Die neue Ökonomie Kleine Verlage erobern die deutsche Literatur. Voller Idealismus, aber ohne Ideologie wollen sie vieles anders und das meiste besser machen. VON SILJA UKENA ILLUSTRATIONEN: JOCHEN KLEIN Daniela Seel (Kookbooks), Jürgen Christian Kill (Liebeskind), Andreas Rötzer (Matthes & Seitz), v.l. Wolfgang Farkas, Lars Birken-Bertsch (Blumenbar)
Michael Zöllner (Tropen- Verlag) Von der Decke leuchtet kahles Glühbirnenlicht. Umzugskisten stapeln sich zu einem logikfreien Parcours. Die Kaffeemaschine, das wie sich im Verlauf der Recherche herausstellen wird wichtigste Arbeitsmittel des aufstrebenden Kleinverlegers, wurde in Köln eingepackt und ist seitdem verschwunden. Allein der Fremdwörterduden steht schon im Regal. Aufbruch und Neuanfang. Der Tropen-Verlag, 1998 in einer Kölner Küche gegründet, ist nach Berlin gezogen. Klaus Wagenbach so eine Art Turnvater aller unabhängigen Verleger war der Erste, der Grüße in die frischgestrichenen Räume in Prenzlauer Berg sandte. Eine Anerkennung. Vielleicht auch ein Symbol. Der Gruß eines ergrauten Wilden an die Jungen, die bereit stehen, die deutsche Verlagsszene zu erobern und von denen der Tropen- Verlag nur einer ist. Denn eine solche Aufbruchsstimmung gab es noch nie: Ausgerechnet in Zeiten der Buchmarktkrise gibt es plötzlich eine neue Verlegergeneration, eigenwillig, mutig und kreativ. Eine Generation, die ihren eigenen Weg gehen will, unabhängig von den Gesetzen der Großverlage. Eine Gruppe von Individualisten, deren Ideen im Lite-
Buchmesse Leipzig
raturbetrieb bis vor kurzem noch väterlich belächelt wurden. Doch immer mehr Kleinverlage gründeten sich 180 sind in den vergangenen vier Jahren in den Börsenverein des Deutschen Buchhandels eingetreten, und wer in diesem Monat über die Leipziger Buchmesse geht, dem wird klar: Sie sollten sich warm anziehen, die Lächler. Denn was vor einigen Jahren als abenteuerliche Idee auf Wohngemeinschaftspartys oder an Küchentischen begann, ging weiter, mit dem ersten Roman, mit Lesungen vor Freunden. Inzwischen hat sich diese kleine Bewegung zu einer ernstzunehmenden Stimme auf dem Buchmarkt entwickelt. Nicht finanziell natürlich, denn nach wie vor beruht das Prinzip des jungen Kleinverlags auf Idealismus und euphorisierter Selbstausbeutung. Aber literarisch. Gleich, ob man den Tropen- Verlag als Beispiel nimmt, die Verlagsbuchhandlung Liebeskind, Matthes & Seitz Berlin, den seit kurzem von einem jungen Team geführten Verlag schrieb jemand mit weißer Farbe das Wort blumenbar auf die rohe Wand. Wir wollen Bücher machen, die Fragen an die Gegenwart stellen, sagt Birken-Bertsch. Wir wollen eine Öffentlichkeit für Themen schaffen, von denen wir meinen, dass sie für unser Leben jetzt von Bedeutung sind. Dies zu können, nehmen die Jungverleger für sich in Anspruch, missionieren wollen sie niemanden. Sie wollen weg von den immer gleichen Beziehungsbefindlichkeiten, um die die Literatur der 30- Jährigen hierzulande schon zu lange kreist. Stattdessen trauen sie sich an schwierige Themen wie Pornografie, Armut und Krieg. Bei Matthes & Seitz Berlin erscheint dieser Tage mit Betriebsbedingt gekündigt von Iain Levinson ein bitterböser Roman über das Humankapital, früher einmal Mensch genannt. Und Johannes Jansens Liebling, mach Lack! (Kookbooks) über seine Zeit bei der NVA kann man nur wie einen veritablen Anti- Kriegs-Roman lesen. Sie sollten sich warm anziehen, die Lächler. Rogner & Bernhard, Kookbooks oder den Verlag Blumenbar sie alle gehen mit einer Verve ans Büchermachen, die manch ein traditionsreicher Großverlag im Marketingrausch längst verloren hat. Die Entdeckung von Jonathan Lethem ( Die Festung der Einsamkeit ) und Christine Angot ( Inzest ) etwa gehen auf das Konto des Tropen-Verlags. Liebeskind-Verleger Jürgen Christian Kill, 36, spürte die wundervolle Yôko Ogawa auf, deren raffinierte Romane und Erzählungen