Pfister-Auf der Maur Karin Zollinger 2003 Gesundheitsdirektion des Kantons Zug

Inhalt Vorwort 6 Einleitung 7 1 Gesundheit, Gesundheitsförderung und Prävention 8 1.1 Heutiges Verständnis von Gesundheit 8 1.1.1 Gesundheit als Prozess 8 1.1.2 Psychische Gesundheit 9 1.1.3 Einflüsse auf die Gesundheit 10 1.1.4 Das Kohärenzgefühl 11 1.2 Gesundheit und Lebensqualität 11 1.3 Grundlagen der Gesundheitsförderung 12 1.3.1 Entwicklung der Gesundheitsförderung 12 1.3.2 Definition Gesundheitsförderung 13 1.3.3 Die salutogenetische Perspektive 14 1.3.4 Gesundheit 21 14 1.3.5 Gesundheitsförderung und gesundheitsförderliche Aktivitäten 14 1.4 Grundprinzipien der Gesundheitsförderung 15 1.4.1 Empowerment 15 1.4.2 Partizipation 15 1.4.3 Chancengleichheit 16 1.5 Handlungsebenen der Gesundheitsförderung 16 1.5.1 Persönliche Kompetenzen 17 1.5.2 Gesundheitsbezogene Gemeinschaftsaktionen 17 1.5.3 Gesundheitsfördernde Lebenswelten (Settings) 18 1.5.4 Gesundheitsfördernde Institutionen 19 1.5.5 Gesundheitsfördernde Gesamtpolitik 20 1.6 Prävention und Gesundheitsschutz 20 1.6.1 Primär- und Sekundärprävention 21 1.6.2 Individuelle und strukturelle Prävention 21 1.6.3 Gesundheitsschutz 22 1.7 Gesundheitsförderung und Prävention 22 1.8 Öffentliche Gesundheit (Public Health) 25 2 Rechtliche und politische Grundlagen 26 2.1 Regierungsrätliche Gesamtpolitik 2000 2010 26 2.2 Gesundheitsgesetz 27 2.3 Weitere gesetzliche Grundlagen 28 2.4 Motion betreffend Gesundheitsförderung im Kanton Zug 28 2

3 Ist-Analyse 30 3.1 Ergebnisse der Umfrage im Kanton Zug 30 3.1.1 Allgemeines zur Umfrage 30 3.1.2 Einschätzung von Gesundheitsthemen 31 3.1.3 Ziele der Öffentlichen Gesundheit 31 3.1.4 Projekte, Aktivitäten und Akteure 31 3.1.5 Schwerpunkte der Gesundheitsförderung und Prävention im Kanton Zug 31 3.2 Gesundheitsdaten 32 3.2.1 Einige schweizerische Gesundheitsdaten (1997) 32 3.2.2 Gesundheitsdaten Zentralschweiz 36 3.2.3 Rechenschaftsbericht des Regierungsrates über das Amtsjahr 2002 37 3.2.4 Umfrage an Zuger Schulen (1998) 39 3.3 Konzepte, Leistungsvereinbarungen und Akteure im Kanton Zug 39 3.3.1 Drogenkonzept Zug (1993) 39 3.3.2 Zuger Suchtpräventionskonzept (1996) 40 3.3.3 Kantonales Konzept Freizeit, Erholung, Sport und Tourismus (2002) 41 3.3.4 Konzept Gesundheitsförderung und Prävention an Zuger Schulen (2003) 42 3.3.5 Leistungsvereinbarungen 42 3.3.6 In Gesundheitsförderung und Prävention tätige Organisationen 43 3.4 Aktivitäten und Projekte im Kanton Zug 44 3.4.1 Aktivitäten mit gesundheitsförderlichen und/oder präventiven Anteilen 44 3.4.2 Projekte der Gesundheitsförderung und Prävention 45 3.5 Gesundheitsförderung in den Kantonen der Deutschschweiz 47 3.6 Nationale Organisationen 48 3.6.1 Gesundheitsförderung Schweiz 48 3.6.2 Bundesamt für Gesundheit (BAG) 49 3.6.3 Radix Gesundheitsförderung 49 3.6.4 Vereinigung der kantonalen Beauftragten für Gesundheitsförderung (VBGF) 50 3.6.5 Nationale Gesundheitspolitik Schweiz 50 3.6.6 Schweizerisches Gesundheitsobservatorium 50 3.6.7 Schweizerische Sanitätsdirektorenkonferenz (SDK) 50 3.6.8 Schweizerische Gesellschaft für Gesundheitspolitik (SGGP) 51 3.6.9 Schweizerische Gesellschaft für Prävention und Gesundheitswesen (SGPG) 51 3.7 Gesundheitsbefragungen 51 3.7.1 Schweizerische Gesundheitsbefragung 51 3.7.2 Schweizerische Schülerbefragung 52 3.7.3 Schweizer Haushaltpanel 52 3.8 Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) 52 3

4 Leitsätze für den Kanton Zug 54 4.1 Leitsätze für Gesundheitsförderung und Prävention 54 4.2 Leitsätze für Öffentliche Gesundheit 55 5 Schwerpunkte 56 5.1 Auswahl der Schwerpunkte 57 5.2 Grundstrategie 57 5.3 Schwerpunktprogramm Gesundheitsförderung und Prävention an Schulen 59 5.3.1 Ausgangslage 59 5.3.2 Bedarf und Bedürfnisse 59 5.3.3 Lücken 60 5.3.4 Empfehlungen für das weitere Vorgehen 61 5.4 Schwerpunktprogramm Betriebliche Gesundheitsförderung 61 5.4.1 Ausgangslage 61 5.4.2 Bedarf und Bedürfnisse 63 5.4.3 Lücken 64 5.4.4 Empfehlungen für das weitere Vorgehen 64 5.5 Schwerpunktprogramm Gesundheitsförderung in Gemeinwesen 64 5.5.1 Ausgangslage 65 5.5.2 Bedarf und Bedürfnisse 65 5.5.3 Lücken 68 5.5.4 Empfehlungen für das weitere Vorgehen 68 6 Organisation und Ressourcen 69 6.1 Aufgaben und Rollen 69 6.1.1 Aufgaben und Rollen des Gesundheitsamtes 70 6.1.2 Zusammenarbeit mit Partnerorganisationen 70 6.2 Strukturen 71 6.3 Grobzeitplan 2003-2005 72 6.4 Ressourcen 72 7 Information und Vernetzung 74 7.1 Information und Öffentlichkeitsarbeit 74 7.1.1 Printmedien 74 7.1.2 Radio und Fernsehen 74 7.1.3 Internet 75 7.1.4 Veranstaltungen und Weiterbildungen 75 7.2 Netzwerke 75 7.2.1 Vernetzung im Kanton Zug 75 7.2.2 Vernetzung Zentralschweiz und national 75 4

8 Qualitätsentwicklung und Evaluation 77 8.1 Qualitätsentwicklung 77 8.1.1 Begriff und Nutzen 77 8.1.2 Arten von Qualität 78 8.1.3 Qualitätskultur 79 8.1.4 Projektmanagement 79 8.1.5 Qualitätskriterien für Projekte und Programme 82 8.2 Evaluation 83 8.2.1 Definitionen 83 8.2.2 Evaluation als Teil der Qualitätsentwicklung 83 8.3 Gesundheitsberichterstattung 84 Anhang 85 I Glossar 85 II Quellenangaben und weitere Literatur 88 III Internetadressen 90 IV Verzeichnis der Abbildungen und Tabellen 91 V Frageraster für die Planung eines Projekts oder Programms 92 VI Umfrage Gesundheitsförderung und Prävention im Kanton Zug (2001) 95 5

