SCHÖNSCHRIFT IST GEFRAGT Die Handschrift wird heute kaum noch benutzt. Die meisten Menschen kommunizieren meist über elektronische Medien. Schön schreiben zu können, ist nicht mehr wichtig. Nur wenige nehmen sich die Zeit für einen klassischen Brief. Dabei sind mit der Hand geschriebene Zeilen sehr persönlich und wertvoll. Genau das haben inzwischen einige erkannt und daraus Geschäftsmodelle entwickelt. Sie verdienen ihr Geld mit der Handschrift. MANUSKRIPT ZUM VIDEO Liebesbriefe als Auftragsarbeit, mit Füllern oder Filzschreibern zu Papier gebracht. In der Schreibstatt in Berlin wird eine vom Aussterben bedrohte Kulturtechnik gepflegt: die Schönschrift. ANGELIKA MBENGUE WOLF (Schönschreiberin): Ja, das ist der persönliche Ausdruck, das ist wie die Stimme, das ist was ganz Persönliches und was ganz Individuelles. LORE BIRKNER (Schönschreiberin): Ich denk, das macht einfach Freude, es hat sehr viel mehr Persönliches als die ganze Computerwelt. Mehr als 60 Schönschreiber arbeiten für das vor anderthalb Jahren gegründete Unternehmen. Die meisten von ihnen sind Frauen. Viele haben keine Ausbildung gemacht, sondern bringen einfach nur Talent mit. Bis zu 2.000 Geschäftsbriefe, Einladungen oder Tischkarten verlassen jeden Tag ihre Schreibtische. THORSTEN PETZHOLD (Gründer der Schreibstatt): Wo braucht man heutzutage noch die Handschrift? Ich selber war da ein bestes Beispiel vorher zu. Man hat also ein paar Notizen mal geschrieben auf einem Blatt Papier. Man schreibt mal eine Urlaubskarte, das ist eigentlich das höchste der Gefühle. Aber schreiben Sie einfach mal einen Brief schön, ja? Schönschreiben in dem Sinne gibt es ja heut nicht mehr. Ob eine Valentinstagskarte, ein Gruß in der altddeutschen Schrift Sütterlin, kunstvolle Kalligrafien oder handschriftliche Geschäftsbriefe: Die Nachfrage nach dem Service wächst. Ein Grund: Handgeschriebene Briefe wirken hochwertiger als gedruckte. Seite 1/6
THORSTEN PETZHOLD: Wer schreibt denn schon heutzutage noch jemandem persönlich? Ja, das sind enge Freunde im Regelfall oder jemand, der sich wirklich Zeit für einen nimmt. Und sie erkennen dann halt dadurch: Okay, derjenige interessiert sich für mich und nimmt sich Zeit für mich, und dann öffne ich das auch, dann lese ich auch den Brief. Diese Handschrift ist eine ganz besondere. Es ist die des deutschen Schriftstellers Heinrich von Kleist. Doch die Feder führt Miriam Sachs. Die Berlinerin hat sich auf das Kopieren von Handschriften spezialisiert. Besonders angetan haben es ihr berühmte Schriftsteller. Doch auch Verwandte und Bekannte hat die Kalligrafin schon kopiert. MIRIAM SACHS (Kalligrafin): Das hat mich schon immer fasziniert. Das hab ich als Kind schon Ich hatte ne Deutschlehrerin, die hatte ne wahnsinnig schöne Schrift, also heutzutage weiß ich, dass sie war totaler Goethe-Fan, sie hatte ein bisschen was von Goethe. Und ich hab die so verehrt diese Lehrerin, und dann hab ich immer heimlich diese Schrift geübt. Aber es ist schon ein bisschen Reinkriechen in jemanden. Ihre Schriften setzt die Schauspielerin und Theaterregisseurin auch für Bühnenbilder ein wie hier in einer Inszenierung eines Kleist-Stücks. Anfragen kommen auch vom Film oder von Museen. Aus ihrem Talent zur Imitation hat die 44-Jährige ein Geschäftmodell entwickelt. Noch recht neu im Angebot: die Handschrift des Dichters Johann Wolfgang von Goethe. Und auch die kantige Schreibe des Autors Franz Kafka beherrscht Miriam Sachs inzwischen fast wie ihre eigene. MIRIAM SACHS: Der T-Strich, der ist sowas von fett und gewaltig. So als würde er das Wort, das er geschrieben hat, noch einmal exekutieren. Wesentlich gefälliger als Kafka: der schwungvolle Bogen von Nicolas Ouchenir. Der Franzose ist ein kleiner Star in der Kalligraphieszene. Seit elf Jahren schreibt er Einladungen für die Events großer Modehäuser, entwickelt dafür immer wieder neue Schriften. Und sogar eine eigene Schreiblinie hat der Pariser mit einem französischen Modelabel herausgebracht. NICOLAS OUCHENIR (Kalligraf): Wenn man die Wahl hat zwischen einem Kugelschreiber und einem guten Füllfederhalter, sollte man meiner Meinung nach immer einen guten Füller bevorzugen. Denn so wird man gezwungen, sich mehr Mühe zu geben und über die Worte nachzudenken, die man schreibt ganz einfach deswegen, weil Tinte ewig hält. Seite 2/6
