Pfarrer Wolfgang Dembski Dortmund Kirche in WDR 2 5 30.08. 04.09. 2010. Montag, 30.8.2010 Sich orientieren lernen



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Transkript:

1 Pfarrer Wolfgang Dembski Dortmund Kirche in WDR 2 5 30.08. 04.09. 2010 Montag, 30.8.2010 Sich orientieren lernen Guten Morgen liebe Hörerinnen und Hörer. Heute beginnt für viele Jungen und Mädchen ein neues Schuljahr. Die großen Ferien sind zu Ende; jetzt heißt es wieder lernen, Arbeiten schreiben, sich über gute Noten freuen oder sich über schlechte Zensuren ärgern. Besonders aufgeregt dürften die Kinder sein, die in diesen Tagen zum ersten Mal in die Schule gehen. Und auch ihre Eltern werden einiges Herzklopfen haben, denn der erste Schultag ist ja ein wichtiges Ereignis für die ganze Familie. In meiner Erinnerung sehe ich da die kleine Sara vor mir. Nach dem Einschulungsgottesdienst am ersten Schultag steht sie am Kirchplatz, auf dem Rücken einen bunten Tornister und in den Händen eine große Schultüte. Neben ihr ihre Mutter und auch ihr Großvater. Ich frage Sara: Na, hast du nicht ein bisschen Angst, wenn du jetzt in die Schule gehst? Nein, sagt Sara, überhaupt nicht, ich kann nämlich schon ganz viel. Ich kann schon meinen Namen schreiben und ich kann auch schon ein bisschen lesen. Und schon läuft sie mit ihrer Freundin in Richtung Schule. Der Großvater hat Saras Worte gehört. Er sagt: Es ist ja wirklich erstaunlich, was die Kinder heute schon alles wissen. Sara erzählt mir manchmal Sachen, da frage ich mich, woher hat sie das? Als ich so alt war, wie Sara, da habe ich längst nicht so viel gewusst wie die Kinder heute. Und dann sagt er etwas besorgt: Ich frag mich aber auch, wie können die Kinder das alles verarbeiten? Ist das nicht manchmal alles zu viel für sie? Diese Fragen stelle ich mir auch. Sara wird in ihrer Schullaufbahn eine Riesenmenge von Informationen aufnehmen. Aber was wird sie damit anfangen? Wird sie sortieren können, was für sie wichtig und was unwichtig, ja vielleicht sogar schädlich ist? Sie soll ja einmal ein glücklicher Mensch werden, eine erwachsene Frau, die das Leben liebt und etwas aus ihrem Leben macht. Wie lernt man das? 1

2 Allein wird Sara es nicht schaffen können. Sie braucht Menschen, die ihr helfen, die ihr ein gutes Beispiel geben und die ihr die richtigen Werte vermitteln, Werte, von denen es abhängt, wie sie ihr Leben gestaltet und welchen Weg sie geht. Solche Begleiter ins Leben sind in erster Linie Saras Eltern. Ich kenne sie, und ich weiß, dass sie sich bei der Erziehung ihres Kindes ganz viel Mühe geben. Und ich weiß auch, dass christliche Werte dabei eine wichtige Rolle spielen. Bei Saras Taufe vor sechs Jahren habe ich die Eltern gefragt, ob sie ihre Tochter christlich erziehen wollen. Sie haben zugestimmt und versprochen: Ja, wir wollen unserem Kind helfen, dass es Gott und den Nächsten lieben lernt. Lieben lernen, darauf kommt es an. In vielen Schulstunden wird Sara eine Menge Unterrichtsstoff aufnehmen. Sie wird Wissen speichern, Prüfungen bestehen und Zensuren bekommen. Aber das Wichtigste wird sein, dass sie sich im Leben zurecht findet und Freude am Leben hat. Und das gelingt am besten, wenn sie lernt, Gott und ihre Mitmenschen zu lieben. Wie schwer das ist, wissen wir Erwachsene nur allzu gut. Rücksichtnahme, Hilfsbereitschaft, Zivilcourage, Engagement für die Schwachen Werte, die wir für das Zusammenleben dringend brauchen, die aber im täglichen Existenzkampf leider oft aus dem Blick geraten. Saras Eltern werden dennoch versuchen, ihrem Kind den richtigen Weg zu zeigen im Vertrauen darauf, dass Gott ihnen hilft und die Familie mit seinem Segen begleitet. Am Ende der Tauffeier damals vor sechs Jahren haben wir nämlich für Sara gebetet: Gott segne dieses Kind und hilf uns, ihm zu helfen, dass es lieben lernt mit seinem ganzen Herzen. 2

