EURODIACONIA. Diakonie und die Kirchen

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Transkript:

EURODIACONIA SEIN UND HANDELN Diakonie und die Kirchen

SEIN UND HANDELN Diakonie und die Kirchen Bericht der Theologischen Arbeitsgruppe von Eurodiaconia: Marco Jourdan Lennart Molin Herman Noordegraaf Karl Dieterich Pfisterer Ninni Smedberg Dominic Verhoeven Übersetzung:Rüdiger Noll Brüssel 2005 2

Sein und Handeln. Diakonie und die Kirchen Bericht der Theologischen Arbeitsgruppe von Eurodiaconia: Übersetzung aus dem Englischen: Rüdiger Noll Eurodiaconia, Brüssel 2005 Eurodiaconia Rue Joseph II 166 B-1000 Brussels t: +32 2 2343860, f: + 32 2 2343865 e: office@eurodiaconia.org www.eurodiaconia.org 3

Inhaltsverzeichnis Einleitung 5 1. Theologische Perspektiven und Reflexionen 7 1.1. Gottes Schöpfung 7 1.2. Jesus Christus 9 Fallstudie I: Versöhnung und Friedensengagement (Caritas Internationalis) 11 1.3. Der Heilige Geist 12 2. Eklesiologie und Positionen zur Diakonie in den Kirchen 14 Kirche und Diakonie einige Reflexionen 14 Fallstudie II: Arbeit mit der neuen Kirchenordnung (Församlingsinstruktion) in Schweden 16 3. Zugänge zur Gesellschaft 19 3.1. Spätmoderne und Globalisierung 19 3.2. Europa 20 3.3. Wohlfahrtsstaaten und Diakonie Einige Überlegungen 24 3.4. Zivilgesellschaft 25 Fallstudie III: Pflege älterer Menschen in der Slowakei 25 Fallstudie IV: Die österreichische Diakonie als Mitorganisatorin der Armutskonferenz 27 4. Akteure der Diakonie 28 Akteure der Diakonie Einige Bemerkungen 28 Fallstudie V: Der Diakonat und der Diakon in der Niederländischen Reformierten Kirche 33 Fallstudie VI: Der Diakonat in der Waldenserkirche 35 Fallstudie VII: Diakonie in der Römisch-Katholischen Kirche die Diözese Antwerpen 38 Fallstudie VIII: Die Flutkatastrophe in der Tschechischen Republik und die Antwort der Diakonie der EKBB 39 5. Verschiedene ethische Prinzipien für das diakonische Handeln 41 Prinzipien für das diakonische Handeln eine ethische Grundlage 42 Fallstudie IX: Der eine Leib (Menschen mit Behinderungen Schweden) 44 Fallstudie X: Die Kirchen und die arme Seite der Niederlande 46 Fallstudie XI: Das Porträt einer Flüchtlingsfrau in Rumänien 48 6. Der Beitrag der Kirchen: Fragestellungen, Aktivitäten und Ressourcen 50 6.1. Die Problembereiche 50 6.2. Handlungsformen 51 6.3. Ressourcen 52 Fallstudie XII: Drogen- und Alkoholabhängige: das Sanna Programm für abhängige Frauen (Schweden) 53 Fallstudie XIII: Straßenkinder (Russland) 54 7. Abschließende Herausforderungen 57 Anhang 1 Benutzte Berichte und Erklärungen 61 Anhang 2 Teilnehmende der Konsultation in Prag, 2003 62 4

Einleitung Wenn dieser Bericht Recht hat, dann geht es in der Diakonie zuerst um das Sein. Die Diakonie gehört zum Wesen, zur Essenz der Kirche. Es geht um das Sein vor allem Tun. Die Kirche antwortet auf den Ruf der sie umgebenden Welt und die Grundbedürfnisse, indem sie ihre Verantwortung im diakonischen Handeln wahrnimmt. Das Handeln und Tun ist kontextuell bedingt und manifestiert sich zu jeder Zeit und in jeder Situation neu. Das bedeutet für uns, dass die Diakonie nur als ein Teil der Kirche verstanden und in konkreten Zusammenhängen entwickelt werden kann. Das ist es, was dieser Bericht darlegen will. Es gibt einen gemeinsamen Grund, auch wenn sich das Handeln in wenigstens hundert verschiedenen Formen ausdrückt. Und das ist gut so. Dieser Bericht ist ein Arbeitsergebnis einer von Eurodiakonia eingerichteten Arbeitsgruppe für Theologie und Sozialethik. Die Gruppe begann ihre Arbeit Anfang 2002 und hatte die Zielvorgabe, eine Reflexion zur Diakonie unter besonderer Berücksichtigung der Lebenszusammenhänge, in denen die Mitglieder von Eurodiakonia leben und Diakonie betreiben, anzubieten. Wir stellten uns die Frage: wie können wir eine tiefergehende Reflexion zur Diakonie