Auch die Schreibstatt von Thorsten Petzold ist inzwischen so erfolgreich, dass er sein Angebot erweitert hat. 2013 gründete er den Onlineshop Schöne Briefe. Er richtet sich an Privatkunden. Für 17 Euro bekommen sie einen komplett handgeschriebenen Brief. Karten gibt es ab 8 Euro. Nur der Wortlaut der muss, wenn schon nicht aus der eigenen Feder, dann wenigstens aus dem eigenen Herzen kommen. Seite 3/6
GLOSSAR gefragt sein hier: von großem Interesse sein; für viele interessant/attraktiv sein Auftragsarbeit, -en (f.) eine Arbeit, die man für Geld erledigt Füller, - (m.) umgangssprachlich für: Füllfederhalter; ein Schreibgerät, das mit Tinte gefüllt wird Filzschreiber, - (m). ein Schreib- und Zeichengerät mit einer weichen Spitze etwas zu Papier bringen hier: etwas aufschreiben vom Aussterben bedroht sein hier: nur noch sehr selten gemacht werden Kulturtechnik, -en (f.) eine Fähigkeit (z. B. Lesen oder Schreiben), die wichtig für die Kultur ist etwas pflegen hier: etwas erhalten Schönschreiber, -/in, -nen eine Person, die sehr schön schreiben kann individuell persönlich Unternehmen, - (n.) die Firma Talent, -e (n.) eine besondere Fähigkeit in einem Bereich; eine Begabung Tischkarte, -n (f.) eine kleine Karte mit dem Namen einer Person, die auf den Tisch an die Stelle gelegt wird, an der diese Person sitzen soll (z. B. bei einer Feier) den Schreibtisch verlassen hier umgangssprachlich für: erledigt werden; bearbeitet werden heutzutage in der heutigen Zeit Handschrift, -en (f.) die eigene Art und Weise, mit einem Schreibgerät zu schreiben Ich selber war da ein bestes Beispiel vorher zu. gemeint ist hier: Ich selber war früher ein gutes Beispiel dafür. das höchste der Gefühle umgangssprachlich für: das Maximum Valentinstag, -e (m.) ein Feiertag (14.2.), an dem man seinem Liebsten/seiner Liebsten etwas schenkt Seite 4/6
Kalligrafie, -n (f.) das mit einer bestimmten Schreibtechnik gestaltete Blatt Papier handschriftlich mit der Hand geschrieben Nachfrage, - (f.) hier: das Interesse an etwas hochwertig von hoher Qualität; sehr gut jemandem persönlich schreiben jemandem etwas mit der Hand schreiben enge Freunde gute Freunde im Regelfall im Normalfall; normalerweise die Feder führen hier: schreiben etwas kopieren etwas nachmachen; versuchen, etwas genauso zu machen wie jemand es jemandem besonders an getan haben umgangssprachlich für: jemandem sehr gefallen; jemanden sehr faszinieren; sehr attraktiv für jemanden sein Kalligraf, -en/kalligrafin, -nen eine Person, die viele verschiedene Schriften und Schreibtechniken kann jemanden faszinieren sehr attraktiv für jemanden sein; jemandem sehr gefallen wahnsinnig hier: sehr jemanden verehren jemanden sehr mögen; jemanden bewundern heimlich unbemerkt in jemanden rein kriechen gemeint ist hier: versuchen, so zu sein wie jemand Bühnenbild, -er (n.) die Gestaltung der Bühne im Theater Inszenierung, -en (f.) die Aufführung eines Theaterstückes Imitation, -en (f.) das Nachmachen von etwas; das Kopieren von etwas ein Geschäftsmodell entwickeln eine Idee/einen Plan haben, wie man Geld verdienen könnte kantig mit sehr vielen Ecken Schreibe, -n (f.) umgangssprachlich für: die Handschrift Seite 5/6
etwas beherrschen etwas sehr gut können gewaltig hier: sehr breit jemanden exekutieren jemanden töten gefällig angenehm schwungvoll hier: mit vielen runden Linien Schreiblinie, -n (f.) verschiedene Schreibgeräte, die ähnlich gestaltet sind und von einer Firma verkauft werden etwas heraus bringen etwas entwickeln, produzieren und verkaufen Label, -s (n., aus dem Englischen) die Marke; der Name, unter dem etwas verkauft wird Füllfederhalter, - (m.) ein Schreibgerät, das mit Tinte gefüllt wird; der Füller jemanden zu etwas zwingen jemanden drängen, etwas zu tun sich Mühe geben sich anstrengen; sich bemühen halten, etwas hält hier: nicht kaputtgehen sich an jemanden richten jemanden mit etwas ansprechen wollen; jemanden adressieren Wortlaut (m., nur Singular) das, was man schreiben will; die Worte; der Text aus der eigenen Feder kommen selbstgeschrieben sein Autorinnen: Antje Binder/Bettina Schwieger Redaktion: Shirin Kasraeian Seite 6/6