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...Das Elend übersteigt jeden Begriff... Ahr-Hochwasser am 12. /13. Juni 1910 forderte 52 Menschenleben Leonhard Janta/Helmut Poppelreuter Für die meisten Besucher des Ahrtals ist es schwer vorstellbar, dass die beschaulich dahinfließende Ahr durch Schneeschmelze oder Wolkenbrüche zum reißenden Fluss werden kann. Sie hat dann wiederholt Wiesen, Felder und Weingärten überschwemmt, Häuser und Brücken zerstört und sogar Menschenleben gefordert. Ab dem Jahre 1348 überlieferte Quellen belegen eindrucksvoll die gewaltige Zerstörungskraft der Ahr, vor allem nach sommerlichen Wolkenbrüchen. Akribisch dokumentiert hat diese Ahrhochwässer Dr. Karl August Seel im Heimatjahrbuch des Jahres 1983. 1) Das Hochwasser vom 21. Juli 1804 dürfte nachweislich das bisher höchste im Ahrtal gewesen sein. Es forderte nach regenreichen Wochen und einem Unwetter, das alle Nebenbäche über die Ufer treten ließ, durch eine Flutwelle 63 Menschenleben. 2) Hochwasser 1910 Ähnlich wie 1804 verhielt es sich 1910: Vor den Wolkenbrüchen und der dadurch ausgelösten Flutwelle am 12. / 13. Juni 1910 hatte es ebenfalls wochenlang geregnet, so dass die Ahr und die in sie mündenden Bäche, vor allem der Nohnbach, Trierbach, Ahbach und Adenauerbach, zu reißenden Bächen anschwollen und verheerende Schäden verursachten. Die Flutwellenanschwellung der Ahr durch den Wolkenbruch brachte insgesamt nach genauen Berechnungen eine Wassermenge von 33 Millionen Kubikmeter bis zur Mündung in den Rhein. 3) Normalerweise beträgt die Wassermenge der Ahr lediglich einen Bruchteil davon. Der Adenauer Bach führte am 12. Juni 1910 abends Hochwasser, das in der Nacht weiter anschwoll und den Kreisort Adenau fast völlig überschwemmte. Die Hauptflutwelle ergoss sich auf den rund 39 Flusskilometern der Ahr von Müsch bis Bad Neuenahr zwischen 3 Uhr morgens bis 10.30 Uhr, benötigte also rund 7,5 Stunden. Durch den Altenahrer Straßentunnel floss das Wasser dabei in einer Höhe von 2 m. 4) Im Kurhotel von Bad Neuenahr solle es beim Erreichen der Flutwelle in einer Höhe von 1,60 m gestanden haben. Bei Bodendorf und Sinzig erreichte die Ahr eine Breite von bis zu 200 m, normalerweise misst sie hier zwischen 15 20 m. 5) Augenzeugenbericht Eindrucksvoll schildert der Chronist des Kalvarienbergs seine Eindrücke vom Hochwasser am 13. Juni 1910 vom Kalvarienberg aus:... So hatte man die Ahr noch nie gesehen. Ein breites schmutziges gelbes Band zog sich wie der Leib einer Riesenschlange durch die Landschaft, ein ungewohntes, alles übertönen-des Rauschen machte sich von Minute zu Minute aufdringlicher bemerkbar. (...) Es mochte eben ein viertel nach acht Uhr sein, da trieb in schnellem Laufe eine ganze Holzbrücke am Westfuß des Klosterhügels vorbei: kein Zweifel, die Sache war ernst. Und sie wurde zusehends ernster. Das ungeübteste Auge konnte ein rapides Steigen des Wassers wahrnehmen. An der hölzernen Brücke vor der Ehrenwall schen Anstalt verschwanden die mächtigen, eisenbeschlagenen Streben immer mehr im Wasser, das beinahe schon den Steg bespülte. (...) In gewaltigen, sich überstürzenden Wellen kam die Hochflut herangezogen, in rasender Fahrt alles mit sich fortreißend, was ihr im Wege stand. Sieh dort die herrlichen 188 u Heimatjahrbuch Kreis Ahrweiler 2010

