Dipl.-Ing. (FH) ift Rosenheim Spiegelt die Normung den tatsächlichen Modus operandi wieder? Ein Situationsbericht. 1 Aktuelle Situation im Bereich der mechanischen Sicherheitstechnik in Deutschland Mechanische Einbruchhemmung an Fenstern, Türen und sonstigen Abschlüssen finden zunehmend an Bedeutung. Hauptgrund hierfür ist sicherlich die Tatsache, dass in Deutschland nach wie vor alle 3 bis 4 Minuten ein Einbruch verübt wird. Gleichzeit steigt die Anzahl der vereitelten bzw. durch mechanische oder elektronische Sicherheitsvorrichtungen verhinderten Einbrüche, was aus den Auswertungen der Kriminalpolizei deutlich wird und den Einsatz von mechanischen Sicherheitskomponenten oder geprüften, einbruchhemmenden Bauelementen somit rechtfertigt. Ähnliche Entwicklungen gibt es auch aus anderen europäischen Ländern zu berichten: im Nachbarland Österreich gilt für das Bundesland Salzburg seit dem 1. August 2008 die gesetzliche Forderung, dass in Mehrfamilienhäusern im Neubau geprüfte und zertifizierte WK 3-Türen einzubauen sind. Auch in Belgien gibt es momentan Diskussionen darüber, die Einbruchhemmung in Bild 1 Piktogramm Einbruchhemmung die Baugesetzgebung aufzunehmen. Ursache für beide Beispiele ist die nach wie vor hohe Anzahl der Einbrüche. Es bleibt zu vermuten, dass sich diese Entwicklung in den nächsten Jahren im Zuge der Globalisierung und der immer breiteren Schere zwischen Arm und Reich noch verstärken wird. Die nachfolgenden Ausführungen erläutern den momentanen Stand im Rahmen der Normierungsarbeit zur pren 1627ff. sowie einem Abgleich der festgelegten Prüfverfahren mit dem tatsächlichen Modus Operandi. 2 Stand der Überarbeitung der Normenreihe pren 1627ff. Nach mehr als zehnjähriger Vornormzeit wurde die Normenreihe pren 1627ff. im abschließenden Abstimmungsverfahren dem sogenannten formal vote von den europäischen Mitgliedsländern angenommen. Das betreffende Abstimmungsverfahren endete Anfang Juli diesen Jahres. Somit ist ein wichtiger Meilenstein zur Veröffentlichung des Entwurfes zu einer EN-Norm gesetzt worden. Erwartungsgemäß hatten Frankreich und England sowie überraschender Weise auch Spanien gegen die Normenreihe gestimmt. Diese drei negativen Stimmen konnten letztlich jedoch nicht verhindern, dass die wichtigste Normenreihe zum Einbruchschutz von den meisten europäischen Mitgliedsstaaten angenommen wurde. Einziger Wehmutstropfen am positiven Abstimmungsver- ift Rosenheim Seite 43 von 194
Bild 2 Neuer Prüfablauf für die künftige Prüfung nach EN 1627ff in Widerstandsklasse 1 fahren ist die Tatsache, dass Frankreich mit der Einleitung eines Berufungsverfahren, einem sogenannten Appeal, die letzte Möglichkeit in Anspruch genommen hat, die Veröffentlichung der Normenreihe zu verhindern bzw. weiter zu blockieren. 3 Welche Veränderungen bringen die überarbeiteten Normen? Hintergrund für die Überarbeitung der Normenreihe war die Notwendigkeit eines Angleichs an den Stand der Technik sowie die Verbesserung der Reproduzierbarkeit der Prüfungen. Die nachfolgenden Ausführungen erörtern die wesentlichen Änderungen der bisherigen Vornorm ENV 1627:1999 zum jetzigen Normentwurf und zeigen die möglichen Auswirkungen auf. Der Anwendungsbereich der europäischen Normenreihe wurde um Vorhangfassaden und Gitterelemente ergänzt. Nicht mehr im Anwendungsbereich von pren 1627 sind Tore und Schranken, die in den Geltungsbereich von EN 13241-1 fallen. 