Veranlagungsprüfung für Junghengste (30-Tage-Test) von Dr. Ursula Pollmann Chemisches und Veterinäruntersuchungsamt Freiburg Referat Ethologie und Tierschutz 2001
Veranlagungsprüfung für Junghengste (30-Tage-Test) Eine im Jahre 2001 durchgeführte Veranlagungsprüfung von Junghengsten wurde bezüglich ethologischer und tierschutzrelevanter Gesichtspunkte untersucht. In die Untersuchung gingen folgende Daten ein: 1.Pferde Angeliefert wurden 14 Warmblut-Hengste, die mit Ausnahme eines fünfjährigen Hengstes alle dem Jahrgang 98 angehörten. Zehn Hengste waren gekört. 2. Beschickerbefragung Hierbei wurden die folgenden Daten erhoben: Zeitpunkt der Aufstallung (Monat/Jahr) jeweils Beginn der Arbeit an der Longe, Beritt, Freispringen (Monat/Jahr) Zeitpunkt des Erstbeschlags (Monat/Jahr) Name des Bereiters Erkrankungen/Auffälligkeiten während der Vorbereitung 3. Videoaufzeichnungen Gemäß dem folgenden Plan wurden von den Pferden unter dem Reiter und ggf. beim Freispringen Videoaufzeichnungen vorgenommen (fettgedruckte Termine): Woche 0 Woche 1 Woche 2 Woche 3 Woche 4 Montag 12.03.01 19.03.01 26.03.01 02.04.01 09.04.01 Anlieferung Dienstag 13.03.01 20.03.01 27.03.01 Zwischenprüfg. 03.04.01 10.04.01 Fremdreitertest Mittwoch 14.03.01 21.03.01 28.03.01 04.04.01 11.04.01 Abschlussprüfg. Donnerstag 15.03.01 22.03.01 29.03.01 05.04.01 Freitag 16.03.01 23.03.01 30.03.01 06.04.01 Samstag 17.03.01 24.03.01 31.03.01 07.04.01 Sonntag 18.03.01 25.03.01 01.04.01 08.04.01 Auswertung der Videoaufzeichnungen In Anlehnung an CAANITZ (1996) wurden folgende Merkmale untersucht: 1. Kopf Stirn-Nasenlinie vor der Senkrechten, senkrecht, hinter der Senkrechten, schief, Kopfschlagen 2. Maul geschlossen, leicht geöffnet, Oberlippe zusammengezogen, Unterlippe zurückgezogen, klappend, Zähne sichtbar, Zunge sichtbar, Maul aufgerissen, Knirschen 3. Ohren vorne, seitlich vorne, seitlich hinten, spielend, angelegt
4. Hals nach oben gestreckt, nach unter gestreckt, nach oben gebogen (Maul oberhalb Buggelenk), nach unten gebogen (Maul unterhalb Buggelenk), schief 5. Schweif eingezogen, hängend, gelüftet, getragen, schlagend Diese Merkmale wurden jeweils in den Gangarten Schritt, Trab und Galopp erfasst. Ablauf der Veranlagungsprüfung Am Anlieferungstag wurden die Hengste zunächst an der Hand in den Gangarten Schritt und Trab und anschließend unter dem Sattel im Schritt, Trab und Galopp vorgestellt. Bis auf wenige Ausnahmen erfolgte das Vorstellen unter dem Sattel von den Bereitern oder Besitzern der jeweiligen Pferde. In der Woche 1 bis 4 wurden die Hengste in 3 Gruppen zu jeweils 5 bzw. 4 Pferden von Bereitern des Gestüts geritten. Von den Pferden wurden folgende Übungen gefordert: Schritt, vorwiegend am langen Zügel, Trab (teilweise mit Tritte verlängern), und Galopp (teilweise mit Sprünge verlängern). Es wurde häufig die Hand gewechselt und das Zügel-aus-der-Hand-kauen-lassen verlangt. Die Hengste wurden täglich zwischen 30 und 40 Minuten unter dem Sattel in der Reithalle gearbeitet bzw. vor dem Reiten noch longiert. Nach der Arbeit in der Halle schloss sich je nach Witterung ein fünf- bis zehnminütiges Reiten über die Gestütsanlage zum Stall zurück an. An den Samstagen fand das Freispringen statt. An diesen Tagen wurden die Hengste nicht geritten. Am Sonntag war Stehtag. Ergebnisse Die durchgeführte Auswertung hat zu folgenden Ergebnissen geführt (siehe auch Tabelle 1 im Anhang): Die 13 Junghengste des Jahrgangs 98 wurden im Durchschnitt 3 Wochen vor Vollendung ihres 3. Lebensjahres zur Veranlagungsprüfung angeliefert. Nur 2 