Adenau: Überschwemmter Straßenzug am Hotel Halber Mond Obstbäume mitten im strudelnden Wasser; ihr Stamm dient dem Auge als Pegel; einen Grad nach dem anderen klettert das feuchte Element daran hinauf, jetzt ist es an den Ästen angekommen und findet heftigen Widerstand an den sich sträubenden Blättern; noch wenige Augenblicke verzweifelten Kampfes, da neigt sich der Baum wie ein Sterbender, seine Wurzeln sind gelöst in der nächsten Minute treibt er, auf und niedertanzend, mit seinen Schicksalsgenossen dem Rheine zu. Doch halt, was ist das! Ein schwerer Eisenbahnwagen, vom Bahnbau an der Oberahr stammend, kommt als fürchterliches Wurfge- schoß auf dem Rücken der Wellen herangeflogen. Wehe der schwankenden Holzbrücke, wenn der Schuß trifft! Aber gerade jetzt sinkt er in ein Wellental, wird mit unwiderstehlicher Gewalt zwischen zwei Pfeilern hindurchgezogen und taucht jenseits der Brücke wieder auf. (...) Wie Streichhölzer tanzen auf den empörten Wassern riesige Balken, von 10 Meter Länge und mehr. Sie sind beredte Zeugen davon, wie es oberhalb Altenahrs zugegangen ist, wo der Neubau der Bahn in vollem Gange war, wo zahlreiche Arbeitsbrücken über den Fluß führten und gewaltige Holzmassen zur Verschalung der neuen Müsch: Das Hochwasser zerstörte hier mehrere Häuser. Heimatjahrbuch Kreis Ahrweiler 2010 u 189

Antweiler: Bergung einer Leiche über einen Notsteg Tunnels dienten. Gerade dieser Umstand machte aus der Überschwemmung eine Katastrophe. (...) Um 12 Uhr war alles vorbei. Die Hochflut hatte das Ahrbett passiert; schnell wie sie gekommen, verlief sie sich. (...) 6) Baumaterial der Bahn verstärkte die Flut Zur Zeit des Hochwassers erfolgten die teilweise neue Terrassierung und der zweigleisige Ausbau der Ahrtalbahn, bei der über 2 000 Bauarbeiter beschäftigt waren, vor allem an der Oberahr. Von der Flutwelle am 12 /13. Juni 1910 wurden Bauhölzer, Gerüste, Maschinen erfasst und mitgeschwemmt. Sie bremsten den schnelleren Abfluss der Flut und verstärkten zusammen mit dem Geröll, Bäumen, Hausrat etc. die zerstörerischen Kräfte, führten zum Aufstauen des Materials an den Straßenbrücken und wirkten wie Rammböcke auf diese und sonstige Hindernisse. Während die meisten Straßenbrücken der Flut zum Opfer fielen, hielten die Eisenbahnbrücken bis auf die von Niederadenau den Fluten stand. Es kam an verschiedenen Stellen auch zu Beschädigungen und Unterspülungen Schuld: Pioniere bauten zahlreiche Notstege. 190 u Heimatjahrbuch Kreis Ahrweiler 2010

Schuld: Beerdigung der Opfer in Massengräbern des Bahndamms sowie Hang- und Bergrutschen. In den Fluten starben 52 Menschen. Die meisten Opfer waren italienische und kroatische Bahnarbeiter, die in einer Kantine unterhalb von Müsch trotz einer angeblichen Warnung von der Wasserflut überrascht wurden und ertranken. Eine Zeitungsmeldung unterstellte: Viele der Ertrunkenen haben ihren Tod selbst verschuldet, indem sie den Warnungen nicht Folge leisteten, sondern sich in den Kantinen über die Getränke hermachten, als die Wirte schon längst geflohen waren. 7) Am 15. Juni 1910 wurden die meisten in Massengräbern in Antweiler und Schuld beigesetzt. Zehn Tote konnten nicht identifiziert werden.8) Zerstörungen Dass nicht noch mehr Opfer zu beklagen waren, ist den Warnungen zu verdanken, so dass sofort Schutz- und Rettungsmaßnahmen eingeleitet Altenahr: Vor dem Straßentunnel wird das ganze Ausmaß der Zerstörung deutlich. Heimatjahrbuch Kreis Ahrweiler 2010 u 191