Vorwort Gesundheit wünschen wir einander oft, zum Beispiel nach einem herzhaften Niesen oder auf einen Jahreswechsel hin. Wer aber ist denn eigentlich für unsere Gesundheit zuständig? Einfache Rezepte wie Jede und jeder ist für die Gesundheit selber verantwortlich oder Für die Gesundheit hat der Staat zu sorgen greifen zu kurz. Denn letztlich müssen sich alle dafür einsetzen. Menschen jeden Alters, Frauen und Männer, Schweizerinnen und Schweizer sowie Ausländerinnen und Ausländer müssen für ihre Gesundheit sorgen. Staatliche und private Organisationen bieten Hilfe zur Selbsthilfe. Die Umwelt, soziale, kulturelle und wirtschaftliche Rahmenbedingungen beeinflussen unser Wohlbefinden und unsere Lebensqualität. Hier setzt denn auch die regierungsrätliche Gesamtpolitik 2000 2010 an. Ihr Ziel ist es, die Lebensqualität für alle Bevölkerungsschichten in wirtschaftlicher, sozialer und ökologischer Sicht nachhaltig zu fördern. Das heisst, die Zuger Gesundheitsförderung stärkt auf allen Ebenen die Gesundheit und ergänzt die Krankheitsversorgung. Verschiedene Faktoren belasten unsere Gesundheit, so unter anderem falsche Ernährung, mangelnder Sport oder Stress. Diese Faktoren können wir beeinflussen, überall und jederzeit. In diesem Sinne ist Gesundheitsförderung ein lebenslanger Prozess. Die Zuger Gesundheitsförderung berücksichtigt ferner, dass unser direktes Umfeld das Wohlbefinden und die Lebensqualität wesentlich prägt. Unsere Schwerpunkte sind deshalb dort angesiedelt, wo wir lernen, arbeiten und leben. Ein weiteres wichtiges Paket der Zuger Gesundheitspolitik ist die Prävention. Diese wo nötig auszubauen ist ein Gebot der Stunde. Denn damit können wir Krankheiten oder Unfälle verhindern. Ich wünsche Ihnen eine spannende Lektüre und lade Sie ein, sich überall und jederzeit für Gesundheitsförderung und Prävention zu engagieren. Sie helfen sich, sie helfen andern und sie helfen der Gemeinschaft. Joachim Eder, Regierungsrat und Gesundheitsdirektor des Kantons Zug 6

Einleitung Das vorliegende Rahmenkonzept definiert Gesundheitsförderung und Prävention im Kanton Zug. Im Zeitalter steigender Gesundheitskosten gewinnen beide Gebiete an Bedeutung. Gesundheitsförderung will die Möglichkeiten aller Menschen verbessern, selber für ihre Gesundheit zu sorgen. Präventive Aktivitäten zielen darauf ab, Krankheiten und Störungen gar nicht erst entstehen zu lassen. Neben Massnahmen für Individuen und Gemeinschaften möchten Gesundheitsförderung und Prävention auch die Bedingungen von Gesundheit beeinflussen. Im Gesundheitsgesetz heisst es dazu: «Der Kanton setzt sich für gute Bedingungen ein, die der Förderung der Gesundheit dienen. Er geht dabei vom Bild des eigenverantwortlichen Menschen in der Gesellschaft aus.» Und weiter: «Der Kanton unterstützt und koordiniert Massnahmen und Projekte zur Gesundheitsförderung und Prävention. Er kann eigene Massnahmen treffen oder Beiträge an die Kosten der Massnahmen Dritter leisten. Er kann mit öffentlichen oder privaten Organisationen zusammenarbeiten.» Das erste Kapitel beschreibt das moderne Gesundheitsverständnis und die Grundlagen von Gesundheitsförderung und Prävention. Das zweite Kapitel enthält politische und rechtliche Rahmenbedingungen. Im dritten Kapitel werden die Ergebnisse einer Umfrage im Kanton Zug, Gesundheitsdaten, Konzepte, Projekte und Akteure vorgestellt. Im vierten Kapitel sind Leitsätze formuliert. Das fünfte Kapitel beschreibt die drei Schwerpunkte Schulen, Betriebe und Gemeinwesen. Im sechsten Kapitel werden die Strukturen und Ressourcen definiert. Das siebte Kapitel umfasst Information und Vernetzung. Das achte Kapitel ist der Qualitätsentwicklung und Evaluation gewidmet. Ausgehend vom vorliegenden Rahmenkonzept sollen in drei Schwerpunkten die notwendigen Planungsund Aufbauarbeiten für die Umsetzung effizienter Massnahmen geleistet werden. Während im Schwerpunktprogramm Schulen bereits vielfältige Erfahrungen sowie ein Konzept vorliegen, sind in den Schwerpunkten Betriebe und Gemeinwesen noch grössere Vorbereitungsarbeiten zu leisten. Eine Begleitgruppe hat den Autor und die Autorin bei der Verfassung des Rahmenkonzepts aktiv unterstützt. Besten Dank für die wertvollen Feedbacks an: Patrick Ambord (Aids-Hilfe Zug), Svend Capol und Martin Diem (Ärztegesellschaft), Christine Durrer (Frauenzentrale), Walter Hasler (Kantonaler Seniorenund Rentnerverband), Judith Herzog (Beauftragte für Suchtfragen), Ganga Jeyaratnam (Integrationsnetz), Ernst Kaspar (Interessengemeinschaft für Sport und Gesundheitsförderung), Muriel Klingler (Pro Infirmis), Beat Linder (punkto Jugend und Kind), Gudrun Ormanns (Amt für gemeindliche Schulen), Susanna Paly (Schule und Elternhaus), Cordula Ventura (Amt für Sport), Hanspeter Walti (Ambulanter Psychiatrischer Dienst), Patricia Windlin (Departement Soziales, Gesundheit und Umwelt, Stadt Zug), Hamit Zeqiri (Mobile Jugendarbeit), Gertrud Zürcher (Suchtprävention Zug), Nicole Züsli (Zuger Arbeitslosentreff). Im Weiteren geht der Dank an Richard Aeschlimann (Leiter Gesundheitsamt) für die engagierte Begleitung. Zug, im Mai 2003 Thomas Pfister-Auf der Maur, Beauftragter für Gesundheitsförderung des Kantons Zug Eine Kurzversion des Rahmenkonzepts (32 Seiten) ist als Broschüre bei der Gesundheitsdirektion (Postfach 455, 6301 Zug) erhältlich oder kann als PDF-Datei von www.zug.ch/gesundheit/ heruntergeladen werden. 7

