Deutsche Patriot-Raketen in der Türkei : Symbolik statt Strategie Kaim, Markus; Seufert, Günter

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Transkript:

www.ssoar.info Deutsche Patriot-Raketen in der Türkei : Symbolik statt Strategie Kaim, Markus; Seufert, Günter Veröffentlichungsversion / Published Version Arbeitspapier / working paper Zur Verfügung gestellt in Kooperation mit / provided in cooperation with: Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) Empfohlene Zitierung / Suggested Citation: Kaim, Markus ; Seufert, Günter ; Stiftung Wissenschaft und Politik -SWP- Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit (Ed.): Deutsche Patriot-Raketen in der Türkei : Symbolik statt Strategie. Berlin, 2013 (SWP-Aktuell 01/2013). URN: http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0168-ssoar-358023 Nutzungsbedingungen: Dieser Text wird unter einer Deposit-Lizenz (Keine Weiterverbreitung - keine Bearbeitung) zur Verfügung gestellt. Gewährt wird ein nicht exklusives, nicht übertragbares, persönliches und beschränktes Recht auf Nutzung dieses Dokuments. Dieses Dokument ist ausschließlich für den persönlichen, nicht-kommerziellen Gebrauch bestimmt. Auf sämtlichen Kopien dieses Dokuments müssen alle Urheberrechtshinweise und sonstigen Hinweise auf gesetzlichen Schutz beibehalten werden. Sie dürfen dieses Dokument nicht in irgendeiner Weise abändern, noch dürfen Sie dieses Dokument für öffentliche oder kommerzielle Zwecke vervielfältigen, öffentlich ausstellen, aufführen, vertreiben oder anderweitig nutzen. Mit der Verwendung dieses Dokuments erkennen Sie die Nutzungsbedingungen an. Terms of use: This document is made available under Deposit Licence (No Redistribution - no modifications). We grant a non-exclusive, nontransferable, individual and limited right to using this document. This document is solely intended for your personal, noncommercial use. All of the copies of this documents must retain all copyright information and other information regarding legal protection. You are not allowed to alter this document in any way, to copy it for public or commercial purposes, to exhibit the document in public, to perform, distribute or otherwise use the document in public. By using this particular document, you accept the above-stated conditions of use.

Problemstellung Stiftung Wissenschaft und Politik Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit SWP-Aktuell Deutsche Patriot-Raketen in der Türkei Symbolik statt Strategie Markus Kaim / Günter Seufert Am 14. Dezember 2012 hat der Bundestag beschlossen, dass bis zu 400 deutsche Soldaten in der Türkei stationiert werden sollen. Angesichts des Bürgerkriegs in Syrien geht es dabei um die»verstärkung der integrierten Luftverteidigung der Nato«. In den kommenden Wochen werden zwei Patriot-Raketenabwehrbatterien mit den dazugehörigen Unterstützungselementen in die Stadt Kahramanmaras verlegt, die rund 100 Kilometer nördlich der türkisch-syrischen Grenze liegt. Die rechtliche Basis für diesen Schritt der auf Bitte Ankaras erfolgt bildet ein Beschluss des Nato-Rates vom 4. Dezember 2012. Begründet wird der Einsatz damit, dass»die Türkei [ ] einer potentiellen Bedrohung durch ihren Nachbarn Syrien ausgesetzt«sei. Die Bedrohungsanalyse, die dieser Annahme zugrunde liegt, ist jedoch zweifelhaft. Das betrifft nicht nur Syriens militärische Fähigkeiten, sondern mehr noch die politischen Intentionen, die dem Assad- Regime unterstellt werden. Zur Bedrohung der Türkei durch Syrien Nach offen zugänglichen Informationen verfügt Damaskus über annähernd 100 ballistische Kurzstrecken-Raketensysteme mit Reichweiten bis zu 450 Kilometern. Ihre Einsatzbereitschaft dürfte allerdings sehr gering sein. Doch der entscheidende Punkt ist ein anderer. Bislang hat Syrien die