Mayschoß: Zerstörte Brücke zum Bahnhof werden konnten. Alles in allem waren die Behörden und Bewohner aber den elementaren Naturgewalten gegenüber machtlos. Sie mussten dem Zerstörungswerk der Wassermassen weitgehend hilflos zusehen. In Adenau standen viele Häuser unter Wasser, die Hauptstraße glich einem Strom.9) Mehrere Geschäfte konnten ihre Warenlager, Tuche, Getreide, Baumaterialien und viele Einrichtungsgegenstände nicht mehr retten, besonders Fachwerkhäuser wurden durch angeschwemmtes Holz etc. schwer beschädigt und drohten einzustürzen. Gärten, Wiesen und Felder waren von Geröll und Schlamm übersäht, Straßen unterspült und z. T. weggerissen.. In den umliegenden Dörfern und ahrabwärts sah es nicht anders aus. Zerstört waren die Ahrbrücken bei Insul, Schuld, Fuchshofen, Antweiler, die Trierbachbrücke bei Müsch, die Provinzialstraßenbrücke am Laufenbacherhof, die Brücke nach Liers, die von Hönningen, die Brücke zwischen Altenahr und Kreuzberg, Mayschoß, Dernau, Marienthal, Walporzheim, Bachem und Heimersheim. Dernau: Zerstörte Brücke zur Winzergenossenschaft 192 u Heimatjahrbuch Kreis Ahrweiler 2010

Marienthal: Straßenüberflutung Schwere Beschädigungen wiesen weitere Brücken auf. Der Bahnbau stagnierte, denn viele Baumaterialien und Baugeräte hatte die Flutwelle fortgerissen oder sie waren unbrauchbar geworden. Zunächst standen Sicherungs- und Aufräumarbeiten im Ahrtal an. Die Schadensmeldungen und deren Behebung in der Region füllen Bände.10) Nicht zu beschreiben ist die Not der Bewohner. Viele Häuser, die unter Wasser gestanden hatten, mussten trockengelegt werden, so allein in der Bürgermeisterei Altenahr 220 Gebäude. Die Kreisstadt Ahrweiler wurde von der Flut glücklicherweise kaum in Mitleidenschaft gezogen. Dagegen standen die Straßen von Bad Neuenahr unter Wasser, die Parkanlagen lagen verwüstet da. Sie konnten aber schon in wenigen Tagen von umgestürzten Bäumen, Schlamm und Ahrweiler: Notsteg nach Bachem Heimatjahrbuch Kreis Ahrweiler 2010 u 193

Geröll befreit werden, sodass die Kursaison im Heilbad weitergeführt werden konnte. In Sinzig war das Elektrizitäts- und Wasserwerk überflutet, die Stromversorgung zusammengebrochen. An vielen Stellen bot sich im Ahrtal ein Bild der Verwüstung: (...) Ein entsetzlicher Geruch verbreitet sich aus dem Wasser durch das Carbid, das zur Beleuchtung gebraucht wurde und nun unter Wasser geraten ist. In den Straßen liegen im strömenden Regen Betten, Möbel, Kleider, Hausrat wirr durcheinander. Die Unternehmer des Bahnbau haben alles verloren.... 