Karfreitag Liebe Gemeinde!

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Transkript:

Karfreitag 2015 Wir hören als Predigttext das Evangelium zum Karfreitag nach dem Evangelisten Johannes. Sein Bericht unterscheidet sich in auffallender Weise von den Kreuzigungsberichten der drei ersten Evangelien. Viele historische Züge treten hier zurück. Und ins Bild tritt ganz der Eine, der alles mit sich machen lässt und doch alles in Händen hat; der, mit Gewalt hinaus geschafft, nun nie mehr aus der Welt zu schaffen ist. Und der weiterspricht, wo wir alle abbrechen müssen. Joh. 19, 16-30 Pilatus übergab ihnen Jesus, dass er gekreuzigt würde. Sie nahmen ihn aber und er trug sein Kreuz und ging hinaus zur Stätte, die da heißt Schädelstätte, auf Hebräisch Golgatha. Dort kreuzigten sie ihn und mit ihm zwei andere zu beiden Seiten, Jesus aber in der Mitte. Pilatus aber schrieb eine Aufschrift und setzte sie auf das Kreuz; und es war geschrieben: Jesus von Nazareth, der König der Juden. Diese Aufschrift lasen viele Juden, denn die Stätte, wo Jesus gekreuzigt wurde, war nahe bei der Stadt. Und es war geschrieben in hebräischer, lateinischer und griechischer Sprache. Da sprachen die Hohenpriester der Juden zu Pilatus: Schreib nicht: Der König der Juden, sondern dass er gesagt hat: Ich bin der König der Juden. Pilatus antwortete: Was ich geschrieben habe, das habe ich geschrieben. Als aber die Soldaten Jesus gekreuzigt hatten, nahmen sie seine Kleider und machten vier Teile, für jeden Soldaten einen Teil, dazu auch das Gewand. Das war aber ungenäht, von oben an gewebt in einem Stück. Da sprachen sie untereinander: Lasst uns das nicht zerteilen, sondern darum losen, wem es gehören soll. So sollte die Schrift erfüllt werden, die sagt: Sie haben meine Kleider unter sich geteilt und haben über mein Gewand das Los geworfen. Das taten die Soldaten. Es standen aber bei dem Kreuz Jesu seine Mutter und seiner Mutter Schwester, Maria, die Frau des Klopas, und Maria von Magdala. Als nun Jesus seine Mutter sah und bei ihr den Jünger, den er lieb hatte, spricht er zu seiner Mutter: Frau, siehe, das ist dein Sohn! Danach spricht er zu dem Jünger: Siehe, das ist deine Mutter! Und von der Stunde an nahm sie der Jünger zu sich. Danach, als Jesus wusste, dass schon alles vollbracht war, spricht er, damit die Schrift erfüllt würde: Mich dürstet. Da stand ein Gefäß voll Essig. Sie aber füllten einen Schwamm mit Essig und steckten ihn auf ein Ysoprohr und hielten es ihm an den Mund. Als nun Jesus den Essig genommen hatte, sprach er: Es ist vollbracht!, und neigte sein Haupt und verschied. Liebe Gemeinde! Es geschah an einem Freitagmittag, vermutlich am 7. April des Jahres 30, gegen 15 Uhr. Der Schauplatz des Geschehens lag unmittelbar vor den Mauern Jerusalems. In den Augen seiner Bevölkerung war es nichts Außergewöhnliches: Legionäre schlugen Verurteilte ans Kreuz. Drei waren es diesmal: Zwei jüdische Aufständische, Terroristen, 1