3.1 Überarbeitung der Prüfnormen pren 1628 bis pren 1630 An der grundsätzlichen Aufteilung zwischen statischer, dynamischer und manueller Werkzeugprüfung wurden im Rahmen der Überarbeitung keine Änderungen vorgenommen. Der jetzige Stand beinhaltet jedoch in Widerstandsklasse 1 ein neues, statisches Prüfverfahren. Dieses orientiert sich an einem bislang bereits in England für Fenster und Türen verwendeten Verfahren (additional loading test). Hierbei wird neben dem bekannten statischen Prüfverfahren eine zusätzliche Last in Flügelebene aufgebracht. Erste Ergebnisse verdeutlichen, dass hierbei die manuelle Prüfung mit kleineren Hebelwerkzeugen wie Schraubendrehern sehr gut reproduziert wird und in der unteren Widerstandsklasse 1 auf zusätzliche manuelle Versuche verzichtet werden kann. Neu definiert sind auch die Bewertungskriterien bei der statischen Prüfung. Wurden früher durch die statischen Belastungen entstandene Auslenkungen zwischen Flügelrahmen und Blendrahmen ermittelt und aufgezeichnet, so werden künftig die bei den statischen Belastungen entstehenden Auslenkungen an definierten Stellen über sogenannte Spaltlehren ermittelt. Das heißt, das Durchfallkriterium ist dadurch definiert, ob die Spaltlehren mit einem Durchmesser von 10, 25 und 50 mm in den entstandenen Öffnungen durchgeführt werden können. Diese Bewertungsmethode ist bereits aus dem Bereich des Brandschutzes bekannt. Im Rahmen der Überarbeitung stellte sich heraus, dass das jetzige dynamische Prüfverfahren mit dem 30 kg Sandsack zur Prüfung von Füllungen und Füllungsanbindungen der Bauelemente keine genügenden Aussagen zulässt. Dem wurde durch eine Modifikation der dynamischen Prüfmethode nach pren 1629 Rechnung getragen. Künftig Seite 44 von 194 ift Rosenheim
wird ähnlich wie bei der Prüfung von Verglasungen nach EN 12600 mittels eines 50 kg schweren Doppelrades geprüft. Erste Ergebnisse zeigen, dass durch diese wesentlich höhere dynamische Beanspruchung Systeme notwendig werden, die mittels einfacher Werkzeuge nicht mehr überwunden werden können. Als Neuerung müssen Produkte in der Widerstandsklasse 1 vor der Prüfung vorbereitet werden: hierzu werden alle Teile auf der Angriffsseite mit Hilfe der in EN 1630, Anhang A, Werkzeugsatz A.1 beschriebenen Werkzeuge abgeschraubt, abmontiert oder auseinandergebaut. Dieses Vorbereitungsverfahren darf nicht länger als drei Minuten dauern und muss zerstörungsfrei durchgeführt werden. Im Bereich der manuellen Prüfung erfolgen eine Überarbeitung der Werkzeugsätze und eine detaillierte Beschreibung der Vorgehensweise, um eine bessere Reproduzierbarkeit der Prüfungen sicherzustellen. Eine wesentliche Änderung stellt die Aufnahme von Sägewerkzeugen in den Werkzeugsatz A2 (früher Werkzeugsatz A) dar. Die Widerstandszeiten in den Widerstandsklassen 2 bis 6 sind unverändert geblieben. 