Liebe Gemeinde, der in unserer Kirche für heute vorgegebene Predigttext passt für uns hier in Karlsruhe geradezu ideal auf den heutigen Tag. Ja, man könnte fast denken, die Stadt hat ihren verkaufsoffenen Sonntag absichtlich auf den Tag gelegt, an dem über den folgende Text zu predigen ist: Ich lese aus dem 6. Kapitel des Evangeliums nach Markus die Verse 23 bis 28. Und es begab sich, dass er [i.e. Jesus] am Sabbat durch ein Kornfeld ging, und seine Jünger fingen an, während sie gingen, Ähren auszuraufen. 24 Und die Pharisäer sprachen zu ihm: Sieh doch! Warum tun deine Jünger am Sabbat, was nicht erlaubt ist? 25 Und er sprach zu ihnen: Habt ihr nie gelesen, was David tat, als er in Not war und ihn hungerte, ihn und die bei ihm waren: 26 wie er ging in das Haus Gottes zur Zeit Abjatars, des Hohenpriesters, und aß die Schaubrote, die niemand essen darf als die Priester, und gab sie auch denen, die bei ihm waren? 27 Und er sprach zu ihnen: Der Sabbat ist um des Menschen willen gemacht und nicht der Mensch um des Sabbats willen. 28 So ist der Menschensohn ein Herr auch über den Sabbat.
Mögen Sie verkaufsoffene Sonntage? Ich kann mich noch ganz gut an meinen ersten erinnern. Da war das noch eine ganz neue Erfindung, vielleicht der erste in Heilbronn überhaupt. Als Student wohnte ich am Stadtrand, ähnlich wie Hagsfeld. Wegen einer auswärtigen Studienveranstaltung an disem Tag, ließ mich jemand im Zentrum aus dem Auto, damit ich den Rest des Weges mit dem Bus zurücklegen konnte. Der Andrang war enorm: Verkehrschaos, überall Menschen: so voll hatte ich die Stadt noch nie gesehen. Als wären alle Geschäfte zuvor mindestens zwei Wochen geschlossen gewesen. Inzwischen haben sich verkaufsoffene Sonntage in vielen Städten etabliert, und egal ob wir zu den Gegnern oder Befürworten gehören: irgendwie haben sich die meisten uns daran gewöhnt. Ich persönlich meide sie eher, vor allem, weil es mir einfach zu voll ist. Aber unser Predigttext fordert uns geradezu heraus auch zu fragen: was würde Jesus dazu sagen, am Ruhetag zu shoppen, wie wir es heute nennen. Ist das für uns nicht das gleiche, wie das Ährenraufen für die Jünger? In drei Schritten möchte ich dieser Frage nachgehen: 1. Die Pharisäer sagen: der Sabbat gehört dem Gesetz! 2. Jesus sagt: der Sabbat gehört dir! 3. Jesus sagt: der Sabbat gehört mir!
1. Die Pharisäer sagen: der Sabbat gehört dem Gesetz! Die Pharisäer nahmen es mit den Geboten Gottes in der Thora sehr genau. Und diese sahen vor, dass am Sabbat nicht geerntet werden durfte (2. Mose 34, 21). Der Sabbat sollte frei bleiben von Arbeit, auch Erntearbeit, der Mensch ganz für Gott da sein. Bauern sollten nicht zu habgierig sein, Arbeiter vor Überbeanspruchung geschützt werden. Aus dem Anliegen der Pharisäer erkenne ich daher durchaus eine tiefe Ehrfurcht vor Gott, der ja auch am siebten Tag von seinem Schöpfungswerk ruhte. Deshalb war ihnen dieser Tag heilig, ein Geschenk Gottes. Für sie war das Verhalten von Jesus und seinen Jüngern eben Erntearbeit - und deshalb betrachteten sie die Jünger als Gesetzesbrecher. Aber warum lässt Jesus seine Jünger etwas tun, was am Sabbat anscheinend verboten war? Wendet sich Jesus vom Gesetz des Moses ab? Als gläubige Juden wussten sie natürlich genau, wie wertvoll das Gebot der Heiligung und Achtung des Sabbats ist. Und doch brechen gerade seine Jünger dieses Gebot, noch dazu ein für das jüdische Selbstverständnis entscheidendes. Nun, Jesus und seine Jünger ernteten hier kein Getreide für den persönlichen Profit, sondern sie suchten einfach nach etwas Essbarem. Die Pharisäer waren so mit der buchstäblichen Auslegung der Regeln beschäftigt, dass sie deren eigentliche