3 Pfarrer Wolfgang Dembski Dortmund Dienstag, 31. August 2010 Erwachsen werden lernen Guten Morgen, meine Hörerinnen und Hörer Ich frage 17jährige Jugendliche: Was stört euch an uns Erwachsenen? Die Antwort: Dass die Erwachsenen dauernd an uns herum meckern. Ist das so? Tatsächlich gibt es manches, das uns Älteren an der Lebensweise junger Menschen nicht gefällt. Wie ja auch umgekehrt Jugendliche uns Ältere kritisieren. Aber vielleicht übersehen wir manchmal, wie schwer es für junge Menschen ist zu lernen, in dieser komplizierten Welt erwachsen zu werden. Wenn ich Jugendliche frage, was sie zur Zeit besonders beschäftigt, was sie empfinden und fühlen, dann höre ich oft: Wir freuen uns auf die Zukunft und zugleich haben wir Angst. Wir wissen nicht, was auf uns zukommt, sollen aber jetzt schon wichtige Entscheidungen treffen. Da fühlen wir uns manchmal überfordert. Teresa hat auch diese Schwierigkeiten. Sie steht kurz vor dem Abitur. Ständig hört sie die Fragen ihrer Eltern: Wie sehen deine Zukunftspläne aus? Welchen Beruf hast du dir ausgesucht? Sag mal endlich, was du vorhast. Teresa weiß es nicht. Da wird Teresa in ihrer Kirchengemeinde gefragt, ob sie bei einer Aktion für Obdachlose mitarbeiten will. In unserer Stadt werden an verschiedenen Sonntagen von Kirchengemeinden Obdachlose als Gäste zu einem Frühstück eingeladen. Teresa entschließt sich mitzuhelfen. Was sie da erlebt hat, erzählt Teresa so: Zuerst hatte ich Angst, dahin zu gehen. So viele fremde Menschen, die dann auch noch ganz anders sind als ich! Und außerdem wird mich sowieso keiner ernst nehmen, weil ich noch so jung bin. Aber es war dann ganz anders. Teresa erzählt weiter: Ich habe über mich selbst gestaunt. Ich wusste gar nicht, dass ich so gut mit fremden Menschen umgehen kann. Ich glaube sogar, die Gäste hatten mich richtig gern. Und die älteren Mitarbeiter waren mit mir zufrieden und haben mich sogar gelobt. Teresa hat also gute Erfahrungen gemacht. Sie hat erlebt, dass sie gebraucht wird und für andere Menschen wichtig ist. Sie wird ernst genommen, und Erwachsene trauen ihr etwas zu. Ich bin sicher, dass dieses Erlebnis für ihre Berufsentscheidung ein wichtiger Impuls sein wird. 3

4 Die Erfahrung, in der Erwachsenenwelt erwünscht und angenommen zu sein, machen leider nicht alle jungen Menschen. Viele haben das Gefühl: Wir sind überflüssig, wir werden nicht gebraucht. Sie sehen, dass die Starken, die Begabten, die Cleveren nach oben kommen, dass aber andere mit nicht so guten Startbedingungen wenig Chancen haben. Und da wünschte ich mir, dass wir Älteren gerade auf diejenigen Jugendlichen achten, die es schwer haben und die aus irgendeinem Grund benachteiligt sind. Dass wir ihnen das Bewusstsein vermitteln: Du bist ein wertvoller Mensch, du bist für uns wichtig, und wir brauchen dich. Eine Erfahrung, die ja für uns alle, egal ob jung oder alt, lebensnotwendig ist. Ich habe Teresa, die übrigens eine leidenschaftliche Motorradfahrerin ist, gebeten, mir ihre augenblickliche Stimmungslage noch einmal zu beschreiben. Sie hat es in Form eines Gebetes getan, und das lautet so: Gott, einen Teil meines Lebensweges habe ich geschafft. Nun muss ich die Ausfahrt in ein neues, eigenes Leben nehmen. Ich freue mich darauf, aber einige Ängste bremsen mich immer wieder. Hilf mir, damit ich mein Bestes geben kann. Gib, dass ich Anerkennung erlange, und gib mir die Kraft, mit ihr umgehen zu können. Sei mein zuverlässiges Gefährt und mein Kraftstoff, damit ich meine Ziele erreiche und meinen Platz finde auf dem Arbeitsmarkt, in der Gesellschaft und in der Welt. 4

