Kreuzeskirche Marxloh Predigt in der Christmette 2009

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3. Die Feier des Gottesdienstes, Teil I

Transkript:

Kreuzeskirche Marxloh Predigt in der Christmette 2009 Die Geburt Jesu Christi geschah aber so: Als Maria, seine Mutter, dem Josef vertraut war, fand es sich, ehe er sie heimholte, dass sie schwanger war von dem Heiligen Geist. Josef aber, ihr Mann, war fromm und wollte sie nicht in Schande bringen, gedachte aber, sie heimlich zu verlassen. Als er das noch bedachte, siehe, da erschien ihm der Engel des Herrn im Traum und sprach: Josef, du Sohn Davids, fürchte dich nicht, Maria, deine Frau, zu dir zu nehmen; denn was sie empfangen hat, das ist von dem Heiligen Geist. Und sie wird einen Sohn gebären, dem sollst du den Namen Jesus geben, denn er wird sein Volk retten von ihren Sünden. Das ist aber alles geschehen, damit erfüllt würde, was der Herr durch den Propheten gesagt hat, der da spricht (Jesaja 7,14):»Siehe, eine Jungfrau wird schwanger sein und einen Sohn gebären, und sie werden ihm den Namen Immanuel geben«, das heißt übersetzt: Gott mit uns. Als nun Josef vom Schlaf erwachte, tat er, wie ihm der Engel des Herrn befohlen hatte, und nahm seine Frau zu sich. Und er berührte sie nicht, bis sie einen Sohn gebar; und er gab ihm den Namen Jesus. Matthäus 1, 18-25 Liebe Gemeinde, als ich unserem Lektor den biblischen Text gab, der heute in der Christmette vorgelesen werden sollte, war er doch ziemlich überrascht. Das ist doch nicht die Weihnachtsgeschichte nach Lukas. Nicht die Geschichte, die wir am Heiligabend immer vorlesen. Hier handelt es sich doch um eine ganz andere, zumindest nicht um die übliche Geschichte von der Geburt Jesu. Ja, das stimmt. Gerade hatten wir die Geschichte von der Geburt Jesu gehört, wie sie Matthäus erzählt. 1

Jede der vier Evangelisten macht das auf seine Art. Johannes wir hörten es eingangs beschränkt sich auf den kurzen Satz: Das Wort ward Fleisch. Markus berichtet uns gar nichts darüber und fängt gleich mit dem öffentlichen Auftreten Jesu an. Für ihn scheint es Weihnachten gar nicht zu geben. Anders Matthäus, der uns aber eher davon berichtet, was sich zwischen Maria und Josef abspielt und die Geburt Jesu fast nur beiläufig erwähnt. Lukas dagegen erzählt sehr ausführlich von jener Nacht in Bethlehem. Er ist es damit, der unsere Vorstellung von Weihnachten, ja von Heiligabend schlechthin geprägt hat. Wann immer wir an Weihnachten denken, dann haben wir wohl immer vor Augen, was Lukas erzählt hat: Die Reise von Maria und Josef nach Bethlehem aus Anlass der Volkszählung von Kaiser Augustus, die vergebliche Suche nach einer Herberge, die Krippe, die Hirten auf dem Felde, die Engel mit ihrer Botschaft. Kein Krippenspiel, zu dem Lukas nicht wenigstens die Grundhandlung liefert. Der Name Krippenspiel zeigt es schon an. Es ist ungefähr so, als würden die anderen biblischen Zeugen, die auch von der Geburt Jesu berichten, nur an den Pfeilern dieser Kirche rund um uns stehen, mehr im Dunkeln und am Rande, während Lukas hier vorne Aufstellung genommen hatte, alle auf ihn warten und ihm zurufen: Lukas erzähle uns noch einmal die Weihnachtsgeschichte. Du kannst das am Besten. Die anderen geben sich so wenig Mühe. Nur müssen wir wohl aufpassen, dass uns diese Geschichte nicht auch zur bloßen Weihnachtsdekoration gerät, wie das Tannengrün, die elektrischen Sterne, die Kerzen, die Weihnachtsdecke und was es noch alles gibt. Noch etwas kommt hinzu, was unsere Vorstellung von Weihnachten bestimmt und dann auch die Art und Weise, wie die meisten dieses Fest feiern oder doch zumindest zu feiern wünschen. Etwas, das in dem eher katholischen Lied Stille Nacht, heilige Nacht besonders hervorgehoben wird: 2