Absicht übersahen. Denn Jesus hätte einfach mit dem Gesetz argumentieren können: Ähren ausraufen war erlaubt. Nur die Pharisäer hatten das als unerlaubte Erntearbeit interpretiert. Doch Jesus antwortet mit der Schrift: Habt ihr nie gelesen? fragt er diejenigen, die Schrift doch so gut kannten. Damit versucht er, ihnen so die Augen zu öffnen. Er verweist auf David, der die Schaubrote aß, als er Hunger hatte. Jesus zweifelt den Sinn des Gebotes nicht an, nein: er würdigt die Notwendigkeit des Ruhetages ausdrücklich. Und bis heute zeichnet sich das Judentum durch die strenge Heiligung des Sabbats aus. Unser Sonntag wird da vergleichsweise viel lockerer gehandhabt. Inzwischen ist er schon sehr verweltlicht. Und doch ist er in unserem Grundgesetz im Artikel 140 als Tag der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung als Grundrecht garantiert. Und natürlich hat unser Sonntag im Vergleich zum Sabbat auch noch eine weitere wichtige Bedeutung: wir feiern die Auferstehung Jesus, jede Woche ein kleines Osterfest. Er erinnert uns an die Befreiung von aller Macht, einschließlich des Todes. Dadurch sind wir zur Freiheit berufen. Dabei ist gerade eines der Anliegen dieses Gebotes, nämlich die Arbeiter vor Überforderung zu schützen, auch für uns äußerst aktuell. Der Sonntag ist von verschiedenen Seiten gefährdet. Damit komme ich zu meinem zweiten Punkt:
2. Jesus sagt: der Sabbat gehört dir! Heute lassen sich viele den Ruhetag nehmen, weil sie mit scheinbar Wichtigem beschäftigt sind. Der Sonntag ist durch Verpflichtungen in der Industrieund Frei-zeitgesellschaft, durch Leistungsdruck, Konsumabhängigkeit und scheinbare Notwendigkeiten bedroht. Immer mehr Menschen müssen auch arbeiten so wie heute wieder viele Verkäuferinnen und Verkäufer. Aber auch die gläubigen Juden zur Zeit von Jesus ließen sich den Sabbat nehmen. Sie lebten unter dem Zwang des Sabbats. Sie waren so damit beschäftigt, kein Sabbatgebot zu übertreten und bei anderen für Ruhe zu sorgen, dass sie selbst gar nicht zur Ruhe kamen. Das Gesetz war wichtiger geworden als die Ruhe. Hier unterscheidet sich Jesus von den Pharisäern. Er zeigt uns, dass Gottes Gesetze dazu dienen sollen, die Liebe zu Gott und anderen Menschen zu fördern. Direkt nach dem Predigttext folgt im Evangelium eine Heilung am Sabbat. Damit zeigt Jesus, dass der Sabbat ein Tag ist, um Gutes zu tun. Der Ruhetag soll nicht zur Plage werden. Er ist vielmehr Zeichen der Menschenfreundlichkeit Gottes, eine Wohltat für uns, ein Angebot für unser Leben. Manche lesen aus den Worten von Jesus nun heraus: Ausnahmen bestätigen die Regel. Wir sollten nicht päpstlicher sein als der Papst. Oder auch:
Für Nachfolger von Jesus hat sich der Sabbat erledigt. Schließlich sind wir frei vom Gesetz. Aber: Jesus macht an anderer Stelle deutlich (Matthäus 5, 17): Er will nicht die Gebote auflösen, sondern erfüllen. Er stellt vielmehr das wichtigste Gebot wieder ins Zentrum: Du sollst Gott lieben und deinen Nächsten wie dich selbst. Aus dieser Sicht ergeben sich Sinn und Bedeutung aller Gebote, auch des Sabbatgebots. Jesus schenkt die Freiheit, ja aber nicht, um das Gesetz der Sabbatheiligung für uns der Sonntagsruhe infrage zu stellen. Sondern vielmehr: die Freiheit, Not und Gebot abzuwägen und im Zweifelsfalle wie Jesus zugunsten des Menschen zu entscheiden. Zugunsten dessen, was ihm förderlich ist. Was heißt das nun für unseren Sonntag? Es soll ein Tag sein, an dem wir uns dankbar daran erinnern, dass wir Gottes Geschöpf sind, geschaffen als sein Ebenbild, als sein Gegenüber in dieser Welt. Ein Tag an dem wir uns daran erinnern lassen, dass wir nicht allein auf dieser Welt sind, sondern mit anderen Menschen zusammen und Anteil daran haben, wie es ihnen geht. Jesus mutet uns also zu, selbst abzuwägen. Nicht willkürlich, nicht nach Lust und Laune, sondern besonnen. Er fragt uns: Was ist für den Menschen gut, was dient zum Leben? Was ist gut und wichtig, damit ich in Freiheit leben kann? Was brauche ich,