von jungen Frauen zwischen Lebensgier und Selbstauslöschung sich handelsüblichen Genres verweigern. Gilad Elbom erzählt in seinem bei Rogner & Bernhard erschienenen Scream Queens am Toten Meer so hart und berührend vom israelischen Alltagswahnsinn, wie man es bisher noch nicht gelesen hat. Wir wollen Bücher anders machen, sagt Lars Birken-Bertsch, 37, und zeigt zum Beweis auf den Sofatisch vor ihm. Dort liegt ein kleines, aber bereits ruhmreiches Programm: das Debütwerk Arraia der Journalistin Anne Zielke, von der FAZ mit einem Vorabdruck geadelt. Die Stadt Gottes von Paulo Lins, Vorlage für den Film City of God. Und Hunter S. Thompsons Kultbuch The Rum Diary. Birken-Bertsch ist gemeinsam mit Wolfgang Farkas, 37, Gründer der Blumenbar. Der Name entstand bei einer der literarischen Wohngemeinschaftspartys in der Münchner Blumenstraße Nummer 3, die die Mieter Farkas und Birken-Bertsch regelmäßig veranstalteten. Es wurde Musik aufgelegt, getrunken, getanzt und auch gelesen, und irgendwann Es ist an der Zeit, als Verlag gesellschaftlich Position zu beziehen, und man kann das tun, ohne dabei ideologisch zu sein, sagt auch Tropen-Verleger Michael Zöllner, 35, und plant zwischen den Umzugskisten für den Herbst einen ersten, wie er sagt, kritischen Sachbuchtitel : Weißer als weiß. Wie die Kirche das Marketing erfand. Auch wenn es offensichtlich, und zum Glück, diesen Platz für die ehrgeizigen Kleinen im Buchmarktbetrieb gibt besetzt wurde diese Nische, jedenfalls von den Blumenbar-Gründern, eher zufällig: Eines Tages gelangte das Romanmanuskript eines Nachbarn in die erste Etage der Blumenstraße 3. In dem Text ging es um den Untergang einer großen Liebe im Lebensgefühl der neunziger Jahre. Das gefiel Birken-Bertsch und Farkas so gut, dass sie im Mai 2002 aus der Blumenbar einen Verlag machten. Der erste öffentliche Auftritt folgte wenige Monate später auf der Frankfurter Buchmesse mit einer Waschmaschine als Blickfang und Memomat von FX Karl als einzigem Titel. So wurde der Nachbar zum Schriftsteller, wurden ein gelernter Buchhändler mit Faible für Fauser und Brinkmann und ein Journalist, der gern viel zu Fuß geht, zu selbständigen Verlegern. Finanziert haben den Roman damals die etwa 300 Mitglieder des Blumenbar-Clubs, mit jeweils 50 Euro. Zum Dank gab es einen Blumenbar-Schlüsselanhänger, ein signiertes Romanexemplar und das gute Gefühl, Pionierarbeit zu unterstützen. Erfinderisch muss man also sein, wenn man als Neuverleger auf dem Buchmarkt etwas werden will. KulturSPIEGEL 3/2005 27
Aber reicht das schon? Nein, sagt Michael Zöllner, mit sechs Jahren Verlegererfahrung quasi der Nestor unter den Neulingen. Man braucht vor allem eine hochprofessionelle Grundstruktur. Soll heißen: einen Vertrieb für die Auslieferung und gute Vertreter, die auch den skeptischsten Buchhändler noch dazu bringen, ein paar Exemplare in sein Sortiment aufzunehmen. Was ein verdammt schwerer Job ist. Alle, von denen hier die Rede ist, haben diesen Grad der Professionalität inzwischen erreicht. Was aber jemanden wie Zöllner nicht davon abhalten kann, den Buchhandlungen seiner neuen Berliner Nachbarschaft persönlich Besuch abzustatten, um sie gegebenenfalls davon zu überzeugen, dass Tropen- Bücher unbedingt in die Auslage gehören. Denn noch ist der Buchhandel zögerlich: zu ängstlich, zu phlegmatisch, zu bestsellerfixiert. Nur wenige sehen die Chance, sich mit besonderen Büchern gegen die großen Buchhandelsketten zu profilieren. Dabei gibt es viel zu viele langweilige Bücher!, sagt Daniela Seel, 30, Gründerin von Kookbooks, Es gibt viel zu viele langweilige Bücher! eine der wenigen Frauen im Bunde der neuen Verleger. Sie hat mit ihrem vom Buchkünstler Andreas Töpfer gestalteten Programm so ziemlich alles falsch gemacht, was man nach den Gesetzen der Branche nur falsch machen kann: gestürzte Titelzeilen, Klappenbroschur mit transparenten