1 Gesundheit, Gesundheitsförderung und Prävention Gesundheit wird heute als Prozess verstanden und als Balance zwischen vorhandenen Belastungen und zur Verfügung stehenden Ressourcen. Neben der körperlichen Gesundheit ist vor allem das psychische Wohlbefinden mit seinen vielen Bezügen zu soziokulturellen Bedingungen zu beachten. Eine ganze Reihe von Faktoren in der natürlichen und sozialen Umwelt, der Lebensstil und die biologischen sowie psychischen Gegebenheiten beeinflussen die Gesundheit. Die Lebensqualität und das Wohlbefinden zu erhalten und zu verbessern, werden als vorrangiges Ziel deklariert. Gesundheitsförderung will allen Menschen ermöglichen, über ihre Gesundheit selber zu bestimmen. Die salutogenetische Perspektive stellt die Frage in den Vordergrund, warum Menschen gesund sind, werden oder bleiben. Im Mittelpunkt steht die Förderung der Ressourcen von Einzelnen, Gruppen und Gemeinschaften. Empowerment (Hilfe zur Selbsthilfe), Partizipation (Beteiligung von allen) und Chancengleichheit (Reduktion von Benachteiligungen) sind die grundlegenden Prinzipien der Gesundheitsförderung. Die fünf Handlungsebenen (Persönliche Kompetenzen, Gesundheitsbezogene Gemeinschaftsaktionen, Gesundheitsfördernde Lebenswelten, Gesundheitsfördernde Institutionen, Gesundheitsfördernde Gesamtpolitik) eröffnen in ihrem Zusammenspiel ein weites Feld für Projekte in der Gesundheitsförderung. Gesundheitsförderung und Prävention sind nicht dasselbe und können voneinander abgegrenzt werden. In gegenseitiger Ergänzung tragen sie zum wichtigen Ziel bei, dass alle Menschen in guter Gesundheit leben können. Gesundheitsförderung und Prävention bilden zusammen mit dem Gesundheitsschutz und der Krankheitsversorgung unter Einbezug einer Gesundheitspolitik das System der Öffentlichen Gesundheit. 1.1 Heutiges Verständnis von Gesundheit 1976 definierte die Weltgesundheitsorganisation (WHO): «Gesundheit ist ein Zustand vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur das Freisein von Krankheit oder Gebrechen.» Im Grundsatz hat diese Definition nach wie vor ihre Berechtigung. Allerdings wird im modernen Verständnis von Gesundheit nicht mehr von einem Zustand ausgegangen, der erreicht und erhalten werden kann. Vielmehr sollte Gesundheit als Prozess verstanden werden. 1.1.1 Gesundheit als Prozess Wird Gesundheit als Prozess verstanden, ist ein Mensch nicht einfach gesund oder krank, sondern steht in jedem Moment seines Lebens irgendwo zwischen den Extremwerten sehr gesund und todkrank. Auch Menschen mit akuten oder chronischen körperlichen oder psychischen Problemen sind nicht ausschliesslich krank. Sie haben immer auch gesunde Anteile (BZgA, 1999). Folgende Abbildung stellt das Kontinuum Gesundheit Krankheit dar: 8

Abbildung 1: Das Kontinuum gesund-krank Die Bedeutung der körperlichen Gesundheit für das Wohlbefinden muss an dieser Stelle nicht ausgeführt werden. Medienberichte, Broschüren, Veranstaltungen usw. sind häufig und Tipps zu Ernährung, Bewegung, Entspannung usw. allgegenwärtig. Es ist aber bekannt, dass sich trotzdem nicht alle Menschen optimal um ihre körperliche Gesundheit sorgen. Das Thema psychische Gesundheit fristet neben der körperlichen Gesundheit immer noch ein Schattendasein. Um dem entgegenzuhalten, werden im Folgenden einige zusammenfassende Gedanken aus dem aktuellen Buch Psychische Gesundheit von Illés & Abel (2002) dargestellt. Die Strategien und Themen sollen (neben körperlichen Aspekten) bei allen Aktivitäten von Gesundheitsförderung und Prävention vermehrt berücksichtigt werden. Psychische Gesundheit ist nicht allein Ausdruck von Stärke,Wohlbefinden, allgemeiner Leistungs- und Funktionsfähigkeit, sondern umfasst auch die Fähigkeit, physische und psychische Schwächen und Begrenzungen zu akzeptieren und konstruktiv mit ihnen umzugehen. Psychische Gesundheit bedeutet somit die Fähigkeit, äussere und innere Anforderungen mit Hilfe äusserer oder innerer Ressourcen bewältigen zu können. Dabei stehen spezifische Persönlichkeitsmerkmale im Vordergrund wie positive Selbstakzeptanz, Beziehungsfähigkeit, Fähigkeiten zur Bewältigung von Problemen oder auch geistige Faktoren wie die Fähigkeit, zu einer eigenen Lebensaufgabe zu finden und dem eigenen Leben einen Sinn zu verleihen. Diese Persönlichkeitsmerkmale sind nicht nur Ausdruck, sondern zugleich auch Bedingungsfaktoren psychischer Gesundheit. Daneben sind gesellschaftliche Rahmenbedingungen für die psychische Gesundheit sehr wichtig, so z. B. Wahlmöglichkeiten bei der eigenen Lebensgestaltung, Wohlstand und Sicherheit, demokratische Staatskultur oder ein qualitativ hoch stehendes Gesundheits- und Bildungssystem. In engem Zusammenhang mit psychischen stehen auch soziokulturelle Einflussfaktoren: Wertsysteme lösen sich auf, alle Lebensbereiche beschleunigen sich, Menschen vereinsamen immer mehr, Arbeitsbedingungen verschlechtern sich. Positiv formuliert bedeutet dies, dass günstige Arbeitsbedingungen eine erhebliche Ressource für die psychische (und physische) Gesundheit darstellen. Daneben hat die Arbeit auch ihren Wert als sinn- und identitätsstiftender Faktor sowie für die soziale Integration. Im Bereich Fasehr gesund gesund ziemlich gesund krank schwer krank todkrank gesund krank Gesundheit ist Resultat einer immer wieder neu herzustellenden Balance zwischen Belastungen und Ressourcen. Die Herstellung und Erhaltung dieses dynamischen Gleichgewichts und damit der sozialen, psychischen und körperlichen Aktionsfähigkeit eines Menschen ist also als lebenslanger Prozess zu verstehen, der aktiv zu gestalten und zu fördern ist. 1.1.2 Psychische Gesundheit 9

milie werden unter anderem die Vereinbarkeit von Berufs- und Familienarbeit, Wohnbedingungen sowie emotionale und kommunikative Strukturen des Zusammenlebens als enorm wichtig für das (psychische) Wohlbefinden angesehen. In der Schule ist das Lern- und Schulklima für die (psychische) Gesundheit von Schülerinnen und Schülern, aber auch von Lehrerinnen und Lehrern wichtig. Gewisse Bevölkerungsgruppen sind in Bezug auf ihre psychische Gesundheit besonders gefährdet: Kinder und Jugendliche, Arbeitslose, von Armut Betroffene, ältere Menschen, Alleinerziehende, Migrantinnen und Migranten sowie soziale Randgruppen. Expertinnen und Experten befürworten zum Schutz der psychischen Gesundheit vor allem bildungs-, sozial- und familienpolitische Bemühungen. Im Weiteren fordern sie eine Enttabuisierung psychischer Krankheit. Ferner schlagen die Fachleute Verbesserungen der für die psychische Gesundheit relevanten Angebotsstrukturen vor, so z.b. ganzheitliche Gesundheitsangebote oder eine Förderung interdisziplinärer Zusammenarbeit. In Gesundheitsförderung und Prävention sollten die Aspekte psychischer Gesundheit mehr beachtet werden. 1.1.3 Einflüsse auf die Gesundheit Viele Faktoren auf psychischer, körperlicher und sozialer Ebene wirken sich auf die gesundheitliche Entwicklung des einzelnen Menschen aus. Gesundheit ist damit nicht nur das Resultat von biologischen Voraussetzungen des Menschen und seinem persönlichen Verhalten. Die 1986 verabschiedete Ottawa-Charta zur Gesundheitsförderung (vgl. 1.3.2) beschreibt Lebensbedingungen wie sozialen Status, Bildung, Beschäftigung, Einkommen,Wohnsituation, soziale Gerechtigkeit und ein stabiles Ökosystem als übergeordnete, wesentliche Einflussfaktoren, welche Menschen gesund oder krank machen. Abbildung 2: Einflussfaktoren auf die Gesundheit Biologische und psychische Gegebenheiten Natürliche Umwelt und Infrastruktur Politik Lebensstil und Gesundheitsverhalten Gesundheit Soziale Umgebung, Bildung und Kultur Medizinische und psychosoziale Versorgung Ökonomie 10