damit ich gerne und mit freudigem Herzen Gottes Gebote annehmen kann? Gott schuf den Sabbat zu unserem Nutzen, nicht zu seinem. Jesus (und viele andere) rufen uns also in Erinnerung: Der Sabbat ist ein kostbares Geschenk. Du bist kein Hamster, der sich endlos im Rad drehen muss. Unser Wert und unsere Würde kommen nicht erst aus der Leistung. Als Mensch, besteht deine Würde darin, dass Gott dir einen Tag in der Woche schenkt, an dem du deine gewohnte Arbeit niederlegst. Du kannst dir den Ruhetag nicht verdienen. Du kannst ihn nur von Jesus empfangen. Dann gehört der Tag dir! Der Ruhetag ist keine Pause, die man sich mühsam abringt. Bei Gott gehört er notwendig zur Arbeit dazu. Und so sagt Jesus folgerichtig: Der Sabbat ist für den Menschen gemacht und nicht der Mensch für den Sabbat. Aber er geht noch einen Schritt weiter: So ist der Menschensohn Herr auch über den Sabbat. Der Sabbat gehört also dir, und damit bin ich bei meinem dritten Punkt: der Sabbat gehört Jesus. 3. Jesus sagt: der Sabbat gehört mir! Jesus schenkt uns nicht nur den Ruhetag, er erhebt auch einen Anspruch daran. Lassen Sie uns noch einmal den Vergleich mit David und Schaubrote anschauen. Ich hatte früher gar nie so genau
den Zusammenhang zum Sabbatgebot verstanden. Der Vergleich, um den es Jesus geht, ist der Hunger. In der Parallelstelle zu unserem Text im Matthäusevangelium ist das auch ausdrücklich erwähnt (Matthäus 12, 1). Das ist sein Kriterium. Der Hunger von David, der Hunger der Jünger und ich denke, auch der Hunger von uns. Und damit komme ich noch einmal zur Eingangsfrage zurück: Einkaufen am Sonntag? Zum Glück haben nur die wenigsten von uns heute buchstäblich Hunger, so wie die Jünger damals. Die Problematik hat sich in unseren Tagen verändert. Unser Hunger ist ein anderer: der Hunger nach Leben. Wir hungern nach Zugehörigkeit und Anerkennung, nach Selbstverwirklichung und Glück. Und dann stellt sich uns natürlich die Frage: Was hat Vorrang? Der Hunger der Hungernden oder die Ruhe des Sonntags? Und die Antwort darauf werden wir heute sehen können, wenn die Kaufhäuser wieder voll sind von Konsumwilligen, die versuchen, Ihren Hunger nach immer mehr zu stillen. Aber werden sie dabei auch satt? Wie gut haben wir es doch, wenn wir auf Jesus hören, wenn er sagt: Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid. Ich will euch erquicken. (Matthäus 11, 28). Hunger nach Leben darin spiegelt sich etwas von dem wider, dass Arbeit und Beruf, Konsum und Selbstverwirklichung diese Sehnsucht nach Leben eben nicht befriedigen kön-
nen. Gott will uns mit dem Sonntag dabei helfen. Bei ihm kann unser Hunger gestillt werden. Also stellt uns der Text auch die Frage: Wonach hungert mich? Und vor allem: wie versuche ich, ich meinen Hunger zu stillen? Wenn ich mir das bewusst mache, fällt mir der Umgang mit einem verkaufsoffenen Sonntag viel leichter. Suche ich noch mehr Materielles, Anerkennung, Konsum? Dann wird es mich in die Geschäfte treiben, wo die Angestellten dann auf ihren Sonntag verzichten müssen. Oder suche ich nach Gott, nach seiner Ruhe, nach seinem Frieden? Dann kann ich getrost in den Gottesdienst gehen, einfach mal Pause machen oder denen danken, die arbeiten müssen. Die den Menschen Gutes tun, im Krankenhaus, Pflegeheim, als Straßenbahnfahrer oder Polizist. Und wenn ich dann doch mal am Sonntag einkaufe, weil ich etwas Wichtiges vergessen habe? Oder vielleicht auch nur Lust auf frische Brötchen habe? Im Kolosserbrief lesen wir (Kolosser 2, 16): So lasst euch nun von niemandem ein schlechtes Gewissen machen wegen Speise und Trank oder wegen eines bestimmten Feiertages, Neumondes o- der Sabbats. Wir sind Christus gegenüber verpflichtet, der uns erlöst hat - nicht den Pharisäern, die die Jünger verurteilen. Denn meine Überzeugung ist: auch beim Einkaufen kann man das Reich Gottes predigen, und sei es nur mit einem Lächeln gegenüber der Verkäufe-
rin. Und wer selbst arbeiten muss, für den gilt das umgekehrt natürlich erst recht. Amen.