Wer hat an der Uhr gedreht? Beschleunigte Alterung von Polyolefinen

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Transkript:

Wer hat an der Uhr gedreht? Beschleunigte Alterung von Polyolefinen Dipl.-Ing. Helmut Zanzinger SKZ Das Kunststoff-Zentrum, Würzburg Neuigkeiten-Kolloquium Würzburg, 10. Mai 2012

Zeitstand-Rohrinnendruckversuch Phase I: duktiles Versagen durch lokales Überschreiten der Streckspannung Phase II: Bruchversagen durch langsames Risswachstum Phase III: sprödes Versagen durch thermo-oxidativen Abbau des Polymers 2

Zeitstand-Innendruckversuche Umfangsspannung [MPa] 20 10 9 8 7 6 5 4 3 2 20 C 40 C 60 C 80 C 10-2 10-1 10 0 10 1 10 2 10 3 10 4 10 5 10 6 10 7 Standzeit [h] Daten aus: Fleißner, M.: Langsames Risswachstum und Zeitstandfestigkeit von Rohren aus Polyethylen. Kunststoffe, 77 (1) 1987. 3 3 50y 6,3 MPa

Kriechverhalten konventionelle Bestimmung Zeitstandversuche Messdauer: 1.000 h bis 10.000 h (> 1 Jahr) Bedarf an zeitraffenden Prüfmethoden 4

Zeit-Temperatur-Verschiebung Hauptvorteile: - kürzere Messzeiten - geringere Kosten Nachteil: - Streuung der Messproben 5

Phase I: duktiles Versagen durch lokales Überschreiten der Streckspannung Stepped Isothermal Method (SIM) 6

Prinzip der Stepped Isothermal Method (SIM) Messung an einer Messprobe bei verschiedenen Temperaturen typische Temperaturhaltezeit : mind. 10000 s 7

Prinzip der Stepped Isothermal Method (SIM) Messung an einer Messprobe bei verschiedenen Temperaturen statische Belastung 8

Prinzip der Stepped Isothermal Method (SIM) Zerlegung in virtuell unabhängige Kriechversuche statische Belastung t = virtueller Start eines unabhängigen Kriechversuches 9

Prinzip der Stepped Isothermal Method (SIM) Zerlegung in virtuell unabhängige Kriechversuche logarithmische Auftragung virtuelle Zeitskala (t-t ) 10

Prinzip der Stepped Isothermal Method (SIM) Zeit-Temperatur-Verschiebung Masterkurve bei T 0 11

Vergleich der SIM-Methode mit konventionellen Methoden Kriechverhalten 12

Phase II: Bruchversagen durch langsames Risswachstum Full-Notch-Creep-Test (FNCT) 13

Full-Notch-Creep-Test (FNCT) DIN EN 12814-3 10 mm 10 mm Anforderung: t FNCT 1600 h für Deponiebau 14

PEHD-Vollwandrohr Riss d A = 280 mm, 20 Jahre alt Ergebnis im im FNCT: tt FNCT = FNCT 21 21 h 15

Strain Hardening Methode Phase II: Bruchversagen durch langsames Risswachstum Strain Hardening Methode 16

Strain Hardening Methode verstreckt unverstreckt Craze tip Yield Relaxed failed fibrils Strain Hardening fibril Drawing Analogie Analogy der of microscopic mikroskopischen stretching Verstreckung of fibrils der Fibrillen in the craze im Riss und and der Verstreckung stretching of des tensile Probekörpers specimen im Zugversuch 17 Kurelec et al. (2005)

Strain Hardening Methode Craze tip Yield Relaxed failed fibrils Strain Hardening fibril Drawing Stress Crystallinity Strain Hardening Disentanglement Yield Natural draw ratio 18 Strain

Zugversuch bei 80 C Universalprüfmaschine mit Temperierkammer Kraftmessdose 500 N Optische Dehnungsmessung T = 80 C v = 10 mm/min Zugstab: ISO 527-2, Typ 5B 19

