Die vergebliche Suche nach Stärke - Eindrücke einer Reise durch Israel und Palästina 1



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Transkript:

Dirk Jordan Die vergebliche Suche nach Stärke - Eindrücke einer Reise durch Israel und Palästina 1 Nach zehn Tagen vor Ort, mit mehr als dreißig Gesprächen, Rundgängen durch Städte und unendlich vielen und widersprüchlichen Eindrücken, gehen meine Gefühle und Gedanken noch erheblich durcheinander. Ausgangspunkt meiner Annäherung an Israel ist, dass die israelische Gesellschaft sich bedroht fühlt und auf der Suche nach Sicherheit ist. Spätestens seit dem 6-Tages-Krieg/Sieg 1967 scheint es ihr möglich zu glauben, von einer Position der Stärke aus diese Sicherheit zu erreichen. Im Ergebnis ist aber die Situation heute zerbrechlicher und widersprüchlicher als je zuvor, obwohl die Bedroher (die Araber, die Palästinenser, die Islamisten, die ) sicher geschwächt worden sind. Nur die Unterstützer sind es auch. Viele unserer Gesprächspartner sahen nur noch ein sehr begrenztes Zeitfenster, um aus dieser Sackgasse herauszukommen. Und was macht eigentlich einen Staat, was macht eine Gesellschaft stark? Was macht Israel stark, was macht Israel schwach? Was haben wir auf unserer Reise an Stärken und Schwächen gesehen, gehört, gefühlt, erlebt? Dazu ein paar Eindrücke und Gedanken. Jerusalem: die Altstadt von Groß-Jerusalem oder Ost-Jerusalem; unsere Hauptstadt nur von wem; Jerusalem, Du Schöne ja das ist sie; Jerusalem, die heilige Stadt ich habe nichts Heiliges empfunden. Überhaupt das Heilige Land : Was für ein Anspruch an diese Region? Das muss doch jeden überfordern und die Widersprüche eher verschärfen und erschweren, mit ihnen zu leben. Welche Stärke kann daraus erwachsen, wie exklusiv ist das jeweils Heilige? Die Heiligkeit hat nicht nur zu einem Wettstreit über die Höhe der Kirchtürme geführt, sondern einer Vielzahl von Kriegen und Kreuzzügen als Rechtfertigung gedient. Es geht um ewige Ansprüche, die die Jerusalem- Frage so unlösbar erscheinen lassen. Der Besuch bei Familien am ersten Abend, dem Sabbat-Abend, die Offenheit für Freunde, auch für fremde Freunde am Sabbat, die Offenheit auch im Streit, erlebt als Stärke, erlebt mit Freude und Empathie, bis zu welcher Grenze geht aber die Offenheit? Eine Freiwillige von Aktion Sühnezeichen berichtet über die Grenzen der familiären Freundschaft, kulturell und religiös motiviert. Sie ist gern gesehen zum Gespräch, zum Kaffeetrinken, aber als Freundin des Sohns der Familie wird es heikel. Wäre das bei uns anders? Die liebevolle und aufmerksame Weise, wie Eltern, egal ob orthodoxe Juden oder säkulare Israelis, mit ihren Kindern umgehen, beeindruckt. Warum hört diese Offenheit und Freundlichkeit an der Grenze zu Palästina auf? Ich frage unseren palästinensischen Guide durch Ost-Jerusalem, einen Doktor der Geschichte, nach dem Dialog zwischen den abrahamischen Religionen. Für ihn vertane Zeit, nice to have, ohne jede Wirkung, eher Ablenkung. Obwohl die Religionen den Konflikt aufladen, sieht er von dort keine entlastende Wirkung. 1 Reise des Freundeskreises der Heinrich-Böll-Stiftung, 05.. 15.03.2009, mit Israel meine ich die Gebiete, in denen ihre Bewohner die israelische Staatsangehörigkeit haben und mit Palästina, die Gebiete, die Israelis nicht betreten dürfen. 1