11) Unmittelbar nach der Katastrophe wurde vor Diebstählen gewarnt, v. a. von Bauholz. Zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung forderten die Behörden zusätzliche Polizeikräfte aus der Umgebung und Soldaten an. Aus Koblenz kamen Pioniere der 68. Kompanie, um u. a. Notstege zu bauen und bei den Aufräumungsarbeiten zu helfen. Zeitweilig fürchtete man Ausschreitungen von Seiten der ausländischen Bahnarbeiter, die aber nicht eintraten. 12) Die Schadenssumme der Privathaushalte und Gemeinden wurde in den Kreisen Adenau und Ahrweiler grob auf 2,7 Millionen Reichsmark geschätzt, worin die Zerstörungen beim Eisenbahnbau und die von staatlichen Bauten nicht einbezogen waren. Davon entfielen 1,5 Millionen auf den Kreis Adenau, 1,2 auf den Kreis Ahrweiler. Die Katastrophe als Medienereignis Durch Telefon und Telegraphie war neben der regionalen auch die nationale und internationale Presse schnell über die Katastrophe unterrichtet. Im benachbarten Ausland und sogar in den Vereinigten Staaten erschienen schon am 14. Juni 1910 erste Pressartikel. Die Nachrichten überschlugen sich. Von anfangs 200 geschätzten Todesopfern musste die Zahl sukzessive nach unten korrigiert werden. Sie lag schließlich bei 52. Nach den ersten Presseberichten stellten sich neben Schaulustigen, die dafür eigens u.a. aus dem Bonner, Kölner und Koblenzer Raum anreisten, auch Fotografen und Zeitungsreporter ein, um sich ein Bild von dem Ausmaß der Zerstörung für die weitere Berichterstattung zu machen. Soweit es ihre technischen Möglichkeiten zuließen, hatten bereits hier ansässige Fotografen die Katastrophe fotografisch festgehalten. So ist es zu erklären, dass es von dem Hochwasser 1910 im Ahrtal zeitnahe Aufnahmen in großer Zahl gibt. 13) Eine Reihe dieser Fotografien weisen dabei Besonderheiten auf. Sie wurden erst nach der Flutwelle gefertigt und anschließend fotografisch bearbeitet, sodass die Illusion entsteht, dass sie während der Hauptüberschwemmung gefertigt wurden. Dabei wurde die Flutwelle hineinretuschiert. So konnte den Betrachtern u. Bad Neuenahr: Die Flutwelle an der Kurgartenbrücke wurde von zahlreichen Schaulustigen beobachtet. 194 u Heimatjahrbuch Kreis Ahrweiler 2010

a. auch der Höchstwasserstand in Adenau oder auch beispielsweise in Bad Neuenahr deutlicher vor Augen geführt werden. Mit diesen Fotos wurde offensichtlich dem Bedürfnis der Betroffenen und Schaulustigen nach einem direkten Bild von der Katastrophe Rechnung getragen. Die meisten Aufnahmen dokumentieren allerdings die Schäden oder deren Beseitigung nach der Flutkatastrophe. Für die Ahrregion wird mit diesen Hochwasserbildern somit auch das Phänomen der Sensationslust im Zuge von Katastrophen und deren Befriedigung durch spektakuläre Bilder an einem relativ frühen Beispiel dokumentiert. Eine künstlerische Darstellung der Flutkatastrophe schuf der Ahrweiler Maler Carl Weisgerber mit einem Gemälde aus dem Umfeld der Bunten Kuh. Außerdem gibt es auch einige Holzschnitte von der Zerstörung, deren Urheber aber nicht bekannt sind. Hilfsbereitschaft Positiver Effekt der schnellen Berichterstattung und der eindrucksvollen Bilder vom Hochwasser im Ahrtal waren sofort einsetzende Geldund Sachspenden aus nah und fern. In der Ahrweiler Zeitung vom 14. Juni 1910 heißt es: Wir nehmen schon jetzt Gaben jeder Art dankbar entgegen, werden darüber öffentlich quittieren und dieselben dem wohl bald sich bildenden Hilfskomitee übermitteln. 