Je besser diese Faktoren miteinander harmonieren, desto grösser ist das Wohlbefinden des Menschen. Je stabiler das Gleichgewicht des ganzen Systems ist, desto wirkungsvoller können gesundheitliche Störungen bewältigt werden. Zur Illustration ein paar Beispiele: Biologische und psychische Gegebenheiten: Eine gute körperliche und geistige Fitness hilft mit, Menschen trotz Belastungen gesund zu erhalten. Natürliche Umwelt: Naturnahe Gebiete geben Menschen die Möglichkeit, sich vom täglichen Stress zu erholen. Lebensstil und Gesundheitsverhalten: Eine vollwertige Ernährung und genügend Schlaf stärken die Abwehrkräfte gegen Krankheiten. Soziale Lebenswelt und Kultur: Gute Kontakte im Quartier oder ein Engagement in einem Verein geben den Menschen das Gefühl, dass das Leben einen Sinn hat. Medizinische und psychosoziale Versorgung: Eine medizinische Versorgung und psychosoziale Dienste helfen wenn nötig gesundheitliche Störungen so rasch als möglich zu beheben. 1.1.4 Das Kohärenzgefühl Das heutige Verständnis von Gesundheit geht von einem aktiven und selbst verantwortlichen Individuum aus. Dabei ist wichtig, wie sich der Mensch in seiner Umgebung wahrnimmt. In der Gesundheitspsychologie hat sich in diesem Zusammenhang der Begriff Kohärenzgefühl etabliert. Unter Kohärenzgefühl wird ein zuversichtliches Selbstbild der Handlungs- und Bewältigungsfähigkeit verstanden. Dies geht einher mit dem Bewusstsein, sich selbst und die eigenen Lebensbedingungen gestalten und beeinflussen zu können. Folgende Aspekte stehen im Vordergrund: Verstehbarkeit der Welt Handhabbarkeit der verfügbaren Ressourcen Sinn des Lebens Das bedeutet: Je ausgeprägter das Kohärenzgefühl ist, desto stärker kann der Mensch auf seine Lebensqualität Einfluss nehmen. Damit steigt die Wahrscheinlichkeit, dass Belastungssituationen und ungünstige Lebensumstände bewältigt werden können und so die Gesundheit nicht beeinträchtigt wird. 1.2 Gesundheit und Lebensqualität Die regierungsrätliche Gesamtpolitik 2000 2010 des Kantons Zug (vgl. 2.1) hält fest: «Oberstes Ziel ist die nachhaltige Förderung der Lebensqualität für alle Bevölkerungsschichten in wirtschaftlicher, sozialer und ökologischer Sicht.» (www.zug.ch/behoerden) Die Politik will damit die Rahmenbedingungen so gestalten, dass sie eine hohe Lebensqualität ermöglichen. Dies ersetzt in keiner Weise das persönliche Engagement jeder und jedes Einzelnen. Erwünscht ist, der Lebensqualität in der Gesellschaft eine höhere Priorität einzuräumen. Gesundheitsförderung kann mit ihren Ansätzen und Strategien einen Beitrag dazu leisten. Lebensqualität schliesst Umgebungsfaktoren und Verhältnisse für das Wohlbefinden mit ein, während Gesundheit vielfach auf das individuelle Verhalten des einzelnen Menschen und auf die Abwesenheit von Krankheit reduziert wird. Lebensqualität beinhaltet ein umfassendes Verständnis von persönlichem Wohlbefinden und damit auch von Gesundheit (www.lebensqualitaet.ch). Die Stiftung Gesundheitsförderung Schweiz geht von einem 11

integralen Konzept von Lebensqualität aus. Lebensqualität bezieht sich auf den gesamten Alltag des Menschen, nicht nur auf seine Gesundheit. Lebensqualität umfasst die Identität und das individuelle Befinden (engl. being), die Zugehörigkeit und Beziehungen zu anderen Menschen (engl. belonging) und die persönliche Entwicklung (engl. becoming). Tabelle 1: Dimensionen von Lebensqualität Dimension Fragen Ebene Being Wer bin ich? psychisch (Identität und Befinden) Was bin ich? physisch Wie geht es mir? geistig Belonging Wohin gehöre ich? Soziales (Zugehörigkeit) Zu wem gehöre ich? Gemeinschaft und Kultur Natürliche Umwelt Becoming Was sind meine Lebensziele? Persönliches Wachstum (Persönliche Entwicklung) Was werde ich sein? Freizeitmöglichkeiten Wie werde ich sein? Arbeit Lebensqualität hat eine objektive und eine subjektive Komponente. Es geht nicht allein um Lebensbedingungen und Teilnahmemöglichkeiten, sondern auch darum, wie Menschen dies subjektiv einschätzen. Lebensqualität kann in ganz verschiedenen Bereichen zum Tragen kommen: Essen und Trinken, Freizeit und Sport, Geist und Seele, Körperpflege und Kleidung, Kommunikation und Beziehungen, Kunst und Kultur, Mobilität und Arbeit, Sicherheit und Finanzen, Vitalfunktionen, Wohnen und Umwelt (www.stiftunglebensqualitaet.de). Lebensqualität stellt den Gesundheitsbegriff in einen grösseren Zusammenhang und trägt dazu bei, einen umfassenden Ansatz von Gesundheitsförderung und Prävention zu entwickeln. 1.3 Grundlagen der Gesundheitsförderung 1.3.1 Entwicklung der Gesundheitsförderung Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat sich massgeblich für die Entwicklung der Gesundheitsförderung engagiert. Verschiedene internationale Konferenzen markieren die Eckpunkte der Entwicklung: Tabelle 2: WHO-Konferenzen und ihre Forderungen (aus Baric & Conrad, 1999, S. 14) Konferenzen WHO Forderungen und Schwerpunkte Alma Ata 1978 Gesundheit Grundrechte des Menschen Chancenungleichheiten Gesundheit für alle Gesundheitsbildung/Erziehung Gesundheitsförderung 12