Räuber, wie die Römer sie nannten. Und der berühmte Rabbi aus Nazareth. Kreuzigungen fanden häufig statt in jener Zeit. Und doch: An diesem Kreuz des Rabbi Jesus ist etwas geschehen, was die Welt verändert hat; etwas, das, wie nichts vorher oder nachher, die Wahrheit über den Menschen und die Wahrheit über Gott ans Licht gebracht hat. Darum versammeln sich seit diesen 2000 Jahren über den ganzen Erdball hin Menschen um dieses Kreuz. Darum sind wir heute, an diesem Karfreitag des Jahres 2015, beisammen: Nicht um eines großen Toten zu gedenken, sondern um als seine Gemeinde und in Gemeinschaft mit seiner ganzen Kirche auf Erden, an allen Orten und zu allen Zeiten, dankbar zu bekennen: Ich glaube, dass dieser Gekreuzigte, dass Jesus Christus sei mein Herr. Aber, l. Gemeinde, ist das wirklich unser Bekenntnis? Und was sagen wir damit? Wissen wir, was dieses Bekenntnis bedeutet? Mit diesem Bekenntnis treten wir ja selber ein in das, was an jenem Freitag vor den Toren Jerusalems geschehen ist. Mit diesem Bekenntnis wird jene Geschichte zu unsrer Geschichte. So haben es dann auch nicht nur die Prediger, sondern die Dichter, die Musiker, die Maler über die Jahrhunderte der Menschheit vor Augen gestellt. Und sie haben es darum immer getan in der Sprache, den Ausdrucksmöglichkeiten, den Bildern ihrer eigenen Zeit. Die Passion Christi das wussten diese Künstler alle, ob sie Bach oder Penderezcki, ob sie Grünewald oder Hap Grieshaber hießen die Passion Christi ist nicht einfach ein historisches Ereignis. Sie umfasst die Jahrhunderte. Sein Kreuzweg kommt aus der Tiefe der Zeit herauf und kreuzt unsren Weg. Wo aber sein Weg den unsren kreuzt, muss eine Entscheidung fallen: Unser Weg oder sein Weg? Wir müssen entscheiden. An diese Entscheidung erinnert uns jeder Karfreitag. Jeder Karfreitag stellt uns vor sie. Auch und gerade die Karfreitage auf dem Kalender unsres eigenen Lebens: jene Tage, Ereignisse, Krisen, in denen unser bisheriger Weg unversehens auf den Kreuzweg Jesu traf. Darum kann ich in dieser Karfreitagspredigt nichts anderes tun, als Sie zu bitten, mit mir an den 5 Bildern entlang zu gehen, in die hinein der 4. Evangelist die Wahrheit des Kreuzwegs Jesu verdichtet hat. Und darauf zu achten, wo wir uns darin wiederfinden. Denn dieser Weg ist der Weg Gottes mit dem Menschen. Es ist der Weg der Liebe. Hier begegnen wir unsrem Gott. Darum, so zeigt es Johannes im 1.Bild, trägt Jesus sein Kreuz hier ganz allein. Keinem anderen lädt er es auf. Hier ist kein Simon von Kyrene, der es ihm abnimmt. Was hier zu vollbringen ist, er tut es ganz allein für uns alle. In dieser geistgewirkten Vision, in der der Evangelist Johannes den Kreuzweg sieht, ist Jesus der Handelnde, er allein. Er allein trägt und bestimmt das Geschehen. Und Gott? 2

Anders als in den anderen Evangelien ist hier von Gott in diesem ganzen Geschehen überhaupt nicht die Rede. Kein Schrei: Mein Gott, warum...? Keine Bitte: Vater, vergib ihnen! Kein letztes: Vater, in deine Hände.... Gott ist hier auf eine merkwürdige Weise abwesend. Und er ist zugleich auf eine unvergleichliche Weise anwesend. Denn hier ist nun Christus ganz eins mit dem Vater. Hier gilt uneingeschränkt sein Wort: Wer mich sieht, der sieht den Vater. Dieser Weg ist der Weg Gottes selbst: Gottes Weg zu uns. Wie kann Gott das zulassen? Das ist ja nicht nur eine Konfirmandenfrage angesichts von Gewalt und Unrecht und angesichts all des Elends all der Millionen Menschen, die jetzt wieder von Krieg, von furchtbarem Terror und Katastrophen betroffen sind. Wo ist Gott wenn Unschuldige sterben und die Schuldigen davonkommen? Hier, sagt der Evangelist Johannes, hier ist Er. Hier siehst du ihn. Aber nicht als Zuschauer droben im Licht, nicht als den allmächtigen Schicksalslenker in himmlischen Höhen. Nicht auf der Seite der Unbekümmerten und derer, die fast immer oben auf sind. Auch