Automatisierung einer Ethylen-Pipeline durch HIMA Autor: Heiko Schween Projektierung und Konstruktion Pipelines sind die wirtschaftlichsten und sichersten Transportsysteme für Mineralöle, Gase und andere Produkte. Als ein über weite Strecken reichendes Massentransportmittel müssen sie hohe Anforderungen an die Sicherheit, Verfügbarkeit und Effizienz erfüllen. Das Beispiel der Automatisierung der Ethylen-Pipeline Münchsmünster-Gendorf durch HIMA zeigt, wie eine moderne sicherheitsgerichtete Automatisierungslösung aussehen kann. Aufgabe von Safety-Systemen bei Pipelines ist vor allem die Überwachung kritischer Parameter sowie die schnelle und sichere Reaktion im Fehlerfall über große Distanzen hinweg. In der Pipeline-Automatisierung kommen noch überwiegend konventionelle, nicht sicherheitsgerichtete Hardwaretechnik und Fernwirksysteme mit eingeschränkter Diagnose sowie geringer Fehlersicherheit zum Einsatz. Deren Nachteile liegen in einem größeren Aufwand u. a. für Planung, Hardware, Verdrahtung oder Test. Eine komplexere Kommunikation zwischen Automatisierungs-, Prozessleit- und Fernwirksystem ist notwendig. Weiterhin sprechen eine größere Anzahl an Fehlerquellen und eine geringere Transparenz gegen diese Lösungen. Dem konventionellen Ansatz stehen moderne Lösungen mit schnellen und sicherheitsgerichteten Fernwirksystemen der HIMA-Produktfamilien HIMatrix bzw. H41q/H51q gegenüber. Die weltweit schnellste Sicherheitssteuerung HIMatrix kommt dort zum Einsatz, wo ein sehr schnelles Automatisierungssystem gefordert wird. Sind eine sehr hohe Redundanz und Verfügbarkeit gefragt, werden die Systeme H41q bzw. H51q eingesetzt (Bild 1). -1-
H41q/H51q für Ethylen-Pipeline Eine interessante Referenz für H41q/H51q ist die Automatisierung der Ethylen-Pipeline Münchsmünster-Gendorf, die HIMA im Auftrag der InfraServ GmbH & Co. Gendorf KG realisierte. Ethylen ist in dem im bayerischen Chemiedreieck gelegenen Industriepark Werk GENDORF einer der wesentlichen Rohstoffe und für viele Produkte aus dem Werk unverzichtbar. Der Basisrohstoff wird in der Ethylen-Anlage des Mineralölkonzerns Veba Oel AG am Standort Münchsmünster bei Ingolstadt produziert. Über eine rund 120 km lange Pipeline werden die Ethylenoxid-Betriebe der Clariant GmbH und der EDC-Betrieb der Vinnolit GmbH & Co. KG am Standort GENDORF mit Ethylen versorgt. Die Pipeline wurde in den Jahren 1971/72 errichtet. In GENDORF ist zwischen 1993 und 1998 aus dem ehemaligen Werk des Hoechst-Konzerns ein Unternehmensverbund mit unterschiedlichen Firmen entstanden. Vierzehn Unternehmen sind derzeit im Industriepark Werk GENDORF tätig. Das dort hergestellte Produktspektrum umfasst über 1.500 Produkte. Der Industriepark Werk GENDORF unternimmt umfangreiche Anstrengungen, damit der sichere Betrieb der Pipeline dauerhaft aufrechterhalten werden kann. Zahlreiche Mess- und Sicherheitseinrichtungen sowie Wartungs- und Überwachungsmaßnahmen gewährleisten heute den sicheren Betrieb der Pipeline, die von der Business Unit Energie der InfraServ Gendorf betrieben wird. Die InfraServ GmbH & Co. Gendorf KG ist mit rund 950 Mitarbeitern das Dienstleistungsunternehmen und die Betreibergesellschaft des Industrieparks. Das Unternehmen, im Jahr 1998 hervorgegangen aus den zentralen Services-Fachabteilungen der Hoechst AG im Werk Gendorf, bietet seinen Kunden sowohl kundenorientierte Dienstleistungen speziell für chemische Produktionsprozesse als auch strukturelle Rahmenbedingungen an. -2-
