D DA DAK GESCHICHTE UND LÄNDERKUNDE ALLGEMEINES; EPOCHEN 20. Jahrhundert DAKC 1933-1945 Deutschland Personale Informationsmittel Otto DIETRICH BIOGRAPHIE 11-2 Hitlers Pressechef : Otto Dietrich (1897-1952) ; eine Biografie / Stefan Krings. - Göttingen : Wallstein-Verlag, 2010. - 543 S. : Ill. ; 23 cm. - Zugl.: Dortmund, Univ., Diss., 2008 u.d.t.: Krings, Stefan: "Die öffentliche Meinung des deutschen Volkes ist der Nationalsozialismus!" - ISBN 978-3-8353-0633-2 : EUR 58.00 [#1719] Seit einiger Zeit rücken auch die Vertreter der nationalsozialistischen Führungselite aus der zweiten Reihe in den Blick und werden mit ausführlichen Biographien bedacht, denen man z.t. mehr Wissenswertes über den NS-Staat und sein Funktionieren entnehmen kann als den Darstellungen der Hauptakteure. Dies hängt damit zusammen, daß die zweite Reihe Hitler und seinen Ministern zuarbeiten mußte, so daß ihre Biographie zahlreiche Vernetzungen und Querverbindungen aufweist. Eine besonders interessante und vorzüglich dokumentierte Biographie liegt jetzt mit dem vorliegenden Buch vor, ursprünglich einer von Lutz Hachmeister und Günther Rager (beide Dortmund) betreuten Dissertation. Methodische Grundlage der vorliegenden Studie ist ein individualbiografischer Forschungsansatz, der sich am Konzept einer wissenschaftlich-kritischen Biografie orientiert. Neben der Person Otto Dietrich, seinem äußeren Wirken und seiner Charakteristik müssen vor allem auch soziale Faktoren einbezogen werden, um sich ihm in seiner Zeitgebundenheit annähern zu können. Biografie-Theoretiker sprechen in diesem Zusammenhang von,biografischer Totalität. Eine solche umfasst biotische, d.h. die individuellen Merkmale eines Menschen betreffende Aspekte ebenso wie psychische und soziale Einflüsse (S. 27-28). Krings ist vorsichtig genug, die biografische Totalität am Ende der Einleitung zu relativieren: Akteneinsicht alleine kann Geschichte nicht erklären. [ ] Der Verfasser dieser Biografie ist sich zudem bewusst, dass er den Protagonisten - trotz akribischer Quellenarbeit, sorgfältiger Vorgehensweise und dem aufrichtigen Bemühen um Objektivität -
lediglich aus seinem ganz persönlichen Blickwinkel wahrnehmen kann. Die historische,wahrheit ist ohnehin niemals darstellbar, der Forschende kann sich ihr nur annähern - und im besten Falle Ausschnitte davon zeigen. Krings hat immerhin in 55 Archiven recherchiert (vgl. die Übersicht auf S. 498-503), 67 Zeitungen älteren und neueren Datums (S. 504-505) sowie die wichtigsten Publikationen Dietrichs (S. 506-509) ausgewertet, und die Bibliographie (S. 510-534) trägt dem Rechnung, was im Bereich der historischen Zeitungswissenschaft und der Pressegeschichte des Nationalsozialismus inzwischen an Forschungsergebnissen aufbereitet worden ist. Von besonderer Bedeutung ist die Einsicht in den Nachlaß Dietrichs, den die Tochter Christa Seppelfricke Krings gewährte, ein Nachlaß, der allerdings erst nach Kriegsende einsetzt. Die Vorzüge einer Arbeit wie der vorliegenden erkennt man unschwer, wenn man die nackten biographischen Daten des Biographierten aufruft und sie mit den acht Hauptkapiteln der vorliegenden Untersuchung vergleicht. Reichspressechef Otto Dietrich (31.8.1897 Essen - 22.11.1952 Düsseldorf) war der Sohn eines aus dem Eichsfeld stammenden Kaufmanns, meldete sich 1915 als Kriegsfreiwilliger, wurde mit dem EK I. ausgezeichnet, legte 1918 das Notabitur ab, studierte Volkswirtschaft vor allem in Freiburg i. Br., promovierte 1921 bei Karl Diehl (1864-1943), wurde 1922 wissenschaftlicher Assistent der Essener Handelskammer, war 1926-1928 Redakteur der Essener allgemeinen Zeitung, ab 1928 Leiter des Handelsteils der deutschnationalen München-Augsburger Abendzeitung, knüpfte über seinen Schwiegervater Theodor Reismann-Grone 1 (1863-1949), Besitzer der Rheinisch-Westfälischen Zeitung, Beziehungen zur Schwerindustrie, trat im April 1929 in die NSDAP ein, wurde 1931 stellvertretender Chefredakteur der Essener National-Zeitung und ab August 1931 Reichspressechef der NSDAP, war Gründer der