anbieten? Welche Voraussetzungen brauchen wir dafür? Welche Methode sollen wir anwenden? Der erste Schritt bestand darin, die Mitglieder von Eurodiakonia zu bitten, Material über ihre Sicht der Diakonie und Beschreibungen ihrer Aktivitäten einzusenden. Als Grundlage dienten uns auch ökumenische Dokumente. Die Liste der eingegangenen Materialien ist im Anhang beigefügt. Das Material enthielt Beschreibungen von diakonischen Projekten, von denen einige als Fallstudien in diesen Bericht aufgenommen worden sind. Dieser Bericht stellt den Versuch dar, auf dieses eingegangene Material einzugehen. Wir hoffen, dass er einen Einblick in die Diakonie und das diakonische Handeln in ganz Europa gewährt. Der Inhalt dieses Berichts besteht aus drei Elementen, die für die Entwicklung von Betrachtungen zur Diakonie wichtig sind: biblische Perspektiven (Kapitel 1), Ekklesiologie (Kapitel 2), Lebenszusammenhänge (Kapitel 3). Danach wenden wir uns in einer mehr spezifischen Weise der Diakonie zu: den in der Diakonie Tätigen und den Akteuren der Diakonie (Kapitel 4), den Prinzipien, die ihr Handeln bestimmen sollten (Kapitel 5) sowie den Themen und den Mitteln, die sie zur Verfügung haben (Kapitel 6). Im letzten Kapitel schließlich wenden wir uns einigen der Herausforderungen zu, die sich aus dem Studium der eingesandten Materialien ergeben (Kapitel 7). Durch den ganzen Bericht hindurch ziehen sich Fallstudien und Zitate aus den Materialien. Aber wir fügen keine Zusammenfassung aller benutzten Materialien an. Der zweite Schritt bestand in zwei Konsultationen. Zur ersten wurden einige wenige Expertinnen und Experten aus dem diakonischen Bereich eingeladen. Die Arbeitsgruppe präsentierte dort einen ersten Entwurf dieses Berichts und bedankt sich bei Prof. Anders Bäckström (Diakonivetenskapliga Institutet, Uppsala), Alexander Belopopsky (ÖRK Mitarbeiter mit einer orthodoxen Perspektive), Dr. Eva-Sibylle Vogel-Mfato (KEK, Genf) und Prof. Theodor Strohm (Diakoniewissenschaftliches Institut, Heidelberg) für ihre Beiträge. Zur zweiten Konsultation war eine größere Gruppe von Expertinnen und Experten eingeladen alle Mitglieder von Eurodiaconia -, die Materialien, Dokumente oder Fallstudien eingesandt hatten. Bei dieser Konsultation war auch die orthodoxe Tradition (durch CCME) sowie die ECG (European Contact Group) vertreten. Eine Liste der Teilnehmerinnen und Teilnehmer findet sich im Anhang. Zusammen mit dieser Gruppe haben wir noch einmal das ganze Material durchgearbeitet und diesen Bericht weiter entwickelt. Wir sind auch dieser Gruppe überaus dankbar. In einem dritten Schritt wurde der Bericht in der Mitgliederversammlung von Eurodiakonia 2004 diskutiert und in der Mitgliederversammlung 2005 angenommen. Der Bericht wird nun 5

unter den Mitgliedern von Eurodiaconia veröffentlicht. Er wird hoffentlich auf allen Ebenen das Nachdenken über unser gemeinsames Verständnis über die Diakonie inspirieren. Mitglieder der Arbeitsgruppe: Marco Jourdan Dr. Lennart Molin Vorstandspräsident der Diakoniekommission der Waldenserkirche in Italien Beigeordneter Generalsekretär des Schwedischen Christenrates mit einer besonderen Verantwortung für dessen Arbeit im Bereich der ökumenischen Diakonie Dr. Hermann Noordegraaf Dozent für Diakonie an der Theologischen Fakultät Leiden für die Protestantische Kirche in den Niederlanden Pfr. Dr. Karl Dietrich Pfister Direktor für theologische, rechtliche, wirtschaftliche und strategische Studien sowie für Öffentlichkeitsarbeit des Diakonischen Werkes der Evangelischen Kirche in Deutschland Dominic Verhoeven geistlicher Berater der flämischen Caritas und Mitglied der Kommission für Sozialpolitik von Caritas Europa Ninni Smedberg Vorsitzende, zuständig für Konzepte und Pläne für die diakonische Arbeit in der Kirche von Schweden, Vizepräsidentin von Eurodiaconia Wir sind froh, dass es möglich war, Caritas Europa durch Dominic Verhoeven an der Arbeitsgruppe zu beteiligen. 6