5 Pfarrer Wolfgang Dembski Dortmund Mittwoch, 1. September 2010 Miteinander umgehen lernen Guten Morgen meine Hörerinnen und Hörer, eine Frau erzählt mir von ihrer Scheidung. Sie sagt: Fünf Jahre waren wir verheiratet. Vor der Hochzeit haben wir uns schon lange gekannt, und ich habe gewusst, dass er ein ziemlich schwieriger Mensch ist. Aber dass er ein solcher Egoist, solch ein Ichmensch ist, das habe ich erst in der Ehe gemerkt. Mit so einem Mann kann man nicht zusammen leben. Und in ihrer Enttäuschung sagt sie dann: Ich habe mal den Satz gehört: Frauen und Männer passen nicht zueinander. Ich glaube, das stimmt. Natürlich stimmt das nicht, und dieser Satz ist auch nicht ernst gemeint, aber viele Paare haben es nun mal schwer miteinander. Die hohen Scheidungsraten bestätigen das. Woran mag das liegen? Erklärungsversuche gibt es dafür ja in großer Zahl. Besonders plausibel erscheint mir die Meinung, dass sich Menschen oft überfordern, dass einer von dem anderen das Glück erwartet und dann enttäuscht ist, wenn das nicht gelingt. Denn mit Glück ist oft das Hochgefühl des Verliebtseins gemeint, das es in der Realität auf Dauer nicht geben kann. Und doch lerne ich immer wieder junge Paare kennen, die sich mit Optimismus und Mut auf den gemeinsamen Weg machen. Sie kennen die hohen Scheidungsraten und erleben im Bekanntenkreis, vielleicht sogar bei ihren eigenen Eltern, wie brüchig und konfliktreich Beziehungen werden können. Wenn ich sie dann frage, wie sie in ihrer Ehe glücklich werden wollen, haben sie oft ganz konkrete Vorstellungen. Sie sprechen zum Beispiel von Vertrauen, von Ehrlichkeit, von Toleranz und Verlässlichkeit. Und dann fällt mir in letzter Zeit auf, dass sich junge Paare vor allem Respekt wünschen, Respekt im Umgang miteinander. Warum wohl? Ich vermute, dass junge Menschen viel Respektlosigkeit erleben. Sie nehmen in ihrem Alltag wahr, dass Respekt vielfach verloren gegangen ist und dieser Verlust sich zu einem gesellschaftlichen Problem entwickelt hat. Sie erleben, wie Menschen e- goistisch ihren Willen durchsetzen, wie Menschen ausgenutzt und abgewertet werden und dass so ein Klima von Kälte, ja von Unmenschlichkeit entsteht, in dem das 5

6 Leben keine Freude macht. Darum ist es wohl auch kein Zufall, dass an einer Universität ein Projekt gestartet wurde mit dem Ziel, Respektforschung zu betreiben. Ausgangspunkt ist die Erkenntnis: Respekt ist das Schmiermittel unserer Gesellschaft, und wo er verlorengegangen ist, funktioniert das Miteinander nicht mehr. Wenn also junge Paare den Respekt ganz hoch einschätzen, sind sie auf der richtigen Spur. Wenn sie dann zur Hochzeit in die Kirche kommen, erinnere ich sie daran und wünsche ihnen, dass sie immer mehr lernen, respektvoll miteinander umzugehen, nämlich einander gelten lassen, den anderen nicht vereinnahmen, ihn niemals erniedrigen, niemals demütigen, seine Eigenart positiv sehen und wertschätzen, seine Selbständigkeit achten und vor allem dem Partner oder der Partnerin die Freiheit lassen, er oder sie selbst zu sein. Wenn ein junges Paar das versucht, sieht es für seine Zukunft gut aus. Dass dann im mühevollen Ehealltag die guten Vorsätze gelegentlich ins Wanken geraten, steht außer Frage. Aber vielleicht hilft gerade in Krisenzeiten ein Gedanke, den der Apostel Paulus seiner Gemeinde in Rom mitteilt. Er sagt: Unser Glück beginnt damit, dass Gott uns respektiert und dass er uns eine besondere Kraft und Energie schenkt, durch die wir einander lieben können. Diese Liebe ist sehr stark, sehr widerstandsfähig. Sie erträgt alles, glaubt alles, hofft alles, hält allem stand. Diese respektvolle Liebe hört niemals auf. 6