dieser Junghengste hatten das 3. Lebensjahr am 12.03.01 (Anlieferungstag) vollendet, dem jüngsten Pferd fehlten 54 Tage bis zur Vollendung des 3. Lebensjahres. Die Hengste hatten bei der Anlieferung ein durchschnittliches Körpergewicht von 513 kg und nach Beendigung des 30-Tage-Tests von 550 kg. Alle Hengste hatten während der Prüfung an Gewicht zugelegt. Ein großer Teil der Hengste des Jahrgangs 98 waren von der äußeren körperlichen Erscheinung her kaum von dem (normal entwickelten) 5-jährigen Hengst zu unterscheiden. Die Hengste des Jahrgangs 98 wurden nach den Angaben der Besitzer/Betreuer im Durchschnitt mit 28 Monaten aufgestallt und waren am 12.03.01 im Mittel seit 2,6 Monaten im Beritt. Videoauswertung der Aufnahmen zu den 13 Junghengsten des Jahrgangs 98: Das Merkmal Stirn-Nasen-Linie hinter der Senkrechten, das entsprechend Band 1 der Richtlinien für Reiten und Fahren der FN (2000) in keinem Stadium (Halten und Bewegung) auftreten darf, wurde insbesondere in den Gangarten Trab und Galopp vermehrt vorgefunden. Der höchste Anteil dieses Merkmals wurde in der Woche 1 im Trab festgestellt (85 % der Pferde). Allein im Schritt in der Woche 2 (Zwischenprüfung) wurde dieses Merkmal bei keinem Pferd gesehen (Abb. 1). Das Merkmal Kopfschlagen, das als stärkster Ausprägungsgrad des gegen-den- Zügel-Gehens bei fehler- oder schmerzhafter Hilfengebung, bei Rückenproblemen oder Handfehlern vorkommt (gem. verschiedener Autoren, in CAANITZ, 1996), zeig-
ten die meisten Pferde in der Woche 0 im Trab (54 %). Auch während der Prüfungen (Wochen 2 und 4) war eine deutliche Erhöhung des Vorkommens von Kopfschlagen festzustellen, wobei dieses Merkmal lediglich im Trab in Woche 4 nicht vorzufinden war (Abb. 2). Das Merkmal Maul geschlossen, das eines der Kriterien für die Losgelassenheit des Pferdes darstellt (RL für Reiten und Fahren der FN), wurde im Durchschnitt des 30-Tage-Tests im Schritt bei 71 % der Pferde festgestellt, im Trab nur noch bei 38 % und im Galopp bei 29 % (Abb. 3). Das Merkmal Schweifschlagen, das gemäß verschiedener Autoren (in CAANITZ, 1996) als ein Hinweis auf fehlende Losgelassenheit, auf fehlerhafte, falsche oder zu intensive Hilfengebung oder Überforderung bzw. auf Rückenprobleme zu sehen ist, wurde vor allem im Galopp (im Durchschnitt bei 34 % der Pferde) und in Woche 2 (Zwischenprüfung) auch im Trab festgestellt (Abb. 4). Es wurde darüber hinaus festgestellt, dass die Pferde beim Zügel-aus-der-Handkauen-lassen die entspannende Dehnung nach vorwärts abwärts nicht oder nur andeutungsweise zeigten. Bewertung der Ergebnisse Die Ergebnisse der Videoauswertung lassen darauf schließen, dass viele der Junghengste mit erheblichen Problemen aufgrund den Einwirkungen des Reiters und insbesondere der Reiterhand angeliefert wurden, was sich auch in der 30-tägigen Arbeit mit den Hengsten nicht wesentlich veränderte. Geht ein Pferd durch starke Handeinwirkung des Reiters mit der Stirn-Nasen-Linie hinter der Senkrechten, liegt gemäß den Richtlinien für Reiten und Fahren der FN (2000) entweder ein momentaner Fehler in der Hilfengebung oder ein deutlicher Fehler in der bisherigen Ausbildung vor. Nach Untersuchungen von PREUSCHOFT et al. (1995) schwanken selbst bei turniererfahrenen Reitern die auf jedem Zügel lastenden Zugkräfte im Trab um 5 kg und im Galopp zwischen 7 und 17 kg. Obwohl die Reaktionen des Pferdes auf die reiterliche Einwirkung in der Kopf- Halshaltung in der Regel offensichtlicher sind als die im Rücken, haben letztere die höhere Relevanz. Die Reaktionen in beiden Bereichen