I. Theologische Perspektiven und Reflexionen Es gibt vielfältige Ansätze und theologische Perspektiven, die für die Diakonie von Bedeutung sind: die Theologie der Schöpfung; die sozialen Gebote und das Exodusmotiv im Alten Testament; die prophetische Kritik; Leben, Tod und Auferstehung Jesu Christi; die Lehre von den letzen Dingen und das Wirken des Heiligen Geistes. Wir denken, dass sich diese Ansätze nicht gegenseitig ausschließen, sondern miteinander verbunden werden müssen. Sie können in einem trinitarischen Ansatz verbunden werden, der die Gemeinschaft von Vater, Sohn und Heiligem Geist betont. Im Folgenden finden die Leser unseren Ansatz. Zudem haben wir eine Fallstudie der Caritas Europa aufgenommen. 1.1. Gottes Schöpfung An allem Anfang steht Gott. Diesen Gott zu kennen, bedeutet nicht allein sein Wesen oder seine Personalität zu kennen. Der Gott der christlichen Bekenntnisse ist der Vater, der Sohn und der Heilige Geist. Mit anderen Worten: der trinitarische Gott steht für die Gemeinschaft und die Liebe. Die Trinität steht hier für eine soziale Beziehung und nicht für ein hierarchisches oder personenbezogenes Verständnis des Begriffs. Das diakonische Verständnis des gemeinschaftlichen Aspekts der Trinität ergibt sich aus einem Verständnis der Trinität als einem internen und externen Teilen der Liebe und der Freiheit. Folglich bedeutet Gott zu kennen, Teil seiner liebenden Gemeinschaft zu sein. Wenn Christinnen und Christen von ihrem Glauben an Gott sprechen, dann muss deutlich sein, dass dieser Glaube seinen Ausgangspunkt eher aus Gottes Erfahrung mit den Menschen als von unserer Erfahrung mit Gott hat. Der Glaube ist daher nach christlicher Tradition als ein Geschenk zu verstehen geschenkt in Gnade und in Liebe. Nach der Schöpfungsgeschichte in Genesis 1 hat Gott die Menschen nach seinem Bilde geschaffen. Die Schaffung der Menschen ist ein Ausfluss der Liebe des dreieinigen Gottes. Durch die Liebe Gottes haben die Menschen eine Würde erhalten, die keinem anderen Teil der Schöpfung zuteil wurde. Den Menschen und keinem anderen Geschöpf ist die Ebenbildlichkeit zuteil geworden. Und ebenso bleibt Gott seiner Liebe zu den Menschen durch die Menschheitsgeschichte hindurch treu. Alle Veränderungen des menschlichen Lebens sind in Gottes Herrschaft aufgehoben. Dabei spielt es keine Rolle, ob sie an Gott glauben oder nicht. Es gibt für die Menschen keinen Ort und keine Lebenssituation, an dem oder in der Gott nicht gegenwärtig wäre. Diese Beziehung zwischen Gott und den Menschen umfasst auch den Tod. Das irdische Leben des Menschen ist endlich. Mit dem Tod tritt er jedoch nicht in ein Reich ein, in dem es Gott nicht gibt. Gott bleibt Gott auch nach dem Tod und sein Versprechen hat Bestand, dass der Mensch auch nach seinem Tod im ewigen Leben in der Liebe Gottes aufgehoben bleibt. Gott, der die ewig gegenwärtige Liebe ist, hat die Menschen in eine gegenseitige Verantwortung gestellt. In ihrem irdischen Leben ist ihnen die Fähigkeit und die Möglichkeit gegeben worden, einander zu lieben und Verantwortung für Gottes Schöpfung zu übernehmen. Gott hat uns Menschen die Rolle zugewiesen, seine Schöpfung zu beschützen, zu bewahren und zu erhalten. Die Menschen sind zu Haushaltern der Schöpfung berufen. Die Schöpfung gehört Gott und wir können keine Besitzansprüche anmelden über das, was Gott gehört. Aber wir sind in die Verantwortung für Gottes Schöpfung gerufen als wäre sie unser eigener und wertvollster Besitz. Für das Verständnis der diakonischen Arbeit bedeutet dies, dass wir Dienerinnen und Diener Gottes sind, die von Gott zur Liebe zu anderen Menschen und für die Bewahrung seiner Schöpfung ausgestattet wurden. Als Dienerinnen und Diener Gottes sind wir selbst von der 7