Nord-Irland ist keine Hoffnungserfahrung für ihn. Der Dialog zwischen den Religionen kein Element der Stärke, zur Stärkung? Noch möchte ich das nicht glauben. In Ost-Jerusalem heftige Zeichen der demonstrativen Stärke. Häuser im neuerbauten jüdischen Viertel wie Burgen, die den Tempelberg überragen, oben drauf die Flagge mit dem Davidstern und der siebenarmige Leuchter (Symbol für Israel als jüdischer und demokratischer Staat?). An der (Herodes)-Zitadelle mit dem Davidsturm sind drei Flaggen aufgepflanzt, daneben die große Polizeistation. Auf den Dächern der jüdischen Siedlerhäusersehen wir aber auch Wachtürme. Zeichen der Stärke oder der Schwäche? Vielleicht auch eher Disziplinierungselemente nach innen, immer wachsam zu sein, immer misstrauisch zu sein? Wie lebt man, unter solch einer jahrelangen Anspannung? Was ist davon Ritual, was nur noch Fassade? Die Häuser in diesem Bereich mussten im Übrigen neu erbaut werden, weil nach 1948 die jüdischen Bewohner vertrieben und die Häuser zerstört wurden. Jeder findet für seine Sichtweise immer einen passenden Zeitpunkt, ab dem er Recht hat. Seit 1967 verlieren immer mehr Palästinenser in Ost-Jerusalem, die dort als Staatenlose gelten, ihre Häuser und Wohnungen. Was wollte uns eigentlich die jüdisch-israelische Organisation für eine gerechte Entwicklung von Jerusalem Ir Amim bei der Fahrt durch die Stadt zeigen? Wenig von einer gerechten Entwicklung, viel von der Mauer. Wer so etwas bauen kann, demonstriert Stärke. Die Mauer wirkt auf mich (und vermutlich auch auf die Palästinenser) bedrohlich. Damit hat sie schon ihre Wirkung oder einen Teil davon erreicht. Sie erschreckt und schreckt damit ab. Nur wen? Die potentiellen Selbstmordattentäter, die professionell vorbereitet werden, eher nicht. Aber wohl das Umfeld. Es hat keinen Sinn, ist ihre Botschaft. Keinen Sinn Steine zu schmeißen, sicher. Keinen Sinn, auf Dialog und Verständigung zu hoffen, vermutlich auch. Resignation und sich abfinden, seine Schwäche erkennen, als Ausgangslage auf Seiten der Palästinenser als Ziel, damit Israel aus der Position der Stärke. Ja, was? Verhandeln, vertreiben, nebeneinanderher leben, besiegen kann? Ich weiß es nicht. Alles scheint denkbar. Der Bus wird bei der Fahrt in den palästinensischen Vororten von Ost-Jerusalem mit irgendetwas beworfen oder mit Wasser begossen o. ä. Ein Bus mit solch einem Kennzeichen ist ein israelischer Bus. Auch die Autokennzeichen unterscheiden die Menschen in sone und solche. Wir müssen mühsam den demonstrativ auf der Straße Betenden ausweichen. Da sie nicht mehr zum Tempelberg dürfen, beten sie auf der Straße vor der Moschee. Religion als Element der Stärke gegen die eigene Schwäche. Abrahamischer Dialog? Wohl doch eher eine Kopfgeburt. Die Siedlungen ärmlich, wir sehen deutlich mehr Müll als in Ost- oder gar West- Jerusalem. Jerusalem, eine schöne, saubere Stadt. Der städtebauliche Grundkonsens ist noch weitgehend intakt, bis auf einige Hochhäuser mit Luxus- Appartements aus der Olmert-Zeit als Bürgermeister in Jerusalem. Massada Zeichen der Stärke? Die Herodes-Burg hoch über dem Toten Meer und die letzte Zufluchtsstätte der gegen die Römer rebellierenden Zeloten 70 n. Chr., sicher die gewünschte historische Folie für den israelischen/jüdischen(?) Kampf bis zum Letzten. Was waren die Ziele, was waren die Mittel der Rebellion? Völker hört die Signale, auf zum letzten Gefecht? In Massada finden wieder die Rekrutengelöbnisse der israelischen Armee statt. Mich beeindruckt Massada nicht, schon eher die Ausdauer und technologische Rationalität der Römer bei der 2

