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Transkript:

URTEIL VOM 23. 4. 1986 RECHTSSACHE 153/84 URTEIL DES GERICHTSHOFES (Erste Kammer) 23. April 1986 * In der Rechtssache 153/84 betreffend ein dem Gerichtshof gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag vom Bundessozialgericht in dem vor diesem anhängigen Rechtsstreit Antonio Ferraioli, München, Deutsche Bundespost gegen vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung von Artikel 76 der Verordnung Nr. 1408/71 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und deren Familien, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, (ABl. L 149, S. 1) erläßt DER GERICHTSHOF (Erste Kammer) unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten R. Joliét, der Richter G. Bosco und T. F. O'Higgins, Generalanwalt: M. Darmon Kanzler: H. A. Rühl, Hauptverwaltungsrat Beteiligte, die Erklärungen abgegeben haben: Antonio Ferraioli, Kläger des Ausgangsverfahrens, vertreten durch Rechtsanwalt J. Ståhlberg, München, Regierung der Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch M. Seidel und E. Röder als Bevollmächtigte, * Verfahrenssprache: Deutsch. 1406

FERRAIOLI / DEUTSCHE BUNDESPOST Regierung der Italienischen Republik, vertreten durch Luigi Ferrari Bravo, Leiter des Servizio del contenzioso diplomatico, als Bevollmächtigten im Beistand des Avvocato dello Stato O. Fiumara, Kommission der Europäischen Gemeinschaften, im schriftlichen Verfahren vertreten durch das Mitglied ihres Juristischen Dienstes M. Beschel und in der mündlichen Verhandlung vertreten durch ihren Rechtsberater P. Karpenstein, nach Anhörung der Schlußanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 23. Januar 1986, folgendes ( Tatbestand" nicht wiedergegeben) URTEIL Entscheidungsgründe 1 Das Bundessozialgericht hat mit Beschluß vom 25. April 1984, beim Gerichtshof eingegangen am 19. Juni 1984, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag drei Fragen nach der Auslegung von Artikel 76 der Verordnung Nr. 1408/71 des Rates zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und deren Familien, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, (ABl. L 149, S. 1) zur Vorabentscheidung vorgelegt. 2 Diese Fragen stellen sich im Rahmen eines Rechtsstreits über die Aufhebung eines Bescheides der Deutschen Bundespost, mit dem diese dem Kläger des Ausgangsverfahrens das ihm zuvor gewährte Kindergeld entzogen hat. 3 Der Kläger des Ausgangsverfahrens, Herr Ferraioli, ein italienischer Staatsangehöriger, ist seit 1961 bei der Deutschen Bundespost, der Beklagten des Ausgangsverfahrens, beschäftigt. Seine Frau und seine drei Kinder Anna (geboren am 12. April 1962), Michele (geboren am 13. September 1963) und Salvatore (geboren am 14. Januar 1969) wohnen in Italien. 1407

URTEIL VOM 23. 4. 1986 RECHTSSACHE 153/84 4 Bis zum 1. Mai 1979 erhielt der Kläger für seine Kinder Kindergeld nach dem deutschen Bundeskindergeldgesetz. Nachdem die Beklagte Kenntnis davon erhalten hatte, daß die Ehefrau des Klägers seit 1971 in Italien als Arbeitnehmerin beschäftigt ist, entzog sie ihm durch Bescheid vom 22. Mai 1979 das Kindergeld mit Wirkung vom 1. Mai 1979. Später nahm die Beklagte ihren Bescheid mit der Begründung zurück, daß der Anspruch auf italienische Familienbeihilfen bei Vollendung des 16. Lebensjahres des Kindes entfalle; sie bewilligte jedoch Kindergeld für Anna bis zum 30. April 1980 und für Michele ab Oktober 1979. 5 Nachdem sein Widerspruch gegen den Bescheid der Beklagten erfolglos geblieben war, erhob der Kläger beim Sozialgericht München Klage mit dem Antrag, ihm für seinen Sohn Michele vom 1. Mai bis 30. September 1979 und für Salvatore vom 1. Mai 1979 an Kindergeld in Höhe des Unterschiedsbetrags zwischen den seiner Ehefrau nach italienischem Recht zustehenden Familienbeihilfen und dem Kindergeld gemäß 10 des Bundeskindergeldgesetzes nebst den gesetzlichen Zinsen zu gewähren. Das Sozialgericht entsprach diesem Antrag in vollem Umfang, und das Bayerische Landessozialgericht bestätigte dieses Urteil. Die Beklagte legte daraufhin Revision zum Bundessozialgericht ein. 6 Da das Bundessozialgericht der Auffassung war, daß der Rechtsstreit ein Problem der Auslegung des Gemeinschaftsrechts aufwerfe, hat es das Verfahren ausgesetzt, bis der Gerichtshof über folgende Vorlagefragen entschieden hat: 1) Erfaßt der Artikel 76 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 auch Fälle, in denen beschäftigungsabhängige Familienleistungen oder -beihilfen in dem Mitgliedstaat, in dem die Familienangehörigen wohnen, nach den Rechtsvorschriften dieses Staates nur deshalb nicht gezahlt werden, weil der anspruchsberechtigte Elternteil diese nicht beantragt hat? 2) Werden nach Artikel 76 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 die einem Elternteil im Beschäftigungsstaat nach Artikel 73 der Verordnung geschuldeten Familienleistungen in vollem Umfang oder nur in der Höhe ausgesetzt, in der im Wohnsitzstaat der übrigen Familienangehörigen wegen Berufstätigkeit des anderen Elternteils Familienleistungen zu zahlen sind? 1408

