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Die Liebe bleibt

CHRISTIAN FELDMANN Die Liebe bleibt Das Leben der Mutter Teresa

Neuausgabe 2016 Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 1997/2007/2016 Alle Rechte vorbehalten www.herder.de Satz: Rainer Moers Druckvorlagen, Mönchengladbach Herstellung: CPI books GmbH, Leck Printed in Germany ISBN 978-3-451-37547-7

Prolog Die Menschen verehrten sie wie einen zweiten Christus. Die Unbefangenheit, mit der sie Sterbende in die Arme schloss, schien die stürmische Liebe Gottes zu seinen ärmsten Kindern widerzuspiegeln. UN-Generalsekretär Perez de Cuellar schmeichelte ihr 1985, sie sei ohne Frage»die mächtigste Frau der Welt«. Der Tag ihrer Seligsprechung wird in ihrem Heimatland Albanien heute als Nationalfeiertag begangen, der Flughafen von Tirana trägt ihren Namen, und 1998 benannte man sogar einen Asteroiden nach ihr:»4390 Madreteresa«. Papst Benedikt XVI. erwähnte sie in seiner Enzyklika Deus caritas est mehrfach als Beispiel, dass Spiritualität den Kampf gegen das Elend mächtig zu inspirieren vermöge. 5

Doch im Jahr 2007, zehn Jahre nach ihrem Tod, drohte die»heilige von Kalkutta«jäh von ihrem Sockel zu stürzen. Schuld daran sind die Aufzeichnungen der Ordensgründerin über ihr intimes Leben mit Gott gewesen, die bis dahin nur wenigen bekannt waren und damals veröffentlicht worden sind. Den Inhalt fanden manche ihrer begeisterten Verehrer unerhört:»der Himmel bedeutet nichts mehr, für mich schaut er wie ein leerer Platz aus«, stellt Mutter Teresa fest.»wofür arbeite ich? Wenn es keinen Gott gibt kann es auch keine Seele geben. Wenn es keine Seele gibt, dann Jesus bist auch Du nicht wahr. Der Himmel, welch Leere kein einziger Gedanke an den Himmel dringt in meinen Geist ein denn dort ist keine Hoffnung.«Verzweifelt fragt sie sich:»die Leute sagen, dass sie sich näher zu Gott gezogen fühlen wenn sie meinen festen Glauben sehen. Ist das nicht ein Betrug an den Leuten?«Heilige wie die charmante Thérèse von Lisieux oder der dunkle spanische Mystiker Juan de la Cruz haben ähnliche Erfahrungen gemacht. Dahinter steckt das Wissen, dass Glaube immer ein Risiko ist und nie ein Besitz. Und die Zerrissenheit eines Menschen, der die Welt der Armen in ihrer ganzen scheußlichen Realität wahrnimmt und gleichzeitig mit allen Fasern seines Herzens daran glaubt, dass ein guter Gott diese von Grausamkeit und Gewalt, Egoismus und Gemeinheit erschütterte Erde geschaffen hat. Menschen wie Mutter Teresa gelingt es unter Tränen!, solche bitteren Erfahrungen zu verwandeln: Das Gefühl, von Gott nicht geliebt zu sein, bringe sie den Armen noch näher und bedeute die Teilnahme an der Passion Jesu, erklärt sie und entschließt sich, dann eben»die Dunkelheit zu lieben«. Mit der Heiligsprechung der großen kleinen Nonne aus 6

Kalkutta durch Papst Franziskus 2016 gewinnt der Himmel vielleicht keinen neuen Erzengel in Glanz und Glorie dazu aber die Menschen bekommen eine Weggefährtin an die Seite. 7

Das Gebet bringt Glauben hervor, der Glaube Liebe und die Liebe Dienst an den Armen. Mutter Teresa