Belagerung und dem Bau der Rampe zur Erstürmung der Burg. Wer solch eine Rampe baut, ist zu mehr fähig. Zeichen der Stärke. Im Toten Meer zu baden, ist ein einzigartiges Gefühl. Vielfalt ist ein Element der Stärke in Israel, von Israel. Wird sie als Stärke genutzt, gepflegt? Das Tote Meer wird nicht gepflegt, es wird vernutzt. Ist es ein Menetekel dafür, wie Israel seine Vielfalt der Menschen und Meinungen nicht pflegt, sondern eher abtötet? Die in vielen Gesprächen angesprochene Segregation innerhalb der israelischen Gesellschaft hat nichts mit Vielfalt zu tun. Vielfalt braucht Entfaltung, um positiv wirken zu können, braucht Pflege, um ein Element der Stärke werden zu können. Schön, dass wir das Tote Meer noch erleben konnten. Wie lange es noch so erlebbar bleibt, ist sehr offen. Evtl. könnte das jordanisch/japanische Wasserprojekt, die Auffüllung des Toten Meeres durch Wasser aus dem Roten Meer, mit der Zustimmung der israelischen Regierung, das endgültige Aus bedeuten. Die Ökologen befürchten, dass die Zuleitung von Meerwasser mit einer anderen mineralischen Zusammensetzung zur Gipsbildung im Toten Meer führt. Die naheliegende Lösung, weniger Jordanwasser zu verbrauchen, ist weiter weg als das ferne Wasser aus dem Roten Meer herbeizuleiten. Der Kibuz En Gedi oberhalb des Toten Meeres ist ein Hoffnungsort für mich. Beeindruckend wie sie sich nicht entmutigen lassen, ein kleines Paradies, oder zumindest eine Arche Noah schaffen. Jetzt sind auch die Tiere an Bord. Eine Schweizerin, die seit mehr als 30 Jahren in Israel lebt, führt uns durch den Kibuz, eine starke Frau. Gender praktisch, das überzeugt mich. Sie ist auch Koordinatorin von The Friends of the Earth Middle East (glücklicherweise keine Holy Land Friends), sie schaffen Kooperationen zwischen jordanischen, palästinensischen und israelischen Gemeinden über die Grenzen hinweg, auch in der Wasserfrage. Das hatte ich nicht erwartet. Dialog ist nicht das Thema der Arbeit, sondern die Methode. Überleben mit dem knappen Wasser, die Grundlagen der Natur so nutzen, dass Überleben von Mensch und Natur möglich bleibt. Das sind Elemente der Stärke, das sind Partner. Wenn die neue Green Movement Partei diesen Aktivistinnen eine (zusätzliche) Stimme gibt, stärkt das Israel. Die Grünen/die Heinrich-Böll-Stiftung kann/soll da helfen. Hebron eine wahnsinnige Demonstration wahnsinniger Stärke. Militante Siedler haben sich trickreich und gewalttätig unter Duldung der Regierung eine Reihe von Häusern in der Altstadt erobert, die Palästinenser in umlegenden Häusern und Straßenzügen vertrieben. Die Palästinenser, die dort noch wohnen, müssen ihre Fenster mit Drahtverhauen vor Steinwürfen schützen. Sie leben wie in Käfigen. Die Gassen der Altstadt unterhalb der Siedlerhäuser müssen mit Gittern und Netzen abgesichert werden, weil die Siedler schwere Steine und Unrat in die Gasse werfen. Beim Rundgang werden wir aus einem der Siedlerhäuser mit Steinen beworfen. Glücklicherweise wird niemand getroffen. Der israelische Soldat auf dem Dach gegenüber schaut zu und zeigt uns das Victory-Zeichen. Was radikalisiert diesen Teil der orthodoxen Juden so, dass einige Israelisund Kommentatoren sie als faschistisch bezeichnen? Wie geht man mit ihnen um, die den eigenen Anspruch auf einen jüdischen Staat ohne Rücksicht auf andere ausleben? Muss man ihnen etwas anbieten, um sie (mental) zu entwaffnen o- der kann man sie nur wegsperren o. ä.. Sind sie evtl. als Bestandteil der israelischen Gesellschaft ein Zerrspiegel bezüglich der Entstehungsgeschichte Israels? Reagiert sie deshalb so zurückhaltend oder ambivalent? Die Landnahme damals 3