Türkei weder mit diesen Waffen angegriffen, noch seinen Willen bekundet, dies zu tun. Zwar wurde im Juni 2012 ein türkisches Militärflugzeug von der syrischen Luftabwehr abgeschossen, und in den vergangenen Monaten schlugen immer wieder einzelne syrische Granaten auf türkischem Territorium ein. Richtigerweise haben die Nato-Mitgliedstaaten dies bislang jedoch nicht als Bedrohung der politischen Souveränität und der territorialen Integrität der Türkei aufgefasst. Dementsprechend wurde auch die Beistandsklausel des Nato-Vertrags (Artikel 5) nicht aktiviert. Stattdessen haben die Mitglieder der Allianz immer wieder darauf verwiesen, dass die Grundlage ihrer Beratungen Vertragsartikel 4 sei. Dieser sieht politische Konsultationen zwischen den Unterzeichnern vor,»wenn nach Auffassung einer von ihnen die Unversehrtheit des Gebiets, die politische Unabhängigkeit oder die Sicherheit einer der Parteien bedroht ist«. Es lässt sich jedoch nicht erkennen, welche dieser drei Dimensionen im Fall der Türkei tatsächlich bedroht ist. Dr. habil. Markus Kaim ist Leiter der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik. Dr. Günter Seufert ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Forschungsgruppe EU-Außenbeziehungen 1

Fraglich bleibt zudem, welchen strategischen Nutzen das Assad-Regime aus einem Angriff auf die Türkei ziehen sollte. Es wäre direkt mit einer der am besten ausgebildeten und ausgerüsteten Armeen des Nahen Ostens konfrontiert einer Militärmacht, die mehr als 700 000 Soldaten umfasst. Zudem hätte die syrische Führung in diesem Fall mit der Ausrufung des Nato-Bündnisfalls und einer massiven Vergeltung durch die Allianz zu rechnen. Eine militärische Niederlage Syriens und das Ende von Assads Herrschaft wären fast zwangsläufig die Folge. Auch das Mandat des Bundestags reflektiert diese Analyse, wenn es konstatiert:»der politische Wille des syrischen Regimes zum Einsatz seines Waffenarsenals gegen die Türkei ist derzeit nicht erkennbar.«entsprechend dünn ist der verbleibende bedrohungsanalytische Kern der Mandatsbegründung:»Allerdings kann ein künftiger Einsatz insbesondere im Zuge einer irrationalen Endphase des Regimes von Bashar al-assad nicht vollkommen ausgeschlossen werden.«indizien für ein irrationales Verhalten des syrischen Regimes im Sinne einer falschen Ziel-Mittel-Relation lassen sich nach knapp zwei Jahren Bürgerkrieg jedoch nicht erkennen. Oberstes Ziel der Assad-Führung ist offensichtlich, die eigene Macht uneingeschränkt zu erhalten. Demgemäß hat das Regime bislang rücksichtslos im Inneren gehandelt, zugleich aber mögliche Konfrontationen an den Landesgrenzen kleingehalten. Für das häufig beschworene Szenario, die syrische Führung werde in einem selbstmörderischen Endkampf die ganze Region mit in den Abgrund reißen, liefern ähnlich gelagerte Fälle keine Anhaltspunkte: Während des libyschen Bürgerkriegs etwa warnten viele Beobachter vor Verzweiflungstaten eines mit Chemiewaffen ausgerüsteten Regimes; doch letztlich hat Gaddafi nicht auf eine solche Strategie gesetzt. Das Gleiche gilt für andere arabische Despoten, die in jüngster Zeit gestürzt wurden. Auch am Ende ihrer Macht scheint die Mehrzahl der arabischen Diktatoren recht rational zu handeln: Sie fliehen oder gehen ins Exil (wenn sie denn nicht getötet oder vor Gericht gestellt werden). Zur türkischen Politik Es geht bei der von Ankara erbetenen Patriot-Stationierung wohl weniger um praktische Solidarität mit der Türkei zum Schutz ihres Territoriums. Dieses Argument spielt auch in türkischen Debatten nur eine nachrangige Rolle. Aus Sicht der Nato könnte es vor allem darum gehen, die Türkei davon abzuhalten, sich ohne Absprache mit ihren Verbündeten militärisch in Syrien zu engagieren. Umso wichtiger ist eine Analyse der türkischen Interessenlage. Die