Liebe Gottes umgeben. Da wir Adressaten dieser Liebe sind, betrachten wir jeden Menschen als in vollem Besitz der Menschenwürde und nicht als Objekt unserer Hilfe und diakonischer Dienste. Jede und jeder, dem diakonische Hilfe zuteil wird, bleibt Subjekt und ein Ziel in sich selbst. Er wird niemals zu einem Objekt und einem Mittel für diakonische Ziele und Absichten. Der Dienst ist ein Ruf und eine Befähigung Gottes für Menschen, aus der Kraft und der Liebe Gottes zu leben. Gott ruft uns auf, diese Liebe und dieses Sorgen auf jede und jeden in der Schöpfung Gottes auszudehnen. In der Beziehung mit Gott zu leben, bedeutet andere anzunehmen und sie zu unterstützen, zu pflegen, auszurüsten und zu ermutigen, ihre eigenen Fähigkeiten zu benutzen und ihre Kraft in den Dienst und das Leben einzubringen. Wir erleben jedoch um uns herum, dass Gottes Schöpfung nicht angemessen bewahrt wird. Unter den Menschen wird häufig Gewalt angewendet, natürliche Ressourcen werden ausgebeutet und der Sinn des Lebens wird in vielfältiger Weise missachtet. Einsamkeit und Trostlosigkeit sind nicht das Ergebnis mangelnden Glücks oder eines zufälligen oder planlosen Verhaltens. Die zerstörte Umwelt und Kriege sind vielmehr die Folgen eines bewussten menschlichen Handelns. An Stelle ihre Vernunft und ihre einzigartige Fähigkeit, einander zu lieben, konstruktiv einzusetzen, schufen die Menschen tödliche Waffen und begegneten einander mit Eifersucht und Egoismus. Gott liebt alle Menschen. Weil Gott uns zuerst liebte, sind auch wir in der Lage zu lieben und die Würde eines jeden Menschen zu respektieren. Diakonisches Denken und Handeln konzentriert sich insbesondere auf diejenigen, deren Würde verletzt wurde. Dies setzt eine spirituelle Grundlage voraus, die in Gottes Handeln und im Dienst von Christus wurzeln. Daher hat die Kirche die Aufgabe, der ganzen Menschheit Zeugnis von der Liebe Gottes zu dieser Welt durch Jesus Christus zu geben. Diakonische Arbeit ist eine Art, dies zu bezeugen. Quelle: Diakonie Charta des Europäischen Verbandes für Diakonie EURODIACONIA, Abschnitt 1, als Diskussionsgrundlage entgegen genommen. Auf der Grundlage des Glaubens an Gott, den Schöpfer, ist die diakonische Arbeit ein Ausdruck der Verantwortung für die Mitmenschen, die Gott allen Menschen mit dem Gebot der Nächstenliebe (Lev 19,18; Mt 22,39; Gal 5,14) übertragen hat. Der Mensch ist nach dem Bilde Gottes geschaffen. Ihm kommt daher eine Würde zu, die weder reduziert noch verletzt werden kann. (Gen 1,27; Ps 139,16). Diese Sicht des menschlichen Lebens schließt den festen Glauben an den Willen Gottes ein, dass alle Menschen ein gleiches Recht auf ein erfülltes und bedeutungsvolles Leben ungeachtet ihres Geschlechts, ihrer Rasse, ihrer Religion oder politischen Einstellung haben. Das schließt auch das Recht für alle auf Fürsorge ein. Die christliche Sichtweise des menschlichen Lebens schließt auch die Verantwortung des Menschen für die Haushalterschaft im Sinne Gottes für sein eigenes Leben, aber auch für die ganze Schöpfung mit ein. Prinzipien wie die Geschwisterlichkeit, die Gegenseitigkeit und die Verantwortung sind daher zentrale Aspekte des ersten Artikels unseres Glaubensbekenntnisses. Auf der Grundlage des Glaubens an Gott den Retter, stellt die diakonische Arbeit ein Zeugnis für Gottes dienende Liebe für alle Menschen in Jesus Christus dar (Phil 2, 5-9, Jh 13,34-35; Mt 20, 20-28). Durch sein Leiden, seinen Tod und seine Auferstehung ist er für alle unsere Sünden eingetreten und hat unsere Beziehung zu Gott wieder hergestellt. Das befreiende Handeln Christi bezieht sich auf alles, was Menschen unterdrückt, und eine Bedrohung für ein menschliches Leben in seiner ganzen Fülle darstellt. (...) Auf der Grundlage des Glaubens an Gott den Erlöser, stellt die diakonische Arbeit eine Frucht des neuen Lebens aus dem Heiligen Geist dar. (Gal 5,6; Jh 15, 1-17). Quelle: Comprehensive Diaconal Programme for the Church of Norway, S 9 10. 8