entsprechen einander, häufig potenzieren sie sich gegenseitig. Im Rücken reichen bereits relativ kleine Abweichungen von der Normalposition bzw. vom Normaltonus aus, um beträchtliche Folgen zu zeigen: entweder erfolgt ein Nachgeben der Wirbelbrücke nach unten mit der Folge, dass sich die Dornfortsätze der vorderen Brustwirbel nähern (kissing spines) oder die Rückenmuskulatur leistet durch Versteifung (Verkrampfung) Widerstand gegenüber dem Reitergewicht. Das Pferd, das von seiner Natur her nicht dazu veranlagt ist, Lasten auf seinem Rücken zu tragen, braucht mehrere Monate, bis es mit diesem Eingriff in sein Haltungs- und Bewegungsgefüge zurecht kommt (MEYER, 1999). Von einigen Hengsten wurden bei der ersten Vorstellung unter ihren Bereitern Lektionen verlangt, die bei einer soliden Ausbildung in diesem Stadium nicht gezeigt werden sollten (z.b. starker Trab, einfacher Galoppwechsel). Insgesamt muss davon ausgegangen werden, dass von den Pferden beim vorbereitenden Anreiten ohne Berücksichtigung der Ausbildungsabschnitte Takt und Losgelassenheit eine Beizäumung erzwungen wurde. Dies ist dahingehend zu werten, dass die Beschicker ein möglichst gut aussehendes Pferd liefern wollten, ohne offensichtlich zu ahnen, welche gesundheitlichen Folgen dieser Eingriff in das Haltungs- und Bewegungsgefüge
insbesondere des jungen Pferdes haben kann (z.b. Verspannungen und Schmerzen im Rücken- und Halsbereich, kissing spines). Bezüglich der derzeitigen Konzeption des 30-Tage-Tests ist auch zu bedenken, dass gemäß den Richtlinien für Reiten und Fahren der FN (2000) die Ausbildung des Pferdes unter dem Reiter nicht vor Vollendung des 3. Lebensjahres begonnen werden sollte (kann nicht eingehalten werden) auch das junge Pferd zu Beginn einer jeden Trainingseinheit 10-15 Minuten im Schritt am langen Zügel gehen sollte, bevor die Arbeit im Trab oder im Galopp beginnt, damit gewährleistet ist, dass Gelenke, Sehnen und Muskeln langsam erwärmt werden (kann wegen der Unausgeglichenheit der in Boxen gehaltenen jungen Pferde nicht praktiziert werden) sich nach einigen Wochen der Gewöhnung und des Anreitens im Alter von 3 bis 3½ Jahren ein mehrmonatiger Weidegang anschließen kann, bei dem die Konstitution, das Größenwachstum und die Veränderung der Proportionen weiter ausreifen (im Gegensatz dazu sind die Pferde einer mehrfachen Prüfungssituation ausgesetzt) die Ausbildung eine systematische Gymnastizierung ist, bei der es darum geht, das Pferd sowohl in körperlicher als auch in psychischer Hinsicht zur vollen Entfaltung seiner natürlichen Möglichkeiten zu bringen (ist unter dem Zeitdruck des 30-Tage-Tests nicht zu gewährleisten) Durch den zeitlich früh angesetzten und kurz dauernden 30-Tage-Test sehen sich die Beschicker der Hengste offensichtlich dazu gezwungen, vom langwierigen Weg der soliden Ausbildung eines Pferdes abzuweichen. Die von den Pferden dadurch gezeigten Fehlhaltungen sind jedoch dann nicht als ein Hinweis auf deren Veranlagung als Reit- oder Springpferd zu werten, wie dies die Prüfung bezwecken soll. Die gesundheitlichen Risiken, die aufgrund dieser Beanspruchung der Pferde vorhanden sind, stehen in keinem Verhältnis zum Nutzen dieser Prüfung, zumal gemäß dem Code of Conduct der FEI von 1991 das Wohlbefinden des Pferdes wichtiger sein muss als die Anforderungen der Züchter, Trainer, Reiter, Besitzer, Händler, Veranstalter, Sponsoren und Offiziellen. Damit müssen Sinn und Rechtmäßigkeit der Veranlagungsprüfung für Junghengste - so wie sie derzeit konzipiert ist - in hohem Maße in Frage gestellt werden.
