Carolin Butterwegge. Armut von Kindern mit Migrationshintergrund

Ähnliche Dokumente
Armut von Kindern mit Migrationshintergrund

Carolin Butterwegge. Armut von Kindern mit Migrationshintergrund

David Reichel. Staatsbürgerschaft und Integration

Michael Pfeifer Bildungsbenachteiligung und das Potenzial von Schule und Unterricht

Christine Schlickum. Selbst- und Fremdzuschreibungen im Kontext von Europa

Ludger Pries. Transnationalisierung

Nadja-Verena Paetz Firat Ceylan Janina Fiehn Silke Schworm Christian Harteis. Kompetenz in der Hochschuldidaktik

Andreas Hadjar (Hrsg.) Geschlechtsspezifische Bildungsungleichheiten

Gudrun HentgeS. Hans-Wo!fgang P!atzer (Hrsg.) quo

Jana Chudaske. Sprache, Migration und schulfachliche Leistung

Rolf Becker (Hrsg.) Integration durch Bildung

Johannes Bilstein Jutta Ecarius Edwin Keiner (Hrsg.) Kulturelle Differenzen und Globalisierung

Uwe Hunger Can M. Aybek Andreas Ette Ines Michalowski (Hrsg.) Migrations- und Integrationsprozesse in Europa

Janine Linßer. Bildung in der Praxis Offener Kinder- und Jugendarbeit

Sylvia Marlene Wilz (Hrsg.) Geschlechterdifferenzen Geschlechterdifferenzierungen

Peter A. Berger Karsten Hank Angelika Tölke (Hrsg.) Reproduktion von Ungleichheit durch Arbeit und Familie

Karin Lenhart. Soziale Bürgerrechte unter Druck

Friedhelm Vahsen Gudrun Mane. Gesellschaftliche Umbrüche und Soziale Arbeit

Vera King Hans-Christoph Koller (Hrsg.) Adoleszenz Migration Bildung

Katja Wohlgemuth. Prävention in der Kinder- und Jugendhilfe

Sabine Maschke Ludwig Stecher. In der Schule

Jörg Michael Kastl. Einführung in die Soziologie der Behinderung

Jutta Ecarius Nils Köbel Katrin Wahl. Familie, Erziehung und Sozialisation

Bernhard Schmidt. Weiterbildung und informelles Lernen älterer Arbeitnehmer

Isabel Kusche. Politikberatung und die Herstellung von Entscheidungssicherheit im politischen System

8 Frank R. Pfetsch. Inhalt. Das neue Europa

Philipp Bornkessel Jupp Asdonk (Hrsg.) Der Übergang Schule Hochschule

Thomas Geisen. Arbeit in der Moderne

Wolfgang Gerß (Hrsg.) Bevölkerungsentwicklung in Zeit und Raum

Birgit Becker David Reimer (Hrsg.) Vom Kindergarten bis zur Hochschule

Olaf Struck. Flexibilität und Sicherheit

Thomas Schäfer. Statistik I

David Glowsky. Globale Partnerwahl

Wibke Riekmann. Demokratie und Verein

Otger Autrata Bringfriede Scheu. Soziale Arbeit

Markus M. Müller Roland Sturm. Wirtschaftspolitik kompakt

Michael Bayer Gabriele Mordt. Einführung in das Werk Max Webers

Heike Diefenbach. Kinder und Jugendliche aus Migrantenfamilien im deutschen Bildungssystem

Felix Huth. Straßenkinder in Duala

Christiane Schiersmann. Berufliche Weiterbildung

Markus Ottersbach Claus-Ulrich Prölß (Hrsg.) Flüchtlingsschutz als globale und lokale Herausforderung

Irreguläre Migration und staatliche Politik in Spanien und Europa

Dagmar Simon Andreas Knie Stefan Hornbostel (Hrsg.) Handbuch Wissenschaftspolitik

Egbert Jahn. Frieden und Konflikt

Illegale Migration und transnationale Lebensbewältigung

Ralf Brand. Sportpsychologie

Jugend, Migration und Sport

Claudia Steckelberg. Zwischen Ausschluss und Anerkennung

Alexandra Nonnenmacher. Ist Arbeit eine Pflicht?

Henrike Viehrig. Militärische Auslandseinsätze

Heinz-Hermann Krüger Ursula Rabe-Kleberg Rolf-Torsten Kramer Jürgen Budde (Hrsg.) Bildungsungleichheit revisited

Helmut K. Anheier Andreas Schröer Volker Then (Hrsg.) Soziale Investitionen

Grit Höppner. Alt und schön

Thomas Brüsemeister. Bildungssoziologie

Ivonne Küsters. Narrative Interviews

Armin Klein (Hrsg.) Gesucht: Kulturmanager

Christoph Butterwegge Gudrun Hentges (Hrsg.) Massenmedien, Migration und Integration

Heike Diefenbach. Kinder und Jugendliche aus Migrantenfamilien im deutschen Bildungssystem

Georg Auernheimer (Hrsg.) Interkulturelle Kompetenz und pädagogische Professionalität

Reiner Keller. Diskursforschung

Frank Hillebrandt. Praktiken des Tauschens

Thomas Armbrüster / Johannes Banzhaf / Lars Dingemann. Unternehmensberatung im öffentlichen Sektor

Familie und Familienwissenschaft. Herausgegeben von S.-H. Filipp, Trier I. Gerlach, Bochum S. Keil, Marburg N. Ott, Bochum K. Scheiwe, Hildesheim

Inka Bormann Gerhard de Haan (Hrsg.) Kompetenzen der Bildung für nachhaltige Entwicklung

Regine Gildemeister Günther Robert. Geschlechterdifferenzierungen in lebenszeitlicher Perspektive

Thomas Kern. Soziale Bewegungen

Jörg Fischer Thomas Buchholz Roland Merten (Hrsg.) Kinderschutz in gemeinsamer Verantwortung von Jugendhilfe und Schule

Sybille Stöbe-Blossey (Hrsg.) Kindertagesbetreuung im Wandel

Altans Aichinger. Resilienztörderung mit Kindern

Christian Wipperfürth. Russlands Außenpolitik

Petra Hornig. Kunst im Museum und Kunst im öffentlichen Raum

Migration, Bildung und Spracherwerb

Anjes Tjarks. Familienbilder gleich Weltbilder

Ralf Bohnsack Iris Nentwig-Gesemann Arnd-Michael Nohl (Hrsg.) Die dokumentarische Methode und ihre Forschungspraxis

Soziale Arbeit in Theorie und Wissenschaft. Herausgegeben von E. Mührel, Emden B. Birgmeier, Eichstätt-Ingolstadt

Manuela Brandstetter Monika Vyslouzil (Hrsg.) Soziale Arbeit im Wissenschaftssystem

Markus Ottersbach Thomas Zitzmann (Hrsg.) Jugendliche im Abseits

Merle Hummrich. Jugend und Raum

Claudio Caballero. Integration und politische Unterstützung

Henning Schluß. Religiöse Bildung im öffentlichen Interesse

Muslimische Milieus im Wandel?

Kaspar Maase. Was macht Populärkultur politisch?

Wolf-Dietrich Bukow Claudia Nikodem Erika Schulze Erol Yildiz (Hrsg.) Was heißt hier Parallelgesellschaft?

Günther Robert Kristin Pfeifer Thomas Drößler (Hrsg.) Aufwachsen in Dialog und sozialer Verantwortung

Linny Bieber. China in der deutschen Berichterstattung 2008

Thomas Schäfer. Statistik II

Sabine Hering (Hrsg.) Bürgerschaftlichkeit und Professionalität

Andrea D. Bührmann Hans J. Pongratz (Hrsg.) Prekäres Unternehmertum

Dieter Flader Sigrun Comati. Kulturschock

Der Wandel der chinesischen außenpolitischen Interessenstruktur seit 1949

Bildungspolitik und Leistungsvergleichsstudien

Alter(n) und Gesellschaft

Andrea Hausmann. Kunst- und Kulturmanagement

Hellmuth Lange (Hrsg.) Nachhaltigkeit als radikaler Wandel

Stephan Rietmann Gregor Hensen (Hrsg.) Tagesbetreuung im Wandel

Arnd-Michael Nohl. Interview und dokumentarische Methode

Martin Sebaldt. Alexander Straßner (Hrsg.) Aufstand und Demokratie

Jutta Ecarius Carola Groppe Hans Malmede (Hrsg.) Familie und öffentliche Erziehung

Arnulf Deppermann. Gespräche analysieren

Transkript:

Carolin Butterwegge Armut von Kindern mit Migrationshintergrund

Carolin Butterwegge Armut von Kindern mit Migrationshintergrund Ausmaß, Erscheinungsformen und Ursachen