Auftrag von InfraServ an HIMA InfraServ Gendorf beauftragte HIMA Mitte 2002, die sicherheitsgerichtete Automatisierungstechnik der Ethylen-Pipeline und ihrer Schieberstationen zu modernisieren. Mit den entlang der Pipeline installierten zwölf Armaturenstationen lässt sich die Pipeline im Bedarfsfall über Schieber absperren. Vor der Modernisierung konnten lediglich zwei Stationen lokal bzw. remote elektromechanisch bedient werden. Zwei Armaturen konnten nur manuell bedient werden; acht Armaturenstationen wurden neu installiert. Die weite räumliche Ausdehnung des Pipeline-Systems und die notwendige Versorgungssicherheit der Produktionsanlagen in GENDORF stellen hohe Anforderungen an die Sicherheit und Verfügbarkeit des Automatisierungssystems. Im Zuge der Modernisierung wurden an jeder Schieberstation sicherheitsgerichtete Fernwirksysteme installiert, mit deren Hilfe eine schnelle und sichere Kommunikation der Daten im System erreicht werden kann. Modernisierung mit fehlersicherer Automatisierungstechnik Die Steuerung und Überwachung der Anlagen wird durch den Einsatz hochverfügbarer, fehlertoleranter Steuerungen aus der H41q/H51q-Familie von HIMA realisiert. Die HIMA-Systeme überwachen den Betrieb der Pipeline und sorgen je nach Sicherheitsanforderungen für die sichere Abschaltung einzelner Teilbereiche oder der gesamten Anlage. Die zentrale Steuerung und Überwachung des Pipelinesystems bzw. der Schieberstationen erfolgt von einer Leitwarte im Industriepark Werk GENDORF im 24-h/365-Tage-Betrieb rechnergestützt über ein eigenes Kommunikationssystem. Bedienung und Beobachtung der Pipeline sowie -3-
die regelungstechnischen Anforderungen der Anlage werden über das Visualisierungssystem Operate IT von ABB realisiert. Das Automatisierungssystem von HIMA ist mit dem ABB-Leitsystem über eine OPC-Schnittstelle in redundanter Form gekoppelt. Mittels Fernbedienung kann die Pipeline heute an allen zwölf Stationen auf dem Weg zwischen Münchsmünster und GENDORF abgesperrt und damit außer Betrieb genommen werden. Sämtliche Stationen lassen sich jetzt zudem lokal bedienen, z. B. für die Störungsbeseitigung durch die Feuerwehr. Da das Fernwirksystem der Zentrale den Knotenpunkt der sicherheitsgerichteten Kommunikation darstellt, ist dieses vollständig redundant aufgebaut. Durch den redundanten Aufbau wird höchste Verfügbarkeit sichergestellt. Planung bis zur Feldebene Die Lieferung von HIMA umfasste die Hard- und Software der sicherheitsgerichteten Steuerungen für die gesamte Automatisierung der Pipeline und der Gasstation im Industriepark. Weiterhin schloss die Lieferung das Projektmanagement und Engineering bis zur Ansteuerung der Aggregate in den Schieberstationen, d. h. bis zur Feldebene, sowie die Inbetriebnahme mit ein. InfraServ Gendorf hatte für die einzelnen Stationen Fundamente aus Beton für die Schaltkästen bauen lassen, in denen eine Fläche von lediglich 800 x 1.000 mm für die gesamte Steuerung und die dazugehörigen Komponenten zur Verfügung stand. Die Hardware-Lösung wurde von den HIMA- Spezialisten auf Rahmen gebaut, im HIMA-Werk in Brühl geprüft und musste anschließend nur noch lokal montiert werden. Die zwölf Schieberstationen werden von sicherheitsgerichteten Automatisie- -4-
rungsgeräten vom Typ H41q-MS überwacht. Die Steuerungssysteme sind komplett voneinander getrennt, so dass immer eine Station unabhängig von den anderen gewartet werden kann. In den beiden Kopfstationen kommt eine H51q-HS bzw. eine H41q-MS zum Einsatz. Neben diesem Pipelinesystem rüstete HIMA außerdem noch die Gasstation in GENDORF aus. Dort ersetzte man ein vorhandenes elektromechanisches System durch eine Steuerung vom Typ H41q-HS. Verarbeitung von 2.000 Signalen Die Automatisierungsgeräte besitzen circa 500 binäre sowie rund 100 analoge Ein- und Ausgänge und verarbeiten steuerungstechnisch circa 2.000 Kommunikationssignale (analog und binär). Die Signale werden dem angeschlossenen Leitsystem über eine OPC-Kopplung zur Verfügung gestellt. Zusätzlich zu den sicherheitsrelevanten Funktionen lassen sich auch Betriebsdaten wie Befehle, Messwerte, Meldungen und Alarme über das Fernwirksystem der Pipeline von der Zentrale zu den entfernten Anlagen und zurück übertragen. Von den Stationen werden Drücke und andere Zustandsdaten zur Zentrale gesendet. Diese werden unter anderem zur Leckerkennung oder