Alles schläft, einsam wacht nur das traute, hochheilige Paar. Holder Knabe im lockigen Haar, schlaf in himmlischer Ruh. Eine Familienidylle wird da geradezu beschworen. Eine Idylle, die durch die wenig behaglichen Umstände eines Stalls und einer Futterkrippe eher noch verstärkt wird. Das ist schon fast das Ideal einer Kleinfamilie. Vater, Mutter und Kind sind da ganz harmonisch zusammen. Eine kleine Gemeinschaft, die sich selbst genug zu sein scheint. Ein Idealbild, das dann zum Maßstab für Weihnachten und Familie wird. Weihnachten als das Fest, wo die Familie zusammenkommt und wo es doch auch harmonisch zugehen soll. Ein Ideal, das aber doch eher belastend als befreiend ist, wenn es denn zuhause nicht entsprechend harmonisch abläuft oder wenn jemand Weihnachten nicht im Kreis einer Familie verbringen kann. Das große Gewicht, das zu Weihnachten die Familie bekommt, scheint sich jedoch nahezulegen, da wir stets diese Szene im Stall vor Augen haben: die Mutter mit dem Neugeborenen, der Vater an ihrer Seite. Da passt kein Blatt mehr zwischen diese innige Dreisamkeit. Jeder und jede, die dann noch hinzukommen, können nur den Status von Gästen, von Besuchern haben. Sie treten auf, sie beten an, sie geben Geschenke ab und gehen dann wieder. An ein Bleiben, an eine echte, dauerhafte Zugehörigkeit ist nicht zu denken. Alle anderen gehören eben nicht zur Familie. So bleibt man im Grunde unter sich. Der Stall erscheint fast wie eine neubezogene Wohnung, ja wie ein Eigenheim. Selbst Ochs und Esel, von denen bei Lukas kein Wort steht, die aber bei keiner Krippe fehlen, wirken darauf eher wie die Haustiere dieser Familie, gewissermaßen ein Ersatz für Hund und Katze, für den Kanarienvogel oder das Meerschweinchen. So mancher Wunsch und manche Sehnsucht nach einer heilen, intakten Familie wird da wohl auf diese Szene übertragen. Und es schwingen sicherlich auch die eigenen Kindheitserinnerungen an diese besondere Nacht mit. 3

Dennoch bleibt es schon erstaunlich, dass ein solch ideales Familienbild in den Vordergrund treten konnte. Erstaunlich zunächst einmal, wenn man sich vor Augen hält, was später aus dem Jungen wird, der jetzt noch so friedlich in der Krippe schläft. Jesus ist nämlich, so erzählen es alle vier Evangelisten recht einhellig, alles andere als ein Familienmensch. Er übernimmt nicht den väterlichen Betrieb, übt nicht wie sein Vater den Beruf eines Zimmermanns aus, schlägt aus der Art, geht seine eigenen Wege und sondert sich von seiner Familie ab. Bereits der Zwölfjährige macht sich selbständig und muss von seinen Eltern gesucht werden. Auf den Vorwurf seiner Mutter hin: Mein Sohn, warum hast du uns das angetan? Siehe, dein Vater und ich haben dich mit Schmerzen gesucht, antwortet der junge Jesus: Warum habt ihr mich gesucht? Wisst ihr nicht, dass ich sein muss in dem, was meines Vaters ist. Das, was seines Vaters ist, ist aber der Tempel, das Haus Gottes, wo das ganze Volk Hilfe und Heil sucht, und nicht die Werkstatt Josefs, in der Tische oder Stühle gezimmert werden. Man kann fast sagen: Mit dem Jung stimmt was nicht. Später wird dann sogar erzählt: Als er noch zu dem Volk redete, siehe, da standen seine Mutter und seine Brüder draußen, die wollten mit ihm reden. Da sprach einer zu ihm: Siehe, deine Mutter und deine Brüder stehen draußen und wollen mit dir reden. Er antwortete aber und sprach zu dem, der es ihm ansagte: Wer ist meine Mutter und wer sind meine Brüder? Und er streckte die Hand aus über seine Jünger und sprach: Siehe da, das ist meine Mutter und das sind meine Brüder! Würde es nicht um Jesus handeln, würden wir wohl sagen: Das ist aber frech. Doch beim erwachsenen, beim öffentlichen auftretenden Jesus sind wir es gewohnt, ihn ohne seine Familie zu sehen. Und kommt sie dennoch in Erscheinung, dann ist sie es, die nun stört. Zu seiner wirklichen Familie zählt Jesus die Menschen, die sich von ihm ansprechen und rufen lassen, die ihm nachfolgen, die, wie er dann erläutert, den Willen seines Vaters im Himmel tun, 4