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar. Diese Arbeit wurde vom Fachbereich Gesellschaftswissenschaften der Universität Duisburg- Essen als Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades (Dr. Phil.) genehmigt. Name der Gutachterinnen und Gutachter: 1. Prof. Dr. Jochen Zimmer 2. Prof. Dr. Ursula Boos-Nünning Tag der Disputation: 25.11.2009 1. Auflage 2010 Alle Rechte vorbehalten VS Verlag für Sozialwissenschaften Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010 Lektorat: Frank Engelhardt VS Verlag für Sozialwissenschaften ist eine Marke von Springer Fachmedien. Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfälti gungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinn e der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in the Netherlands ISBN 978-3-531-17176-0

Inhalt Einleitung... 11 I Begriffe, Untersuchungsgruppe, Forschungsstand und Konzeption der Untersuchung... 17 1 Schlüsselbegriffe, (Kinder-)Armutskonzepte und Überblick über die Untersuchungsgruppe... 19 1.1 Begriffsbestimmungen und De nitionsversuche... 19 1.1.1 Absolute vs. relative Armut... 19 1.1.2 Kindbegriffe...20 1.1.3 De nitionen von Migration, Migrant und Migrationshintergrund... 21 1.2 (Kinder-)Armutskonzepte...24 1.2.1 Ressourcen- vs. Lebenslagenansätze...25 1.2.2 Kinderarmutskonzepte... 35 1.3 Überblick zu Gruppen der Kinder mit Migrationshintergrund... 41 1.3.1 Die zweite und dritte Generation aus den ehemaligen Anwerbestaaten... 41 1.3.2 Kinder aus Spätaussiedlerfamilien...46 1.3.3 Flüchtlingskinder mit und ohne Aufenthaltsrecht...49 Exkurs zu Flüchtlingsgruppen und ihrem Aufenthaltsstatus... 51 2 Forschungsstand und -desiderate zur Armut von Kindern mit Migrationshintergrund...62 2.1 Armut von Migranten(familien) als Thema der Armutsforschung und -berichterstattung...62 2.2 Armut von Kindern mit Migrationshintergrund als Thema der Kinderarmutsforschung... 74 2.3 Die Armut von Migranten(kindern) als Thema der Migrationsforschung... 81 2.3.1 Ausländische Kinder aus Anwerbestaaten...83 2.3.2 Kinder aus Spätaussiedlerfamilien...84 2.3.3 Die Armut von Flüchtlingskindern...88 2.4 Zwischenfazit: Methodische Probleme der Analyse von Armut bei Kindern mit Migrationshintergrund und Forschungsdesiderate...95

6 3 Die Konzeption der folgenden Armuts- und Lebenslagenanalyse von Kindern mit Migrationshintergrund... 101 3.1 Berücksichtigte Lebenslagendimensionen, Untersuchungsgruppen und Aufbau... 101 3.2 Fragestellungen... 106 3.3 Methode und Literaturquellen... 107 II Analyse der Lebenslagen von Kindern mit Migrationshintergrund bzw. ihrer Familien...111 4 Einkommens-, Armuts- und Wohnsituation von Migrantenfamilien... 113 4.1 Entwicklungen der Einkommen und Armutsrisiken von Migranten... 113 Exkurs: Familiäre (Niedrig-)Einkommen und Handlungsspielräume von Kindern... 115 4.1.1 Einkommen und Armutsrisiken von Ausländern und Deutschen im Vergleich... 118 4.1.2 Unterschiede in den Armutsrisiken von Migranten nach weiteren Indikatoren... 120 4.1.3 Transferleistungsbezug... 138 4.1.4 Entwicklung von Einkommen und Armutsrisiken verschiedener Migrantengruppen... 143 4.1.5 Armutsrisiken der zweiten bzw. dritten Generation aus Anwerbeländern... 149 4.1.6 Armutsrisiken von Spätaussiedlern... 152 4.1.7 Armutsrisiken von Flüchtlingen, Asylsuchenden und illegalisierten Ausländern... 153 4.1.8 Zwischenfazit: (Kinder-)Armutsrisiken nach Herkunftsgruppen und Aufenthaltsstatus... 159 4.2 Die Wohnsituation von Migranten(familien)... 162 Exkurs: (Kinder-)Armut und Wohnen... 165 4.2.1 Die Wohnversorgung von Nichtdeutschen im Vergleich zu Deutschen... 171 4.2.2 Unterschiede in der Wohnsituation verschiedener Migrantengruppen unter besonderer Berücksichtigung von Ausländern aus den ehemaligen Anwerbestaaten... 178 4.2.3 Die Wohnsituation von Spätaussiedlerfamilien... 183 4.2.4 Die Wohn- und Unterkunftssituation von Flüchtlingsfamilien... 188 4.2.5 Zwischenfazit: Die Wohnsituation von Migrantenhaushalten... 196

5 Erscheinungsformen und Ausmaß der Unterversorgung in den Lebenslagendimensionen von Kindern mit Migrationshintergrund... 198 5.1 Gesundheit, Kinderarmut und Migration... 198 Exkurs 1: (Kinder-)Armut und Gesundheit...299 Exkurs 2: Migration und Gesundheit...208 5.1.1 Die Gesundheitssituation und -versorgung von Kindern mit Migrationshintergrund... 212 5.1.2 Die Gesundheitssituation und -versorgung von Aussiedlerkindern...224 5.1.3 Die Gesundheitssituation und -versorgung von Flüchtlingskindern...226 5.1.4 Zwischenfazit: Gesundheitssituation und -versorgung von Kindern mit Migrationshintergrund... 235 5.2 Bildungsbe(nach)teiligung und -armut von Kindern mit Migrationshintergrund...236 Exkurs zu zentralen Begriffen aus dem Bildungsbereich... 239 5.2.1 Ethnische Unterschichtung in der Bildung? Befunde zur Bildungsbeteiligung ausländischer Kinder...242 5.2.3 Bildungsbeteiligung und -erfolge von Aussiedlerkindern... 278 5.2.4 Bildungsteilhabe von Kindern mit Fluchthintergrund... 281 5.2.5 Zwischenfazit: Die Bildungssituation und -benachteiligung von Kindern mit Migrationshintergrund...292 5.3 Soziale Netzwerke und Exklusionsrisiken von Kindern mit Migrationshintergrund...294 Exkurs: Netzwerkforschung und soziale Netzwerke von Kindern...294 5.3.1 Soziale Netzwerke von Familien und Kindern unter Armutsbedingungen...297 5.3.2 Soziale Netzwerke von Kindern mit Migrationshintergrund... 301 5.3.3 Soziale Netzwerke von Spätaussiedlerkindern... 310 5.3.4 Soziale Netzwerke von Flüchtlingskindern... 312 5.3.5 Zwischenfazit: Soziale Netzwerkstrukturen von Kindern mit Migrationshintergrund... 316 5.4 Kumulierte Unterversorgungslagen und Lebenslagentypen bei Migranten(kindern)...317 5.4.1 Wechselwirkungen und Kumulationen von Unterversorgungslagen... 318 5.4.2 Kumulative Unterversorgung von armen (Migranten-)Kindern nach der AWO-ISS-Studie... 321 5.4.3 Resümee: Lebenslagetypen mit spezi schen Armutsrisiken von Kindern mit Migrationshintergrund... 327 7

8 III Ansätze zur Erklärung der hohen Armutsrisiken von Kindern mit Migrationshintergrund... 337 6 Erscheinungsformen, Ursachen und Auslöser für ethnische Ungleichheiten des Arbeitsmarktes... 339 6.1 Wandel des Arbeitsmarktes sowie der Erwerbs- und Arbeitslosenstrukturen von Migranten...340 6.1.1 Erwerbsstrukturen...340 6.1.2 Die Arbeitslosigkeit von Migranten... 355 6.2 Die Segmentierung des Arbeitsmarktes... 359 6.2.1 Theorien der Arbeitsmarktsegmentation...360 6.2.2 Befunde zur Arbeitsmarktsegmentation und zu prekären Beschäftigungsverhältnissen... 370 6.3 Das Humankapital von Migranten als Erklärungsansatz für ethnische Arbeitsmarktungleichheit... 379 6.3.1 Allgemeine und migrationsspezi sche Annahmen der Humankapitaltheorie... 379 6.3.2 Befunde zum Humankapital von Migranten... 382 6.4 Diskriminierungen am Arbeitsmarkt und benachteiligendes Ausländerrecht... 394 6.4.1 Rassismus- und Diskriminierungstheorien... 394 6.4.2 Diskriminierungsformen im Erwerbsleben... 399 6.4.3 Formen direkter (rechtlicher) Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt...405 7 Migrationssoziologische Konzepte zur Erklärung und Migrationspolitik als Ein ussfaktor der Armutsrisiken von Migranten...422 7.1 Erklärungsansätze der Migrationssoziologie... 422 7.1.1 Frühe Ansätze zu Prozessen einer (misslungenen) strukturellen Integration... 423 7.1.2 Theorien zu ethnischer Unterschichtung... 429 7.1.3 Ethnizität und Ethnisierungsprozesse...447 7.2 Armutsrelevante Auswirkungen der Migrations- und Integrationspolitik... 456 7.2.1 Phasen der Migrations- und Integrationspolitik... 457 7.2.2 Integrationspolitik, ausländerrechtliche Statusgruppen und Armutsrisiken...466