NS- Pressekonferenz, Vorsitzender des Reichsverbandes der Deutschen Presse, Anfang 1934 Vizepräsident der Reichspressekammer, 1937-1945 Staatssekretär im Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda und zugleich Pressechef der Reichsregierung, 1938 Mitglied des Reichstags, gab ab 1940 die sog. Tagesparolen für die Presse heraus, erhielt 1941 den Rang eines SS-Obergruppenführers, wurde noch kurz vor Kriegsende von Hitler auf Drängen Goebbels entmachtet, im Wilhelmstraßenprozeß zu sieben Jahren Haft verurteilt und übte nach der Freilassung eine Tätigkeit für die Deutsche Kraftverkehrsgesellschaft mbh (DKV) aus. 2 1 Wegbereiter Hitlers? Theodor Reismann-Grone : ein völkischer Nationalist (1863-1949) / Stefan Frech. - Paderborn [u.a.] : Schöningh, 2009. - 463 S. : Ill. ; 24 cm. - Zugl.: Bern, Univ., Diss., 2005. - ISBN 978-3-506-76365-5 : EUR 58.00 [#0635]. - Eine Rezension in IFB ist vorgesehen. 2 Biographisches Lexikon zum Dritten Reich / Hermann Weiß (Hg.). - Überarb. Neuausg. - Frankfurt am Main : Fischer-Taschenbuch-Verlag, 2002. - 503 S. ; 19 cm. - ([Fischer-Taschenbücher] ; 13086) (Zeit des Nationalsozialismus). - ISBN 3-596-13086-7 : EUR 14.90 [6861]. - Hier, S. 87-88. - Rez.: IFB 02-1-012 http://swbplus.bsz-bw.de/bsz097513350rez-1.htm
Was waren nun die Funktionen des,reichspressechefs? Die Antwort gibt Meyers Lexikon von 1942: Bez. für den Pressechef der NSDAP (seit 1931 Dr. Dietrich), der gleichzeitig Pressechef der Reichsregierung (seit 1937 Dr. Dietrich) ist. Der R. ist Reichsleiter der NSDAP. und Mitglied des Reichskabinetts. Er leitet die,presseabteilung der Reichsregierung, die verwaltungsmäßig dem Reichs-Min. für Volksaufklärung und Propaganda angegliedert ist; der R. ist daher gleichzeitig Staatssekretär dieses Min. Seine Hauptaufgabe ist, den Führer und die Reichsregierung über den Inhalt der in- und der ausländischen Presse zu informieren und die Politik der Reichsregierung der In- und Auslandspresse gegenüber zu vertreten. 3 Diesem Lexikoneintrag kann man gut die Vermischung von Partei- und Staatsämtern im Nationalsozialismus, die Knebelung der Presse (Dietrich wirkte am Zustandekommen des Pressekammergesetzes mit) und das Funktionieren des polykratischen Systems des NS-Staates entnehmen, in dem die Kompetenzen mehrfach verteilt waren, was zu Kämpfen zwischen den einzelnen Ministerien und Behörden führte. Dietrich stand vor allem in Rivalität zu Goebbels, der ihm als Minister vor-, als Reichsleiter gleichgeordnet war, aber auch zu Hans Fritzsche (1900-1953), 4 dem zeitweiligen Leiter des Nachrichtenwesens in der Presse-Abteilung von Goebbels Propagandaministerium und seinem Vorgänger im Amt des Staatssekretärs, sowie zu Max Amann (1881-1957), dem Reichsleiter für die Presse der NSDAP und Vorsitzenden des Vereins der Zeitungsverleger bzw. Präsidenten der Reichspressekammer, der insbesondere für die ökonomischen Belange der NS-Presse zuständig war. Die einzelnen Kapitel behandeln in chronologischer Reihenfolge die wichtigsten Stationen in Dietrichs Leben, der, wie viele spätere Nationalsozialisten, der Frontgeneration angehörte. So lautet Kap. 2. Ich kam 1914 zu früh ins Leben und in den Krie - Nationalistische Prägung zwischen Kaiserreich und Republik, 3. Mit Hitler an die Macht - Medien- und Wahlkampfmanager im Dienst der NSDAP, 4. Öffentliche Sauberkeit - Deutsche Presse zwischen Republik und NS-Staat, 5. Die öffentliche Meinung, das ist bei uns die Partei! - Dietrich und die Presselenkung in den ersten Jahren der NS-Herrschaft, 6. Befreiung der Gehirne - Erfolge und Rückschläge als Schriftsteller und Redner, 7. Generalstab der deutschen Pressepolitik - Als Staatssekretär im Propagandaministerium (1938-1945), 8. Auf den Straßen des Sieges - Pressemann im Führerhauptquartier, 9. Praktisch hatte ich mit der Organisation der Presse nichts zu tun - Inhaftierung - Prozess - Beruflicher Neuanfang. 5 Weitere Einzelheiten kann 3 Meyers Lexikon : in völlig neuer Bearbeitung und Bebilderung... - 8. Aufl. - Leipzig : Bibliographisches Institut. - Bd. 9. - Rakett - Soxhlet. - 1942. - 1792 Sp. : Ill., graph. Darst., Kt. - Hier, Sp. 232. 4 Goebbels' Mann beim Radio : der NS-Propagandist Hans Fritzsche (1900-1953) / von Max Bonacker. - München : Oldenbourg, 2007. - 289 S. ; 24 cm. - (Schriftenreihe der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte ; 94). - Zugl.: Hamburg, Univ., Diss., 2006. - ISBN 978-3-486-58193-5 : EUR 24.80 [9248]. - Rez.: IFB 07-2-327 http://swbplus.bsz-bw.de/bsz260454338rez.htm 5 Vermutlich entstammen die wörtlichen Zitate in den Kapitelüberschriften
