Liebe Freunde der Weisheit, sehr geehrte Damen und Herren!



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Transkript:

Liebe Freunde der Weisheit, sehr geehrte Damen und Herren! Im Namen des Philosophieforum Kelkheim e.v. begrüße ich Sie herzlich zu unserer letzten Veranstaltung in diesem Jahr. Eine Programmübersicht für das erste Halbjahr 2006 ist am Eingang ausgelegt. Es werden Naturphilosophische Themen behandelt werden. Was bedeutet, dass wir mit dem heutigen Thema: Der Rand einer Gesellschaft, zugleich den aktuellen Zyklus: Gesellschaft ohne Vertrauen (Fragezeichen) abschließen. Allerdings möchte ich darauf hinweisen, dass wir unsere philosophische Diskussion heute Nachmittag am Zauberberg noch eine Weile gemeinsam mit dem Künstlerkreis fortsetzen werden. Sie sind herzlich eingeladen. Mitfahrgelegenheiten sind vorhanden. Nun. Wo steigt man am besten ein, in dieses weite, mit vielen Tabus behaftete Thema: Gesellschaftliche Randgruppen? Was meinen wir überhaupt mit Randgruppe? Bitte erlauben Sie mir, ein wenig auszuholen. Ich verspreche Ihnen, mich trotzdem kurz zu fassen.

2 Sigmund Freud stellte die bis heute gelegentlich vertretene These auf, dass Kultur oder Zivilisation im Sinne von Fortschritt auf einer ständigen Unterjochung menschlicher Triebe beruhen würden. Nicht ohne Kritik. Herbert Marcuse widersprach ihm unter anderem in seinem lesenswerten Philosophischen Beitrag Triebstruktur und Gesellschaft. Während Freud im Triebverzicht eine Voraussetzung für kulturellen Fortschritt zu erkennen glaubte, meinte Marcuse in den negativen Aspekten unserer Kultur geradezu Zeichen der Überalterung herrschender Institutionen zu entdecken: Die Unterdrückung werde womöglich umso nachdrücklicher ausgeübt, je unnötiger sie werde. Was wir über den Vergleich fester, flüssiger und gasförmiger Formen der Gesellschaft mit Aggregatzuständen des Wassers in der letzten Sonntagsveranstaltung in der Theorie bestätigt gefunden haben: Verfestigungen gesellschaftlicher Strukturen resultieren wohl aus einem Mangel an Verantwortungsgefühl. Weshalb sich bei der Betrachtung realer Strukturen die Frage aufdrängen mag: Stellt die wechselseitige Beziehung zwischen Freiheit und Unterdrückung, Produktivität und Zerstörung, Herrschaft und Fortschritt, so, wie Freud meint, ein Prinzip jeder Kultur dar?

3 Oder könnten wir, trotz der real vorhandenen Konflikte, uns vielleicht auch eine nachhaltig fortbestehende Kultur ohne die Unterdrückung Einzelner oder Gruppen von Menschen vorstellen? Vielleicht eine Kultur, die auf völlig anderen, ungeübten Beziehungen zwischen den Menschen beruht? Die Vorstellung von einer Kultur (nicht ohne jeden Druck, aber) ohne Unterdrückung, hat Charme. Nicht wahr? Freud meint, dass die heutige Kultur noch immer durch eine archaische, also weit zurückliegende Erbschaft bestimmt ist. Und, dass diese nicht nur die Entscheidungsprozesse jedes Einzelnen beeinflusst, sondern Inhalte. Erinnerungsspuren an das Erleben früherer Generationen. Psychologie des Einzelnen wäre dann Massenpsychologie und Vergangenheit bestimmte die Gegenwart, weil Menschen noch immer ihre Geschichte nicht gemeistert haben. Nach Freuds Vorstellung wurde eine erste Gruppe Menschen überhaupt, durch die Diktatur eines Einzelnen errichtet. Und der, dem das gelang, war seiner Meinung nach der Vater. Der schloss seine Söhne von höchster Lust aus und belegte sie zugleich mit härtester Arbeit für die Urhorde.