zum Auslösen der Schieber benötigt. Die in der Ethylen-Pipeline eingesetzten sicherheitsgerichteten Automatisierungsgeräte der Familie H41q/H51q (Bild 2/3) sind TÜV- und BGzertifiziert für sicherheitsgerichtete Applikationen gemäß IEC 61508 und IEC 61511 (bis SIL 3) bzw. EN 954-1 (bis Kategorie 4). Die schnellen, sicherheitsgerichteten und redundanten Fernwirksysteme haben sich in der Prozesswelt in zahlreichen dezentralen, vernetzten Automatisierungslösungen bewährt. Sie ermöglichen eine komfortable Visualisierung und zeichnen sich durch sehr gute Übersichtlichkeit und Transparenz aus. Durch einen hohen Diagnosegrad des Gesamtsystems und eine schnelle -5-
Fehlerlokalisierung und -beseitigung gewährleisten sie eine gesteigerte Verfügbarkeit. Der Aufwand für Planung, Installation, Inbetriebnahme, Wartung und Dokumentation ist gering. Die H41q/H51q-Systeme waren die ersten sicherheitsgerichteten Steuerungen der Welt, die selbst einen einkanaligen Einsatz bis SIL 3/AK 6 ohne Einschränkung ermöglichten. Sie sind auch die ersten 2oo4D/QMR-Systeme der Welt, die nach der neuen internationalen Norm IEC 61508 vom TÜV für Anwendungen bis SIL 3 zertifiziert wurden. Durch die Kombination aus skalierbarer Verfügbarkeit der E/A-Ebene und/oder der Zentralebene bei konstant maximaler Sicherheit kann das System genau auf das für die Applikation wirtschaftliche Maß zugeschnitten werden. Die Steuerungen der H41q/H51q-Familie sind in 19 -Technik ausgeführt. Die kompakten H41q-Systeme eignen sich für Automatisierungsaufgaben mit bis zu 208 E/A-Punkten. Bei der Automatisierung von Prozessen mit mehr E/A-Punkten kommen die modular erweiterbaren H51q- Systeme zum Einsatz. Kommunikation über Ringleitung Eine Besonderheit bei diesem Projekt stellt das Übertragungsmedium dar: Die Kommunikation für die Pipeline erfolgt über ein bestehendes, puppinisiertes Kupferkabel, das aus Kostengründen weiterverwendet werden sollte. Bespulte Kabel wurden früher zur besseren Sprachübertragung genutzt, haben aber Schwächen bei höheren Frequenzen. Über das vorhandene Kabel sollte die Kommunikation mit den neuen Geräten für die Fernbedienung der Pipeline betrieben werden. HIMA ließ daraufhin das Kabel mit Modems, die in vergleichbaren Anwendungen bereits zum Einsatz kommen, vermessen und konnte bestätigen, dass die Kommunikation auf dem vorhandenen Kabel mit den entsprechenden Modems betrieben werden kann. -6-
Um eine sichere Datenübertragung zu gewährleisten, wurde das Kupferkabel als Ring zusammengeschaltet. Dazu wurde bei jeder zweiten Station Richtung Münchsmünster sowie bei den dazwischen liegenden Stationen auf dem Rückweg jeweils eine Verbindung geschaffen. Durch den Aufbau eines elektrischen Rings kann die Kommunikation auf beiden Seiten des Rings betrieben werden. Der Vorteil dieser Lösung liegt darin, dass bei Unterbrechung des Rings einseitig immer noch eine Kommunikation zu allen Systemen möglich ist (Bild 4). Eine weitere Aufgabe von HIMA bestand darin, eine Datenleitung für die Prozessdaten des Gaskompressors in Münchsmünster nach GENDORF aufzubauen. Dazu wurde eine separate Standleitung installiert, die eine direkte Verbindung zwischen den beiden Standorten für die nicht sicherheitsgerichteten Daten schafft. Während zur Ansteuerung der Schieberstationen ein sicheres Datenprotokoll und eine sichere Kommunikation aufgebaut wurden, ist die Direktverbindung der Standleitung ausschließlich für nicht sichere Daten bestimmt. Backup-Leitung für sichere und nicht sichere Daten Zur Erhöhung der Verfügbarkeit wurde zusätzlich eine Backup-Strecke integriert. Die Besonderheit dieser Lösung liegt darin, dass sich die Backup-Strecke sowohl für den Transfer sicherer als auch nicht sicherer Daten eignet. Tritt der Fall ein, dass die Ringleitung komplett unterbrochen ist und nur noch Daten bis zur Unterbrechungsstelle abgeholt oder gesendet werden können, baut die Backup-Verbindung die ISDN-Strecke auf, holt über eine geschaltete Verbindung in Münchsmünster die Daten aus der Ringleitung ab und sendet sie über die Standleitung zurück. Bei einer kompletten Unterbrechung wird eine Wählverbindung bis -7-