nicht seine leiblichen Angehörigen, seine Mutter und seine Brüder, die draußen stehen und ihn wahrscheinlich wieder nach Hause holen wollen. Mit seinen leiblichen familiären Bindungen bricht er hier geradezu und setzt an ihre Stelle eine neue Familie: seine Gemeinde. Nun mag das alles später geschehen und anscheinend noch nicht zu dieser Nacht zu gehören. Da könnte doch noch Raum und Zeit für die Familie im engeren Sinne sein, für das hochheilige Paar und den Knaben mit lockigem Haar und damit auch für unsere Vorstellungen von einem idealen Familienleben und für den Vorrang der Familie, den es dann für den erwachsenen Jesus nicht mehr gibt. Dass mit dem Jungen von Anfang an was nicht stimmt und es darum auch von Anfang an nicht wie in einer sogenannten normalen und auch nicht wie in einer idealen Familie zugeht, berichtet dagegen Matthäus. Es wäre nämlich vor der Geburt Jesu fast zur Trennung zwischen Maria und Josef gekommen. Josef hatte schon den Entschluss gefasst, sich von seiner Verlobten zu scheiden, als sie schwanger wurde. Zwar wollte er sie nicht bloßstellen. Er wollte keinen öffentlichen Prozess wegen Ehebruchs gegen sie anstrengen. Aber er war doch fest entschlossen, zumindest in aller Stille und ohne großes Aufheben mit ihr Schluss zu machen. Sein Wunsch, eine normale Familie zu gründen, eine den Normen seiner Zeit auch entsprechende Familie, erscheint jetzt unerfüllbar. Der Traum vom heilen Familienleben zerplatzt. Nun scheint es keinen anderen Ausweg als die Trennung zu geben. Erst durch Gottes Eingreifen, erst durch einen Engel, der ihm im Traum erscheint, lässt er sich davon abbringen: Josef, du Sohn Davids, fürchte dich nicht, Maria, deine Frau, zu dir zu nehmen; denn was sie empfangen hat, das ist von dem Heiligen Geist. Und sie wird einen Sohn gebären, dem sollst du den Namen Jesus geben, denn er wird sein Volk retten von ihren Sünden. Diese Intervention Gottes verhindert die endgültige Trennung. Josef macht dann auch alles, was ihm da aufgetragen wird. 5