9 8 Ansätze zur Erklärung der (Migranten-)Kinderarmut im Zuge des gesellschaftlichen Wandels und Sozialstaatsumbaus... 474 8.1 Ansätze zur Erklärung der Kinderarmut im Kontext des gesellschaftlichen Wandels... 474 8.1.1 Risikogesellschaft und Zweite Moderne... 474 8.1.2 Globalisierung und Maternalisierung der Armut... 481 8.2 Der Um- und Abbau des Wohlfahrtsstaates im Zuge neoliberaler Modernisierung...488 8.2.1 Die Folgen der (Re-)Privatisierung sozialer Risiken im Zuge des Sozialstaatsumbaus... 493 8.2.2 Sozialstaatszugang von und Familienleistungen für Migranten...503 9 Mikrosoziologische Erklärungsmodelle und Ein ussfaktoren für (Migranten-)Kinderarmut...507 9.1 Auf Familien- und Kindesebene angesiedelte Erklärungsansätze für Kinderarmut...507 9.1.1 Risiko- und Resilienzfaktoren im Kindesalter...507 9.1.2 Das integrative AWO-ISS-Modell Ein ussfaktoren auf die Lebenssituation armer Kinder... 514 9.2 Familiäre Ein ussfaktoren für die kindliche Bewältigung von Armutsrisiken... 515 9.2.1 Die Schlüsselrolle der Familie bei der Bewältigung armutsbedingter Belastungen eines Kindes... 516 9.2.2 Eltern-Kind-Beziehungen in armen Familien... 519 9.2.3 Veränderungen innerfamilialer Beziehungsgefüge unter Emigrationsbedingungen... 522 9.2.4 Elterliche Bewältigungsstrategien und familiale Ressourcen... 529 9.3 Bedingungsfaktoren zur Bewältigung von Armutsrisiken seitens der Kinder... 530 IV Fazit und Ausblick... 537 10 Resümee und Ausblick zur Kinderarmut bei Migranten... 539 10.1 Fazit zu den Armutsrisikogruppen unter Kindern mit Migrationshintergrund... 539 10.2 Fazit zu den Ursachen der hohen Kinderarmutsrisiken bei Migranten...540 10.3 Ausblick: Thesen zur Förderung der Integration und Gleichbehandlung von Kindern mit Migrationshintergrund aus einkommensarmen Familien...544

10 Verzeichnisse... 547 1 Verzeichnis der Abbildungen und Tabellen...549 2 Verzeichnis der Abkürzungen... 551 3 Quellen- und Literaturverzeichnis... 553 3.1 Wissenschaftliche Quellen... 553 3.2 Internetliteratur... 578 3.3 Pressemitteilungen und Zeitungsliteratur... 579 3.4 Gesetze, Richtlinien und Verordnungen... 579

Einleitung Die seit Anfang der 1990er-Jahre zuerst allmählich und seit Inkrafttreten des als Hartz IV bezeichneten Gesetzespaketes zu Beginn des Jahres 2005 sprunghaft gestiegene Kinderarmut in Deutschland ist inzwischen zu einem gesellschaftspolitischen Problemfeld größter Brisanz avanciert. Damit setzen sich nicht nur die Öffentlichkeit und die Sozialpolitik auf der Ebene des Bundes, der Länder und der Kommunen, sondern auch die Armutsforschung auseinander. Dies geschah seit Ende der 90er-Jahre so intensiv, dass man mittlerweile von der Kinderarmutsforschung als eigenständigem Forschungszweig sprechen kann. Innerhalb dieser Forschungsrichtung herrscht weitgehend Einigkeit über die hauptsächlich betroffenen Gruppen: alleinerziehende Eltern (meist: Mütter), kinderreiche Familien, Erwerbslosenhaushalte sowie (nichtdeutsche) Migrantenfamilien. Die Armutsforschung identi zierte ausländische Kinder schon früh als besonders armutsgefährdete Gruppe innerhalb der Minderjährigen. 1998 resümierte der Zehnte Kinder- und Jugendbericht, dass ausländische Familien generell von kurz- und längerfristiger Armut stärker als deutsche betroffen seien, was sich sowohl in dem mit 30 Prozent sehr hohen Ausländeranteil minderjähriger Sozialhilfeempfänger/innen im Jahr 1993 als auch in den mit rund einem Drittel ebenso hohen relativen Kinderarmutsquoten bemerkbar machte. 1 Dieses Faktum bestätigten auch die Armuts- und Reichtumsberichte der Bundesregierung aus den Jahren 2001 und 2005, 2 wobei der zuletzt genannte Bericht die Armutsrisikoquote von Migrant(inn)en für 2003 mit 24 Prozent fast doppelt so hoch veranschlagte wie jene des Bevölkerungsdurchschnitts im früheren Bundesgebiet (12,4 %). Wenngleich nichtdeutsche Kinder somit unbestritten zu den armutsgefährdet sten Gruppen innerhalb der Minderjährigen zählen, ist die Forschungslage zu ihrer spezi schen Armutsbetroffenheit keineswegs befriedigend. Noch weniger sind das Ausmaß, migrationsspezi sche Erscheinungsformen, Ursachen, Ein ussfaktoren und Bewältigungsstrategien von familiärer Armut und kindlichen Belastungen für Kinder mit Migrationshintergrund 3 erforscht, denen sich diese Untersuchung widmet. Die Gründe für die Forschungslücken bezüglich der Armut dieser hetero genen Gruppe von Kindern liegen wohl in dem noch jungen Alter der Kinderarmutsforschung, die sich zunächst mit Erscheinungsformen von Kinderarmut bei verschiedenen Altersgruppen, den Folgen etwa im Sozial-, Gesundheits- und Bildungsbereich sowie Risiko- und Schutzfaktoren oder Bewältigungsformen beschäftigt hat, ohne spezielle Betroffenengruppen (mit Ausnahme der Kinder von Alleinerziehenden) gesondert in den Blick zu nehmen. Die meisten Studien beschränken sich somit auf deutsche Untersuchungsgruppen, während sie Kinder aus Zuwandererfamilien entweder gänzlich außen vor lassen oder lediglich vereinzelte Befunde zu ausländischen Kindern insgesamt anführen. Außerdem sind Kinder 1 Vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (im Folgenden: BMFSFJ) (Hrsg.): Zehnter Kinder- und Jugendbericht. Bericht über die Lebenssituation von Kindern und die Leistungen der Kinderhilfen in Deutschland, Bonn 1998, S. 91 2 Vgl. Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung (im Folgenden: BMAS) (Hrsg.): Lebenslagen in Deutschland. Der erste Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung, Bonn 2001, S. 208; Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung (im Folgenden: BMGS) (Hrsg.): Leben slagen in Deutschland. Der 2. Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung, Berlin 2005, S. 74 u. 166 3 Erläuterungen zu zentralen Begriffen wie diesem folgen in Kapitel 1 dieser Arbeit.