Konferenzen WHO Forderungen und Schwerpunkte Ottawa 1986 Gesundheitsproblem-orientiert Setting-orientiert Befähigen, vermitteln, gesundheitliche Interessen vertreten Gesundheitsförderung durch Organisationsentwicklung Rechenschaftspflichtigkeit Adelaide 1988 Gesundheitsversorgungspolitik Gesundheitsfördernde Gesamtpolitik Sundsvall 1991 Neue öffentliche Gesundheit (New Public Health) unterstützende Umwelten für Gesundheit Ökologie Jakarta 1997 Soziale Verantwortung für Gesundheit Investition in die Gesundheitsentwicklung Partnerschaften für Gesundheit gesellschaftliche Ressourcen nutzen Infrastruktur für Gesundheitsförderung aufbauen Für die Gesundheitsförderung war die Konferenz von Ottawa (1986) entscheidend. Die Ottawa-Charta gilt als das Grundlagenpapier der Gesundheitsförderung. 1.3.2 Definition Gesundheitsförderung In der Gesundheitsförderung steht die Frage im Vordergrund: Was macht oder erhält Menschen gesund (salutogenetische Perspektive, vgl. 1.3.3)? Entsprechend geht die Ottawa-Charta für Gesundheitsförderung in ihrer Definition nicht von der blossen Abwesenheit von Krankheit, sondern von den Gesundheitsressourcen aus: «Gesundheitsförderung zielt auf einen Prozess, allen Menschen ein höheres Mass an Selbstbestimmung über ihre Gesundheit zu ermöglichen und sie damit zur Stärkung ihrer Gesundheit zu befähigen. Um ein umfassendes körperliches, seelisches und soziales Wohlbefinden zu erlangen, ist es notwendig, dass sowohl einzelne als auch Gruppen ihre Bedürfnisse befriedigen, ihre Wünsche und Hoffnungen wahrnehmen und verwirklichen sowie ihre Umwelt meistern bzw. sie verändern können. In diesem Sinne ist die Gesundheit als ein wesentlicher Bestandteil des täglichen Lebens zu verstehen und nicht als vorrangiges Lebensziel. Gesundheit steht für ein positives Konzept, das die Bedeutung sozialer und individueller Ressourcen für die Gesundheit ebenso betont wie die körperlichen Fähigkeiten. Die Verantwortung für Gesundheitsförderung liegt deshalb nicht nur bei dem Gesundheitssektor, sondern bei allen Politikbereichen und zielt über die Entwicklung gesünderer Lebensweisen hinaus auf die Förderung von umfassendem Wohlbefinden.» (Radix, o.j.) Gesundheitsförderung will die vielfältigen Potenziale der Menschen entwickeln, damit sie ihre Gesundheit erhalten und verbessern können. Gesundheitsförderung setzt nicht nur beim Verhalten an, sondern auch bei den Verhältnissen, in denen Menschen leben. Gesundheitsfördernde Massnahmen beschränken sich denn auch nicht nur auf die Öffentliche Gesundheit (vgl. 1.8), sondern beziehen sich auf sämtliche Lebensbereiche. Gesundheitsförderung will alle Verwaltungs- und Politikbereiche beeinflussen: Bildung, Volkswirtschaft, Finanzen, Sicherheit, Soziales, Raum-, Siedlungs- und Verkehrsplanung usw. (vgl. 3.3.3). 13

1.3.3 Die salutogenetische Perspektive Salutogenese stellt nach ihrem Begründer Aaron Antonovsky die Frage: Wie entsteht Gesundheit und wie kann sie erhalten werden? (Salutogenese: salus, lat. = Gesundheit; genesis, griech. = Entstehung). Damit steht sie im Gegensatz zur pathogenetischen Sichtweise der Medizin, die fragt, wie Krankheiten entstehen und wie sie geheilt werden können (BZgA, 1999; vgl. auch Wydler et al., 2000). Ein bestimmter Gesundheitszustand ergibt sich aus dem Zusammenspiel zwischen belastenden und entlastenden bzw. schützenden Faktoren im Menschen und seiner Umwelt. Die Balance zwischen den unterschiedlich stabilen und zeitlich veränderbaren Risiko- und Schutzfaktoren bestimmt das jeweilige Gesundheitsniveau.Von zentraler Bedeutung ist also, unter welchen persönlichen Voraussetzungen und unter welchen sozialen und ökologischen Rahmenbedingungen die Menschen ihre Gesundheit bewahren können. Wichtig sind die sogenannten Widerstandsressourcen. Damit sind alle Fähigkeiten von Menschen gemeint, mit Spannungen und Belastungen zurechtzukommen. Diese Bewältigungskompetenzen verhindern, dass Belastungen das Wohlbefinden stark vermindern oder zu Krankheiten führen. Unter anderem sind folgende Ressourcen wichtig: Immunpotenzial des Körpers Aktives Vermeiden von Stressoren Flexibilität, sich an Lebensbedingungen anzupassen Intelligenz, Lebensbedingungen zu verändern Materielle Ressourcen Soziale Unterstützung und soziale Integration Aktive Teilnahme an Entscheidungsprozessen Sinnfälligkeit des eigenen Handelns 1.3.4 Gesundheit 21 Im europäischen Regionen-Programm der Weltgesundheitsorganisation WHO Gesundheit für alle bis zum Jahr 2000 bekam die Gesundheitsförderung bereits zu Beginn der 80er Jahre einen eigenständigen Platz. 1998 formulierte das WHO-Regionalbüro Europa insgesamt 21 Ziele zu den Bereichen Gesundheit von der Geburt bis zum Tod, zu Solidarität und Chancengleichheit, Suchtprävention und Gesundheitsförderung sowie Umwelt und Gesundheitssektor. Die 21 Ziele sollten europaweit bis zum Jahr 2020 erreicht werden (vgl. dazu Anhang VI, S. 25-27). Unter der Federführung der Schweizerischen Gesellschaft für Prävention und Gesundheitswesen (SGPG) und mit Unterstützung des Bundesamtes für Gesundheit und des Projektes Nationale Gesundheitspolitik Schweiz wurden die europäischen Vorgaben für die Schweiz adaptiert (SGPG, 2002). Diese Gesundheitsziele sind für Verantwortliche bei Bund und Kantonen, aber auch für Fachleute und spezialisierte Institutionen ein Orientierungsrahmen. 1.3.5 Gesundheitsförderung und gesundheitsförderliche Aktivitäten Gesundheitsförderung, wie sie in diesem Kapitel definiert ist und in den folgenden konkretisiert wird, ist ein umfassender Anspruch, der nur in längerfristig angelegten Projekten eingelöst werden kann. Die Forderung, auf verschiedenen Handlungsebenen aktiv zu werden (vgl. 1.5), kann bei kurzfristigen und kleineren Aktivitäten nicht eingelöst werden. Im vorliegenden Konzept wird deshalb unterschieden zwischen 14

Gesundheitsförderung (im eigentlichen Sinne) und gesundheitsförderlichen Aktivitäten. Diese umfassen alle Aktivitäten von Menschen, die der Gesundheit nützen. Das beginnt mit der allmorgendlichen Körperpflege und endet vor dem Einschlafen zum Beispiel mit einer entspannenden Musik. Grössere Projekte enthalten immer auch eine breite Palette von gesundheitsförderlichen Aktivitäten, die in ihrer Gesamtheit als Gesundheitsförderung bezeichnet werden können. Der Unterschied besteht darin, dass Gesundheitsförderungsprojekte zielorientiert vorgehen, während bei gesundheitsförderlichen Aktivitäten die Bedürfnisse der Einzelnen im Vordergrund stehen. 1.4 Grundprinzipien der Gesundheitsförderung 1.4.1 Empowerment Gemäss Ottawa-Charta zielt die Gesundheitsförderung «auf einen Prozess, allen Menschen ein höheres Mass an Selbstbestimmung über ihre Gesundheit zu ermöglichen und sie damit zur Stärkung ihrer Gesundheit zu befähigen.» (Radix, o. J.) Empowerment kann mit Autonomie, Selbstbestimmung oder auch mit Einflussnahme auf die Lebensbedingungen umschrieben werden. Empowerment setzt bei den Lebensbedingungen und den Ressourcen von Einzelnen und Gruppen an und zielt darauf ab, die Stärken und Fähigkeiten von Menschen auch (und gerade) in schwierigen Situationen zu entdecken und zu entwickeln. Damit ist es Menschen (wieder) möglich, ihr weiteres Leben und ihre soziale Umwelt zu bestimmen und zu gestalten. In diesem Sinne kann Empowerment begriffen werden als ein Prozess der Selbst-Bemächtigung und der Selbst-Aneignung von Lebenskräften (Herriger, 1997). Das Ziel der Gesundheitsförderung ist, den Menschen das Rüstzeug für ein eigenverantwortliches Leben zur Verfügung zu stellen. Es kann nicht darum gehen, den Menschen den richtigen Weg zu zeigen. Gesundheitsförderung will vielmehr ermöglichen, dass Personen und Gruppen ihre persönlichen, organisatorischen oder gemeinschaftlichen Ressourcen erkennen können. Damit gewinnen sie grössere Kontrolle über ihr eigenes Leben und damit über ihre Gesundheit. Empowerment hat weitreichende Konsequenzen. Hierarchische Ansätze der Hilfe und Fürsorge werden ersetzt durch die Betonung der vorhandenen Stärken und Ressourcen sowie durch die Betonung der Rechte der Hilfe- und Ratsuchenden (BZgA, 1999). Professionelle Helferinnen und Helfer müssen lernen, sich stärker als bisher um die Entwicklung von guten Rahmenbedingungen zu kümmern. Eine spezielle Form des Empowerments ist die Gründung und Unterstützung von Selbsthilfegruppen. Das sind «Zusammenschlüsse von Menschen mit dem Ziel, sich und anderen im Falle gesundheitlicher oder sozialer Probleme zu helfen, beziehungsweise gemeinsam auf eine Verringerung sozialer oder gesundheitlicher Gefährdungen oder Defizite hinzuwirken.» (Weitkunat et al., 1997, S. 179) 1.4.2 Partizipation Partizipation bedeutet die Möglichkeit, mitzubestimmen und mitzuentscheiden, zum Beispiel durch institutionalisierte Entscheidungsmacht, partnerschaftliche Kooperation oder auch durch Information. Für Partizipation sind drei Aspekte wesentlich: Menschen müssen die Möglichkeit haben,vorstellungen und Visionen über ihr eigenes Leben und über ihre soziale Umwelt zu entwickeln. 15