war legitim, aber heute nicht? Wir hören viele scharfzüngige Analysen der Situation, eine schlüssige Antwort nicht. Schwierig zu begreifen. Außer diesen religiös-militanten Siedler leben andere Israelis in den Siedlungen aus materiellen Gründen. Woanders könnten sie sich kein Haus u. ä. leisten. Dennoch, in der Zwischenzeit gibt es dreihundert- bis fünfhunderttausend jüdische Siedler in der Westbank. Sie ist durch viele Mauern und Zäune, durch Straßensperren oder nur für Israelis erlaubte Straße in tausend kleine Stücke zerteilt. Wie soll es da einen zweiten Staat neben Israel geben? Je weniger Realisierungschancen, um so lauter wird die Zwei-Staaten-Lösung beschworen. Zuletzt durch Hilary Clinton. Ich kann es mir nicht mehr vorstellen. Aber auch keine Ein-Staaten-Lösung. Virulent ist die religiös-gefärbte Position: Ganz Judäa, Samaria und Galiläa, d.h. die Westbank ist die wahre Heimstatt der Juden. Wenn wir darauf keinen Anspruch haben, warum sollten wir auf Tel Aviv einen Anspruch haben, das es erst seit 100 Jahren gibt, die jüdischen Stammlande aber seit mehr als 3.000 Jahre, lautet die Begründung. Haben andere darin auch Platz? Geht man von der aktuellen Situation aus, kann ich daran nicht glauben. Wie weit ist Israel noch von einem Apartheid-Staat entfernt? Zurück nach Hebron. Dort arbeitet eine Organisation mit dem Namen International Temporary Presence in the City of Hebron (ITPH). Sie leisten eine beeindruckende Arbeit der Gewaltlosigkeit. Sie patrouillieren durch die Altstadt und dokumentieren alle Zwischenfälle, die sie der jeweils betroffenen Seite melden. Ist es ein Zeichen von Einsicht und Stärke Israels, das Mandat seit Jahren zu verlängern? Gerade weil in Hebron die Gegensätze so massiv aufeinanderprallen, könnte Hebron zum Zeichen der Hoffnung werden, wenn es dort eine Lösung im Kleinen gäbe. Wie könnte sie aussehen? Die dortige Moschee zu Ehren Abrahams wurde nach dem Massaker eines jüdischen Siedlers 1994 in zwei Teile geteilt, einen für Muslime, einen für Juden. Nichts von einem abrahamischen Dialog, Trennung als Lösung. Bethlehem - noch bedrückender, weil die Demonstration der Stärke die Demonstration der Schwäche verfestigt: Mauer und Flüchtlingslager nebeneinander. Die Mauer geht direkt an einem der Lager entlang und trennt es von dem benachbarten Olivenhain. Demonstration von Stärke als Schikane erlebt. Das Lager seit 60 Jahren eigentlich ein Stadtteil von Bethlehem. Das UNO Hilfswerk für die palästinensischen Flüchtlinge (UNRWA) als Ersatz-Verwaltung. Die dort wohnenden Palästinenser haben/wollen keine Rechte als Stadtbürger. Außerhalb des Lagers arbeiten, aber dort Flüchtlinge bleiben. Die Großväter haben die Schlüssel der Häuser, aus denen sie vertrieben wurden, feierlich ihren Enkeln übergeben. Wir fragen unseren palästinensischen Begleiter, ob das bedeutet, dass die Flüchtlinge nun die dort Wohnenden erneut vertreiben wollen. Nein, die meisten nicht, aber es geht ihnen um die Anerkennung der Vertreibung und auch um Entschädigungen. Wer hat die Stärke, die Flüchtlingslager als Lager aufzuheben und zu normalen Wohngebieten zu machen, ohne die individuellen Ansprüche auf Ausgleich/Entschädigung aufzuheben? Warum gibt es keine Initiative für solch ein international finanziertes Programm? Es könnte eines der dortigen Probleme etwas entschärfen. Statt der Suche nach Stärke, ist die Suche nach kleinen Schritten angesagt. Wir hören von einer Reihe solcher Initiativen im Bereich der NGOs, aber auch von den großen Problemen bei der Zusammenarbeit über die Grenzen 4