1.2. Jesus Christus Deshalb begab sich der jenseitige Gott in die Geschichte, nicht um die Menschen nach ihren Taten zu richten, sondern um ihnen Vergebung und Befreiung zu bringen und neue Lebensmöglichkeiten zu eröffnen. Gott sandte Jesus Christus in die Welt, um seine Liebe zu erweisen. Er hatte den Auftrag, Menschen durch diese Liebe aufzurichten und zu heilen. Mit dieser Art zu leben, verkündigte er das Reich Gottes. Die Mission Jesu erfuhr eine radikale Wendung als er durch die, zu denen er gesandt war, umgebracht wurde. Sie verstanden die Liebe nicht, die ihnen durch das Leben Jesu gebracht wurde, und sie verstanden die Wahrheit nicht, als sie ihnen überbracht wurde. Für die Mission Gottes stellte dies jedoch kein Hindernis dar. Jesus ging seinen Weg zu Ende, starb und wurde auferweckt. Dadurch haben die Menschen das Leben. Jesus hatte eine prophetische Mission, die der alttestamentlichen Mission der Propheten ähnlich ist. In Zeiten der Ungerechtigkeit und der Unterdrückung kamen die Propheten zu den ungerechten Führern und Unterdrückern, um sie zur Busse und Umkehr aufzurufen. Diese Propheten hatten eine politische Botschaft, die sich an die führenden Persönlichkeiten der Gemeinschaft wendete, die ihre Macht benutzen, um die Armen zu unterdrücken und die Elenden zu Grunde zu richten (Am 8,4). Das könnte man als ein Beispiel prophetischer Diakonie bezeichnen. Die sozialen Gesetze des Bundes sprachen deutlich gegen einen solchen Missbrauch der Macht. Sie riefen jede und jeden dazu auf, sich um die Bedürftigsten und die oft Vergessenen zu kümmern: die Waisen, die Witwen, die Armen. Die Propheten erinnerten an die Zeit des Exodus und drängten die Menschen zur Treue gegenüber dem Gott, der sie aus den Händen der Sklavenhalter befreit hatte. Der Glaube an diesen Gott beinhaltet nicht zuletzt auch den anhaltenden Kampf gegen jedwede Form der Unterdrückung. Den Propheten war es wichtig, den Bedürftigen mit guten Taten zu begegnen. Aber ebenso bedeutend war es, seine persönliche Haltung, sein Sozialverhalten und die politischen Strukturen im Sinne der an den Rand Gedrängten und Erniedrigten zu verändern. Jesus gehörte dieser selben prophetischen Tradition an und seine Mission hatte nicht nur politische Untertöne. Sie ist im Kern ihres Wesens prophetische und politische Diakonie. Ihm wurde zugeschrieben, die alte Botschaft von der Busse und der Erlösung zu erfüllen. Was das bedeutet, lässt sich am besten durch die Evangeliumsberichte über das Leben, den Tod und die Auferstehung Jesu selbst beschreiben. Er war, was er verkündigte: Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben (Joh 14,6). Die Wahrheit, von der Jesus spricht, kann als Liebe bezeichnet werden. In und durch Jesus wird offenbar, dass Gott den Menschen die Gnade und nicht die Bestrafung für die Sünden anbietet, Wiedergutmachung statt Rache, Rechtfertigung statt Verdammung. Letztlich bedeutet das: Leben statt Tod. Mit anderen Worten: Gott macht seine Liebe nicht davon abhängig, was Menschen zur Erlangung seiner Liebe beitragen können. Gott liebt, weil er selbst die Liebe ist und wegen seiner ewigen Zuneigung zu den Menschen. Gott liebt die Menschen wie sie sind, und nicht wegen ihres Tuns. Es soll nicht unerwähnt bleiben, dass Jesu Mission viele verschiedene Ziele verfolgte. Durch sein Leben gab uns Jesus ein Beispiel, was es wirklich bedeutet, Mensch zu sein. In seiner Gemeinschaft der Liebe wird jeder und jedem Gläubigen ein Leben in seiner ganzen Fülle zuteil. Durch seine Liebe führt Jesus Christus die Welt zurück zu Gott. Jesus gibt uns ein Beispiel, was Leidenschaft und Sorge beinhalten. Wir können die Größe dieser Liebe erkennen, da wir alle ihrer bedürfen. Und wir sind ihr vielfach durch sorgende und leidenschaftliche Menschen in unserer unheilen Welt begegnet. Jesu Handeln brachte Veränderung für das persönliche Leben der Menschen wie auch für das Leben ihrer Gemeinschaften. In seinem Leben tröstete Jesus Menschen und befreite sie von ihren Lasten. In seinem Tod am Kreuz verurteilte er seine Peiniger nicht und zeigte tiefe Zuneigung und Sorge für die Straftäter, die neben ihm am Kreuz hingen. 9