Partizipation bedeutet Einmischung (im positiven Sinne). Das bedeutet aktive Mitgestaltung bei Planungen und Zielen. Partizipation kann schliesslich auch als Einbezug von Expertinnen und Experten,Verwaltung sowie von Politikerinnen und Politikern aufgefasst werden. 1.4.3 Chancengleichheit Unter dem Begriff soziale Ungleichheit sind jene Unterschiede zwischen Personen zu verstehen, die sich aus ihrer sozialen Position und den damit verbundenen Vor- und Nachteilen ergeben (Hurrelmann & Laaser, 1998). Wichtig sind dabei Unterschiede nach Ausbildung, Beruf und Einkommen, wobei zwischen diesen Faktoren enge Zusammenhänge bestehen: Eine bessere Ausbildung bedeutet oft auch bessere Berufschancen und/oder höheres Einkommen. Zudem wurde verschiedentlich nachgewiesen, dass Erwachsene mit geringerer Schulbildung kränker sind als Erwachsene mit höherer Schulbildung. Einkommen und Gesundheitszustand beeinflussen sich gegenseitig. Ein schlechter Gesundheitszustand kann bedeuten, in die Armut abzugleiten. Umgekehrt wirkt sich ein (zu) tiefes Einkommen negativ auf die Gesundheit der Betroffenen aus. Empirische Studien deuten darauf hin, dass Vorsorge- und Früherkennungsangebote sowie zahnmedizinische Versorgung von Personen mit tiefem sozioökonomischem Status weniger in Anspruch genommen werden. Diese Hinweise lassen vermuten, dass sich Unterschiede im Gesundheitszustand von Angehörigen verschiedener sozialer Schichten nicht nur aus unterschiedlicher Lebenslage und Verhaltensweise ergeben, sondern auch dadurch, dass Benachteiligte die Angebote der Krankheitsversorgung weniger nutzen. Einige Schweizer Zahlen bezüglich sozialer Ungleichheit und Gesundheit sind im Kapitel 3.2.1 zu finden. Zusätzlich zu den klassischen Faktoren von sozialer Ungleichheit (Ausbildung, Beruf, Einkommen) wurden in den letzten Jahren weitere für die Gesundheit relevante Faktoren erkannt wie z.b. Geschlecht, Alter und Ethnie. Der Aspekt der Chancengleichheit ist bei allen Aktivitäten der Gesundheitsförderung und Prävention zu beachten. Als Grundsatz soll gelten, dass alle Bevölkerungsgruppen Zugang zu Aktivitäten und Projekten haben. 1.5 Handlungsebenen der Gesundheitsförderung Gesundheitsförderung reicht in viele Bereiche des sozialen Lebens und in viele Sektoren hinein. Gesundheitsförderung ist eine Strategie, die Weiterentwicklung von Organisationen und Gruppen ebenso umfasst wie die Entwicklung persönlicher Kompetenzen. In diesem Sinne müssen wirksame Aktivitäten auf möglichst vielen Ebenen ansetzen: Nur mit Einbezug der Individuen gelingen Projekte. Nur mit Einbezug der sozialen Lebenswelt sind Projekte erfolgreich. Nur mit politischer Abstützung sind Kampagnen und Aktionen wirkungsvoll. Die Ottawa-Charta der WHO (1986) beschreibt fünf Handlungsebenen der Gesundheitsförderung (ergänzende Ausführungen nach Grossmann & Scala, 1994). 16

1.5.1 Persönliche Kompetenzen Gesundheitsverhalten ist von Lebensstilen geprägt, die mit ganz unterschiedlichen Ressourcen und Risiken für die Gesundheit verbunden sind. Der Lebensstil zeigt sich im täglichen Leben: Wohnen, Arbeitsund Freizeitverhalten, Konsumgewohnheiten, Kleidung und Medienkonsum, Kommunikationsstil, Erziehungspraktiken, politisches Handeln, Umgang mit Emotionen, Lebenskrisen, Krankheit und Tod. Zwei wesentliche Instrumente, um die persönlichen Kompetenzen zu entwickeln, sind Information und Bildung. Menschen, die Risikofaktoren und Gesundheitsressourcen kennen und mit Belastungen, Krankheiten und Veränderungsprozessen umgehen können, sind gesünder als solche, die dies nicht können. Körperliche Ressourcen sind ebenso gemeint wie die Förderung von Fitness und Abwehrkräften oder die Sensibilisierung für den eigenen Körper. Auch psychische Ressourcen können entwickelt und aktiviert werden, so z. B. Kompetenzen, um Probleme und Belastungen zu bewältigen, oder die Stärkung des Selbstvertrauens. Staatliche Stellen, Privatwirtschaft und gemeinnützige Organisationen, aber auch Bildungs- und Gesundheitsinstitutionen sind aufgefordert, Information und Bildung weiterzugeben. Beispiel Stress Stresssituationen belasten nicht jeden Menschen gleichermassen. Die einen Menschen bleiben in einer Situation ruhig, während andere diese als grosse Belastung empfinden. Wie belastend eine Situation ist, hängt von der Einschätzung der Situation und vom Umgang mit Stress ab. Die körperlichen, psychischen und auch sozialen Ressourcen eines Menschen bilden dabei gleichsam das Grundgerüst für seinen Umgang mit Stresssituationen. Wer seine individuellen Ressourcen kennt, der kennt auch sein Repertoire zur Stressbewältigung und damit ist die Grundlage gegeben für ein Leben mit weniger Stress und grösserem Wohlbefinden. 1.5.2 Gesundheitsbezogene Gemeinschaftsaktionen Ein bedeutender Teil des menschlichen Lebens spielt sich in Gemeinschaften wie Familie, Nachbarschaft oder Vereinen ab. Die sozialen Beziehungen und die spezifischen Bedingungen dieser Gemeinschaften beeinflussen die Gesundheit massgeblich. Gemeinschaftsaktionen werden in der Regel von den Gemeinschaften selbst initiiert. Selbsthilfeaktionen und -gruppen, Bürgerinnen- und Bürgerinitiativen sind mögliche Beispiele. Auch wenn solche Aktivitäten auf Eigeninitiative und Eigenverantwortung basieren, sollen sie wo nötig und sinnvoll unterstützt werden. Wichtig ist, dass der Zugang zu den notwendigen Informationen und zu Bildung gewährleistet ist. Weitere Formen sind Unterstützung mit Ressourcen (Geld, Räumlichkeiten, Arbeitskraft) oder Mitbestimmungsrechte. Im Zusammenhang mit der Unterstützung von gesundheitsbezogenen Gemeinschaftsaktionen ist der Begriff der Sozialen Ressourcen (engl. social capital ) von Interesse. In der Erklärung der 4. Internationalen Konferenz zur Gesundheitsförderung in Jakarta (1997) taucht er erstmals in einer offiziellen WHO- Verlautbarung auf. Der Begriff umschreibt die Qualität von Gemeinschaften durch: Grad des gegenseitigen Vertrauens Bereitschaft zur gegenseitigen Hilfe Stärke des Zusammengehörigkeitsgefühls Funktionierende Gemeinschaften (Quartiervereine, Sportvereine, Gesangsvereine, Interessengemeinschaften, Selbsthilfegruppen, Parteien etc.). 17