Münchsmünster aufgebaut und von dort aus der verbleibende Teil des Rings ausgelesen. Die Daten werden anschließend über die Backup- Strecke geleitet. Die Verbindung wird auch dann aufgebaut, wenn die Standleitung für die nicht sicheren Daten unterbrochen ist. Diese Daten werden dann ebenfalls über die ISDN-Backup-Leitung übermittelt. Eine hohe Verfügbarkeit des Systems ist die Folge. Die Schieberstationen werden im Normalfall ausschließlich vom Industriepark Werk GENDORF aus versorgt und bedient. Die Kommunikation zu den Stationen wird nur dann von Münchsmünster zugeschaltet, wenn dringender Bedarf besteht, d. h. wenn eine Unterbrechung es erforderlich macht. Eine einseitige Unterbrechung der Ringleitung hat keinen Einfluss auf die Güte der Kommunikation und die Bedienbarkeit der Anlage. Bei einer zweiseitigen Unterbrechung der Ringleitung wird über die Backup-Strecke sichergestellt, dass alle Stationen erreicht werden. Weitere Anforderungen ergeben sich aus dem zentralen Leckerkennungsund Leckortungssystem, das eine zuverlässige und zeitgetreue Übertragung von Messwerten über das Fernwirksystem der Pipeline erfordert. Das redundante Leckerkennungs- und Leckortungssystem sollte nach abgeschlossener Realisierung des Fernleit- und Sicherheitssystems mit aufgesetzt werden. Es wurde in Zusammenarbeit mit HIMA installiert und über die vorhandene redundante OPC-Kopplung an das Sicherheitssystem angebunden. Die dort erfassten Messdaten werden, versehen mit einem Zeitstempel, via OPC an die beiden Leckerkennungsrechner zur Auswertung übergeben. Projektabwicklung in weniger als sechs Monaten HIMA wurde im Juli 2002 von InfraServ Gendorf mit der kompletten Planung und Lieferung der sicherheitsgerichteten Automatisierungstechnik -8-
beauftragt. Von Beginn der Planung bis zum Abschluss des Projekts vergingen weniger als sechs Monate. Das Automatisierungssystem wurde im Werk Brühl vor der Installation sehr umfangreich getestet. Dazu wurden alle Stationen aufgebaut, zusammengeschaltet und gemeinsam mit dem Kunden und dem Lieferanten der Prozessleittechnik getestet. Das ABB- Visualisierungssystem Operate IT wurde ebenfalls komplett mit aufgebaut. Durch diese Vorgehensweise wurde der spätere problemlose Einbau sichergestellt. Die Schieberstationen wurden ausgehend von GENDORF sukzessive aufgeschaltet und in Betrieb genommen. Die Spezialisten von HIMA und InfraServ haben das Automatisierungssystem montiert und in Betrieb genommen, während die Pipeline weiter förderte. Sämtliche Tests der Fernwirktechnik und der Aggregate inklusive die TÜV-Abnahme wurden bei laufender Anlage durchgeführt. Bereits Ende 2002 konnte man die Anlage gemeinsam mit dem Kunden in Betrieb nehmen. Bild 1: Moderne HIMA-Lösung für die Pipeline-Automatisierung mit H41q/H51q Bild 2/Bild 3: Mit der Systemfamilie H41q/H51q lässt sich eine hohe Anlagenverfügbarkeit erreichen. Bild 4: Durch den Aufbau einer Ringleitung wird die Kommunikation auf beiden Seiten des Rings sichergestellt. Bild 5: Gasübernahme Bild 6: Messwarte Bild 7: Skyline Gendorf -9-
Bildübersicht zu dem Fachbeitrag Gas transportieren aber sicher! Automatisierung einer Ethylen-Pipeline durch HIMA Bild 1: Moderne HIMA-Lösung für die Pipeline-Automatisierung mit H41q/H51q Bild 2: HIMA-Sicherheitssteuerung H41q. Mit der Systemfamilie H41q/H51q lässt sich eine hohe Anlagenverfügbarkeit erreichen. -1-
Bild 3: HIMA-Sicherheitssteuerung H51q. Mit der Systemfamilie H41q/H51q lässt sich eine hohe Anlagenverfügbarkeit erreichen. Bild 4: Durch den Aufbau einer Ringleitung wird die Kommunikation auf beiden Seiten des Rings sichergestellt. -2-
Bild 5: Gasübernahme Bild 6: Messwarte Bild 7: Skyline Gendorf -3-