12 Einleitung mit Migrationshintergrund eine sehr heterogene Gruppe, mit deren Besonderheiten sich die Forschung zur sozialen Ungleichheit äußerst selten beschäftigt hat, weil man dies bislang der Migrationssoziologie und den mit ihr verwandten Wissenschaftsdisziplinen überließ. Schließlich resultieren diese Erkenntnislücken auch aus der mangelhaften Präzision amtlicher Statistiken und vieler Untersuchungen, die allein eine ausländische Staatsangehörigkeit, nicht aber eine familiäre Migrationsgeschichte, das Geburtsland oder die Sprachpraxis in Familien ausweisen was der gewachsenen Pluralität von Migrationsformen in Deutschland, darunter etwa (statusdeutsche aber zugewanderte) Aussiedler/innen, Eingebürgerte und eine wachsende Zahl binationaler Ehen, immer weniger gerecht wird. Statistische Informationen zum genauen Anteil einzelner Herkunftsnationalitäten, Aufenthaltsstatus und -dauer oder familiären Sprachpraxen sind überwiegend für größere ausländische Migran tengruppen aus den ehemaligen Anwerbestaaten verfügbar. Untersuchungsgegenstand der vorliegenden Arbeit sind die hohe Armutsbetroffenheit von Kindern mit Migrationshintergrund in Deutschland, deren Ausmaß, Erscheinungsformen und Ursachen. Gleichwohl geht es keineswegs darum, die von Elisabeth Beck-Gernsheim kritisierten de zitorientierten Diskussionen der 1970er-Jahre um das vorrangig als Opfer einer falschen oder fehlenden Migrations politik ins Blickfeld geratene arme Ausländerkind wiederzubeleben. Egal ob es die Gesundheit, das Wohnen, die Familie oder die Schule betraf, rückten diese Debatten als durchgängiges Grundmotiv einen (wie auch immer gearteten) Kulturkon ikt in den Mittelpunkt der Erklärung von Missständen, De ziten und Mängeln, von denen Migrantenkinder umgeben waren, die man als heimatlos, ohne Sprache und inneren Halt sowie als in einer ausweglosen Lage gefangen charakterisierte. 4 Vielmehr zielt diese Arbeit auf eine klischeefreie Deskription der äußerst pluralen und bloß teilweise von Armut geprägten Lebenslagen von Kindern mit Migrationshintergrund sowie auf eine Untersuchung, wie diese sich im Laufe der Jahre entwickelt haben und Anfang des 21. Jahrhunderts darstellen. Viele Kinder aus von Armut betroffenen Zuwandererfamilien weisen zwar weitgehende Gemeinsamkeiten mit Kindern aus einkommensarmen einheimischen Familien auf, aber durchaus auch große Differenzen, etwa in der gesundheitlichen oder der Bildungssituation, beispielsweise je nach Herkunftsgruppe und Aufenthalts- oder Generationenstatus. Das Ausmaß der Armutsbetroffenheit ist bei Familien mit Migrationshintergrund außerdem ein anderes als bei einheimischen Familien. Zugleich sind die bereichsspezi schen Erscheinungsformen und Folgen von Armut partiell andere, sodass sich Pauschalisierungen verbieten und eine tiefergehende Analyse sowohl der Benachteiligungsformen in verschiedenen Lebensbereichen als auch ihrer Ursachen für verschiedene Teilgruppen der Kinder mit Migrationshintergrund notwendig wird. Die Arbeit geht von der These aus, dass es weniger kulturelle Fremdartigkeiten, Identitätsprobleme, Kulturkon ikte oder andere individuelle Merkmale von Migranten(kindern) als strukturelle Ein ussfaktoren (wie ausländer- und sozialrechtliche Bestimmungen oder Merkmale des Bildungssystems) sind, die für die in den letzten Jahren besonders gestiegenen Armutsrisiken vieler Migrantenfamilien verantwortlich sind. 4 Vgl. E. Beck-Gernsheim: Wir und die Anderen. Vom Blick der Deutschen auf Migranten und Minderheiten, Frankfurt a. M. 2004, S. 80

Einleitung 13 Weil über das Ausmaß der Armutsbetroffenheit von Kindern mit Migrations hintergrund, ihre spezi schen Erscheinungsformen, Hintergründe und Ursachen somit weitgehende Unkenntnis herrscht, ist das Schließen dieser Forschungslücken das Kernanliegen meiner Untersuchung. Sie möchte zudem die in verschiedenen Fachdisziplinen wie der Migrationssoziologie, den Sozialarbeitswissenschaften oder den Bildungs- und Gesundheitswissen schaften durchaus vorhandenen Teilerkenntnisse zusammenführen. Weder dürfen dabei unzulässige Verallgemeinerungen zwischen Kindern einzelner Migrantengruppen vorgenommen, noch sollte der Blick für strukturelle Determinanten dieses Teilaspekts der Entwicklung sozialer Ungleichheit in der deutschen (Einwanderungs-)Gesellschaft verstellt werden. Schließlich wird die bisher meist nur begrenzte Ausschnitte umfassende Forschung zu Lebens- und Unterversorgungslagen bestimmter Teilgruppen wie Flüchtlings- oder Spätaussiedlerkindern vorgestellt. Diese werden in Untersuchungen zwar meist ausgeblendet, nden aber gerade deshalb hier besondere Aufmerksamkeit. Die Zusammenschau der Befunde dient der Zeichnung eines Gesamtbildes zur Kinderarmut bei Migrant(inn)en, welches erstmals die wichtigsten Teilgruppen der Kinder mit Migrationshintergrund sowie auch immaterielle Erscheinungsformen von Kinderarmut für diese Untersuchungsgruppe in die Analyse einbezieht. Die vielfältigen Unterschiede in den Lebenslagendimensionen zwischen verschiedenen Migrantenkindergruppen werden dabei angemessen berücksichtigt und auch Gemeinsamkeiten mit armen einheimischen Kindern nicht verschwiegen. Um die beschriebenen Untersuchungsziele zu erreichen, wird eine Sekundärauswertung sowohl kinderarmutsspezi scher als auch migrationswissenschaftlicher Literatur verschiedener Provenienz vorgenommen. Zur Erhellung der Lebenslagen ausländischer Kinder kann auf Ergebnisse der staatlichen Sozial- und Migrationsberichterstattung verschiedener Fachressorts zurückgegriffen werden, wobei diese auch gelegentlich die größten Nationalitätengruppen unter Zuwandererkindern gesondert ausweisen. Der Vorteil der Nutzung von regierungsamtlichen Berichten besteht darin, die in der staatlichen Sozial berichterstattung (etwa den Familien-, Kinder- und Jugend- sowie den Migrationsberichten) verstreuten Erkenntnisse zu bündeln, womit eine faktenreiche und differenzierte Einschätzung der Lebenslagen und Armutsrisiken besonders von nichtdeutschen Kindern möglich wird. Um dies auch für einzelne Herkunftsgruppen wie für Kinder aus Spätaussiedler- und Flüchtlingsfamilien oder ansatzweise für Kinder ohne Aufenthaltspapiere zu leisten, wird ergänzend auf qualitative Studien der Migrationsforschung zurückgegriffen. Die Arbeit ist in vier Teile (I bis IV) untergliedert, die wiederum einzelne Kapitel enthalten. Teil I behandelt im ersten Kapitel Schlüsselbegriffe, (Kinder-)Armutskonzepte sowie die Eingrenzung der Untersuchungsgruppe. Das zweite Kapitel arbeitet den zerfaserten Forschungsstand auf und fasst ihn zusammen, während das dritte Kapitel Details zur Konzeption der Untersuchung benennt, wie deren Ziele, die Untersuchungsgruppen, Forschungsfragen, Methodik, angewandte Literatur oder die nachfolgend berücksichtigten Dimensionen der kindlichen bzw. familiären Lebenslage. Teil II beinhaltet den Kern der eigenen Untersuchung: die Analyse der Armutsrisiken und (im)materiellen Lebenslagen von Kindern mit Migrationshintergrund bzw. ihren Familien, welche anhand von Sekundärliteratur geleistet wird. Das dort enthaltene vierte Kapitel greift die wichtigsten familiären Dimensionen der Lebenslage von Kindern auf, etwa die Einkommenssituation bzw. Armutsrisiken und die Wohnsituation der Haushalte. Sie werden für die eingangs genannten Migrantengruppen