und Mauern hinweg. Wollen sich israelische und palästinensische Gruppen treffen, so muss das in Jordanien oder auf Zypern geschehen! Ramallah Schein und Wirklichkeit. Die Mukata, die palästinensische Polizei auf den Straßen eher eine Schein-Wirklichkeit, eher bedauernswert als beeindruckend. Das Mausoleum für Yassir Arafat dagegen überraschend schlicht und funktional, angemessen stark. Bei aller Widersprüchlichkeit verdient es m. E. Arrafat, der dennoch kein Moses war, der sein Volk auf den Weg ins gelobte Land brachte. Der Besuch in der Musikschule von Ramallah, die Begegnung mit ihrem Leiter, dem Musiker Ramzi Aburedwan, der Mitglied in dem West-Eastern Divan Orchestra ist, das Daniel Barenboim leitet, ein schöner Ausklang des Tages. Ein altes Haus in der Altstadt wurde saniert und zur Musikschule ausgebaut. Solche Projekte wären ohne palästinensische Autonomie vermutlich nicht möglich. Kleine Schritte, die wirken. Daniel Barenboim stellt Ramzi Aburedwan mit den Worten vor: Er hat schon mit 14 Jahren Steine auf israelische Panzer geschmissen - die Musik hat seinen Geist gerettet. Sich um Musik und den Musikunterricht zu kümmern, ist ein Zeichen der Hoffnung auf eine Zukunft, ist ein Element der Stärke. Überhaupt unterhalb der politischen Fragen ist Entwicklung möglich. Leben im (politischen) status quo wäre möglich, wird aber durch die Zersplitterung der Westbank durch die Mauer und Straßensperren schikanös erschwert oder unmöglich gemacht. Schikanen als politisches Mittel sind für mich Zeichen der inneren Schwäche, Zeichen für das Fehlen einer positiven Vision, es sei denn Apartheid und weitere Vertreibung gehören zum politischen Plan/ zur Gedankenwelt der Regierung. Ich habe dieses Gefühl, nur, das zu unterstellen, macht einen Dialog kaum noch möglich. Viele Gespräche wirken auf mich, als ob alle in Warteposition sind und möglichst business als usual praktizieren, obwohl nichts wirklich usual ist. Es geht nur eine kurze Zeit so weiter, ist die häufig gehörte Botschaft. Drei, vier Monate - drei, vier Jahre? Projektarbeit in dieser Situation hat einen merkwürdigen Charakter und zugleich gut lutherisch: Auch wenn ich wüsste, dass morgen die Welt zugrunde geht, würde ich heute noch einen Apfelbaum pflanzen. Mein Eindruck: Die israelische Gesellschaft hat keinen Konsens, was ihre Stärke ist. Das einzig Verbindende ist die Erinnerung an die Shoa. Gemeinsame Werte für die Zukunft fehlen 2. Schnelle und einfache Lösungen sind gefragt. Gesprächspartner sagen: Den Gazakrieg gab es, weil die Regierung etwas machen musste, aber nicht wusste was. Der Krieg war ein Ausdruck von desperation, nichts Strategisches. Mit dem 6-Tage-Sieg hat die israelische Gesellschaft ihre ursprüngliche Stärke der zionistischen Pioniere verloren, die ursprüngliche Legitimität. Viele haben vor der Verführung der Besatzung gewarnt. Der Tagesspiegel zitiert in einem Kommentar zu den Berichten der Soldaten aus dem Gazakrieg den 1994 verstorbenen Naturwissenschaftler und(orthodoxen) Religionsphilosoph Jeschajahu Leibowitz mit den Worten: Besatzung ist ein Fluch- mehr noch für die Besatzer als die Besetzten. Die Suche nach Stärke auf diesem Weg hat in die Schwäche geführt. 2 In seinem Buch: Die Seele Israel beschreibt Ernest Goldberger diese Sichtweise sehr detailliert. Er ist ein Schweizer Jude, der seit 1991 in Israel lebt und als Wissenschaftler dort arbeitet. 5

Tel Aviv Eine junge Stadt, eine Stadt am Meer, unser Hotel liegt 100 Meter von Strand entfernt, einige baden morgens im Mittelmeer. Eine Bauhausstadt, lebendig wie beschrieben. Ich besuche nur die Independence Hall, der Saal im Kunst- Museum von Tel Aviv, wo Ben Gurion 1948 die Unabhängigkeit Israels erklärt hat, weil dieser Saal groß genug war, aber zugleich durch seine Bauweise mit Fenstern nur oben an der Decke auch sicher genug. Ich erlebe dort eine Führung für eine jüdische Besuchergruppe mit aller Emphase und ohne jeden Selbstzweifel an der Richtigkeit dieses Schrittes. Zum Schluss hören sie die Proklamation Ben Gurions und singen die HaTikva (Hoffnung) mit, die die Hymne des Zionismus seit 1897 war und 1948 