Jesus ist aber für uns nicht nur von Bedeutung, weil er uns ein Beispiel gibt. Am wichtigsten während seiner irdischen Mission war das Niederreißen der Mauern zwischen Gott und den Menschen sowie der Mauern unter den Menschen. Sein Tod und seine Auferstehung waren sowohl die Welt umspannende als auch sehr kontextbezogene Taten der Versöhnung. Sie waren weltumspannend, weil sie die Beziehung zwischen Gott und Mensch veränderten. In ihrer kosmischen Dimension haben sie Bedeutung für jede irdische Feindschaft zwischen den Menschen. Jesus hat die Mauern zwischen Juden und Heiden niedergerissen. Nun sind aus zwei Gruppen eine geworden (Eph 2). Versöhnung und Einheit wurden durch den Tod und die Auferstehung Jesu Christi wieder hergestellt, was deshalb in der Liturgie der Kirche zum Ausdruck kommt. Der sakramentale Charakter der Kirche hat seinen Ausgangspunkt in der Taufe und der Eucharistie. Die allgemeine Taufe Jesu ist sein Tod und seine Auferstehung. Dadurch wird es der Kirche möglich, in seinem Namen zu taufen. Die Eucharistie ist das Teilen des Blutes und des Leibes Jesu Christi unter dem Volk Gottes. Taufe und Eucharistie sind Ausflüsse der Liebe Gottes, ausgegossen in die Welt. Beide griechischen Wörter leitourgia und diakonia bedeuten übersetzt Dienst. Durch die Taufe und die Eucharistie ist Christus unser Diener. Er überträgt uns das Mandat, ihm und auch anderen zu dienen. Oft wird betont, dass der diakonische Dienst nicht ohne die diakonische Liturgie bestehen kann. So kann auch die diakonische Liturgie nicht ohne den diakonischen Dienst bestehen. Liturgie und Diakonie beschreiben den mediierenden Charakter des Dienstes in der Kirche: er hat seine Stellung zwischen dem Ritus und dem Handeln außerhalb der Kirchenmauern. Diakonische Arbeit steht manchmal in der Gefahr, zu fordernd und antreibend zu erscheinen. Die Alternative dazu ist nicht, sich in ein spirituelles Leben der Rituale und Symbole zurückzuziehen, die das Handeln ersetzten sollen. Der mediierende Charakter des Dienstes verhindert, dass die Kirche in eine falsche Abgrenzung zwischen leitourgia und diakonia verfällt. Im zweiten Kapitel werden wir den Gebrauch der beiden Konzepte von leitourgia und diakonia, zusammen mit der martyria weiter entfalten. Der Christus diakonos, der dienende Christus, ist theologisch die Grundlage für das Handeln der Nachfolgerinnen und Nachfolger Christi und der Kirche (Mk 10, 42-45). In der heutigen Realität einer hochorganisierten Gesellschaft umfasst dieses Handeln sowohl den unmittelbaren Dienst am/an der Nächsten, als auch politisches Handeln in Staat und Gesellschaft. Quelle: Schweizer Evangelischer Kirchenbund Federation des Eglises protestantes de Suisse: Diakonie/Zukunft unserer Kirche La diaconie/avenir de notre Eglise, S. 7-8. Die Auferstehung Jesu Christi ist das Brennglas, durch das die Kirche Jesu eigene Mission und eigenen Dienst versteht und die Geschichte weiter erzählt. Es war die historische Mission Jesu durch Verkündigung und Parabeln, die gute Nachricht von der Herrschaft Gottes anzukündigen, sie durch Zeichen und Taten zum Ausdruck zu bringen, und schließlich durch seinen Tod und seine Auferstehung zur historischen Erfüllung des verheißenen Sieges der Herrschaft Gottes werden zu lassen. (Mk 1, 14-15; Lk 17, 21-22; Mt 11, 2-6; Lk 