Meteorologische Methoden im Krisenfall

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Transkript:

Meteorologische Methoden im Krisenfall Dr. Gerhard Wotawa, M.A. (Intern. Rel.) ZAMG/DMM, Stabsstelle GEO Gerhard.Wotawa@zamg.ac.at Präsentation im Rahmen der Langen Nacht der Forschung 2012 an der ZAMG

Überblick Page 2 Bedeutung von Krisenmanagement Ausbreitungsrechnungen der ZAMG im Krisenfall Eyjafjallajökull-Eruptionen 2010 Kernschmelze in der Atomanlage Fukushima Daiichi

Krisenmanagement Die ZAMG reagiert 1-2 mal jährlich auf internationale Krisensituationen und Katastrophen im Umweltbereich Page 3 Vulkanausbrüche in Island April/Mai 2010 Juni 2011 Nuklearer Unfall Fukushima März/April 2011 Waldbrände Russland Juli/August 2010

Was haben wir erreicht Page 4 Vulkanasche: Aufgrund unserer Dienste waren die österreichischen Behörden bei der Öffnung des Luftraumes 2010 den Nachbarländern einen Schritt voraus Waldbrände Russland: ZAMG gibt als erste Entwarnung bezüglich des Transportes von radioaktiv kontaminierten Rauch Richtung Europa Fukushima: Erste Modellierung der Ausbreitung von Radioaktivität weltweit im Netz, erste (korrekte) Abschätzungen der Quellstärken (von Japan bestätigt)

Krisenfallmodell der ZAMG (Dispersion) Page 5 Die ZAMG betreibt das FLEXPART Modell für die Berechnung der Ausbreitung von Luftbeimengungen Als Input werden Daten (Analysen + Prognosen) des Europäischen Zentrums für Mittelfristige Wettervorhersage herangezogen Unser Modellsystem gehört zu den besten, die derzeit weltweit verfügbar sind Die ZAMG ist damit in einer Position, Modellprodukte für Krisen bereitzustellen, wann immer und wo immer sie auftreten

Derzeitige Systementwicklung Page 6 Die ZAMG beginnt im May 2012 das Projekt Environmental Emergency Response System Austria Wesentlicher Punkt des Projektes ist die Konsolidierung und Vereinheitlichung der operationellen Modellsysteme Neue Funktionalitäten sind Response auf Nuklearunfälle und Atomtests weltweit Response auf Vulkanausbrüche, Produkte für Flugsicherheit Response auf Waldbrände und andere Ereignisse weltweit

Eyjafjallajökull Krise 2010 Page 7 Phase 1 14.-19. April 2010: Asche nach Nordwest- und Mitteleuropa transportiert, Luftraumsperren in weiten Teilen Europas Phase 2 5.-9. 2010: Südwesteuropa betroffen Phase 3 13.-19. Mai 2010: Transport nach Nordwesteuropa, Mitteleuropa nur gering betroffen Ende der Eruptionen: 24. Mai 2010

Berechnung der Aschewolke: ZAMG und VAAC Page 8 Die Berechnungen zwischen den einzelnen Zentren stimmten gut überein. ZAMG Berechnungen waren ähnlich den Berechnungen des Volcanic Ash Advisory Centre London 20100416 18:00 20100417 00:00 20100417 06:00 20100417 12:00

Vergleich mit Sonnblick Messungen Page 9 Vergleiche zwischen ZAMG Modell und Staubmessungen auf dem Sonnblick zeigten eine gute Übereinstimmung

Vergleich mit DLR Flugmessungen: Leipzig Page 10 Das DLR Flugzeug entdeckte in 4km Höhe eine gut definierte Ascheschicht über Leipzig (19. April 2010). Höhe und Ausdehnung dieser Schicht wurden vom ZAMG Modell extrem gut wiedergegeben

Tag der Katastrophen in Japan Page 11 Erdbeben: 11. März 2011 05:56 UTC (Magnitude 9.0, 24 km Herdtiefe) Tsunami-Welle: 11. März 2011 ca. 1 Stunde nach Hauptbeben

Fukushima Daiichi: Stromversorgung und Notkühlung Page 12

Weiterer Ablauf der Ereignisse Page 13 12. März 2011: Start des Ventings in Block 1, Wasserstoff- Explosion in Block 1 13. März 2011: Start des Ventings in Block 2 und 3 14. März 2011: Wasserstoff-Explosion in Block 3 15. März 2011: Explosionsgeräusche in Block 2, Feuer im Bereich des Abklingbeckens, Block 4 16. März 2011: Feuer im Bereich des Abklingbeckens, Block 4