FERRAIOLI / DEUTSCHE BUNDESPOST 3) Ist Artikel 76 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 auch dann im Sinne der vollen Aussetzung anzuwenden, wenn dem anspruchsberechtigten Elternteil nach nationalem Recht (hier Bundeskindergeldgesetz) beim Zusammentreffen mit einer gleichartigen ausländischen Familienleistung ein Anspruch in Höhe des Unterschiedsbetrags verbleibt?" 7 Im Verfahren vor dem Gerichtshof haben der Kläger, die Regierung der Bundesrepublik Deutschland, die italienische Regierung und die Kommission Erklärungen abgegeben. 8 Gemäß Artikel 73 der Verordnung Nr. 1408/71, auf den sich die Fragen beziehen, hat ein Arbeitnehmer für seine Familienangehörigen, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnen, Anspruch auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften des Beschäftigungsstaats, als ob die Familienangehörigen in diesem Staat wohnten. 9 Nach Artikel 76 dieser Verordnung wird dieser Anspruch ausgesetzt, wenn wegen der Ausübung einer beruflichen Tätigkeit Familienleistungen oder Familienbeihilfen auch nach den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, in dem die Familienangehörigen wohnen, zu zahlen sind. 10 Der Kläger macht geltend, wenn in dem durch Artikel 76 der Verordnung Nr. 1408/71 geregelten Fall der Betrag der im Wohnstaat an den Elternteil, der dort eine Berufstätigkeit ausübe, tatsächlich gezahlten Familienleistungen oder -beihilfen niedriger sei als der Betrag, der dem anderen Elternteil als Wanderarbeitnehmer im Beschäftigungsstaat aufgrund des nationalen Rechts in Verbindung mit dem Gemeinschaftsrecht für dieselben Kinder und für denselben Zeitraum gezahlt werde, behalte dieser Wanderarbeitnehmer den Anspruch auf Familienbeihilfen im Beschäftigungsstaat und könne bei dem zuständigen Träger dieses Staates den Unterschiedsbetrag zwischen den Beihilfen im Wohnstaat und im Beschäftigungsstaat verlangen. 11 Die Regierung der Bundesrepublik Deutschland führt aus, grundsätzlich sollten die Familienbeihilfen zu Lasten des Staates geleistet werden, in dem der Wanderarbeitnehmer beschäftigt sei; wenn jedoch der Ehegatte in einem anderen Mitgliedstaat eine Erwerbstätigkeit ausübe, so daß beide Staaten den Nutzen von der Erwerbstätigkeit der Eltern hätten und Steuern und Sozialabgaben erhöben, solle der Staat die Familienbeihilfen leisten, in dem die Kinder wohnten. Die Bundesregie- 1409