In mehreren Untersuchungen konnte die Bedeutung von sozialen Ressourcen für die Gesundheit nachgewiesen werden. Dies ist insofern nicht überraschend, als die Bedeutung sozialer Kontakte für die Gesundheit längst bekannt ist. Gesundheitsbezogene Gemeinschaftsaktionen können mit Netzwerken gefördert werden. Darunter ist ein Zusammenschluss von Individuen, Organisationen oder Einrichtungen zu verstehen, die sich auf einer nicht hierarchischen Basis um gemeinsame Themen bemühen. Netzwerke ermöglichen gegenseitiges Lernen und den Erfahrungsaustausch unter Akteurinnen und Akteuren, die in einer ähnlichen oder der gleichen Situation stehen. Diese Strategie gilt gerade in Gesundheitsförderung und Prävention als sehr effizient und erfolgreich. Funktionierende Netzwerke können die Überzeugung stärken, dass Probleme grundsätzlich lösbar oder zumindest beeinflussbar sind und dass das eigene Leben gestaltbar ist (vgl. 1.1.4). Beispiel soziale Ressourcen Mitte der 90er Jahre wurde in den USA eine Untersuchung durchgeführt, in der es um das Verhältnis zwischen sozialen Ressourcen und dem Gesundheitszustand der Bevölkerung ging. Als erster Indikator für die Messung sozialer Ressourcen wurde die Mitgliedschaft in Vereinen gewählt. Weiter wurde den Leuten die Frage gestellt, ob sie den meisten anderen Menschen trauten oder nicht. Die Antwort auf die Frage: «Glauben Sie, dass die meisten Menschen den anderen helfen, oder dass alle nur für sich schauen?», wurde als dritter Indikator genommen. Die Resultate von 39 US-Staaten wurden verglichen. Die Unterschiede zwischen den Staaten waren beträchtlich, und es zeigte sich ein starker Zusammenhang zwischen dem Vorhandensein von sozialen Ressourcen und dem Gesundheitszustand der Bevölkerung. So vermochten etwa Unterschiede bezüglich des Vertrauens in andere Menschen über die Hälfte des Unterschieds in der Mortalitätsrate zu erklären. Tiefere Vertrauenswerte bedeuteten mehr Herz-Kreislauf-Krankheiten, mehr Schlaganfälle und höhere Kindersterblichkeit. Mehr soziale Ressourcen gingen auch mit einer tieferen Rate von Gewaltverbrechen einher (ISPMZ, 2002). 1.5.3 Gesundheitsfördernde Lebenswelten (Settings) Lebenswelt (englisch Setting ) ist ein soziales System, in dem Menschen leben, lernen oder arbeiten. Innerhalb dieses Systems gibt es viele Einflüsse, die auf Menschen einwirken (BZgA, 1999). Diese Einflüsse sind wichtig für Gesundheit und Krankheit. Die Gesundheitsförderung geht von der Annahme aus, dass diese Einflüsse innerhalb der Lebenswelten günstig beeinflusst werden können. Gesundheitsprobleme einer Bevölkerungsgruppe sind das Resultat einer wechselseitigen Beziehung zwischen natürlicher, ökonomischer und sozialer Umwelt und persönlicher Lebensweise. Interventionen wirken besonders gut, wenn sie sich an Personengruppen in ihrer jeweiligen Lebenswelt richten und nicht nur an einzelne Menschen und ihr individuelles Gesundheits- und Risikoverhalten. Lebens-, Arbeits- und Lernbedingungen beeinflussen die Gesundheit. Damit Arbeit, aber auch das Zusammenleben und die Freizeitgestaltung nicht zu einer Quelle der Krankheit werden, sondern die Gesundheit günstig beeinflussen, braucht es sichere, anregende, befriedigende und angenehme Arbeits- und Lebensbedingungen. Bekannte Lebenswelten (Settings) der Gesundheitsförderung sind Schulen, Gemeinwesen und Betriebe. In der konkreten Umsetzung muss der Lebenswelten-Ansatz weiter präzisiert werden. Ein Gemeinwesen, eine Schule oder ein Betrieb bieten zunächst nur einen groben Rahmen. Vor Ort muss entschieden werden, 18

welche Zielgruppen innerhalb einer Lebenswelt angesprochen und welche Institutionen und Funktionsträgerinnen und -träger einbezogen werden müssen. Bezieht man wichtige Partnerinnen und Partner nicht ein oder gelingt es nicht, verbindliche Kooperationsstrukturen festzulegen, kann dies zu einem Misserfolg führen (Grossmann & Scala, 1994). Der Lebenswelten-Ansatz steht nicht in Konkurrenz zur Themen- oder Problemorientierung. Die Kombination beider Perspektiven bringt unter Einbezug der Zielgruppen, Akteurinnen und Akteure den Erfolg (vgl. 1.4.2 und 5.2). Beispiel Gesundheitszirkel im Betrieb In einem Pilotprojekt des Instituts für Sozial- und Präventivmedizin der Universität Zürich wurde in zwei Schweizer Grossbetrieben die in Japan, den USA und Deutschland erfolgreich eingeführte Methode der Gesundheitszirkel zum ersten Mal in der Schweiz erprobt. Diesen Gesundheitszirkeln gehörten Vertreterinnen und Vertreter verschiedener Hierarchiestufen und Funktionen an. Ausgehend von den gesundheitlichen Belastungen und Problemen der Mitglieder, wurden Verbesserungsvorschlägen ausgearbeitet und umgesetzt, z. B. ein Merkblatt zum gesunden Heben/Tragen, Einführen von Ressort-Sitzungen, Stresskurse für den Lehrabschluss, Gesundheitstag in den Einführungswochen für Lehrlinge, bauliche Verbesserungen (Klimaanlage, Pausenräume), Verbesserung der Diensteinteilungen. In einer zweiten Phase wurden betriebseigene Moderatoren für die Leitung von weiteren Gesundheitszirkeln ausgebildet (Pfister & Mom, 1997). 1.5.4 Gesundheitsfördernde Institutionen Das System der Krankheitsversorgung ist stark auf medizinisch-kurative Betreuungsleistungen ausgerichtet. Das System besitzt aber auch ein grosses Potenzial, Gesundungsprozesse zu unterstützen. Das heisst, dass Akteurinnen und Akteure dieses Systems (Ärzteschaft, Vertreterinnen und Vertreter aller Gesundheitsberufe) in Gesundheitsförderungsprojekte einzubeziehen sind. Gleichzeitig ergibt sich daraus der Anspruch, neue Methoden und Angebote zum Umgang mit Krankheit zu erarbeiten oder Spitäler und andere medizinische Einrichtungen so zu organisieren, dass eigentliche Gesundheitszentren entstehen (Grossmann & Scala, 1994). Gesundheitsförderung stellt die Ressourcen und Möglichkeiten von Einzelnen oder Gruppen ins Zentrum. Dies wird noch zu oft eingeschränkt durch die Fokussierung auf ein Problem, das möglichst schnell gelöst werden muss. Es gilt ein Versorgungssystem zu entwickeln, das sich stärker um die Förderung der Gesundheit bemüht. Das Ziel dabei ist ein Wandel der Einstellungen und der Organisationsformen. Die primäre Ausrichtung auf Probleme muss durch eine wesentlich breitere Wahrnehmung und durch die Orientierung an den umfassenden Bedürfnissen des Menschen ergänzt werden. Angesprochen sind nicht nur Gesundheitsdienste und medizinische Einrichtungen im engeren Sinne, sondern alle Dienste, Stellen und Personen, die sich um das Wohlergehen der Menschen kümmern: Sozialdienste, Beratungsstellen, Selbsthilfeorganisationen, Sportvereine usw. Alle Dienste, Organisationen und Fachleute sind aufgefordert, die Bedürfnisse und Wünsche ihrer Klientinnen und Klienten nach einem gesünderen Leben aufzugreifen und zu unterstützen. Es braucht eine verbesserte Koordination zwischen dem Gesundheitssektor und anderen gesundheitsrelevanten sozialen, politischen und ökonomischen Kräften. Die Zusammenarbeit unterschiedlichster Disziplinen (Sozialarbeit, Psychologie, Pädagogik, Medizin usw.) ist zu verstärken. 19