7 Pfarrer Wolfgang Dembski Dortmund Donnerstag, 2. September 2010 Mit Grenzen leben lernen Guten Morgen meine Hörerinnen und Hörer, ich möchte Ihnen von einer Frau erzählen, die ein anstrengendes Hobby hat, sie ist Marathonläuferin. Das macht ihr viel Spaß, und sie hat auch Erfolg. Neulich habe ich die Frau wieder getroffen und da sagt sie: Ich mache keine Wettkämpfe mehr. Ich habe mit meinem Sport aufgehört. Ich frage warum und sie sagt: Es war für mich Zeit, damit Schluss zu machen. Ich merke, dass ich an meine Grenzen gekommen bin. Ich brauche mehr Zeit für meine Kinder, im Beruf werden die Anforderungen immer höher und außerdem spüre ich auch allmählich mein Alter. Da hab ich mir gesagt: Sei vernünftig, hör auf! Ich frage die Frau, wie sie jetzt damit klar kommt. Ihre Antwort: Ich fühle mich gut, ich bin mit meiner Entscheidung zufrieden. Nicht alle machen es so. Ich kenne auch Menschen, die längst an die Grenzen ihrer Belastbarkeit gekommen sind und dennoch weiter machen. Ich bin aus hartem Holz geschnitzt, sagt ein Mann, der in seinem Beruf schon viel geleistet hat, aber längst nicht zufrieden ist und noch große Pläne hat. Ich gehöre noch nicht zum alten Eisen, ermutigt er sich selbst, und Wer rastet, der rostet ist einer seine Lieblingssprüche. Ja, und dann ganz plötzlich tritt ein, was seine Familie und seine Freunde längst befürchtet haben: Er bricht zusammen und landet auf der Intensivstation im Krankenhaus. Als ich ihn besuche, finde ich einen mutlosen und deprimierten Menschen vor. Er klagt: Ich war ein Leben lang gesund, nie im Krankenhaus, und jetzt das! So ein jämmerlicher Schwächling wie jetzt war ich noch nie. Aber ich lasse mich nicht hängen. Ich kämpfe weiter, und ich garantiere Ihnen, in zwei Wochen bin ich wieder an meinem Arbeitsplatz. Wie kann ich diesem Mann helfen, dass er lernt, mit seinen Grenzen umzugehen, dass er sie erkennt und dass er sie akzeptiert? Natürlich kann ich an seine Vernunft appellieren und ihn vor dem nächsten Zusammenbruch warnen. Aber das wird nicht ausreichen. Ich müsste ihm klarmachen, dass er eine andere Einstellung zu seinem Leben finden muss. Bisher hat er nach dem Motto gelebt: Ich bin nur etwas wert, wenn ich stark bin und Leistungen vorweisen kann. Jetzt müsste er lernen, dass er 7

8 ein wertvoller Mensch ist, auch dann, wenn er schwach ist; wenn er zum Beispiel hilflos im Bett liegt und auf andere angewiesen ist. Ich würde ihm dazu gern den Begriff Gnade erklären. In unserer Alltagssprache taucht dieser Begriff ja nur selten auf, höchsten als unangenehmes Wort, wenn wir von einem gnadenlosen Wettbewerb oder von einer gnadenlosen Abrechnung reden. Gnade aber ist etwas sehr Gutes, ja sie ist lebensnotwendig. Wir können nämlich nicht nur von der Zuwendung leben, die wir uns verdienen. Wir brauchen ganz viel Zuwendung, die uns geschenkt wird, Gnade also. Und anfangen müssen wir bei uns selbst. Uns selbst sollten wir Gnade schenken. Darum würde ich dem Mann, der sich so abwertet und sich Vorwürfe macht, sagen: Gehen Sie nicht so gnadenlos mit sich um! Verurteilen Sie sich nicht, sondern lassen Sie für sich selbst Gnade walten! Wenn er das lernen könnte, käme sein Selbstwertgefühl wieder in Ordnung. Und vielleicht würde er jetzt auch diejenigen mehr respektieren, die er früher verachtet hat: die Schwachen, die Verlierer, die Pechvögel. Denn oft sind es ja gerade solche Menschen, von denen wir Tapferkeit und Lebensfreude lernen können. Dem Apostel Paulus ist es auch so gegangen. Er war ehrgeizig und wollte hoch hinaus. Aber nach vielen Niederlagen und Zusammenbrüchen fasst er seine Erfahrungen in einem Satz zusammen: Wenn ich schwach bin, dann bin ich stark. 8