Türkei steht seit Sommer 2011 an der Spitze der internationalen Bewegung zum Sturz des Assad-Regimes, nachdem sie bis dahin ein sehr intensives Verhältnis zu Damaskus gepflegt hatte. Ankara förderte die Bildung des oppositionellen Syrischen Nationalrats (SNR) und gestattete, dass er auf türkischem Territorium gegründet wurde. Ebenso war die Türkei maßgeblich beteiligt, als sich die Freie Syrische Armee (FSA) formierte. Auf der Konferenz der Freunde Syriens im April 2012 plädierte Ankara vehement für die Bewaffnung der FSA, für eine Anerkennung des SNR als alleiniger Vertretung des syrischen Volkes, für die Einrichtung einer Flugverbotszone oder zumindest von humanitären Korridoren und damit für eine internationale Intervention in Syrien. Zwar ist die Türkei mit alledem auf internationaler Ebene bislang nicht durchgedrungen, doch erlaubt sie, dass über ihr Territorium Waffen an die syrischen Rebellen gelangen. Zudem wurde es Aufständischen wiederholt ermöglicht, türkisches Territorium als Rückzugsgebiet zu nutzen. Ankaras konfrontative Politik zeigte sich ebenso, als im Juni 2012 türkische Flugzeuge die syrische Luftabwehr»testeten«. Nachdem dabei ein türkischer Jet in syrischem Luftraum abgeschossen worden war, beschuldigte die Regierung von Premier Erdoğan das Assad-Regime der Aggression. Im Oktober 2012 zwang die Türkei dann 2

ein aus Moskau kommendes syrisches Flugzeug zur Landung in Ankara. Erdoğan berichtete anschließend, man habe Munition in der Maschine gefunden. In beiden Fällen musste die Türkei schon bald einräumen, dass ihre jeweilige Darstellung unrichtig war. Im August 2012 unternahm Außenminister Davutoğlu bei den Vereinten Nationen einen erneuten Vorstoß für eine Intervention in Syrien, und im November 2012 sprach Premier Erdoğan dem Sicherheitsrat rundweg die Legitimation ab, auch wegen dessen Haltung im Syrien-Konflikt. Am 7. Dezember trafen sich im türkischen Antalya 260 Kommandierende der Freien Syrischen Armee und wählten einen 30- köpfigen»hohen Militärrat«. In Verhandlungen mit den USA bereitet die Türkei zudem den Aufbau einer syrischen Polizeitruppe für die Zeit nach Assad vor. Ohne Zweifel wird Ankara also weiter auf dessen Sturz hinarbeiten. Dieses Engagement der Türkei speist sich nicht nur aus der Sorge um die Menschen in Syrien. Für die Erdoğan-Regierung war und ist Syrien das Tor zur arabischen Welt. Das Land bildet das Herzstück von Ankaras Nahostpolitik, die darauf zielt, die Türkei zur bestimmenden Regionalmacht zu erheben. Es geht dabei um die Anbindung Syriens an die Türkei. Diese sollte früher mit Assad erreicht werden, heute ohne ihn am besten durch Installierung einer (sunnitischen) muslimisch-konservativen Regierung. Neben solche von nationalen Interessen geprägten Ordnungsvorstellungen traten im Laufe der Krise sicherheitspolitische Überlegungen. Mit Sorge beobachtet Ankara die Selbstorganisation der syrischen Kurden. Deren größte Fraktion teilt die Begeisterung vieler türkischer Kurden für die PKK und ihren in der Türkei inhaftierten Führer Öcalan. Es ist denn auch primär unter diesen Vorzeichen zu sehen, dass die türkische Regierung im Oktober 2012 vom Parlament ermächtigt wurde, Truppen in die Nachbarländer zu entsenden. Zuvor waren vereinzelt syrische Mörsergranaten auf türkischem Territorium eingeschlagen. Schutz der Türkei oder Flugverbotszone für Nordsyrien? Außenminister Davutoğlu selbst äußerte im Dezember, dass die Türkei keineswegs erwarte, von Assad mit Raketen angegriffen zu werden. Es gehe bei der Patriot-Stationierung primär um die Solidarität der Nato mit Ankara. Ergänzen muss man wohl: Es geht der türkischen Führung auch darum, in ihrer Politik gegenüber Assad unterstützt zu werden. Die Türkei macht denn auch kein Hehl daraus, dass sie mit der Aufstellung