14 Einleitung mittels diverser Indikatoren analysiert, wobei die übergreifende Fragestellung jene nach dem Ausmaß und den Erscheinungsformen von (Unter-)Versorgungslagen bei Migrantenhaushalten unterschiedlicher Herkunfts- und ausländerrechtlicher Statusgruppen für die zentralen Dimensionen der Lebenslage (Einkommen bzw. Armut und Wohnen) ist. Das fünfte Kapitel konzentriert sich auf die kindlichen Dimensionen einer Lebenslage, so auf die Gesundheit, die sozialen Netzwerke, die Freizeitgestaltung und die Bildungs situation. Die Bildungsbenachteiligung bzw. -armut ist ein wichtiger Teilaspekt von Kinderarmut, weil sie sowohl eine häu ge Folge der Einkommensarmut von Familien als auch die Ursache einer sich über Generationen vererbenden Armut sein kann. Für die genannten Dimensionen einer kindlichen Lebenslage werden zunächst die von der Kinderarmutsforschung dokumentierten klassischen Unterversorgungslagen armer Kinder behandelt und anschließend wird geprüft, ob und wenn ja, welche Unterschiede zwischen armen einheimischen und Kindern mit Migrationshintergrund der verschiedenen Herkunfts- und Statusgruppen in der jeweiligen Dimension empirisch belegt sind. Teil III behandelt Ansätze zur Erklärung der hohen Armutsrisiken von Kindern mit Migra tionshintergrund sowie mögliche Ein ussfaktoren. Auf die Benachteiligung erwachsener Migrant(inn)en 5 am Arbeitsmarkt bezogene Erklärungskonzepte stehen im Mittelpunkt des sechsten Kapitels, weil sowohl die hohe Arbeitslosigkeit als auch die geringen Arbeitsmarkterfolge von Zuwanderern an vorderster Stelle bei der Erklärung ihrer hohen Armutsrisiken stehen, von denen die Kinder indirekt betroffen sind. Zwar spielt die Vererbung von Bildungs(miss)erfolgen eine maßgebliche Rolle bei der Entstehung neuer Armuts risiken, insgesamt wird der Bildungsbereich jedoch oft überbewertet und manchmal als einzig wichtige Dimension geradezu verabsolutiert. Angesichts dessen und der Tatsache, dass eine Berufsausbildung Migrant(inn)en weniger als Deutsche vor Sozialhilfebezug schützt, sich insbesondere hohe Quali zierungen für Ausländer/innen weniger rentieren 6 und sich der Bildungsbenachteiligung von Migrantenkindern inzwischen unzählige Forschungsarbeiten widmen, wird dieser Ursachenbereich hier nur am Rande unter Ein üssen des Humankapitals behandelt, zumal im Zentrum die Entstehung von ethnischen Ungleichheiten des Arbeitsmarktes steht. 7 In Kapitel 7 folgen Ansätze der Migrationssoziologie, welche die hohen Armutsrisiken von Migrant(inn)en mittelbar über das Scheitern der strukturellen Integration, über ethnische Unterschichtungs- oder über Ethnisierungsprozesse erklären. Hierunter fallen außerdem ausländerpolitische Entwicklungen sowie ausländerrechtliche Bestimmungen, die zu einer (im)materiellen Benachteiligung einiger ausländischer Migrantengruppen beitragen. Im achten Kapitel werden Aspekte des sozialen Wandels der Gesellschaft erörtert und es wird dargelegt, welche sich auf die gestiegenen Armutsrisiken von Kindern auswirken. Ein 5 Ich verwende in Überschriften und in Fußnoten die weibliche Form der Lesbarkeit halber nicht. 6 Vgl. P. Bremer: Ausgrenzungsprozesse und die Spaltung der Städte. Zur Lebenssituation von Migranten, Opladen 2000, S. 117 7 Dazu sei auf die entsprechend umfangreiche Fachliteratur verwiesen; vgl. etwa H. Diefenbach: Ethnische Segmentation im deutschen Schulsystem Eine Zustandsbeschreibung und einige Erklärungen für den Zustand, in: Jahrbuch Arbeit Bildung Kultur, Bd. 21 22 2003/04, S. 225 ff., H. Solga: Institutionelle Ursachen von Bildungsungleichheiten, in: R. Wernstedt/M. John-Ohnesorg (Hrsg.): Soziale Herkunft entscheidet über Bildungserfolg. Konsequenzen aus IGLU 2006 und PISA III, Berlin 2008, S. 15 ff. Wichtig sind auch die Beiträge in: G. Auernheimer (Hrsg.): Schie agen im Bildungssystem. Die Benachteiligung der Migrantenkinder, 3. Au. Wiesbaden 2008

Einleitung 15 Teilaspekt, der hier behandelt wird, sind Tendenzen zum Um- und Abbau des Sozialstaates, die sich für die Gesellschaft insgesamt, für einen Teil der Familien sowie für einige Gruppen von Einwanderern (kinder)armutsverschärfend auswirken. Das neunte Kapitel widmet sich schließlich den von der Kinderarmutsforschung als relevant belegten mikrosozialen Ein ussfaktoren auf Ebene der Familien und der Kinder, welche wie etwa Bewältigungsstrategien oder Eltern-Kind-Beziehungen sowohl negative als auch positive Auswirkungen auf von Armut betroffene Kinder zeitigen können. Der Teil V bzw. das zehnte Kapitel bilanziert die Erkenntnisse dieser Arbeit in Bezug auf Erscheinungsformen und Ursachen von Kinder armut bei Migrant(inn)en sowie Forschungsdesiderate und gibt abschließend in Thesenform einen Ausblick auf mögliche Ansatzpunkte für die Förderung der Integration und Gleichbehandlung von Kindern mit Migrationshintergrund.

I Begriffe, Untersuchungsgruppe, Forschungsstand und Konzeption der Untersuchung

1 Schlüsselbegriffe, (Kinder-)Armutskonzepte und Überblick über die Untersuchungsgruppe Um das Anliegen der Untersuchung zur hohen Armutsbetroffenheit von Kindern mit Migrationshintergrund in Deutschland einleitend zu konkretisieren, folgt im ersten Abschnitt eine Bestimmung der Kernbegriffe. Im zweiten Abschnitt des Kapitels werden Ansätze und Grenzen zur Messung von Einkommensarmut sowie multidimensionale (Kinder-)Armutskonzepte vorgestellt, die den Ausgangspunkt der Analyse der Lebenslagen von Kindern mit Migrationshintergrund in Kapitel 4 und 5 bilden. Der dritte Abschnitt gibt einen Überblick über die sehr heterogene Untersuchungsgruppe insgesamt und stellt grundlegende Fakten zur Größe und den Besonderheiten einzelner Gruppen von Kindern (aus den Anwerbestaaten, aus Aussiedler- und aus Flüchtlingsfamilien) zusammen. 1.1 Begriffsbestimmungen und De nitionsversuche 1.1.1 Absolute vs. relative Armut An der Frage, wie Armut zu de nieren und zu messen ist, scheiden sich seit jeher die Geister. So ist eine Vielzahl von Armutsbegriffen, -konzepten und -grenzen entwickelt worden: Es gibt indirekte, direkte, relative, absolute, ressour cenabhängige, einkommensbasierte, deprivationsbasierte, lebenslagenbasierte, konsumorientierte, warenkorbbasierte, primäre, sekundäre, tertiäre, konsensuale, wissenschaftliche, politische, subjektive, objektive usw. Ar mutsgrenzen. 1 Trotz dieser Vielzahl von Armutsbegriffen und -grenzen, welche die Armutsforschung entwickelt, diskutiert und empirisch umgesetzt hat, konnte sich eine allgemein verbindliche Begriffsbestimmung oder gar ein einzig richtiger Ansatz, um den Umfang und die Auswirkungen von Armut zu bestimmen, nicht durchsetzen. 2 Einig ist sich die Fachwelt bei allem Streit um De nitionen, Messmethoden und Grenzen von Armut weitestgehend darüber, dass es sich in wohlhabenden Staaten wie der Bundesrepublik i. d. R. um ein relatives und nicht um ein absolutes Phänomen handelt. Als absolut oder auch extrem arm wird ein die physische Existenz bedrohendes Niveau des Lebensstandards bezeichnet, das die Ausstattung mit lebensnotwendigen Gütern und Ressourcen sowie den Zugang zu diesen nicht gewährleistet, wie es etwa kennzeichnend für die Situation von jener Milliarde Menschen ist, die in Ländern der sog. Dritten Welt unter der of ziell proklamierten Armutsschwelle von weniger als einem bzw. 1,25 US-Dollar Einkommen pro Kopf am Tag leben. 3 Dass absolute Armut in und für Deutschland kein Thema sei, beklagt jedoch Werner Schönig und konstatiert, dass es sehr wohl Sinn mache, auch in der Bundesrepublik 1 W. Strengmann-Kuhn: Armut trotz Erwerbstätigkeit. Analysen und sozialpolitische Konsequenzen, Frankfurt a. M./New York 2003, S. 13 2 Vgl. W. Hanesch u. a.: Armut in Deutschland. Der Armutsbericht des DGB und des Paritätischen Wohlfahrtsverbands, Reinbek bei Hamburg 1994, S. 23 3 Vgl. Social Watch Deutschland (Hrsg.): Report 2003/Nr. 3 Die Armen und der Markt. Ein internatio naler Bericht zivilgesellschaftlicher Organisationen über den Fortschritt bei Armutsbekämpfung und Gleichstellung der Geschlechter, o. O. 2003, S. 40