nicht auf der Seite der Mächtigen und ihrer Institutionen. Sondern ganz und für immer auf der Seite der Opfer. Er ist eines von ihnen. Seht, da ist euer Gott! Darum trägt er sein Kreuz, er selber. Darum ist es der Weg aller Leidenden, Erleidenden, den er jetzt geht. Und es ist von Bedeutung, wenn Johannes betont: Sie kreuzigten mit ihm zwei andere zu beiden Seiten; Jesus aber mitten inne. Also inmitten der Kreuze dieser Erde, an einem von ihnen. Mitten zwischen den Leidenden, als einer von ihnen. Mitten zwischen den Ausgestoßenen, den Verurteilten, als einer von ihnen. Für alle die Namenlosen steht nun Sein Name. Schulter an Schulter mit denen, über die man den Stab gebrochen hat, vollendet sich das Werk seiner Liebe. Dahin führt der Weg Gottes. Dort erfüllt sich die Sendung Jesu. Denn (das zeigt das 2.Bild) auf diesem Weg wird zum ersten und einzigen Mal in der Geschichte Jesu öffentlich bekannt gemacht, wer er wirklich ist: Pilatus aber schrieb eine Überschrift und setzte sie auf das Kreuz in der Amtssprache und in der Weltsprache: Jesus von Nazareth, der Juden König. So seltsam, l. Gemeinde, so fremd und so wunderbar macht Gott sich kund. So gegen allen Augenschein richtet Christus seine Herrschaft auf: Nicht auf den Bannern des Sieges, sondern am Kreuz des Ausgestoßenen; nicht mit einer Demonstration der Macht, sondern in der Demonstration erschütternder Ohnmacht. Warum gerade so und nur so? Vielleicht, l. Christen, weil die Liebe nur dann Liebe bleibt, wenn sie auf die Macht verzichtet. Vielleicht, weil der eigentliche Ort der Gottesherrschaft eben dort ist, wo Menschen leiden: bei den Gekreuzigten, nicht bei den Gekrönten der Erde. Christus herrscht, Gott sei Dank! Aber er herrscht als der Gekreuzigte. Das sollen wir nie vergessen. Über solche Herrschaft schütteln die, die an den Schalthebeln der Macht 3

sitzen, ihre Köpfe seit den Tagen des Pilatus und die Frommen wehren sich dagegen seit den Tagen des Hohepriesters. Doch so und nicht anders lässt Er seine Herrschaft verkündigen: als das Wort vom Kreuz. So und nicht anders will er unser König sein. Aber: wollen wir ihn so? Das 3.Bild: Zum Kreuzweg der Liebe Gottes gehören auch Soldaten, die Säulen des Imperiums, die Legionäre Roms. Was tun sie an diesem Weg? Sie erfüllen ihre Pflicht. Sie garantieren die Sicherheit des Staats nach außen und nach innen. Sie führen ihre Befehle aus und fragen nicht, was aus ihrem Einsatz wird. So bleiben zurück, immer und immer wieder, die Opfer: hier ein nackter Mensch, nun ganz schutzlos, ganz preisgegeben, ganz seiner Würde entkleidet. Christus ist eines dieser Opfer geworden: Opfer der Herrschenden, der politischen und der religiösen Gewalt. Ganz in der Menschen Hände, und doch ganz auch in Gottes Hand. Denn auch in dem, was die Legionäre hier tun, erfüllt sich die Schrift, erfüllt sich sein Weg. Solches taten die Soldaten. Und dann sind da, gleichsam als Gegenstück, an seinem Weg die Frauen: das 4.Bild. Was tun sie? Ach, sie können so wenig tun, wo Befehle ausgeführt und Kreuze errichtet werden und wo Politiker ihre Hände in Unschuld waschen. Aber sie tun eines: Sie stehen da. Sie harren aus. Sie halten auch ihre Ohnmacht, ihre Ratlosigkeit aus ohne davonzulaufen, wie die Jünger das taten. Es ist, als wolle der Evangelist uns sagen: Achtet auf die Frauen! Sie sind es, neben den Soldaten, die dem Kreuz am nächsten stehen. Und, ohne es zu wissen, sind