4 Unübersehbar schürt jede Unterdrückung Widerstand und Hass, der auch in Freuds Konstruktion im Aufstand der widerspenstigen Söhne gipfelt. In der gemeinschaftlichen Tötung des Vaters, als Sinnbild der Revolution. Und dem anschließenden Verzehr des Vaters, als Sinnbild der restlosen Beseitigung nicht nur der Macht selbst, sondern all ihrer Symbole. Diese erste Unterdrückung in der Geschichte der Menschheit mündet in die Errichtung einer Bruderhorde. Und, in eine Kultur der Selbstbescheidung. Sie erinnern sich vielleicht an unsere vorletzte Veranstaltung? Dort war ebenso von einer anfänglichen Brüdergemeinschaft die Rede. Allerdings eher im Sinne einer n a t ü r l i c h e n Erbengemeinschaft. Freuds Horde basiert auf Revolution und Gewalt und führt deshalb zur ewig währenden Schuldfrage. Freud meint, das entscheidende psychologische Ereignis, das den Brüderklan von der Urhorde unterscheidet, sei die Entwicklung eines Schuldgefühls. Und er folgert daraus, dass jeder Fortschritt von Kultur in diesem Sinne, Schuldgefühle voraussetzt: Solch Schuldgefühl gegen den Vater wirke in jedem Einzelnen heute noch und stütze die selbst auferlegten Beschränkungen der Triebbefriedigung, von denen eben der Kulturfortschritt abhänge. Müssen wir soweit zurück in der Analyse des Problems?

5 Nun. Sünde ist zutiefst persönliche Schuld. Sie setzt die Fähigkeit des Sünders zur Einsicht in Unrecht voraus. Weshalb sie nicht nur den gläubigen Menschen von Gott, und den Ehrlichen von seinem Nächsten, sondern gerade jeden Menschen von sich selbst trennt. Das sieht Freud wenn er meint: Die Einsicht in die Schuld führe zu Kultur, weil nur der sich unterdrücken kann, der sich von sich selbst trennt. Wir müssen aber subjektive Schuld, die auf Einsicht beruht, von der objektiv auferlegten Verantwortung unterscheiden. Die heute als ungerecht empfundenen gesellschaftlichen Verhältnisse können dann: soziale- bzw. strukturelle Sünde genannt werden. Der Einzelne sündigt in unserer Demokratie sobald er die Strukturen als ungerecht empfindet. Egal gegen wen ungerecht. Interessanter Gedanke, nicht wahr? Ein Beispiel zum besseren Verständnis dieses Gedankens: Der Halter eines Autos, der nicht selbst gefahren ist, haftet für einen Schaden, den der Fahrer seines Autos anrichtet. Dies nicht etwa, weil er den Unfall verschuldet hat, sondern weil er die Verantwortung dafür trägt, dass sein Auto mittels Zulassung überhaupt in den Straßenverkehr gelangen konnte. Schuld trägt - unter weiteren Voraussetzungen - der Fahrer.

6 Wir können also die Verantwortung für etwas auferlegt bekommen, ohne zugleich Schuld tragen zu müssen. So denken Sie an die Verantwortung, die jüngere deutsche Generationen für die Judenverfolgung durch ihre Vorfahren zu tragen haben. Schuld an den Verbrechen waren sie nicht. Was ich damit zeigen möchte ist, dass das Gespür für die persönliche Sünde auch des Vaters, des Diktators, wie sogar der einer demokratisch gewählten Regierung, nicht in dem Begriff der strukturellen Sünde geschwächt werden darf. Womit wir zu einer ungewohnten Ansicht von kulturellem Druck gelangen. Der ja regelmäßig von den Söhnen ausgeht. Von denen, die benachteiligt sind. Er ist stets Leidensdruck betroffener Menschen, der in der Regel als solcher nur aus diesem kulturellen Kontext heraus wahrgenommen wird. Die betroffenen Menschen bilden die innovative und kreative Kraft, die Veränderungen erzwingt, wenn der Leidensdruck unerträglich wird. Wir sprachen beim letzten Mal ebenso über mögliche Veränderungen von Gesellschaftsstrukturen: Über die Katastrophe, den tiefsten Punkt, dem die Katharsis, die Wende, folgt. Sowie über die Besinnung auf Energien, die wir der festgefrorenen Gesellschaft zuführen könnten, um sie in den flüssigen Zustand einer Gemeinschaft zu versetzen.