20 Begriffe, Untersuchungsgruppe, Forschungsstand und Konzeption der Untersuchung nach einer solchen zu suchen. 4 Mit Blick auf physische und psychosoziale Notlagen von auf der Straße lebenden Jugendlichen (auch mit Migra tionshintergrund) und Migrantenfamilien mit ungesichertem bzw. fehlendem Aufenthaltsstatus, die etwa vom Arbeitsmarkt, dem Ausbildungs- sowie dem Gesundheitsversorgungssystem weitgehend ausgeschlossen sind, könnte diese These ausschließlich relativer Armut hinterfragt werden, wofür aber eine eigene Untersuchung angemessen wäre. Hingegen wird relative Armut als eine extreme Ausprägung sozialökonomischer Ungleichheit verstanden, bei welcher der Lebensstandard von Armen in Bezug zum durchschnittlichen Lebensstandard einer Gesellschaft gesetzt wird. 5 Als relativ arm gelten Personen oder Haushalte, die über nur so geringe materielle, kulturelle und soziale Mittel verfügen, dass sie von der Lebensweise ausgeschlossen sind, die in der Bundesrepublik als unterste Grenze des Akzeptablen annehmbar ist. 6 Das früher dominierende, an physischen Existenznotwendigkeiten ausgerichtete absolute Armutsverständnis ist damit um die Berücksichtigung des soziokulturellen Mindeststandards der jeweiligen Gesellschaft erweitert worden. 7 Relative Einkommensarmut wurde und wird hierzulande mittels verschiedener, sich im Laufe der Zeit ändernder Indikatoren nachgewiesen. So galten lange der Bezug von Sozialhilfe- und Asylbewerberregelleistungen ( bekämpfte Armut ) sowie ein Nettoeinkommen, welches unter der Hälfte des durchschnittlichen Haushaltsäquivalenzeinkommens lag, als wichtigste Armutsindikatoren; Letzteres hatte sich als De nition relativer Armut im engeren Sinn durchgesetzt. Inzwischen sind es im Wesentlichen der Bezug von SGB II- ( Hartz IV ) und Asylbewerberregelleistungen sowie ein Einkommen, das weniger als 60 Prozent des Medianäquivalenzeinkommens beträgt und damit auch Menschen in der sog. verdeckten Armut erfasst. Empirische Daten zu diesen vier Indikatoren also zum Sozialhilfe-, Arbeitslosengeld II- und Asylbewerberleistungsbezug sowie zur relativen Einkommensarmut im engeren Sinn werden als Hinweise zur Prüfung der Armuts risiken von Migrant(inn)en im vierten Kapitel herangezogen; liegen sie bei einem Zuwandererhaushalt mit Kindern vor, wird dieser Auffassung entsprechend von Einkommensarmut eines Haushaltes bzw. familiärer Armut gesprochen. Auf Kindesebene bezieht sich das Adjektiv arm allein auf die so beschriebene de zitäre Einkommenssituation der Familie. 1.1.2 Kindbegriffe Wenn von Kindern die Rede ist, sind darin im englischen Sprachgebrauch, der sich an der weltweit geltenden Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen orientiert, grundsätzlich 4 Vgl. W. Schönig: Gibt es in Deutschland absolute Armut? Lebenslagentheoretische Rekonstruktion, empi rische Schätzung und Handlungsansätze, in: L. F. Neumann/H. Romahn (Hrsg.): Wirtschaftspolitik in offenen Demokratien. Festschrift für Uwe Jens zum 70. Geburtstag, Marburg 2005, S. 217 5 Vgl. W. Hanesch: Armut und Armutspolitik, in: H.-U. Otto/Hans Thiersch (Hrsg.): Handbuch Sozialarbeit und Sozialpädagogik, 2., überarb. Au. Neuwied 1999, S. 81 6 Siehe A. Klocke/K. Hurrelmann: Kinder und Jugendliche in Armut, in: dies. (Hrsg.): Kinder und Jugendliche in Armut. Umfang, Auswirkungen und Konsequenzen, 2., überarb. Au. Wiesbaden 2001, S. 12 7 Vgl. H. G. Beisenherz: Kinderarmut in der Wohlfahrtsgesellschaft. Das Kainsmal der Globalisierung, Opladen 2002, S. 302

Schlüsselbegriffe, (Kinder-)Armutskonzepte und Überblick über die Untersuchungsgruppe 21 alle minderjährigen, d. h. unter 18-jährigen Kinder und Jugendlichen eingeschlossen. Weil dieser Terminus die verschiedenen kindlichen Lebensphasen bis zum jungen Erwachsenenalter jedoch nicht weiter differenziert, sind im Deutschen sowie in der hiesigen Kindheitsforschung für die verschiedenen Altersstufen die Begriffe des frühen Kindesalters (0 3 Jahre), des Vorschul-, Kindergarten- bzw. Elementaralters (3 5 Jahre), des Grundschulalters bzw. der mittleren Kindheit (6 10 Jahre), der älteren Kindheit (11 13 Jahre) und der Jugend (14 17 Jahre) gebräuchlich. Das deutsche Kinder- und Jugendhilferecht unterscheidet bis zu 13-jährige Kinder, 14- bis 17-jährige Jugendliche sowie 18- bis 27-jährige junge Volljährige voneinander. 8 Die meisten Kinderarmutsstudien konzentrieren sich auf Jugendliche und junge Erwachsene bzw. ältere Kinder; je jünger die Altersgruppe, desto lückenhafter sind die Erkenntnisse in Hinblick auf Erscheinungsformen, Auswirkungen und Ursachen von Kinderarmut. Die folgende Untersuchung beschränkt sich daher auf die Gruppe der Bis-zu-13-Jährigen mit Migrationshintergrund im engeren Sinn, wobei ein besonderes Augenmerk Kindern im frühen und mittleren Kindesalter gilt; ältere Jugendliche und junge Erwachsene bleiben damit außen vor. Die Untersuchung soll dazu beitragen, diese blinden Flecken zum Erkenntnisstand der Lebenslagen und Armutsrisiken von Kindern mit Migrationshintergrund zu erhellen. 1.1.3 De nitionen von Migration, Migrant und Migrationshintergrund Das ebenfalls im Mittelpunkt stehende Begriffskonstrukt Migrationshintergrund ist von Migra tion abgeleitet, welche sowohl Zu- als auch Abwanderung umfasst und für die räumliche Bewegung zur Veränderung des Lebensmittelpunktes von Individuen oder Gruppen über eine sozial bedeutsame Entfernung steht. 9 Die dauerhafte Verlagerung des Lebensmittelpunktes über die Grenzen eines Nationalstaates hinweg (Außenwanderung) ist dabei kennzeichnend für die transnationale Migration. Im Folgenden wird eine solche Außenwanderung vorausgesetzt, wenn von Migration, Migrant(inn)en oder Ein- bzw. Zuwanderern die Rede ist. Nach dieser De nition werden unter dem Oberbegriff Migrant(inn)en neben sog. Arbeitsmigrant(inn)en auch Spätaussiedler/innen, Flüchtlinge und Asylsuchende sowie Eingebürgerte subsumiert, die ihren Lebensmittelpunkt in einem anderen als ihrem Herkunftsland haben; Wanderungs- bzw. Migrationsbewegungen umfassen dementsprechend diese verschieden motivierten Formen internationaler Migration. Da unter den Oberbegriff Migra tion ebenso legale wie illegale Wanderungsformen fallen, werden mit dem übergreifenden Terminus Migrationspolitik im Folgenden sowohl ausländer-, integrationsund asylpolitische Maßnahmen und Entscheidungs ndungen, mithin also der Gesamtkomplex der früher als Ausländerpolitik bezeichneten migration policy, umschrieben. Nur wenn explizit auf einzelne Teilbereiche rekurriert wird, werden diese etwa als Integrations- oder Asylpolitik benannt. 8 Vgl. 7 Sozialgesetzbuch (SGB). Achtes Buch (VIII). Kinder und Jugendhilfe, v. 3.5.1993, in: BGBl. I S. 638 ff. 9 Vgl. Beauftragte der Bundesregierung für Ausländerfragen (im Folgenden: Bundesausländerbeauftragte) (Hrsg.): Daten und Fakten zur Ausländersituation, 20. Au. Berlin 2002, S. 3. Eine De nition des Migrationshintergrunds für statistische Zwecke nahm erstmals der Mikrozensus 2005 vor; vgl. Statistisches Bundesamt (nachfolgend: StBA) (Hrsg.): Leben in Deutschland. Haushalte, Familien und Gesundheit Ergebnisse des Mikrozensus 2005, Wiesbaden 2006, S. 74