Die Grundlagen und Inhalte der Gesundheitsförderung sollen in der beruflichen Aus- und Weiterbildung möglichst breit Eingang finden. Für Fachleute sollten vielfältige Weiterbildungsangebote zur Gesundheitsförderung zur Verfügung stehen, von längeren Veranstaltungen über kurze einführende Seminare bis hin zu eigentlichen Lehrgängen, wie sie heute an verschiedenen Fachhochschulen und Universitäten angeboten werden. 1.5.5 Gesundheitsfördernde Gesamtpolitik Gesundheit ist nicht nur ein Anliegen der medizinischen und sozialen Versorgung. Sie ist auf allen Ebenen und in allen Politikbereichen ein zentrales Anliegen. Es braucht eine gesundheitsfördernde Gesamtpolitik, die über den Rahmen der Krankheitsversorgung hinausgeht. Politische Entscheidungen können sich auch dann auf die Öffentliche Gesundheit (Public Health, vgl. 1.8) auswirken, wenn sie nicht im engeren Sinne Gesundheitsthemen betreffen. Dieser Zusammenhang wird in folgender Abbildung deutlich: Abbildung 3: Gesundheitsfördernde Gesamtpolitik Gesundheitsfördernde Gesamtpolitik Volkswirtschaft Finanzen Bildung Kultur Soziales Sicherheit Umwelt Öffentliche Gesundheit (Public Health) Politikerinnen und Politiker müssen sich ihrer Verantwortung für die Gesundheit der Bevölkerung bewusst sein und bei politischen Entscheidungen die gesundheitlichen Konsequenzen berücksichtigen. Idealerweise sind alle Beschlüsse auf ihre Gesundheitsverträglichkeit hin zu überprüfen. Ein koordiniertes Handeln über sämtliche Bereiche der Politik hinweg ist ein hoher Anspruch. Noch zu oft stehen Einzelinteressen und kurzfristiges (Profit-)Denken im Vordergrund und verhindern den Blick auf das gesamte System mit allen Einflüssen. Sozial-, Umwelt-, Finanz-, Bildungs- und Gesundheitspolitik sollten zu einer Gesamtpolitik vereint werden, die sich für das Wohlergehen und die Lebensqualität aller Menschen einsetzt. Dazu ist eine intersektoriale Kooperation notwendig. Es müssen Strukturen und Verfahren geschaffen werden, damit diese Koordinationsaufgabe wahrgenommen werden kann. Eine gesundheitsfördernde Gesamtpolitik beruht auf verschiedenen, sich gegenseitig ergänzenden Massnahmen. Dies können z. B. steuerliche Anpassungen, Gesetzesrevisionen oder auch umfassende strukturelle Veränderungen sein. 1.6 Prävention und Gesundheitsschutz Prävention setzt bei spezifischen Krankheiten und Störungen an. Für die Präventionsarbeit sind Risikofaktoren wichtig. Sind diese vorhanden, ist die Wahrscheinlichkeit erhöht, an einer Krankheit oder Störung zu leiden. So ist der Tabakkonsum bekannt als Risikofaktor für Lungenkrebs und weitere gravierende Krankheiten.Verschiedene Risikofaktoren können zusammenspielen und damit die Wahrscheinlichkeit für eine Krankheit erhöhen. So ist das Risiko für Thrombosen (Gefässverschlüsse) bei Frauen deutlich er- 20

höht, die mit der Pille verhüten und zugleich regelmässig rauchen. Es wird unterschieden zwischen verhaltens- und persönlichkeitsbezogenen sowie verhältnisbezogenen Risikofaktoren (BZgA, 1999). Beispiele für letztere sind Asbest oder das Passivrauchen. Beides kann wie der Tabakkonsum zu Lungenkrebs führen. In neuerer Zeit wird vermehrt auch von psychosozialen Risikosituationen gesprochen wie z. B. chronische Arbeitsüberlastung oder familiäre Schwierigkeiten. Daneben gibt es persönliche Risikodispositionen, z. B. belastende Lebensaltersübergänge wie Erwachsenwerden oder Pensionierung. 1.6.1 Primär- und Sekundärprävention Prävention möchte einer Erkrankung oder einem unerwünschten Verhalten im wahrsten Sinne des Wortes zuvorkommen (lat. praevenire). In diesem Falle spricht man von Primärprävention. So versucht (primäre) Suchtprävention z. B. durch Informationen über die schädigende Wirkung von Drogen Personen zu motivieren, auch weiterhin ohne diese zu leben. Sekundärprävention setzt bei Individuen an, welche die Störung oder das (unerwünschte) Verhalten bereits zeigen. Am Anfang steht die Früherkennung: Personen im Umkreis der betroffenen Person nehmen die Störung oder das Verhalten wahr und versuchen nach Möglichkeit, darauf einzuwirken. Ist dies nicht erfolgreich, können Fachstellen oder -personen im Sinne einer Früherfassung Genaueres abklären und die betroffene Person für eine Behandlung oder Betreuung motivieren. Tabelle 3: Arten der Prävention Primärprävention Sekundärprävention Früherkennung Früherfassung Behandlung oder Betreuung 1.6.2 Individuelle und strukturelle Prävention Die Themen der Prävention sind so vielfältig wie die bestehenden Probleme oder unerwünschten Verhaltensweisen. Die bekanntesten Gebiete der Prävention sind Suchtprävention, Aids-Prävention, medizinische Prävention und Unfallverhütung. Gutzwiller & Jeanneret (1996) unterscheiden zwischen individueller und struktureller Prävention. Individuelle Prävention wirkt einerseits durch Information und Aufklärung, andererseits durch Stärkung der Persönlichkeit. Individuelle Prävention bezieht die Massenmedien zum Beispiel in Form von Kampagnen ein. Strukturelle Prävention setzt bei den Verhältnissen an, und zwar auf physischer und sozialer Ebene. Massnahmen können auf den sozialen Nahraum eines Individuums oder einer Gruppe bezogen sein, oder sich auf globalere Bereiche der Gesellschaft beziehen (z. B. Jugend-, Familien- oder Sozialpolitik). Strukturelle und individuelle Prävention bedingen sich gegenseitig. Prävention muss Ansatzpunkte auf beiden Ebenen suchen. 21