die israelische Nationalhymne wurde. Es wirkt mitreißend und beeindruckt mich. Ein Augenblick mal keine Fragen oder Zweifel. Zuhause höre ich sie mir auf you Tube noch einmal an und lese den Text im Internet nach: Solang noch im Herzen eine jüdische Seele wohnt und nach Osten hin, vorwärts, das Auge nach Zion blickt, solange ist unsere Hoffnung nicht verloren, die Hoffnung, zweitausend Jahre alt, zu sein ein freies Volk, in unserem Land, im Lande Zion und in Jerusalem! Wie kann das gut gehen, religiöse Erlösung als Staatsdoktrin? Das muss doch jede Demokratie überfordern. Und warum überhaupt keine Erwähnung davon bei der Beschreibung von Tel Aviv in dem mehr als 400 Seiten starken Baedeker Israel und Palästina? Ist der Ort der Unabhängigkeitserklärung zu unbedeutend? Je mehr wir über und in Israel hören, umso widersprüchlicher werden die Eindrücke. Golan Die letzten Tage der Reise im Norden, am See Genezareth, wie wir in christlicher Tradition sagen. Die Aufnahmefähigkeit sinkt bei uns allen, aber die Probleme militärischer Bedrohung sind anschaulich. Auf der Ostseite des Sees, der 210m unter dem Meeresspiegel liegt, verlief oben auf der Hügelkette die Grenze zu Syrien, von dort wurde immer wieder geschossen, bis 1973 die Israelis die syrische Stellung kilometerweit zurückwarfen. Seitdem kontrolliert die UN mit einer Blauhelmtruppe die Truppenentflechtung und Entmilitarisierung. Ein österreichischer Captain erläutert uns die Situation. Sie ist friedlich, d.h. die Syrier versuchen nur immer wieder, d.h. fast wöchentlich mit Militär in das entmilitarisierte Gebiet zu kommen und ziehen sich dann immer wieder zurück, wenn sie erwischt werden. Katz- und Mausspiel anstelle von Krieg. Wenn das hilft, das Gesicht zu wahren und im Hintergrund Gespräche laufen, mag das die Form sein, in der sich die Widersprüche bewegen. Warum sollte Syrien auf ewig ein Feind sein, warum sollte nicht das gelingen, was mit Ägypten und Jordanien gelungen ist und ein Friedensvertrag zustande kommen? Aber was passiert dann, im Inneren Israels, in den besetzten Gebieten? Wenn der äußere Druck, die Infragestellung durch die Nachbarn beendet ist, wenn der Vorschlag der arabischen Liga von 2002 wieder auf den Tisch käme, wie wird sich Israel dann in den besetzen Gebieten verhalten? Werden sie kompromissbereiter werden, weil der äußere Druck weg ist oder werden sie sich stark fühlen und eine Bereinigung der Situation herbeiführen wollen. Ich befürchte das Zweite. Frieden im Äußeren heißt nicht zugleich Frieden im Inneren. 6

Der neue starke Mann in Israel, Avigdor Liebermann, der sowohl als Pragmatiker wie als Faschist bezeichnet wird, fordert jedenfalls den Transfer von Bevölkerungsgruppen. Im Spiegel 13/09 sagte einer seiner Vertrauten, der ehemalige Botschafter in den USA Ayalon: The Israeli left demands to evacuate the Jewish settlements and to make the Palestinian state free of Jews. At the same time, they want the 20 percent Arabs to remain in Israel. We want that the big settlement blocks stay part of Israel and in exchange the Arab towns near the border will be transferred to Palestinian sovereignty. Such a population exchange is neither racist nor fascist. When it comes to finding a solution of the Israeli- Palestinian conflict, there should be no taboos. Berlin Zurück in Berlin, im Kopf schwirren die Eindrücke. Im aktuellen Heft des Schrägstrichs schreibt Jürgen Trittin wieder einmal: Das Ziel zweier selbstbestimmter Staaten in der Region mit Bevölkerungen, die sich in Sicherheit und Wohlstand entwickeln können, ist alternativlos. Sicher ehrlich gemeint, es klingt aber so wie das Pfeifen im Walde. 7