14) Dem Beispiel folgten viele andere Blätter. Von dem Kaufpreis einer Informationsbroschüre über Die große Wasserkatastrophe im Ahrtal wurde ein Teil des Reinertrags für die vom Unglück Betroffenen bestimmt. 15) In Gedichtform baten mehrere hilfsbereite Bürger ebenfalls verschiedentlich um Gaben, so u. a. Raoul Albertz aus Köln: Fragt nicht, wie es gekommen war/ Es war der Schreckenstag der Ahr. - / Die Ernte vernichtet, entblößt das Feld/ Vom fruchtbaren Boden und nirgends Geld./ Die Straßen verwüstet, im Schlamm das Grab./ So blickst du auf die Ahr hinab./ Und Trauer herrschet, bitt re Not. Die Hilfe wird hier zum Gebot! 16) Auch der Trierer Bischof Felix Korum rief am 17. Juni 1910 seine Geliebte(n) Diöcesanen zu Mildtätigkeit für die Opfer auf: In seinem Bad Neuenahr: Die Poststraße unter Wasser Schreiben heißt es u. a.:... Das Elend übersteigt jeden Begriff und erheischt schnelle Hülfe. In dieser furchtbaren Not muß jedes mitleidige Herz gerührt werden. Um nach Kräften den schwergeprüften Diöcesanen beizustehen, verordnen wir eine Kollekte, die nächsten Sonntag den 19. Juni in allen Kirchen nach Verlesung dieses Erlasses stattfinden soll.... 17) Insgesamt flossen im Laufe der nächsten Wochen und Monate rund 500 000 Reichsmark an Spenden ins Ahrtal. Über die Verteilung der Gelder durch ein eigens dafür eingesetztes Hilfskomitee liegen leider keine Informationen vor. Beseitigung der Schäden Die Beseitigung aller Schäden zog sich über mehr als zwei Jahre hin. In diesem Zeitraum Heimatjahrbuch Kreis Ahrweiler 2010 u 195

Heimersheim: Zerstörte Brücke vor dem Bahnhof wurden die neuen Straßenbrücken zwischen Antweiler und Altenahr in einfacher Bauweise mit Verblendungen durch Bruchsteine vollendet. 18) Der weitere Ausbau der Ahrtalbahn verzögerte sich und konnte größtenteils bis Juli 1912 vollendet werden, dauerte z. T. auch noch bis 1913. Als Folge der Naturkatastrophe war die Firma Bruch gezwungen, Konkurs anzumelden. Hierzu beigetragen haben vielleicht auch die unerwartet hohen Hang- und Bergrutschungen, die erst durch umfangreiche Flussregulierungen und Entwässerungsstollen aufgehalten werden konnten. Im Bereich des Bahnhofs Schuld muss-ten die Pläne geändert werden, da man statt, wie vermutet auf Fels, auf Lehm und Sand traf. Deshalb waren flachere Böschungswinkel und damit verbunden größere Erdbewegungen auszuführen nötig. Die Fertigstellung dieses Bauloses wurde der Firma Lenz & Co, Berlin, (bekannt durch ihr Kleinbahn-Imperium) übertragen. Ähnliche Schwierigkeiten gab es auch in den anderen Baulosen. 19) Ein Stauseeprojekt mit Wasserkraftwerk im Mündungsbereich des Trierbaches wurde zur künftigen Hochwasservermeidung ernsthaft geplant, jedoch ab dem Beginn des Ersten Weltkrieges 1914 nicht weiter verfolgt. 20) Hochwässer wie in den Jahren 1804 und 1910 wurden seither an der Ahr nicht erreicht. An verschiedenen Gebäuden und Brücken sind Hochwassermarken von 1910 angebracht. Vergleichbare Wasserstände hätten heute aufgrund der größeren Siedlungsdichte vermutlich noch weitaus höhere Überflutungen mit nicht absehbaren Schäden zur Folge. 