4 Anforderungen an die angriffhemmenden Verglasungen Die Anforderungen an angriffhemmende Verglasungen nach EN 356 wurden auf europäischer Ebene sehr kontrovers diskutiert. Im Rahmen der Überarbeitung von ENV 1627ff. wurde sehr schnell deutlich, dass die Auffassungen über den Widerstandswert der angriffhemmenden Verglasung auf europäischer Ebene sehr unterschiedlich sind und schwer auf einen gemeinsamen Nenner gebracht werden können. Die aktuell in den Normentwürfen getroffene Regelung ist der Grund für das von Frankreich gestartete Berufungsverfahren (Appeal). Momentan ist folgende normative Festlegung getroffen: für die Prüfungen nach EN 1628, EN 1629 und EN 1630 sind die in der Tabelle 1 aufgeführten angriffhemmenden Verglasungen nach DIN EN 356 definiert. Für den Anwendungsfall werden die gleichen Klassen im Anhang empfohlen, aber nicht verbindlich festgeschrieben. Jedes Land soll selbst festlegen, welche Klasse die angriffhemmende Verglasung in einer bestimmten Widerstandsklasse (RC) des Bauelementes besitzen soll. In der Normbezeichnung des Bauteils nach EN 1627 muss jedoch die Widerstandsklasse der Verglasung angegeben werden, um die Produkte im Anwendungsfall im europäischen Handel vergleichen zu können. Ein Beispiel für ein einbruchhemmendes Fenster nach EN 1627 in der Widerstandsklasse 2 wäre: Einbruchhemmendes Fenster RC 2 mit Verglasung P5A Tabelle 1 Anforderungen an angriffhemmende Verglasungen des Probekörpers Widerstandsklasse des Bauteils Widerstandsklasse der Verglasung nach EN 356 1 P4 A 2 P5 A 3 P6 B 4 P7 B 5 P8 B 6 P8 B 5 Nationaler Anhang NA mit zusätzlichen Informationen Momentan ist beabsichtigt, zur EN 1627ff. auch einen Nationalen Anhang zu veröffentlichen. Die Erarbeitung erfolgt im deutschen Spiegelausschuss Einbruchschutz. Folgende Inhalte sind geplant: NA.1 Schließzylinder, Schutzbeschläge und Schlösser NA.2 Einzusetzende Verglasung NA.3 Prüfungen ift Rosenheim Seite 45 von 194
NA.4 Freiwillige Zertifizierung (Güteüberwachung) NA.5 Kennzeichnung NA.6 Montage/Montagebescheinigung NA.7 Einsatzempfehlungen NA.8 Hinweise zur Ausschreibung NA.9 Hinweise zur Auftragsvergabe NA.10 Einbruchhemmende Türen in Flucht- und Rettungswegen NA.11 Korrelationstabelle 6 Spiegelt die Normung den tatsächlichen Modus Operandi wieder? Oder wie und womit wird eigentlich eingebrochen? 6.1 Allgemeines Bild 4 Auswertung Einbrüche an Türen (Quelle: LKA München) In einzelnen europäischen Ländern wie etwa in Schweden liegen zum Teil keine bis nur vereinzelte Informationen darüber vor, wie und womit eingebrochen wird. In England, Österreich oder auch in Deutschland wurden oder werden die verübten Einbrüche relativ genau erfasst und ausgewertet. In Deutschland erfolgt diese Auswertung über die verschiedenen Landeskriminalämter, wie etwa durch das Bayerische Landeskriminalamt oder in Nordrhein-Westfalen über die Kölner Studie (Untersuchungen seit 1989 der Kölner Kriminalkommissariats 61 Kriminalprävention). 6.2 Modi Operandi Rahmen Aufhebeln und Angriffe auf die Verglasung bei Fenstern In Deutschland werden ca. 70 % der verübten Einbrüche an Fenstern durch Aufhebeln überwunden. Der Angriff auf die Verglasung liegt bei ca. 13 %. Meist genügen dazu einfache Hebelwerkzeuge wie Schraubendreher oder Keile. In der überarbeiteten Fassung von EN 1627 werden für beide Angriffsziele ausreichend Prüfmethoden beschrieben. Durch den geforderten Bohrschutz am Getriebe ist ein Überwinden mittels Fensterbohrer nicht möglich. 6.3 Modi Operandi Rahmen Aufhebeln und Angriffe auf die Verglasung bei Türen Bild 3 Auswertung Einbrüche an Fenstern in Einfamilienhäusern (Quelle: LKA München) In Deutschland werden ca. 66 % der verübten Einbrüche an Türen durch Aufhebeln überwunden. Der Angriff auf den Schließzylinder liegt bei ca. 7 %. Bei den Angriffen auf den Schließzylinder dominierte die Arbeitsweise Abdrehen/Ab- Seite 46 von 194 ift Rosenheim