sie die einzigen, die in ihrer ohnmächtigen Treue dem Gekreuzigten beistehen. Und so gehören gerade sie zu dem Evangelium, das sich hier erfüllt. Es ist, als wolle der Evangelist uns daran erinnern, dass es immer wieder Frauen waren, die da stehen, wo wir alle, wo die Kirche, die Gemeinde Jesu stehen und aushalten müsste: bei den Kreuzen der Welt, inmitten derer unser Herr sein Werk vollbringt. Sein Werk: Dazu gehört auch das, worauf im 5. und letzten Bild Johannes als einziger unsren Blick richtet. Er tut es in einer kleinen und doch zentralen Szene: Da Jesus seine Mutter sah und den Jünger dabeistehen, den er lieb hatte, spricht er zu seiner Mutter: Frau, siehe, das ist dein Sohn. Danach spricht er zu dem Jünger: Siehe, das ist deine Mutter! Und von der Stund an nahm sie der Jünger zu sich. Das klingt im Munde Jesu wie ein Vermächtnis. Was will der Evangelist damit sagen? Manches spricht dafür, dass diese Szene symbolisch zu verstehen sei. Und viele Ausleger haben viele Deutungen dafür angeboten. Für mich die schönste: Die Mutter Jesu stehe für das Judentum, der geliebte Jünger für Jesu Gemeinde. Doch dem widersprach die Realität schon zur Zeit des Johannes. Deshalb halte ich mich an den schlichten Wortsinn, und den verstehe ich so: dass die Liebe ihren Weg nicht gehen kann 4

über die anderen hinweg. Dass sie ihren Weg nicht vollenden kann ohne letzte Fürsorge. Jesus war kein Ideologe. Und er stirbt nicht für eine Idee. Er stirbt für die Menschen und so behält er sie bis zuletzt im Blick. Wie er geliebt hatte die Seinen, so liebte er sie bis ans Ende, lesen wir wenige Kapitel vorher. Und der Chor in Bachs Johannespassion singt zu unsrer Stelle: Er nahm alles wohl in acht in der letzten Stunde... und: O Mensch, mache Richtigkeit/ Gott und Menschen liebe. Gott und Menschen, l. Gemeinde! Denn wenn einer sagt, er liebe Gott, und vergisst seinen Bruder, der ist ein Lügner. Gott ist uns nicht länger ein ferner und fremder Gott. Sondern nun hören wir vom Kreuz her sein Wort: Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende. Die Nacht der Welt, die Nacht von Unrecht und Gewalt, von Leid und Tod ist keine lichtlose, keine endlose Nacht mehr. Denn Er, er selber führt nun durchs Dunkel uns ins Licht. L. Gemeinde: Gott hat unser Leben gelebt bis in die letzte Tiefe hinein, damit uns Sein Leben offen stehe, auch in der Tiefe. Durch Jesus Christus, in dem Gottes Liebe ans Ziel kam, zu uns kam, ganz und für immer. Es ist vollbracht. Gott sei Dank! Amen. Jedenfalls: Unter dem Kreuz Jesu soll keiner verlassen und einsam zurückbleiben. Jesus fügt die, die er zurücklassen muss, zusammen zu einer neuen Familie. Und diese Familie realisiert sich in seiner Gemeinde. Und es gehört zu seinem Vermächtnis an diese Gemeinde, dass wie er, so auch sie die Verlassenen, die Betrübten, die menschlicher Hilfe Bedürftigen nicht allein lasse. Darum: O Mensch, mache Richtigkeit: Gott und Menschen liebe! Denn in dieser Liebe erfüllt sich der Weg unsres Herrn. Und darum nun der Schluss: Danach, da Jesus wusste, dass schon alles vollbracht war.... Hören wir es, l. Gemeinde: Alles vollbracht nicht erst am Ostermorgen, sondern schon hier am Kreuz! Alles vollbracht : Vollbracht der Weg Gottes zum Menschen in der Liebe Jesu. Vollbracht der Friede Gottes, in dem wir nun leben dürfen und sterben können. Erfüllt alles, was die Schrift geahnt und gehofft, geglaubt und ersehnt hat: 5