Vorsatzblättern, komplizierte hochmoderne Grafik, widerborstige Gegenwartslyrik. Wir sind von Anfang an bewusst den Weg des größten Widerstands gegangen und haben das gemacht, von dem andere behaupteten, es sei unmöglich, sagt Seel. Offenbar gibt es eine Sehnsucht nach Büchern, die zu lesen auch sinnlich ein Genuss ist. Die ästhetisch sind, sich gut anfassen und nicht nur eine schöne Sprache, sondern auch eine schön gesetzte Schrift haben. Bücher, mit denen man, so sagen es alle Jungverleger, leben möchte. Der Begriff Stapelware verbietet sich in diesem Zusammenhang von selbst. Ist das nicht elitär? Ein Programm, das an den Interessen der meisten Leser vorbeigeht? Nein, meint Daniela Seel, die ihren Verlag in Idstein bei Wiesbaden nur Dank einer kleinen Erbschaft beginnen konnte. Es ging nicht darum, unverlegbare Bücher trotzdem zu drucken. Wir wollten nur nicht darauf warten, bis wir in einem der etablierten Verlage an der Reihe wären. Unsere Bücher sind in Auswahl und Gestaltung zwar total subjektiv, aber sie sollen immer für so viele Menschen wie möglich sein. Und Andreas Rötzer, 33, aus Berlin ergänzt: Es ist ein Irrtum zu glauben, die Leser wollten ständig FOTOS: A.BIRKNHOLZ, F.ROTHE, C.LANG, P.RIGAUD (S.24/25); JAN WOITAS / ACTION PRESS (S.26/27) 28 3/2005 KulturSPIEGEL
unterfordert werden. Vor einem Jahr hat der promovierte Philosoph den in die roten Zahlen geratenen Kleinverlag Matthes & Seitz übernommen und ihn seitdem in einem ehemaligen Ladengeschäft in Prenzlauer Berg neu erfunden. Hier kann man an einem zufälligen Dienstagabend nach 18 Uhr beobachten, was die jungen Verleger von den großen auch unterscheidet: ein Mann, mittleres Alter, Mantel, Aktentasche, aus der Nachbarschaft, wie er sagt, klopft auf dem Heimweg kurz an, fragt nach der CD mit den Gedichten von Friederike Kempner, die Katharina Thalbach so schön lese, ob er die hier kaufen könne? Der Verleger, der Hierarchien nicht mag und für den der Weg auch deshalb nie in einen Großverlag hätte führen können, greift ins Regal, und die Sache ist erledigt. Wer sein Programm von der allerersten Begegnung mit dem Autor bis zur letzten Korrektur selbst betreut, muss schließlich vor allem eins sein: offen und flexibel. Und wer sie nicht hat, die 30 000 Euro Vorschuss, die einflussreiche Agenten für talentierte Debütanten durchaus verlangen, der braucht den Kontakt zum Leben, nicht nur zum literarischen. Braucht Sensibilität für das, was die Menschen gerade umtreibt, und Verbindungen zu Autoren, die solche Bücher schreiben. Nicht immer ist es der Nachbar. Oft aber die Freundin, die von irgendeinem unbekannten New Yorker Autor schwärmt so entdeckte der Tropen-Verlag Jonathan Lethem. Mal ist es eine junge amerikanische Künstlerin, von der man zufällig erfährt, dass sie einen ziemlich wilden RAF-Roman geschrieben hat; mal ein befreundeter Journalist, der anruft und sagt, er habe da ein Buch geschrieben. So wurden Die Baader-Meinhof-Affäre von Erin Cosgrove und Schattauers Tochter von Arno Orzessek Spitzentitel dieses Frühlings bei Blumenbar und Rogner & Bernhard. Beides sind Bücher, von denen sich schon jetzt sagen lässt, dass sie zu den interessantesten in diesem Jahr gehören werden. Etappenziel erreicht. Und wohin weiter? Zu Hugendubel ins Sortiment. In die schwarzen Zahlen. Ein eigenes Vertriebssystem für unabhängige Verlage. Das Ziel ist Bewegungsfreiheit. Freiheit, die sicherstellt, weiter besondere Bücher verlegen zu können. Mitte März fahren sie alle nach Leipzig, zur Buchmesse. Tagsüber tun sie, was alle tun: Präsenz zeigen, Pressekontakte pflegen, zu viel Kaffee trinken. Abends gibt es eine gemeinsame Party. Blumenbar wird dabei sein, Kookbooks, der Tropen-Verlag. Vielleicht gesellen sich die anderen spontan dazu. Auf jeden Fall wird getanzt werden. Buchmesse Leipzig 17. 20.3., www.leipziger-buchmesse.de KulturSPIEGEL 3/2005 29