21) Anmerkungen: 1) Vgl.: Dr. Karl August Seel: Die Ahr und ihre Hochwässer in alten Quellen. In: Heimatjahrbuch Kreis Ahrweiler 1983. S. 91 102. Vor allem zum Ahrhochwasser von 1910 hat Helmut Poppelreuter in langjähriger Sammelarbeit Bild- und Textmaterial zusammengetragen. Diese Sammlung wurde vom Stadtarchiv Bad Neuenahr-Ahrweiler übernommen. 2) Vgl. Dr. Hans Frick: Das Hochwasser von 1804 im Kreise Ahrweiler. In. Heimatjahrbuch für den Landkreis Ahrweiler 1955. S. 43 51. Siehe auch Marita Kohl: Ahrhochwasser 1804. In. Heimatjahrbuch Kreis Ahrweiler 2007. S. 161-164. Die Autorin listet im Gegensatz zu Frick 65 Tote auf. 3) Aus: Christian Ulrich: Hochwasserkatastrophe der Ahr am 12./13. Juni 1910. In: Jahrbuch des Kreises Ahrweiler 1938. S. 92 106. hier S. 92. Siehe dazu auch Slg. Helmut Poppelreuter im Stadtarchiv BNAW; ausführliche zeitnahe Berichterstattung u. a. in der Ahrweiler Zeitung vom 14. Juni 1910: Furchtbare Wasserflut an der Ahr ; im Bonner General-Anzeiger vom 14. Juni 1910: Furchtbarer Wolkenbruch im Ahrtal. 150 Menschen ertrunken! 4) Vgl. Ulrich, S. 93 5) Vgl. Ahrweiler Zeitung vom 14. Juni 1910 6) Aus: Echo vom Berg. Korrespondenzblatt für die ehemaligen Zöglinge der sämtlichen Erziehungs-Anstalten der Ursulinen-Kongregation Kalvarienberg. Nr. 3 vom August 1910. Aus der Mappe des Kalvarienberger Hauschronisten 7) Vgl. General-Anzeiger vom 14. Juni 1910 8) Vgl. u. a. Ulrich S. 99 9) Vgl. Ernst Wollmann: Das Hochwasser in Adenau vor 50 Jahren. In: Heimat-Jahrbuch für den Landkreis Ahrweiler 1960. S. 144 145. 10) Vgl. u. a. Unterlagen im Kreisarchiv Ahrweiler: u. a. Bericht über die Hochwasserkatastrophe im Kreise Adenau vom 12. / 13. Juni 1910. Beilage zum Verwaltungsbericht des Kreises Adenau für das Jahr 1910; 196 u Heimatjahrbuch Kreis Ahrweiler 2010

Bericht über den Stand der Wiederherstellungsarbeiten an den durch die Hochwasserkatastrophe vom 12. / 13. Juni 1910 zerstörten bezw. geschädigten Gemeinde- und Genossenschaftsanlagen (Brücken, Wiesenanlagen, Wege und sonstigen Gmeindeanlagen). Beilage zum Verwaltungsbericht des Kreises Adenau für das Jahr 1911.; Kreisarchiv 01 296, 297; 02 14; Stadtarchiv Bad Neuenahr-Ahrweiler A 1199, 1200; 11) Vgl. General-Anzeiger vom 14. Juni 1910 12) Vgl. Ulrich S. 98f. 13) Vgl. Slg. Poppelreuter 14) Ahrweiler Zeitung vom 14. Juni 1910 15) Slg. Poppelreuter 16) Ebenda 17) Ebenda 18) Vgl. Michael Losse: Der Neubau von Straßenbrücken im Ahrtal nach dem Hochwasser 1910. Ein Beitrag zur Geschichte des Brückenbaus in Wilhelminischer Zeit. In: Heimatjahrbuch Kreis Ahrweiler 1994. S. 169 176. 19) Aus: Klaus Kemp: Die Ahrtalbahnen. Freiburg 1983. S. 39; siehe auch Joachim Jakubowski: Vor 125 Jahren eröffnet: Die Ahrtalbahn von Remagen nach Ahrweiler. In: Heimatjahrbuch Kreis Ahrweiler 2005. S. 183 189. 20) Vgl. Ulrich S. 106 21) Vgl. Dr.-Ing. Dieter Prellberg: Hochwassermeldedienst mindert Hochwasserschäden. Schadensminderung auch im Kreis Ahrweiler. In: Heimatjahrbuch Kreis Ahrweiler 2006, S. 100 104. Heimatjahrbuch Kreis Ahrweiler 2010 u 197