brechen. Durch Einsatz eines normkonformen Schutzbeschlages kann dies weitgehend verhindert werden. Nur zugezogene und nicht abgesperrte Türen sind für Einbrecher kein großes Hindernis, da durch das Zurückstoßen der Falle mit einfachen Werkzeugen oder auch einer Scheckkarte ein Öffnen leicht möglich ist. Durch Aufsperren mit einem Originalschlüssel, den der Täter bspw. unter der Fußmatte fand, wurde es dem Einbrecher sehr einfach gemacht. 7 Zusammenfassung und Ausblick Nach fast zehnjähriger Überarbeitungszeit sind die europäischen Vornormen zum Einbruchschutz fertig gestellt. Obwohl die Änderungen im Rahmen der Überarbeitung von EN 1627ff. auf den ersten Blick sehr umfangreich erscheinen mögen, werden sich die Auswirkungen auf bestehende Konstruktionen im erträglichen Maß halten. Gerade bei den wichtigen Widerstandsklassen 2 und 3 wurden nur kleine Änderungen vorgenommen, und bewährte Konstruktionen werden auch künftig die Anforderungen erfüllen. Im Hinblick auf die einzusetzenden Verglasungen gilt es länderbezogen, je nach Widerstandsklasse und Anwendungsfall, die richtigen Klassen festzulegen und in einem Nationalen Vorwort festzuschreiben. Auswertungen in Deutschland und Europa zeigen, dass durch die beschriebenen Prüfverfahren und festgelegten Anforderungen, Einbrüchen sehr gut begegnet werden kann. Wissenswertes in Kürze Fragen und Antworten im Zusammenhang mit pren 1627ff. 1 Wann ist mit einer Veröffentlichung der Normenreihe pren 1627ff. zu rechnen? Leider kommt es trotz positivem Abstimmungsverfahren im formal vote durch das von Frankreich eingeleitete Berufungsverfahren (Appeal) zu einer weiteren Verzögerung. Experten des DIN rechnen damit, dass die Normen innerhalb der nächsten 6 bis 9 Monate über die Beuth Verlag GmbH, Berlin zu beziehen sind. 2 Verlieren alte Prüfberichte die Gültigkeit? Wie wird mit historischen Daten umgegangen? In Abschnitt 4 von pren 1627 ist folgender Hinweis zu finden: Bezüglich historischer Angaben kann davon ausgegangen werden, dass Produkte, die nach ENV 1627:1999 in den Klassen 2 bis 6 klassifiziert wurden, denselben Klassen nach dieser Norm entsprechen. Die Hersteller können somit alte Prüfberichte in Eigenverantwortung weiter verwenden. Zusätzlich ist im Nationalen Vorwort eine Korrelationstabelle geplant, die die Verwendung von Konstruktionen ermöglicht, die nach ENV 1627:1999 geprüft wurden. ift Rosenheim Seite 47 von 194
Dipl.-Ing. (FH) Geboren am 25. August 1969 in Vogtareuth 1985 1988 Ausbildung zum Schreiner 1988 1991 Berufsaufbauschule in Wasserburg, Fachoberschule in Rosenheim 1991 1996 Studium an der Fachhochschule Rosenheim, Fachrichtung Holztechnik mit einjähriger Unterbrechung zur Ableistung des Grundwehrdienstes 1996 1997 Diplomarbeit am ift Rosenheim, Thema: Feuchtebelastung an Holzfenstern 1997 1998 Produktionsleiter bei der Firma Alpenküchen in Brunneck/Südtirol seit Juli 1998 Mitarbeiter am ift Rosenheim 10/2000 Leiter Prüffeld Türen, Tore, Sicherheit am ift Rosenheim seit 10/2004 Prüfstellenleiter ift Zentrum Türen, Tore Sicherheit Seite 48 von 194 ift Rosenheim