URTEIL VOM 23. 4. 1986 RECHTSSACHE 153/84 rung schlägt deshalb vor, die zweite Frage dahin zu beantworten, daß der Anspruch auf Familienbeihilfen im Beschäftigungsstaat in voller Höhe auszusetzen sei. 12 Die italienische Regierung trägt vor, da kein Antrag der Ehefrau vorliege, hätten dieser in Italien keine Beihilfen zugestanden, auch wenn sie ihr theoretisch hätten zustehen können. Der Träger, der dem Ehemann die Leistungen gewähre, habe nicht zu beurteilen, ob der Ehefrau nach dem nationalen Recht des Staates, in dem sie wohne, Beihilfen zustünden, sondern er habe lediglich zu prüfen, ob die Beihilfen in diesem Staat tatsächlich ausgezahlt worden seien. Die Frage, ob der Elternteil, der in dem anderen Mitgliedstaat arbeite, den Unterschiedsbetrag zwischen den Beihilfen, die ihm in diesem Staat zustünden, und den niedrigeren Beihilfen verlangen könne, die dem Elternteil zu zahlen seien, der im Wohnstaat der Kinder arbeite, sei zu bejahen, unabhängig davon, ob die Beihilfen nur nach Gemeinschaftsrecht zu gewähren seien oder ob sie nur nach dem nationalen Recht desjenigen Staates zu zahlen seien, in dem der Elternteil arbeite. 13 Die Kommission vertritt die Ansicht, Artikel 76 der Verordnung Nr. 1408/71 sei dahin auszulegen, daß der Anspruch auf Familienleistungen gemäß Artikel 73 dieser Verordnung nur ausgesetzt werde, wenn sämtliche materiellen und formellen Voraussetzungen für die Gewährung von Familienbeihilfen im Wohnstaat der Kinder tatsächlich erfüllt seien, also gegebenenfalls ein entsprechender Zahlungsantrag gestellt worden sei. Gemäß Artikel 76 werde ein Anspruch auf die nach Artikel 73 der Verordnung Nr. 1408/71 geschuldeten Familienleistungen oder -beihilfen nur bis zur Höhe des Betrags derjenigen Familienleistungen oder -beihilfen ausgesetzt, die wegen der Ausübung einer beruflichen Tätigkeit nach den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, in dem die Familienangehörigen wohnten, zu zahlen seien. Zur ersten Frage 1 4 Der Gerichtshof hat das in der ersten Frage aufgeworfene Problem bereits in seinem Urteil vom 13. November 1984 in der Rechtssache 191/83 (Salzano, Sig. 1984, 3741) behandelt, das den Fall des Ehegatten eines Wanderarbeitnehmers betraf, der nicht den nach dem Recht seines Wohnstaats erforderlichen Antrag auf Familienbeihilfen gestellt hatte. In diesem Urteil hat der Gerichtshof für Recht erkannt, daß die Aussetzung des Anspruchs auf Familienbeihilfen, die gemäß Artikel 73 der Verordnung Nr. 1408/71 im Beschäftigungsstaat eines Elternteils zu zahlen sind, nicht erfolgt, wenn der andere Elternteil mit den Kindern in einem anderen Mitgliedstaat wohnt und dort eine berufliche Tätigkeit ausübt, jedoch keine Fami- 1410

FERRAIOLI / DEUTSCHE BUNDESPOST lienbeihilfen für die Kinder bezieht, weil nicht alle Voraussetzungen des Rechts dieses Mitgliedstaats für die tatsächliche Auszahlung der Beihilfen erfüllt sind. Wie in den Gründen dieser Entscheidung klargestellt wird, handelt es sich bei diesen Voraussetzungen sowohl um formelle als auch um materielle Voraussetzungen, die im Recht des Mitgliedstaats, in dem die Kinder wohnen, aufgestellt sind und zu denen in jenem Fall gerade die vorherige Stellung eines Antrags gehörte. 15 Deshalb ist auf die erste Frage zu antworten, daß der Anspruch auf Familienbeihilfen, die nach Artikel 73 der Verordnung Nr. 1408/71 im Beschäftigungsstaat eines Elternteils zu zahlen sind, nicht gemäß Artikel 76 dieser Verordnung ausgesetzt wird, wenn der andere Elternteil mit den Kindern in einem anderen Mitgliedstaat wohnt und dort eine berufliche Tätigkeit ausübt, jedoch keine Familienbeihilfen für die Kinder bezieht, weil nicht alle Voraussetzungen des Rechts dieses Mitgliedstaats für die tatsächliche Auszahlung der Beihilfen erfüllt sind. Zur zweiten Frage 16 Zur Beantwortung der zweiten Frage ist darauf hinzuweisen, daß, wie der Gerichtshof mehrfach entschieden hat, das mit Artikel 51 EWG-Vertrag verfolgte Ziel der Herstellung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer für die Auslegung der Verordnungen maßgebend ist, die der Rat auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit der Wanderarbeitnehmer erlassen hat. 17 Man kann daher nicht, ohne gegen diesen Grundsatz zu verstoßen, Artikel 76 der Verordnung Nr. 1408/71 so anwenden, daß dem Arbeitnehmer der Vorteil der günstigeren Leistungen dadurch entzogen wird, daß die Leistungen, die in einem Mitgliedstaat vorgesehen sind, durch die in einem anderen Mitgliedstaat geschuldeten Leistungen ersetzt werden. 18 Auf der Linie dieses Gedankengangs hat der Gerichtshof in seinem Urteil vom 12. Juni 1980 in der Rechtssache 733/79 (Laterza, Sig. 1980, 1915) entschieden, daß nach den der Verordnung Nr. 1408/71 zugrundeliegenden Prinzipien dann, wenn der Betrag der vom Wohnstaat gezahlten Leistungen unter dem der von dem anderen'verpflichteten Staat gewährten Leistungen liegt, dem Arbeitnehmer der höhere Betrag erhalten bleiben und er vom zuständigen Träger des letztgenannten Staates eine Zusatzleistung in Höhe des Unterschieds zwischen den beiden Beträgen erhalten muß. 1411