Aber er tut es nicht von sich aus, nicht in erster Linie Maria zuliebe, nicht in der Einsicht, dass die Liebe zueinander doch größer ist und man das alles nun gemeinsam durchstehen will, nicht aus einer dann doch erwachten Vaterliebe heraus, nicht einmal aus einem eigenen Verantwortungsgefühl für Mutter und Kind, nein, allein aus Gehorsam gegenüber diesem Auftrag Gottes. So bleiben die beiden zwar zusammen, aber wie sich Josef, der Zimmermann, ursprünglich wohl eine Familie gewünscht und vorgestellt hat, dazu kommt es nicht. Denn dieser Auftrag, die Botschaft des Engels zielt nicht darauf, eine einzelne Familie zu retten, sondern das ganze Volk. Wo es um die Rettung des ganzen Volkes geht, da ist kein Platz mehr für die Träume von einem privaten Glück, für ein trautes Heim, Glück allein. Da kann es, wie ein Philosoph einmal gesagt hat, kein richtiges Leben im Falschen geben. Eine bittere und ernüchternde, aber zugleich befreiende und wegweisende Einsicht und Lebenswende beschert ihm der Engel im Traum. Bitter und ernüchternd ist sie, weil seine Lebensplanung gescheitert ist und er seinen Wunsch nach einer richtigen, intakten, heilen Familienleben aufgeben muss. Befreiend und wegweisend ist sie aber auch, weil er nun frei wird für den Plan Gottes, aktiv teilnimmt an Gottes rettendem Handeln und sich in den Dienst einer größeren Sache, eines größeren Zusammenhangs stellt. Es gibt da nämlich eine wesentliche größere, jedoch völlig zerrüttete und zerstrittene Familie, eine viel schwerwiegendere Trennung und Scheidung und eine Unzahl von verlorenen Söhnen und Töchtern, von Kindern eines Vaters, die dieser aber nicht verloren geben, sondern retten will. Zuerst zu den verlorenen Schafen Israels weiß sich Jesus gesandt, zu den Abgeschriebenen, den Ausgegrenzten und Verstoßenen. Doch daraus entsteht die größte Familienzusammenführung aller Zeiten. Menschen auch aus allen anderen Völkern und Ländern, Nahe und Ferne, sie alle, gleichgültig, ob verwandt oder verschwägert, sollen zu einer Familie werden. 6

Lassen wir uns einmal darauf ein, folgen wir dieser Botschaft des Engels und sehen, wie sich das Krippenbild, die Szene im Stall von Bethlehem verändert. Hinten auf unserem Liedblatt finden wir noch solch ein traditionelles Weihnachtsbild. Aber nun stellen wir uns einmal vor, wie sich der Kreis der Menschen um das Kind immer mehr erweitert. Da steht nicht mehr das Paar mit dem Kind, die kleine Familie im Mittelpunkt, während alle anderen nur vorübergehend als Gäste hinzutreten können. Nein, immer mehr und immer neue Menschen finden sich dort dauerhaft ein. Sie bleiben und gehören für immer dazu. Die Jünger, die alles verlassen haben, auch ihre Familien, stehen nun da. Da kommen all die Aussätzigen, Blinden, Tauben, Lahmen, Besessenen, die er geheilt hat, hinzu, dann die vielen anderen, bei denen er eingekehrt ist, dann die ersten Gemeinden, dann die vielen Christinnen und Christen über die Jahrhunderte hinweg. Noch mehr erweitert sich der Kreis: immer mehr kommen hinzu, all die vielen, die jetzt auf der ganzen Erde Weihnachten feiern, auch Menschen hier bei uns, in unserer Stadt, in unserem Stadtteil. Es tauchen Menschen auf, die wir kennen, sogar Verwandte, aber auch Unbekannte, mit denen wir nie etwas zu tun hatten und die jetzt auch dazu gehören, Menschen aus intakten und aus gestörten Familien, auch viele, die vereinsamt waren. Wir sehen dann auch die Menschen, die sich hier an der Kreuzeskirche aufhalten oder hier arbeiten. Und alle, ob sie verwandt sind oder nicht, ob sie sich kennen oder nicht, sind durch dieses Kind in der Krippe miteinander verbunden. Eine die Erde umspannende und vor Ort sichtbare Gemeinschaft. Eine globale Familie durch Jahre und Jahrhunderte hindurch, und alle leben eben von diesem Immanuel. Allen ist das eben zugesagt: Gott mit uns. Gott mit uns, nicht für den kleinen Kreis einer einzelnen Familie, sondern für Menschen aus allen Völkern und Ländern. Das ist es, was in Bethlehem seinen Anfang nahm. Und wir sind mitten drin. Amen Hans-Peter Lauer 7