Inhalt Prolog... 5 1»Trag mich in die Löcher der Armen. Komm, sei mein Licht«Der Ruf, Christus in die Slums zu folgen... 13»Auch ich bin ein Offizier«... 13 Zwischen Schule und Slum... 17 Das Gelübde der Schwester Teresa... 23»Ich wusste, es war sein Wille«... 25 Die Berufung: Arm unter den Ärmsten... 28 2»Gott geht mit. Das ist sein Werk«Die Kinder der Armen... 35 Allein in Kalkutta... 35 Die ersten Gefährtinnen... 39 Eine lebensgefährliche Freundschaft... 42»Töten Sie es nicht, geben Sie es mir«... 48 3»Lass sie nur dieses eine Glück erleben«der Dienst an den Sterbenden... 55»Es gibt so ungeheuer viel zu tun«... 55»Ihren Hund pflegen sie besser!«... 59 Geburtstagsfeier mit Hindus und Buddhisten... 62 Die Frau, die den Papst versetzte... 64 Das Geschenk des Friedens... 66 4»Es sind die Wunden Christi«Der Einsatz für die Leprakranken... 71 Lepra heißt lebendig begraben werden... 71 9

Eine Stadt auf Stelzen... 73»Wir sehen Jesus in den geschundenen Leibern der Armen«... 75 5»Nicht für eine Million Dollar würde ich das tun«das öffentliche Interesse an Mutter Teresa... 81»Sie macht Regeln, und sie bricht Regeln«... 81 Keine Zeit für fromme Sprüche... 85 Respekt statt Mitleid: Von der Kraft der Armen... 89 Armut ist kein Schicksal... 91 Eklat bei der Nobelpreisverleihung... 93 6»Ich bin bereit, auf Dich in alle Ewigkeit zu warten«das verborgene Ringen zwischen Lachen und Verzweiflung... 101 Ein»Bohemien«, der Gottes Liebe ausstrahlt... 101»In mir ist kein Gott«... 104»Man muss durch diesen finsteren Tunnel gewandert sein«(thérèse von Lisieux)... 110 Glaube bleibt ein Wagnis... 114 7»Wahre Liebe muss wehtun«wo die Wurzeln ihrer Kraft lagen... 121 Ein Blumenstrauß für Jesus... 121»Ich denke nie über Geld nach, es kommt stets«... 123 Gott eine Liebesgeschichte... 126»Jesus anlächeln«... 130 Ein zerbrechlicher Gott... 133 Was Heiligkeit bedeutet... 137 10

8»Wir wurden dazu erschaffen, Freude in die Welt zu tragen«das bleibende Werk der Mataji... 141 Spontan und nachhaltig... 141 Drei Saris und ein Strohsack... 144 Lieber freundlich sein, als Wunder tun... 148 Von Manila bis zur New Yorker Bronx... 151 Gettos gibt es auch in Europa... 153 Liebe beginnt zu Hause... 156»Ich bin auch eine Revolutionärin!«... 163 Menschen heilen oder Strukturen ändern?... 169»Worum es uns geht, ist der Einzelne«... 172 Epilog:»Komm, sei mein Licht«... 177 Die»schwarzen Rosen der Hoffnung«... 181 Und heute: Verehrung und Häme... 184 Zeittafel... 189 Text- und Bildquellennachweis... 191 11

Herr, mach uns würdig, unseren Brüdern und Schwestern zu dienen, die auf der ganzen Welt zerstreut sind und in Einsamkeit und Hunger leben und sterben. Herr, gib ihnen heute durch unsere Hände das tägliche Brot. Und, um unserer Liebe willen, gib ihnen Freude und Frieden. Amen.

1»Trag mich in die Löcher der Armen Komm, sei mein Licht«Der Ruf, Christus in die Slums zu folgen Bemerkenswert ist, dass sie normal war. Eine Mitschwester aus Dublin»Auch ich bin ein Offizier«Sie muss ein quicklebendiges Kind gewesen sein, überhaupt kein langweilig-durchgeistigter kleiner Engel. Ihr Bruder Lazar hat sie als blitzgescheit und redegewandt in Erinnerung:»immer selbstsicher, pfiffig, niemals wortkarg und ohne Menschenfurcht«. Und ziemlich frech! Lazar:»Sie neckte mich immer, suchte Streit, schlug mich, um mich herauszufordern, warf mich zu Boden, obwohl sie viel kleiner und zwei Jahre jünger war als ich.«damals hieß die spätere Mutter Teresa noch Agnes Gonxha Bojaxhiu; ihr Vorname Gonxha kommt aus dem Persischen und bedeutet»blütenknospe«in einem gutbür- 13