Verstreckverhalten bei 80 C Technische Spannung 18 technische Spannung [MPa] 16 14 12 10 8 6 4 Rohr 1 Rohr 2 Rohr 3 2 0 0 200 400 600 800 1000 1200 1400 1600 1800 technische Dehnung [%] 20

Strain Hardening Modulus <G p > Strain Hardening Modul <G p > σ T Wahre Spannung / MPa < G p > = 1 N N σ λ i + 1 i = 1 i + 1 σ i λ i hoher <G p > niedriger <G p > 21 draw ratio Verstreckgrad λ

Verstreckverhalten bei 80 C Wahre Spannung wahre Spannung [MPa] 200 Rohr 1: <G p > = 15,3 MPa Rohr 2: <G p > = 20,8 MPa Rohr 3: <G p > = 31,7 MPa 150 100 50 0 0 2 4 6 8 10 12 14 16 18 Verstreckgrad [-] 22

FNCT vs. <G p > 10000 PE 100 PE 80 Standzeit tfnct / h 1000 100 1600 h 23 10 SCHADENSFALL 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 Strain Hardening Modul <G p > / MPa

Hochdruck- Autoklavenversuche Phase III: sprödes Versagen durch thermo-oxidativen Abbau des Polymers 24

Oxidations-Beständigkeit DIN EN ISO 13438 Autoklavenlagerung 25

Versuchsbedingungen erhöhte Temperatur; typisch: 60 C bis 90 C erhöhter Sauerstoffdruck; typisch: 10 bar bis 50 bar Beschleunigung der Oxidation Lebensdauerabschätzung nach vertretbaren Versuchsdauern 6 Autoklaven: Volumen je 9 l 2 Autoklaven: Volumen je 9 l (ab 06/12) 2 Autoklaven: Volumen je 59 l (ab 07/12) 26

Versuchsdurchführung Einlagerung von Zugstäben im Hochdruck- Autoklav Entnahme von Probekörpern Durchführung mechanischer Prüfungen evtl. OIT-Messungen zur Bewertung des Stabilisatorverbrauchs 27

Zugversuchsproben nach verschiedenen Alterungsdauern Zugstäbe mit duktilem Versagen Zugstäbe mit sprödem Versagen 28

Hochdruck-Autoklavenversuche (80 C / 50bar) I II III (absolute Werte) 29

Variation der Prüfbedingungen Residual-compression Restfestigkeit / strength % [%]. 125 100 75 50 25 Kriterium: 50% Restfestigkeit 80 C / 50 bar 80 C / 20 bar 80 C / 10 bar 70 C / 50 bar 60 C / 50 bar 0 0 50 100 150 200 250 300 Incubation Einlagerungszeit time [d] / d

Lebensdauerabschätzung für PE-Rohr: Variation von Prüftemperatur und von Sauerstoffdruck > 400 Jahre ca. 100 Jahre ca. 25 Jahre Annahme einer typischen Aktivierungsenergie ca. 30 Tage BEISPIEL Anwendungstemperatur in in einer Deponie: 40 C 40 C 31

Zusammenfassung 1. Stepped-Isothermal-Method (SIM) sehr schneller Test zum Kriechverhalten und zum Zeitstandverhalten Prüfdauer: 1 d 2. Strain-Hardening-Method sehr schneller Test zur Spannungsrissbeständigkeit Prüfdauer: ½ d 3. Hochdruck-Autoklavenversuche beschleunigte Alterung unter anwendungsnahen Temperaturen Langzeitaussagen zur Beständigkeit gegen thermo-oxidativen Abbau Prüfdauer: wenige Wochen 32

Wer hat an der Uhr gedreht? Beschleunigte Alterung von Polyolefinen präsentiert von: Helmut Zanzinger unterstützt durch die Kollegen: Frédéric Achereiner Kurt Engelsing Sebastian Hausmann Sashikiran Reddy Sama Mirko Wenzel Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! 33