9 Pfarrer Wolfgang Dembski Dortmund Freitag, 3. September 2010 Sich entscheiden lernen Guten Morgen, meine Hörerinnen und Hörer, ob Sie wohl wissen, was ein Perhappy ist? Ein Perhappy ist ein Vielleichtmensch, ein Mensch, der sich nicht entscheiden kann, der das eine will und das andere auch. Da will jemand ein Fernsehgerät kaufen. Er hat nach langem Suchen einen Apparat ausgewählt und ist schon auf dem Weg zur Kasse. Da zögert er und sagt dem Verkäufer: Ich will mich noch mal umsehen, vielleicht finde ich woanders noch ein günstigeres Angebot. Oder eine Frau wird zu einem Geburtstag eingeladen. Sie sagt zu, denkt dabei aber: Wenn ich für diesen Abend noch eine Konzertkarte kriege, gehe ich vielleicht dahin. Perhappys lassen also alles offen. Eine eindeutige und bindende Entscheidung fällt ihnen schwer. Das gilt dann auch für Beziehungen. Perhappys lassen in einer Beziehung alles in der Schwebe. Es könnte ja sein, dass demnächst noch jemand auftaucht, der attraktiver ist und besser zu mir passt. Ob Perhappys glückliche Menschen sind? Ich kann es mir nicht denken. Klar, sie wollen sich nicht festlegen und fühlen sich dadurch frei. Ihre Freiheit geht ihnen über alles. Aber ich glaube, sie haben auch Angst. Es gibt ja so viele Angebote, so viele Möglichkeiten. Ich muss ständig wählen und auswählen. Dabei verliere ich den Ü- berblick und weiß dann nicht, was richtig ist. Das macht Angst. Denn was ist, wenn ich mich falsch entscheide? Also lieber gar nicht entscheiden und alles in der Schwebe lassen. Nur: Das kann zwar lange gut gehen. Aber schließlich müssen sich Menschen, die ihr Leben in den Griff bekommen wollen, auch mal festlegen. Und das muss man lernen. Ich denke da zum Beispiel an die jungen Frauen und Männer, die darüber nachdenken, ob sie Kinder haben wollen. Manche zögern lange. Passt das in unsere Lebensentwürfe?, fragen sie sich. Oder auch: Können wir uns das finanziell leisten? Wie sind die Zukunftsaussichten? Aber irgendwann kommt dann der Zeitpunkt, wo die Zeit drängt und die Entscheidung nicht mehr weiter rausgezögert werden kann. Ich erinnere mich da an ein junges Paar, deren Diskussionen ich häufig miterlebt habe. Es war vor allem der junge Mann, der oft Sätze sagte, die so anfingen: Was ist, 9

10 wenn. Was ist, wenn das Kind behindert zur Welt kommt? Was ist, wenn wir unsere Arbeitsplätze verlieren? Was ist, wenn wir uns nicht mehr verstehen und uns trennen? Was den beiden schließlich geholfen hat, sich zu entscheiden, waren unsere Gespräche über das Vertrauen. Vor allem das Vertrauen ins Leben. Das Leben, das so kostbar ist und trotz aller Gefahren so wunderbar und beglückend sein kann. Und dann sprachen wir auch über das Vertrauen in denjenigen, der uns das Leben geschenkt hat, Gott, unseren Schöpfer. Wie ein guter Vater oder eine liebende Mutter begleitet er uns ein Leben lang mit seiner Liebe und Fürsorge. So ein Vertrauen macht Mut. Mut, sich zu entscheiden und für die Entscheidung Verantwortung zu übernehmen mit der ganz großen Zuversicht: Es wird gut gehen. Und wenn es nicht gut geht, wenn die Entscheidung doch falsch war? Jemand hat mal gesagt: Gott schreibt auch auf krummen Zeilen gerade. Dahinter steht die Erfahrung, dass wir im Rückblick auf unser Leben auch in den falschen Entscheidungen, einen Sinn finden können. Sei es, dass wir aus unseren Fehlern lernen, sei es, dass wir sie im Nachhinein als nützliche Etappen in unserem Lebenslauf erkennen. Gott, du kennst mich und bist vertraut mit all meinen Wegen. Dieser Satz steht in der Bibel. Er kann unser Vertrauen stärken und Mut machen für neue Entscheidungen. 10