22 Begriffe, Untersuchungsgruppe, Forschungsstand und Konzeption der Untersuchung Des Weiteren ist gelegentlich die Rede von der Migrationsforschung, was an sich irreführend ist, weil es sich dabei nicht um eine eigenständige Fachrichtung, sondern um verschiedene Teildisziplinen sozialwissenschaftlicher Fachrichtungen wie der Soziologie oder der Politikwissenschaft handelt, die sich mit jeweils migra tions- bzw. integrationsspezi schen Fragestellungen ihres Forschungsgebietes befassen. Da sich jedoch größere Forschungszweige wie die Migrationssoziologie einschließlich der Migrationsberichterstattung oder die interkulturelle Erziehungs- und Sozialarbeitswissenschaften etabliert haben, ist diese Begriffswahl durchaus angemessen, weil dort primär Migrant(inn)en, ihr Eingliederungsprozess und die Folgen von Einwanderung für Zuwanderer und aufnehmende Gesellschaften im Fokus stehen. 10 Im Unterschied zu Migrant(inn)en bezieht sich der Ausländer -Begriff auf eine höchst heterogene Bevölkerungsgruppe, deren gemeinsames Merkmal allein die nichtdeutsche Staatsangehörigkeit ist. Im allgemeinen Sprachgebrauch werden im Unterschied zur amt lichen Statistik häu g auch Eingebürgerte, sog. Russlanddeutsche und Doppelstaatler / innen dieser Gruppe zugeordnet, weil ihnen das Merkmal der nichtdeutschen Herkunft gewissermaßen lebenslang unterstellt wird. 11 Am Beispiel der Spätaussiedler/innen, die als deutsche Volkszugehörige i. d. R. nach ihrer Einreise einen deutschen Pass erhalten, wird ersichtlich, dass nicht alle Migrant(inn)en automatisch Ausländer/innen sind; zudem leben viele Ausländer / innen häu g bereits in der zweiten oder dritten Generation hier, sodass insbesondere ausländische Kinder und Jugendliche häu g gar keine eigene Migrationserfahrung haben, sondern allenfalls ihre Eltern bzw. Großeltern. Im Folgenden wird der Ausländer -Begriff deshalb allein für die juristische Tatsache der nichtdeutschen Staatsangehörigkeit einer Person verwendet. 1. Kinder mit Migrationshintergrund und Synonyme dafür Wenn im alltäglichen Sprachgebrauch von ausländischen Kindern, Migrantenkindern oder solchen mit Migrationshintergrund die Rede ist, sind damit i. d. R. vor allem jene Minderjährigen gemeint, deren nichtdeutsche (Groß-)Eltern seit 1955, dem Jahr des ersten Anwerbeabkommens der Bundesrepublik Deutschland mit Italien, als Gastarbeiter / innen aus den ehemaligen Anwerbeländern des Mittelmeerraumes in die Bundesrepublik einwanderten. Auch im vorliegenden Kontext gilt das besondere Augenmerk Kindern mit Migrationshintergrund, allerdings wird der Terminus hier als Oberbegriff für verschiedene Gruppen von 10 Deshalb sind im Folgenden, wenn von Migrationsforschung als Oberbegriff die Rede ist, alle auf die Erforschung von Migration und Integration im weitesten Sinn ausgerichteten Teildisziplinen der Sozialwissenschaften wie die Migrationssoziologie, die migrationsbezogene Politikwissenschaft, die interkulturelle Sozialarbeitswissenschaft, die Ethnomedizin, die Migrations pädagogik u. v. m. gemeint. 11 Darin kommt das im deutschen Staatsangehörigkeitsrecht lange ausschließlich geltende Abstammungsprinzip zum Ausdruck, welches auf einem ethnisch-kulturellen Nationsbegriff fußt, dessen wesentliche Elemente eine gemeinsame Abstammung, Sprache, Kultur, Religion, Heimat und Geschichte sind. Demnach konnte lange Zeit nur Deutsche/r sein, wer von deutschen Eltern abstammte, nicht aber jemand, der zwar hier lebte und geboren war, aber von Eltern ausländischer Herkunft abstammte. Mit der Reform des Staatsangehörigkeitsrechts im Jahr 2000 wurde das (weiterhin geltende) Abstammungsprinzip um das Geburtsortsprinzip republikanischer Tradition ergänzt, nachdem Bürger/in eines Staates sein kann, wer dort geboren ist und sich zu den geltenden Menschen- und Bürgerrechten bekennt. Vgl. H. Storz: Einwanderungsland Deutschland, in: ders./c. Reißlandt (Hrsg.): Staatsbürgerschaft im Einwanderungsland Deutschland. Handbuch für die interkulturelle Praxis in der Sozialen Arbeit, im Bildungsbereich, im Stadtteil, Opladen 2002, S. 25 ff.

Schlüsselbegriffe, (Kinder-)Armutskonzepte und Überblick über die Untersuchungsgruppe 23 Minderjährigen aus Zuwandererfamilien verwendet und zugleich intern weiter differenziert: Er umfasst ausländische Kinder (der zweiten bzw. dritten Generation sowie aus Flüchtlingsfamilien) ebenso wie eingebürgerte (v. a. aus Aussiedlerfamilien) und Kinder mit doppelter Staatsangehörigkeit, die meist aus binationalen Ehen stammen. Der Terminus Migrationshintergrund erfasst dabei so präzise wie möglich das Kriterium, auf das hier abgehoben wird, aber auch nicht mehr und nicht weniger: Er zeigt, dass ein Kind entweder selbst (i. d. R. mit der Familie) aus dem Ausland zugewandert oder aber bereits hier geboren ist oder von eingewanderten Eltern abstammt, die teilweise bereits selbst in der zweiten Generation hierzulande leben. 12 Der Mikrozensus zählt seit 2005 zu den Menschen mit Migrationshintergrund alle nach 1949 auf das heutige Gebiet der Bundesrepublik Deutschland Zugewanderten sowie alle in Deutschland geborenen Ausländer und alle in Deutschland als Deutsche Geborenen mit zumindest einem zugewanderten oder als Ausländer in Deutschland geborenen Elternteil. 13 Somit ist es zunächst unerheblich, ob ein Kind, wie die meisten Spätaussiedler/innen, die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt oder es, wie viele Familien ehemals angeworbener Arbeitsmigrant(inn)en, trotz genera tionsübergreifender Aufenthaltsdauer noch über einen ausländischen Pass im günstigsten Fall den eines privilegierten EU-Landes und eine Aufenthaltsgenehmigung für Deutschland verfügt. Die einzige, aber zentrale Gemeinsamkeit der Untersuchungsgruppe besteht im Migrationshintergrund des Kindes bzw. seiner Familie oder eines Elternteils, welcher die konkrete familiäre Lebenswirklichkeit in vielerlei Aspekten prägen kann, sei es hinsichtlich der muttersprachlichen oder bilingualen Sozialisation, der in der Familie gelebten kulturellen Traditionen, Normen und sozialen Rollen oder hinsichtlich von Identitätsentwicklungs- und Ethnisierungsprozessen. Franz Hamburgers Kritik an dieser Begriffswahl als folgenreiche Etikettierung und Stigmatisierung von jungen Menschen, die selber nie gewandert seien und die überdies eine Vorenthaltung des Subjektstatus darstelle, 14 ist insofern keinesfalls gerechtfertigt, als die Migrationserfahrungen der (Groß-) Elterngeneration sowohl den familiären Lebensalltag, die sprachliche Sozialisation im frühen Kindesalter und die Identitätsentwicklungen (Fremd- und Selbstzuschreibungen) der Kinder als auch ihre Teilhabechancen nachhaltig prägen, selbst wenn sie selber nie migriert sind. 12 In statistischen Erhebungen wie dem Sozio-ökonomischen Panel des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (nachfolgend: DIW) wird die Bevölkerung mit Migrationshintergrund dahingehend operationalisiert, dass sie alle Personen einschließt, die in Haushalten leben, in denen mindestens ein Zuwanderer oder eine in Deutschland geborene, mindestens 16 Jahre alte Person mit ausländischer Staatsbürgerschaft lebt. Aufgrund der Vielfalt der Zuwandererbevölkerung und der Migrationsbedingungen werden für einige Analysen jedoch weitere individuelle Herkunftsmerkmale wie der Geburtsort oder der Einbürgerungs status herangezogen; vgl. I. Tucci/G. G. Wagner: Einkommens armut bei Zuwanderern überdurchschnittlich gestiegen, in: DIW- Wochenbericht 5/2005, S. 80. In den PISA-Studien wurde der Migrationshintergrund von Schülern anhand ihrer Geburtsorte und jenen der Eltern im Ausland sowie der Verkehrssprache und Verweildauer der Familien in Deutschland ausgewiesen, was den Einbezug von Schülern der zweiten Genera tion, aus Spätaussiedlerfamilien sowie binationalen Ehen ermöglichte. In den Auswertungen wurden i. d. R. Kinder aus Familien, in denen beide Elternteile im Ausland geboren waren, unterschieden von jenen, bei denen nur ein Elternteil im Ausland geboren war bzw. die keine familiäre Migrationsgeschichte hatten; vgl. J. Baumert/G. Schümer: Familiäre Lebensverhältnisse, Bildungsbeteiligung und Kompetenzerwerb, in: Deutsches PISA-Konsortium (Hrsg.): PISA 2000. Basiskompetenzen von Schülerinnen und Schülern im internationalen Vergleich, Opladen 2001, S. 341 ff. 13 Siehe StBA (Hrsg.): Bevölkerung und Erwerbstätigkeit. Bevölkerung mit Migrationshintergrund Ergebnisse des Mikrozensus 2005. Fachserie 1 Reihe 2.2, Wiesbaden 2007, S. 6 14 Vgl. F. Hamburger: Gefährdung durch gute Absichten, in: Kind Jugend Gesellschaft 3/2002, S. 79