7 Und zwar Energien in Form von Liebe bzw. in Form der Übernahme von Verantwortung, wie wir Liebe alternativ bezeichneten. Nennen wir diese Energie also auch jetzt Verantwortung. Über sie sind wir heute eingestiegen. Und betrachten wir einmal die Mitverantwortung an den bestehenden gesellschaftlichen Strukturen, die ja gerade selbst wieder, der eigenen Kultur verhaftete Verantwortungen schaffen. Wie die des Autohalters. Sie erkennen den Zirkel der Verantwortung? Wie zuvor im Sommer als wir über den Zirkel der Gerechtigkeit sprachen? Zuviel Gerechtigkeit führt zu Ungerechtigkeit. Und nun? Führt uns zuviel strukturelle, auferlegte Verantwortung in die Unverantwortbarkeit? Es ist der Zirkel selbst zu verantwortender Verantwortung, der den Betroffenen zum Sünder, zum Schuldigen gegen sich selbst oder gegen seinen Nächsten werden lässt. Und den Unschuldigen die eigene Verantwortung nicht erkennen lässt. Wir, die wir für unsere Gesetze verantwortlich sind, unsere Strukturen, durch deren Löcher so mancher hindurchfällt, wir nötigen Betroffene in die Betroffenheit. Mögen wir vielleicht nicht schuldig sein, so tragen wir doch die Verantwortung für die von der Struktur und ihren Lücken Betroffenen.

8 Aber, und diesen Schluss möchte ich aus der Erwähnung von Freuds Ansatz mit nehmen: Die Suche nach Schuldigen lenkt in die falsche Richtung. Weshalb sie uns möglicherweise so bequem erscheint, die Suche nach den Schuldigen. Warum sollten wir objektiv Verantwortung übernehmen? Nun. In einer Gesellschaft wird Kreativität zur Veränderung, zur Wende, zur Katharsis, immer an ihren Rändern, nämlich von den Betroffenen selbst freigesetzt. Und diese Kreativität muss im Interesse des Erhalts des Systems von der Obrigkeit aufgegriffen und umgesetzt werden. Sonst ist das Ende des Systems vorprogrammiert, wie man zu sagen pflegt, dann wird quasi ein Vatermord im Sinne Freuds unabwendbar. Das heißt, wenn die Obrigkeit einen sinnvollen Ausdruck von Gruppeninteressen nicht gestattet, werden junge Menschen nicht einfach klein beigeben, sondern eher Subkulturgruppen bilden, auch Randgruppen genannt. Und sie werden ihre Wut an der Kultur bzw. den Menschen, die diese verkörpern auslassen. An jenen, die ihnen ihr natürliches, angestammtes oder kulturbedingtes Erbe einschränken oder gar nehmen wollen. Denn Randgruppen existieren ja nicht per se, ohne ihre Gesellschaft.

9 So finden sich Banden zusammen. Sie rotten sich, bilden Schlägergruppen und lassen ihren Frust an der Polizei oder irgend einer anderen Instanz der konformistischen Autorität aus. Die ganze Szene entsteht quasi aus bedrängtem Leben. Das Aufgreifen eines sich in der Gesellschaft formierenden kulturellen Drucks, wie er in der Ökologie-, der Frauen- oder der Friedensbewegung, auch in Ideen zur Fortentwicklung einer sozialen Marktwirtschaft zur Zeit seinen Ausdruck findet, muss durch politische Entscheidungen nachvollzogen werden. Quasi im Sinne einer natürlichen Erbfolgenregelung - will man eine Revolution vermeiden. Wenn wir Menschen ohne Unterdrückung zu einer nachhaltig gewaltfreien Gestaltung der Wirklichkeit gelangen wollen, dann müssen wohl alle am Abbau universaler Ansprüche aus der Perspektive der von den vielen Rändern der Gesellschaft Kommenden, der Benachteiligten, der Opfer, arbeiten. - Im Interesse der Abwendung selbstzerstörerischer Tendenzen, wie wir sie erst kürzlich eindrucksvoll in Paris beobachten konnten. Vielleicht setzt ja die aktuelle Krise genügend Kreativität auch bei der gewählten Obrigkeit frei. Der heutige Tag mag zumindest uns ein Stück dabei helfen. In diesem Sinne übergebe ich nun das Wort an unseren Referenten Christian Heinrich.

10 Herr Heinrich ist Theater-Regisseur und einigen von Ihnen möglicherweise von der Aufführung seines Schillerstücks Die Räuber oder: Was hat Schiller mit uns zu tun? noch bekannt. Zur Zeit arbeitet er an einem neuen Projekt, das er uns aber besser selbst vorstellen wird. Bitte, Herr Heinrich.