11,20) In seinem Sklaventod (Phil 2, 6-8) am Kreuz nahm er die Folgen seines eigenen diakonischen Dienstes auf sich. Jesus wurde gekreuzigt, weil es seine messianische Mission war, Gottes rettende Umarmung für ganz Israel und alle Welt zu sein. In seinem Kreuzestod war Jesus seiner Sendung und Mission durch den Vater (Mk 14, 32-37) und in der Kraft des Heiligen Geistes (Mk 1, 9-11) gehorsam. Jesus wurde vom Vater in die Welt gesandt, um die ganze Schöpfung Gottes mit sich zu versöhnen (2 Kor 5, 17-19). (...) Deshalb ist das Ergebnis der Mission und des Dienstes Christi nichts anderes als eine neue Schöpfung. Das gesamte Universum ist in die Liebe und Sorge eingeschlossen, in die Verheißung der Erlösung und die schöpfende Rettung der Heiligen Trinität. Quelle: The Diakonate as Ecumenical Opportunity. The Hanover Report of The Anglican-Lutheran International Commission, S. 9/12. (Eigene Übersetzung) 10

Fallstudie 1: Versöhnung und Friedensengagement (Caritas Internationalis) Wie in diesem Kapitel schon an früherer Stelle deutlich gemacht wurde, ist der Einsatz für Frieden und Versöhnung ein Eckstein der christlichen Diakonie. Das größte Zeichen der Versöhnung ist das Kreuz Christi. Sein Tod am Kreuz versöhnte die Welt mit Gott. Der Heilige Paulus spricht auch davon, dass Christi Dienst an der Versöhnung auf die Kirche übertragen wurde. (2.Kor 5, 18) Versöhnung ist daher auch ein hervorgehobenes Schlüsselelement in der Beschreibung des Mandats des internationalen Caritasverbandes (Caritas Internationalis). In Aufnahme dieses Mandats veröffentlichte Caritas Internationalis kürzlich zwei Dokumente: Working for Reconciliation: A Caritas Handbook (1999), das eine Reihe guter Beispiele aus der Praxis enthält; und Peacebuilding: A Caritas Training Manual (2002), das sich darüber hinaus mit den in konkreten Friedensmaßnahmen benötigten Fähigkeiten beschäftigt. Auf der 15ten Generalversammlung von Caritas Internationalis in Rom 1995, mit den Horrorbildern aus Ruanda und Bosnien noch in den Köpfen, beschlossen die Mitglieder, die Versöhnungsarbeit zu einem Schwerpunkt des Verbandes für die nächsten vier Jahre zu machen. Daraus entstand bis zur nächsten Generalversammlung 1999 ein bedeutendes Dokument: Working for Reconciliation: a Caritas Handbook. Es war das Ziel dieses Handbuchs, die Mitglieder anzuregen, bewährte Modelle der Versöhnungsarbeit als eine Art generelle Perspektive in ihre Programme aufzunehmen: Bringt unser Engagement Menschen zusammen oder schreibt es Trennungen fort? Fördert es Frieden und Gerechtigkeit? Da einzelne Verbände in der jüngeren Vergangenheit neben einer strikten Katastrophenhilfe auch die längerfristige Entwicklungsarbeit aufgenommen haben, stand zu hoffen, dass dieses Handbuch einem neuen Ansatz Bahn brechen würde, der die menschliche Entwicklung (human development) zu einem integralen Element ihrer Arbeit machen könnte. Das Handbuch bietet Informationen über Konfliktformen und erläutert verschiedene Konfliktlösungstheorien. Da innerstaatliche Kriege, sei es zwischen Gemeinschaften oder innerhalb einer Gemeinschaft, sehr komplex sein können, bedarf es ebenfalls komplexer Lösungsansätze sowie der Beteiligung vieler Akteure. Deshalb enthält das Handbuch auch 24 praktische Ideen und bewährte Modelle. So erweist sich das Handbuch als sehr praxisnah. Wir wollen hier ein Beispiel aufnehmen, das die Wiederaufbauarbeit in Kroatien betrifft. Versöhnung durch Wiederaufbau in Kroatien Die Anti-Kriegs-Kampagne von Kroatien, eine einheimische NRO, initiierte ein Projekt, in dem Menschen der verschiedenen Kriegparteien und internationalen Freiwillige an vor Ort geplanten Projekten zum Wiederaufbau der Infrastruktur in einer bestimmten Gemeinschaft teilnahmen. Dieses Projekt führte zur Versöhnung unter ehemals kriegsführenden Gruppierungen. Das Projekt ermöglichte den Teilnehmenden, den Konflikt in einem neuen Licht zu sehen. Die internationalen Freiwilligen, die in den Gruppen lebten, widersetzten sich der Sichtweise, dass verschiedene Menschengruppen nicht friedlich zusammenleben können. Auf diese Weise können Außenstehende in Versöhnungsprozessen in Nachkriegssituationen eine kreative Rolle spielen, obwohl die Lösungsansätze letztlich lokal ansetzen und aufgenommen werden 11