24 Begriffe, Untersuchungsgruppe, Forschungsstand und Konzeption der Untersuchung Während im Alltagssprachgebrauch nach wie vor von Ausländerkindern die Rede ist, hat sich in der migrationswissenschaftlichen Fachliteratur der Begriff der zweiten bzw. dritten (Ausländer-)Generation eingebürgert, welcher präziser beschreibt, dass es sich meist um im Inland geborene und aufgewachsene, trotzdem aber ausländische Nachkommen der ersten Einwanderergeneration, der sog. Pioniermigrant(inn)en, handelt. Die Bezeichnung zweite bzw. dritte Generation implizierte lange eine gewisse Kritik an der Ausländer- und Integrationspolitik, welche die Nachkommen der ursprünglich angeworbenen Arbeitsmigrant(inn)en auch über Generationen hinweg zu Ausländer(inne)n machte, weil ihre staatsbürgerliche Inklusion (Aufenthaltsverfestigung, Einbürgerung durch Geburt im Inland) von dem erklärten Nichteinwanderungsland Deutschland verweigert wurde. Seit Kinder ausländischer Eltern, die längere Zeit rechtmäßig hierzulande leben, durch die Reform des Staatsangehörigkeitsrechts im Jahr 2000 qua Geburt automatisch die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten, hat diese Kritik jedoch an Gewicht verloren. 15 Synonym für Kinder mit Migrationshintergrund werden aus sprachlich-pragmatischen Gründen im Folgenden auch Begriffskombinationen wie Kinder ethnischer Minderheiten, allo chthone Kinder oder einfach Migrantenkinder verwendet. Die aus dem Griechischen stammenden Fachtermini autochthon bzw. allochthon werden gelegentlich synonym für alteingesessen und zugewandert gebraucht. Allochthon bedeutet ortsfremd (von einem anderen Ort stammend); Sozialwissenschaftler/innen bezeichnen Menschen mit Migrations hintergrund deshalb auch als Allochthone und Einheimische bzw. Alteingesessene als Au toch thone. Autochthone Minderheiten sind entsprechend alteingesessene, sich aber z. B. in ihrer Kultur oder Sprache von der Mehrheitsgesellschaft unterscheidende Bevölkerungsgruppen wie die Sorben, während größere Einwanderer gruppen wie z. B. türkische Migrant(inn)en, die in der Aufnahmegesellschaft institutionelle Strukturen ethnischer Gemeinden aufgebaut haben, als allochthone Minderheiten bezeichnet werden. Ausländische Kinder bilden indes nur eine Teilgruppe von Kindern mit Migrationshintergrund, nämlich jene ohne deutschen Pass. Dem wird in vielen Untersuchungen, die sich zwar von ihrem theoretischen Anspruch her auf Migranten kinder konzentrieren, in der Umsetzung meist aber nur ausländische Kinder der zweiten oder dritten Generation aus den ehemaligen Anwerbestaaten einbeziehen, nicht angemessen Rechnung getragen. Die Rede vom ausländischen Kind hebt im Folgenden deshalb allein auf dessen rechtlichen Status als nichtdeutsche/r Staatsbürger/in ab, jenem Kriterium also, das nach wie vor von der Mehrzahl sozialwissenschaftlicher Untersuchungen sowie Statistiken erhoben wird. 1.2 (Kinder-)Armutskonzepte Konzepte zur Messung von Armut werden üblicherweise danach unterschieden, ob sie, wie Ressourcenansätze, allein das Einkommen und somit die materielle Mangellage einer 15 Entsprechend sind die Zahlen im Inland geborener ausländischer Kinder von bis zu 100.000 während der 1990er-Jahre auf 40.000 (2002) gesunken, weitere 38.000 erhielten gleichzeitig die deutsche Staatsangehörigkeit; vgl. StBA (Hrsg.): Datenreport 2004. Zahlen und Fakten für die Bundesrepublik Deutschland, Bonn 2004, S. 49 f.

Schlüsselbegriffe, (Kinder-)Armutskonzepte und Überblick über die Untersuchungsgruppe 25 Person(engruppe) betrachten oder, wie lebenslagen-, deprivations- und exklusionsorientierte Ansätze, ein erweitertes Armutsverständnis zugrunde legen. 16 Entsprechend der jeweils zugrunde liegenden Konzeption bedient sich die Armutsforschung verschiedener Mess- und Operationalisierungsmethoden, um Betroffenengruppen, Umfang und Erscheinungsformen von Armut zu bestimmen und (v. a. sozial-, aber auch familienpolitische sowie pädagogische) Handlungsstrategien daraus abzuleiten. 17 Diese gängige Zweiteilung bricht die vorliegende Arbeit auf, indem sie, wie im Folgenden schrittweise entwickelt wird, zwar die familiäre Einkommensarmut als Kern der De nition von Kinderarmut begreift, darüber hinaus aber einen multidimensionalen Armutsbegriff zum Ausgangspunkt nimmt, der Benachteiligungen ebenso in immateriellen kindlichen Lebensbereichen wie der Bildung oder Gesundheit offenbart. Bezüglich der folgenden Skizze von Armutskonzepten, ihren Messmethoden und Ergebnissen ist voran zu stellen, dass letztlich jede Konzeption der Armuts forschung politischnormativer Natur ist und ihre Erkenntnisse mit impliziten Folgen und Bedeutungsgehalten politisch interpretiert wurden und werden, die es bei jeder Thematisierung mit zu berücksichtigen gilt. 18 Besonders deutlich zeigt dies die heftige Kritik, welche die damalige CDU/ CSU/FDP-Bundesregierung anlässlich der Veröffentlichung des Zehnten Kinder- und Jugendberichts im August 1998 am methodischen Vorgehen der Expertenkommission übte, die eine wachsende Kinderarmut in Deutschland konstatiert hatte. 19 In ihrer Stellungnahme wies die Bundesregierung nämlich die Ergebnisse der Expertenkommission zur Armutsbetroffenheit von Kindern und insbesondere die Aussagen zur Situation derjenigen mit Zuwanderungshintergrund zurück, weil das angewandte Messkonzept kein seriöses sei. 1.2.1 Ressourcen- vs. Lebenslagenansätze Ressourcenansätze begreifen Armut vornehmlich als eine Unterausstattung an monetären 20 bzw. nichtmonetären 21 Ressourcen, die in ihrem Zusammenspiel das Lebensniveau und damit Wohlergehen von Haushalten in einer bestimmten Gesellschaft determinieren. Unterschreiten die ökonomischen Mittel einer Person bzw. eines Haushalts ein gesellschaftlich de niertes materielles Existenzminimum, liegt de nitionsgemäß eine Armut (an Ressourcen) vor. 22 Danach müssten theoretisch also sämtliche Ressourcen (wie Einkommen, Wohnung etc.) ermittelt werden, über die ein Individuum oder ein Haushalt verfügt, die wiederum in Bezug zu den ökonomischen und sozialen Standards des jeweils geltenden Existenzminimums zu setzen wären. Allerdings ist nicht ganz unstrittig, was unter Ressourcen genau zu verstehen 16 Vgl. R. Merten: Kinderarmut. Herausforderungen für (Sozial-)Politik, Textfassung eines Vortrags, Saarbrücken 2005, S. 4 17 Vgl. G. E. Zimmermann: Ansätze zur Operationalisierung von Armut und Unterversorgung im Kindes- und Jugendalter, in: Ch. Butterwegge (Hrsg.): Kinderarmut in Deutschland. Ursachen, Erscheinungsformen, Gegenmaßnahmen, 2. Au. Frankfurt a. M./New York 2001, S. 59 ff. 18 Vgl. W. Hanesch u. a.: Armut in Deutschland, a. a. O., S. 23 19 Vgl. Ch. Butterwegge, Armut in einem reichen Land. Wie das Problem verharmlost und verdrängt wird, Frankfurt a. M./New York 2009, S. 133 20 Zum Beispiel Einkommen aus Erwerbsarbeit, Transferleistungen und Vermögen 21 Zum Beispiel Ergebnisse hauswirtschaftlicher Produktion 22 Vgl. W. Voges u. a.: Methoden und Grundlagen des Lebenslagenansatzes. Endbericht, Bremen 2003, S. 30