man den Untertiteln entnehmen. Wie Dietrich seine Aufgaben gegenüber der einheimischen wie der ausländischen Presse sah, hat er in einem über zwanzigseitigen Beitrag in englischer Sprache dargelegt. 6 Auffällig sind die Beschönigungen, auffällig auch die Tatsache, daß Goebbels und Amann in diesem Band nicht zu Wort kommen. Was das Inland angeht, schreibt Dietrich: It would be a great mistake to believe that Germany wanted a mechanical State Press, with the editors as mere slaves of State authorities. We wanted a living people s Press in which the personality of the Editor could develop freely, and his journalistic sense of duty could unfold for the benefit of the nation (S. 351). Zur Auslandspresse heißt es: We see the duties of the foreign correspondent as follows. He is to give his countrymen an unprejudiced, truthful picture of a foreign land and its people. Those who view their task in this way can be sure of our assistance at any time, for we then respect in them the representatives of organs of public opinion in their own country. We shall not dispute their rights to make objective criticism so long as they wish to serve the interests of truth. But those who harbour feelings of personal or other dislike, or even hatred, for the country they are in, feelings which bring them into constant conflict with their professional duties and make objective reporting difficult or impossible, should not come to us as correspondents (S. 363). Eine derartige Dialektik mochte vor Kriegsbeginn noch wirken, hatte aber mit der Realität nur wenig zu tun. Kollektivbiographische Beobachtungen drängen sich nach der Lektüre von Krings gründlicher Untersuchung auf, z.b. ein Vergleich mit Ernst Wilhelm Bohle 7 : Gut situierter familiärer Hintergrund, konservatives deutschnationales Elternhaus, Studium der Volkswirtschaft, Burschenschaftler, Bekanntschaft mit dem Nationalsozialismus bereits vor 1933, Aufstieg in die mittlere Hierarchieebene von Partei und Staat, Rang eines Staatssekretärs im Schatten mächtiger Minister (Goebbels bzw. Ribbentrop), rede- und schriftbegabt, Führerqualitäten und Beschäftigung loyaler Mitarbeiter, Zustimmung zu den völkisch-rassischen Parametern der NS-Doktrin, eine gewisse Liberalität im Umgang mit Ausländern, Aburteilung in einem der alliierten Kriegsverbrecherprozesse, mühsamer Neuanfang nach 1945. Dieses Bild dürfte, mutatis mutandis, auch auf andere Vertreter der mittleren und unteren 8 NS-Hierarchie zutreffen. Dietrichs postum veröffentlichter Autobiographie: 12 Jahre mit Hitler / Otto Dietrich. - München : Isar Verlag, 1955. - 285 S. 6 The press and world politics / Dr. Dietrich, Secretary of State, Reich Chief of Press. // In: Germany speaks / with a pref. by Joachim von Ribbentrop. - London : Butterworth, 1938. - 406 S. - Hier S. 343-365. 7 Ernst-Wilhelm Bohle : Gauleiter im Dienst von Partei und Staat / von Frank- Rutger Hausmann. - Berlin : Duncker & Humblot, 2009. - 299 S. : Ill. ; 24 cm. - (Zeitgeschichtliche Forschungen ; 38). - ISBN 978-3-428-12862-4 : EUR 38.00 [#0242]. - Rez.: IFB 09-1/2 http://ifb.bsz-bw.de/bsz303475811rez-1.pdf 8 Vgl. für den Pressebereich z.b. das im vorigen Jahr erschienene Buch Der verschwundene Journalist : eine deutsche Geschichte / Eva Züchner. - Berlin : Berlin-Verlag, 2010. - 287 S. : Ill. - ISBN 978-3-8270-0896-1 : EUR 22.00.
Frank-Rutger Hausmann QUELLE Informationsmittel (IFB) : digitales Rezensionsorgan für Bibliothek und Wissenschaft http://ifb.bsz-bw.de/ http://ifb.bsz-bw.de/bsz317981641rez-1.pdf