des Abwehrsystems noch andere Ziele verfolgt, als lediglich ihr Territorium zu schützen. Bereits Anfang November unterstrichen hochrangige Vertreter der Erdoğan-Regierung, der Patriot-Einsatz solle dazu beitragen, die von Ankara geforderte sichere Pufferzone im Norden Syriens zu etablieren. Denn dafür müsse die Lufthoheit der syrischen Kampfjets dort gebrochen werden. Dies solle syrischen Flüchtlingen eine Rückkehr in das Gebiet ermöglichen. Im Mittelpunkt der türkischen Politik steht also das Bestreben, den syrischen Bürgerkrieg weiter zu internationalisieren eine Position, die zunehmend erfolgreich ist. Die USA hatten sich noch im Oktober verärgert darüber gezeigt, dass Ankara beharrlich auf ein militärisches Engagement in Syrien drängte. Doch nach dem Ende des Präsidentschaftswahlkampfes hat Washington die Führung in der internationalen Syrien-Politik übernommen mit dem Ziel, einen Regimewechsel in Damaskus herbeizuführen. Unter Anleitung der Vereinigten Staaten hat sich der syrische Widerstand politisch und militärisch neu formiert. Nach der Türkei, Großbritannien, Frankreich und einer Reihe von Golfstaaten haben nun auch die USA und die Außenminister der Europäischen Union die neugebildete Nationale Koalition Syriens als legitimen Vertreter des syrischen Volkes anerkannt. Präsident Obama und Außenministerin Clinton betonten noch während der Diskussion um die Entsendung der Patriot-Raketen, dass Washington den Einsatz chemischer Waffen gegen die syrische 3

Zivilbevölkerung nicht hinnehmen würde. Für entsprechende Interventionen haben die USA bereits Planungen angestellt. Stiftung Wissenschaft und Politik, 2013 Alle Rechte vorbehalten Das Aktuell gibt ausschließlich die persönliche Auffassung der Autoren wieder SWP Stiftung Wissenschaft und Politik Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit Ludwigkirchplatz 3 4 10719 Berlin Telefon +49 30 880 07-0 Fax +49 30 880 07-100 www.swp-berlin.org swp@swp-berlin.org ISSN 1611-6364 Drohende Eskalationsdynamik? Der Bundestag ist bei der Mandatserteilung sehr klar gewesen: Der Einsatz diene nicht der Errichtung oder Überwachung einer Flugverbotszone über syrischem Territorium. Er sei rein defensiver Natur, und die Luftverteidigung wirke nicht in Syriens Luftraum hinein. Doch angesichts der möglichen Eskalationsdynamik in Syrien ist nicht auszuschließen, dass die Bundesregierung schon bald mit einer Entscheidungssituation konfrontiert ist, die sie nur schwer kontrollieren kann, weil die Optionen viel stärker von anderen Akteuren als von ihr selbst bestimmt werden. Denn sollte Assad tatsächlich Chemiewaffen gegen die syrische Bevölkerung einsetzen, dürfte dies ein militärisches Eingreifen des Westens zur Folge haben. Dann wiederum wäre es wohl unabdingbar, den syrischen Luftraum zu überwachen und Assads Luftwaffe zu bekämpfen. Dafür ließen sich auch die Patriot-Raketen nutzen. Es wäre den Nato- Verbündeten nur schwer zu vermitteln, sollte Deutschland gerade in einem solchen Moment unter Berufung auf das Mandat seine Abwehrbatterien wieder abziehen oder ihre Nutzung signifikant einschränken. Es ist nachvollziehbar, dass die Bundesregierung inzwischen auch militärische Instrumente in Erwägung zieht, um die Folgen des syrischen Bürgerkriegs zu begrenzen. Dies geschieht aber leider in erratischer, ja nahezu unstrategischer Weise. Die unterstellte Bedrohung des türkischen Territoriums durch Syrien existiert derzeit nicht. Und für eine Reaktion auf jenes Szenario, das dem Westen heute die größten Sorgen bereitet ein Chemiewaffeneinsatz durch Assad, sind die Patriot-Raketen gemäß Mandat nicht nutzbar. Ebenso wenig leisten sie einen Beitrag zum übergeordneten Ziel der deutschen Politik: den innerstaatlichen Konflikt in Syrien einzuhegen und einer politischen Lösung zuzuführen. 4