URTEIL VOM 23. 4. 1986 RECHTSSACHE 153/84 19 Aus diesen Gründen ist auf die zweite Frage zu antworten, daß Artikel 76 der Verordnung Nr. 1408/71 dahin auszulegen ist, daß der Anspruch auf die einem Elternteil im Beschäftigungsstaat gemäß Artikel 73 dieser Verordnung geschuldeten Familienbeihilfen nur in der Höhe ausgesetzt wird, in der in dem Mitgliedstaat, in dem die Familienangehörigen wohnen, gleichartige Beihilfen tatsächlich gezahlt werden. Liegt der im Wohnstaat tatsächlich bezogene Betrag der Familienbeihilfen unter dem Betrag der nach dem Recht des anderen Mitgliedstaats vorgesehenen Beihilfen, so kann der Arbeitnehmer vom zuständigen Träger des letztgenannten Staates eine Zusatzbeihilfe in Höhe des Unterschieds zwischen den beiden Beträgen verlangen. Zur dritten Frage 20 Angesichts der Antwort auf die zweite Frage braucht die dritte Frage nicht mehr beantwortet zu werden. Kosten 21 Die Auslagen der Regierungen der Bundesrepublik Deutschland und der Italienischen Republik sowie der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren vor dem Gerichtshof ein Zwischenstreit in dem vor dem nationalen Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Aus diesen Gründen hat DER GERICHTSHOF (Erste Kammer) auf die ihm vom Bundessozialgericht mit Beschluß vom 25. April 1984 vorgelegten Fragen für Recht erkannt: 1) Der Anspruch auf Familienbeihilfen, die gemäß Artikel 73 der Verordnung Nr. 1408/71 im Beschäftigungsstaat eines Elternteils zu zahlen sind, wird nicht gemäß Artikel 76 dieser Verordnung ausgesetzt, wenn der andere Elternteil mit 1412

FERRAIOLI / DEUTSCHE BUNDESPOST den Kindern in einem anderen Mitgliedstaat wohnt und dort eine berufliche Tätigkeit ausübt, jedoch keine Familienbeihilfen für die Kinder bezieht, weil nicht alle Voraussetzungen des Rechts dieses Mitgliedstaats für die tatsächliche Auszahlung der Beihilfen erfüllt sind. 2) Artikel 76 der Verordnung Nr. 1408/71 ist dahin auszulegen, daß der Anspruch auf die einem Elternteil im Beschäftigungsstaat gemäß Artikel 73 dieser Verordnung geschuldeten Familienbeihilfen nur in der Höhe ausgesetzt wird, in der in dem Mitgliedstaat, in dem die Familienangehörigen wohnen, gleichartige Beihilfen tatsächlich gezahlt werden. Liegt der im Wohnstaat tatsächlich bezogene Betrag der Familienbeihilfen unter dem Betrag der nach dem Recht des anderen Mitgliedstaats vorgesehenen Beihilfen, so kann der Arbeitnehmer vom zuständigen Träger des letztgenannten Staates eine Zusatzbeihilfe in Höhe des Unterschieds zwischen den beiden Beträgen verlangen. Joliét Bosco O'Higgins Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 23. April 1986. Der Kanzler P. Heim Der Präsident der Ersten Kammer R. Joliét 1413