11 Pfarrer Wolfgang Dembski Dortmund Samstag, 4. September 2010 Loslassen lernen Guten Morgen, meine Hörerinnen und Hörer, für einen Familienstreit gibt es bekanntlich viele Ursachen. Hier ein Beispiel: Ein junges Ehepaar hat in der letzten Zeit häufig Streit, weil der junge Mann viel Zeit bei seinen Eltern verbringt. Die Eltern wohnen in einem großen Haus mit einem großen Garten. Da gibt es viel Arbeit. Der junge Mann fühlt sich verpflichtet, seinen Eltern zu helfen, aber auch sonst genießt er es, im Elternhaus willkommen zu sein und besonders von seiner Mutter verwöhnt zu werden. Seiner Frau gefällt das gar nicht. Deine Eltern sind noch so rüstig. Die können sich selbst helfen, sagt sie. Und außerdem sollten sie dich endlich loslassen. Schließlich bist du erwachsen und nicht mehr das Kind von früher. Loslassen, den Eltern fällt das schwer und dem jungen Mann auch. Aber sie müssen es lernen. Schließlich müssen alle Menschen das Loslassen immer wieder neu lernen und das ein ganzes Leben lang. Der Mann zum Beispiel, der jedes Jahr mit Begeisterung Bergtouren gemacht hat und jetzt vom Arzt hören muss: Damit ist es vorbei. Ihr Herz macht das nicht mehr mit. Oder die allein stehende Frau, deren Lebensinhalt bisher ihr Beruf war und die sich jetzt vor der Pensionierung fürchtet. Das Ehepaar, das aus finanziellen Gründen die schöne große Wohnung aufgeben muss... Immer wieder loslassen, aufgeben, Abschied nehmen, das tut weh. Allerdings wissen wir ja auch, dass Loslassen nicht nur Verlust bedeutet. Es kann auch Gewinn bringen. Ich gebe etwas Wertvolles auf, kann dann aber auch etwas Neues gewinnen: ein neues Hobby, neue sinnvolle Aufgaben, einen neuen interessanten Bekanntenkreis... Besonders groß ist der Schmerz allerdings, wenn ich mich von Menschen trennen muss. Von einem Menschen vielleicht, der für mich besonders wichtig war, den ich geliebt habe. Es ist dann so, als müsse ich ein Stück von mir selbst weggeben. Und für diesen Verlust gibt es dann auch keinen Ersatz. Vielleicht gibt es aber in allem 11

12 Schmerz einen Trost. Es würde mich trösten, wenn ich wüsste, dass es dem Menschen, den ich verloren habe, gut geht. Weil ich ihn nach wie vor liebe, wünsche ich ihm, dass er jetzt glücklich ist. Ich weiß von einem Mann, dessen kleine Tochter gestorben ist und der von einem Traum erzählt. In diesem Traum habe er seine Tochter gesehen, wie sie auf einer bunten Frühlingswiese mit anderen Kindern spielt. Sie winkt ihrem Vater zu und lässt sich dann bei ihrem Spiel nicht weiter stören. Der Mann sagt: Dieses Traumbild rufe ich mir immer wieder ins Gedächtnis. Vielleicht ist es ja wirklich so, dass meine Tochter in einer anderen Welt lebt, dass es ihr da gut geht und dass sie dort glücklich ist. Ich weiß es nicht, aber ich hoffe es. Und was hoffe ich? Besonders ältere Menschen wissen, dass alles Loslassen letztlich eine Übung ist für das, was uns allen bevorsteht: Einmal das eigene Leben loslassen müssen. Ich möchte das nicht. Ich sträube mich, denn das Leben ist so schön; ich möchte es behalten. Aber wenn ich hoffen darf, dass ich dort, wo ich hingehe, liebevoll empfangen werde, dass ich eintauche in eine Welt voller Licht, voller Liebe und ewigem Frieden, vielleicht wird das Loslassen dann leichter. Um das zu lernen und einzuüben, empfehle ich ein Gebet am Abend vor dem Einschlafen. Es lautet: Gott, in deine guten Hände lege ich voll Vertrauen meinen Geist. 12