Literatur CAANITZ, H. (1996): Ausdrucksverhalten von Pferden und Interaktionen zwischen Pferd und Reiter zu Beginn der Ausbildung med.vet.diss. Hannover DEUTSCHE REITERLICHE VEREINIGUNG (2000): Richtlinien für Reiten und Fahren - Band 1 FN-Verlag, Warendorf MEYER, H. (1999): Zum Einfluss von Reitergewicht und Reiterhand auf das Bewegungsgefüge des Pferdes Tierärztliche Umschau 54, 498-503 PREUSCHROFT, H. et al. (1995): Grenzen der Einwirkungen des Reiters auf das Pferd Tierärztliche Umschau 50, 511-521
Merkmal 'Stirn-Nasen-Linie hinter der Senkrechten' im Verlauf des 30-Tage-Tests bei den verschiedenen Gangarten 80 Trab Pferde (%) 60 40 Schritt Galopp 20 30-TT-13.WST 0 0 1 2 3 4-0 1 2 3 4-0 1 2 3 4 Woche Abb. 1: Prozentuale Häufigkeiten des Merkmals Stirn-Nasen-Linie hinter der Senkrechten Merkmal 'Kopfschlagen' im Verlauf des 30-Tage-Tests bei verschiedenen Gangarten 50 Trab Galopp 40 Pferde (%) 30 Schritt 20 10 30-TT-13.WST 0 0 1 2 3 4-0 1 2 3 4-0 1 2 3 4 Woche Abb.2: Prozentuale Häufigkeiten des Merkmals Kopfschlagen
Merkmal 'Maul geschlossen' im Verlauf des 30-Tage-Tests bei verschiedenen Gangarten Schritt 80 Trab Pferde (%) 60 40 Galopp 20 30-TT-13.WST 0 0 1 2 3 4-0 1 2 3 4-0 1 2 3 4 Woche Abb.3: Prozentuale Häufigkeiten des Merkmals Maul geschlossen Merkmal 'Schweifschlagen' im Verlauf des 30-Tage-Tests bei verschiedenen Gangarten 60 Galopp Pferde (%) 50 40 30 Schritt Trab 20 10 30-TT-13.WST 0 0 1 2 3 4-0 1 2 3 4-0 1 2 3 4 Woche Abb.4: Prozentuale Häufigkeit des Merkmals Schweifschlagen
Tabelle 1: Datensammlung zu einer Veranlagungsprüfung des Jahres 2001 Pferd Nr. Geburtsdatum Diff. zu 3 Jahren * Gewicht * Gew.diff. bei Abholung Alter bei Aufstallg. longiert seit * (Mo/Jahr) Beritt seit * Freispringen seit * Erstbeschl. am Körung Bewertung D Bewertung S (Tage) (kg) (kg) (Monate) (Mo/Jahr) (Mo/Jahr) (Mo/Jahr) 1 19.04.98-38 565 +35 28 11/00 01/01-10/00 + 7,91 7,43 2 26.02.98 +16 515 +40 30 11/00 01/01-10/00 + 6,85 6,86 3 25.03.98-13 475 +55 28 07/00 11/00 07/00 01/01-7,50 7,84 4 21.04.98-40 530 +40 30 10/00 12/00 10/00 12/00 + 7,36 7,64 5 01.02.98 +40 460 +60 25 05/00 12/00 08/00 01/01 + 8,09 7,93 6 30.03.98-18 565 +20 33 12/00 01/01 01/01 01/01-7,93 7,50 7 07.05.98-54 550 +20 28 09/00 01/01 09/00 10/00 + 7,51 7,03 8 23.03.98-11 495 +15 29 10/00 01/01? - + 7,19 7,28 9 17.03.96 530 +30-7,96 8,12 10 11.04.98-30 500 +50 27 07/00 12/00 07/00 11/00 + 7,13 7,46 11 10.04.98-29 540 +30 30 10/00 01/01 10/00 01/01 + 6,61 7,05 12 17.04.98-36 485 +30 26 01/01 01/01 06/00 10/00 + 8,06 8,09 13 15.04.98-34 490 +45 27 07/00 12/00 07/00 11/00-7,45 7,88 14 06.04.98-25 480 +50 24 04/00 11/00 04/00 12/00 + 7,64 7,57 * ) am Tag der Anlieferung