müssen. (Letzteres ist wichtig, wie viele von oben herab gesteuerte und gescheiterte Versöhnungsbemühungen beweisen)... Andererseits fühlten sich einige Beteiligte an dem Projekt auch betrogen, weil die NRO mit Menschen von beiden Seiten des Konflikts arbeitete. Sie brachten ihren Ärger deutlich zum Ausdruck. Darin wird deutlich, dass Versöhnung und sozialer Wiederaufbau sehr langsame Prozesse sind. Es ist realistischer, sich zuerst um eine Normalisierung des Lebens zu bemühen als unmittelbar versöhnte Beziehungen wiederherstellen zu wollen. (S 91, leicht verändert) Die Generalversammlung von Caritas Internationalis 1999 nahm das Handbuch mit großer Zustimmung auf und entschied sich für eine Nacharbeit im Bereich Friedensentwicklung. Im Jahr 2002 erschien die Veröffentlichung: Peacebuilding: A Caritas Training Manual. Dieses Handbuch hat das Ziel, Menschen, die in der Friedenarbeit engagiert sind, flexible Vorschläge für ein Training an die Hand zu geben und somit ihre Bemühungen um Frieden und Versöhnung zu unterstützen. Die Veröffentlichung enthält eine Menge praktischer Ideen und Materialien wie z.b. Modelle für Rollenspiele, Reflexionstexte und fiktive, aber realistische Beschreibungen von Konfliktfällen. Daneben enthält der Band Einheiten für Kurse, die notwendige Fähigkeiten in der Friedens- und Versöhnungsarbeit festhalten und trainieren. Diese sind so angelegt, dass sie leicht auf die Bedürfnisse von Teilnehmenden in anderen Zusammenhängen zugeschnitten werden können. Quelle: Caritas Internationalis: Working for Reconciliation: A Caritas Handbook, Rom, 1999, 128 Seiten. Caritas Internationalis, Peacebuilding: A Caritas Training Manual, Rom, 2002, 256 Seiten. 1.3. Der Heilige Geist Nach seinem Tod kehrte Jesus zu seinem Vater zurück, sicherte aber seine Gegenwart und seine Unterstützung unter uns durch den Heiligen Geist, den er selbst den Tröster (Parakleten) nennt. (Jh 15, 26) Nach Jesu Tod und Auferstehung leitet der Geist die Jünger und teilt ihnen die Dinge, die da kommen werden, mit. Er ist kein billiger Trost, sondern stellt die fortdauernde göttliche Gegenwart sicher, durch die die Gläubigen in die Lage versetzt werden, Gott zu dienen. Es gibt eine besondere Ökonomie des Dienstes, nach der der Gebende durch seine Gabe selbst reicher wird. Die geistliche Ökonomie kehrt unsere übliche Werteskala, nach der wir anderen nur helfen sollen, wenn dabei etwas für uns selbst herausspringt, um. Der Heilige Geist erteilt uns eine Lektion, die direkt von der inneren Beziehung der Heiligen Dreieinigkeit abgeleitet ist. Sie spricht von der Liebe und der Freiheit innerhalb der Dreieinigkeit. Als Teil der liebenden Dreieinigkeit weiß der Heilige Geist, dass die Liebe ausgegossen werden muss, ohne einen unmittelbaren Gewinn davon zu erwarten. Das Ziel der Liebe ist erreicht, wenn sie gespendet wird. Der gleichen Logik sollte unsere menschliche Liebe und Sorge folgen. Der Liebende wird mit tiefer Sinnhaftigkeit und Freude belohnt. Um zu vermeiden, dass wir aus dieser gespendeten Liebe nur eine sentimentale Idee und ein romantisches Ideal machen, können wir uns vor Augen halten, dass Liebe nicht als eine menschliche Erfindung begann, sondern von der Gemeinschaft und der Freiheit innerhalb der Dreieinigkeit ausging. Als unser Tröster erinnert uns der Geist daran, dass wir lieben können, weil Gott uns zuerst geliebt hat. 12