Mutter Teresa als junge Frau gerlichen albanischen Elternhaus kam sie am 27. August 1910 zur Welt, im damals türkisch beherrschten, dann serbischen, später jugoslawischen Skopje; heute ist es die Hauptstadt des unabhängigen Mazedonien. In Skopje begegneten 14

sich zu dieser Zeit Kreuz und Halbmond, muslimische Minarette standen neben der Kirche vom Heiligen Erlöser. Fünf Jahrhunderte lang hatte die Stadt zum Osmanischen Reich gehört. Albanisch und katholisch in Skopje gehörte die Familie Bojaxhiu gleich doppelt zur Minderheit; Teresas späteres unbeirrtes Festhalten an ihren Überzeugungen und ihre zähe Durchsetzungskraft haben hier ihre Wurzeln. Beruflich war der Vater durchaus erfolgreich: Er führte ein Architekturbüro, wurde Mitinhaber einer gutgehenden Baufirma, saß im Stadtrat. Als er starb, war Agnes erst neun Jahre alt. Die Mutter musste ihre beiden Mädchen und den Sohn Lazar allein großziehen; praktisch veranlagt, eröffnete sie ein Geschäft mit Stoffen und Stickereien. Agnes Jugendfotos zeigen ein ausgesprochen hübsches Mädchen mit ein wenig träumerischen Augen. Sie besuchte die Höhere Schule was nur ganz wenige albanische Mädchen in Skopje taten, zeigte Begabung für Musik. Sie hatte eine auffallend reine Sopranstimme, sang im Gemeindechor und in einem katholischen Jugendchor, glänzte bei Konzerten als Solistin und in Duetten mit ihrer Schwester. Und wenn sie mit Freundinnen Ausflüge machte, hatte sie meist ein Akkordeon oder eine Mandoline dabei. Ob Agnes tatsächlich schon mit zwölf Jahren»eine Berufung für die Armen«spürte, wie sie später in einem Interview behauptete? Jedenfalls interessierte sie sich brennend für die Arbeit der Missionare. Der albanische Katholizismus war ziemlich traditionsverhaftet, und natürlich begeisterte man sich auch im Hause Bojaxhiu für die Ausbreitung des Königreiches Christi über die ganze Erde wie Rom damals Mission definierte. 15

Als Papst Pius XI. 1925 das»christkönigsfest«einführte (als Signal gegen die Säkularisierung des öffentlichen Lebens, aber auch als Antwort auf den totalen Machtanspruch des herauf ziehenden Faschismus), war Agnes gerade fünfzehn Jahre alt. Sie verschlang die Berichte jugoslawischer Jesuiten, die im bengalischen Ganges-Delta und im Himalaja tätig waren. Drei Jahre später dann doch die Entscheidung für ein Leben in der Bengalenmission. Ihr großer Bruder Lazar war wie vor den Kopf geschlagen.»wie kannst Du Nonne werden?«schrieb er ihr entsetzt.»weißt Du, was Du tust, dass Du Dich für immer opfern, Dich lebendig begraben willst?ihre Antwort«, erinnert er sich später,»werde ich nie vergessen. Ich kam soeben aus der Militärakademie in Albanien und war vor kurzem zum Leutnant befördert worden. Ich war mächtig stolz und sehr glücklich. Du nimmst Dich so wichtig als Offizier im Dienst eines Königs von zwei Millionen Menschen, schrieb sie. Nun, auch ich bin Offizier, aber um dem König der Welt zu dienen. Wer von uns hat Recht? «Das ist schon die ganze Mutter Teresa, wie man sie bald kennenlernen sollte: selbstbewusst und demütig zugleich, unbeirrt bis zur Sturheit und entwaffnend in ihrer scheinbaren Naivität. Den Bruder hat sie schnell überzeugen können. Er räumt ein, ihr Entschluss sei im Grunde ganz logisch gewesen, inmitten einer Familie, in der Armen und Ausgestoßenen immer geholfen worden sei. Lazar:»Ich erinnere mich, dass meine Mutter einmal von einer armen Frau aus Skopje hörte, die an einem Tumor litt. Sie hatte niemand, der sie pflegte. Ihre Familie wollte sie nicht mehr, verweigerte ihr jede Hilfe und hatte sie sogar hi- 16