Fukushima-Modellierung an der ZAMG Page 14 Beginn einer ad-hoc Modellierung am 12.3.2011 Gründung der Task-Force Fukushima am 14.3.2011 Teilautomatisierung bis 18.3. 2011 Vollautomatisierung und weitgehende Ausfallsicherheit April 2011 Es ist der ZAMG gelungen, in Rekordzeit ein fast operationelles System auf die Beine zu stellen, welches bis Juni 2011 fehlerfrei lief

Rollen der ZAMG während Fukushima Page 15 National: Unterstützung nationaler Behörden, österreichischer Vertretungen im Krisengebiet, und der Austrian Airlines National: Nationales Datenzentrum für die Verifikation des Atomteststop-Abkommens, Zugriff auf die Monitoring-Daten und Analysen der CTBTO (z.b. weltweite Radionuklid-Daten) International: Unterstützung des IAEO Incident and Emergency Centres auf Ersuchen der WMO, Vertretung der WMO in Wien International: Unterstützung der CTBTO (RSMC Vienna)

Ergebnisse der Ausbreitungsrechnungen Page 16 Day 3 Day 6 Day 9 Day 12

Tägliche ZAMG-Produkte (Deutsch und Englisch) Page 17

CTBTO Messungen Page 18 Radionuklidmessungen der CTBTO sind sehr gut geeignet, die hemisphärische Ausbreitung der Strahlung zu beobachten Aerosol-Stationen: Messungen von 131 I und 137 Cs mit einer Genauigkeit im Bereich µbqm -3 Xenon-Stationen: Messung von 133 Xe im Bereich 0.1 mbqm -3

CTBTO Messungen Page 19

Ankunft der Plume an verschiedenen Stationen ( 131 I) Page 20 Takasaki, Japan (JPP38) Sacramento, California (USP70) Schauinsland, Germany (DEP33)

Modellgüte Page 21 Das ZAMG Modell hat das Eintreffen der Strahlung in Kalifornien, der U.S. Ostküste und in Europa sehr gut simuliert Auch die Simulationen für Japan waren gut

Erste Abschätzungen der Fukushima-Emissionen Page 22 Die ZAMG war weltweit die erste Institution, die seriöse Abschätzungen der Freisetzung von 131 I und 137 Cs veröffentlicht hat (22. März 2011). Diese Abschätzungen basierten auf den CTBTO- Messdaten aus Takasaki und Sacramento/Kalifornien. Sie zeigten: Es gab in den ersten 3-4 Tagen sehr hohe Emissionen von 131 I und 137 Cs : 10 17 Bq/Tag 131 I, 10 16 Bq/Tag 137 Cs Eine Hochrechnung ergab, dass die Emissionen von 131 I bei etwa 20% von Tschernobyl lagen, von 137 Cs bei 50% von Tschernobyl Große Emissionen fanden bereits am 12./13. März statt und nicht, wie lange Zeit angenommen, erst am 14./15. März

Grundprinzip Quellstärkeabschätzung Page 23 Für die Abschätzung der Quellstärke wird folgendes benötigt: Messung von Radionukliden an Stationen (z.b. CTBTO, österreichischer Strahlenschutz) Rückwärtsrechnung von der Messung zum Unfall-AKW Quellstärke = gemessene Konzentration * Verdünnungsfaktor

Quellstärkenberechnung Page 24 Berechnungssystem wird derzeit in das österreichische Krisen- System übernommen Rückwärts

Emissionsabschätzungen anderer Institutionen Page 25 24. März 2011: IRSN, Frankreich; Emissionen 12.-22. März; 131 I 200 PBq, 137 Cs 30 PBq 12. April 2011: Japan Nuclear Safety Commission & Japan Atomic Energy Agency: 131 I 150 PBq, 137 Cs 12 PBq Inoffizielle IAEA und CTBTO Abschätzungen waren in der Anfangsphase um Größenordnungen zu niedrig Stohl et al., 2011: 137 Cs 35,8 PBq (40% Tschernobyl), 133 Xe 16700 PBq (250% Tschernobyl)

Emission estimates/international results Page 26