Predigt für die Trinitatiszeit (11.So.n.Trinitatis)

Ähnliche Dokumente
Predigt zu Lukas 7, 36-50

Predigt von Prof. Dr. Eberhard Hahn in Unterschwaningen über Lukas 7,36-50

hast. Vielleicht helfen dir meine Gedanken zu verstehen, warum das alles so passiert ist. So soll es sein Amen.

Gottesdienst in Ronsdorf am Predigt zu Lukas 7,36-50

Lukas 7, nach NGÜ

ERSTE LESUNG 2 Sam 12,

Predigt für einen Sonntag in der Trinitatiszeit (18.)

Was suchst du? Predigt zu Joh 1,35-42 (GrE, 13. So n Trin, )

Scham oder Würde. Welche Art von Scham, Schande, Peinlichkeit, oder Entwürdigung kennst du persönlich?

Nur die Liebe zählt Predigt zu Lukas 7, 36-56

Predigt für einen Sonntag in der Trinitatiszeit (11.) Die Gnade des Heiligen Geistes erleuchte unsere Herzen und Sinne.

Predigt für die Trinitatiszeit (20.) Gnade sei mit uns und Friede, von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus.

WORTGOTTESDIENST IM JULI 2016 Fest Mariä Heimsuchung ( 2. Juli )

Rosenkranz der Liebe Gottes zu den Menschen

Predigt für die Osterzeit (Quasimodogeniti) Die Gnade des Heiligen Geistes erleuchte unsere Herzen und Sinne.

Predigt zu Lukas 14,

Predigt für einen Sonntag in der Trinitatiszeit. Friede sei mit uns von Gott dem Vater und unserem Herrn Jesus Christus.

Beweis der Liebe. Gottes

Predigt zu einem Sonntag in der Trinitatiszeit (9.)

Predigt (1.Joh 4,16-21): Kanzelgruß: Gnade sei mit uns und Friede von Gott, unserem Vater und unserem Herrn Jesus Christus. Amen.

doch am größten unter ihnen ist die Liebe

Predigt zum Fenster Vergebung, Lk 7,36-50

Predigt für die Epiphaniaszeit (2.) Kanzelgruß: Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, die Liebe Gottes und

Hintergrundinformationen zu Lukas 7,36-50 Die Sünderin

1 4. Sonntag / Fastenzeit Predigt 2010

Predigt zum Christfest. Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen.

Predigt für das Osterfest. Der Herr ist auferstanden. Er ist wahrhaftig auferstanden.

Gottesdienst am ( ) Predigt (Lk 7,36-50)

Predigt zum Thema Wann ist ein Christ ein Christ?

I. Wäre dieser ein Prophet, sagt sich der Gastgeber Simon, so wüsste er, wer das ist, was für eine Frau ihn da berührt, nämlich eine Sünderin.

Predigt zum Thema Sag die Wahrheit : Kanzelgruß: Gnade sei mit uns und Friede von Gott, unserem Vater und unserem Herrn Jesus Christus. Amen.

Predigt zum 22. Sonntag nach Trinitatis

Predigt für die Passionszeit (Invokavit) Gnade sei mit uns und Friede von Gott, unserem Vater, und unserem Herrn Jesus Christus.

Predigt für die Weihnachtszeit

Predigt für die Epiphaniaszeit. Kanzelgruß: Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserem Vater, und unserem Herrn Jesus Christus. Amen.

Bausteine für den Gottesdienst 3. Sonntag nach Trinitatis, Vorspiel

Lukas 7, / Wem viel vergeben ist, der liebt auch viel! Dein Glaube hat dir geholfen; geh hin in Frieden! V. 50 Eine schönere Verabschiedung

Die Gnade. Liebe Gemeinde! Der vorgeschlagene Predigttext für den diesjährigen 17.S.n.Tr. steht im Brief des Paulus an die Römer, im 10. Kapitel.

Offenbarung hat Folgen Predigt zu Mt 16,13-19 (Pfingsten 2015)

Gott schenke uns ein Wort für unser Herz und ein Herz für sein Wort. Amen

Predigt für einen Sonntag in der Trinitatiszeit. Die Gnade des Heiligen Geistes erleuchte unsere Herzen und Sinne.

Predigt für die Epiphaniaszeit (1.)

PREDIGT: Epheser Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen.

Gottes Gnade genügt - 1 -

Predigt für einen Sonntag in der Trinitatiszeit (13.) Lied vor der Predigt: Bei Gott bin ich geborgen Beiheft zum ELKG 802

Predigt zu allein die Schrift und allein aus Gnade am Reformationstag 2017

Predigt Lukas 12, 8-12

Predigt für die Vorfastenzeit. Die Gnade des Heiligen Geistes erleuchte unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.

Lukas 7,36 8,3. Leichte Sprache. Jesus ist zu einem Essen eingeladen

Predigt für einen Sonntag im Advent

Predigt für den Tag der Beschneidung und Namengebung Jesu (Neujahr)

Wenn Jesus kommt, verändert sich alles!

WORTGOTTESDIENST IM OKTOBER Sonntag im Jahreskreis / Lesejahr B

Führst du ein Tagebuch? Es könnte sein, dass

Gottesdienst im Januar 2018 Taufe Jesu (7.1.)

Gottesdienstreihe in Upen Frauen um Jesus Die Frau, die ihn salbte Samstag, den , Uhr

Familiengottesdienst am , dem 6. Sonntag der Osterzeit Zum Thema Freundschaft und Vertrauen

Der ungläubige Thomas denkt um

Predigt für das Christfest. Gnade sei mit uns und Friede von Gott, der in der Christnacht Mensch geworden ist, um uns zu erlösen.

Evangelische Messe anlässlich der Segnung von N.N. und N.N. am. Zu den mit * gekennzeichneten Teilen des Gottesdienstes steht die Gemeinde

Predigt zum Sonntag Laetare über Johannes 6, 51 63

Predigt am Letzten Sonntag nach Epiphanias 1. Februar 2015 Textgrundlage: 2. Mose 3,1-8a

5. Sonntag der Fastenzeit C 13. März 2016

Predigt für einen Sonntag in der Trinitatiszeit (8.) Gnade sei mit uns und Friede von Gott dem Vater und dem Herrn Jesus Christus.

Download. Schritte der Hoffnung auf dem Weg nach Emmaus. Schulgottesdienst zu Ostern. Claudia Schäble. Downloadauszug aus dem Originaltitel:

predigt am , zu johannes 2,1-11

Anspiel zu Pfingsten

Predigt für das Pfingstfest. Wir hören Gottes Wort aus dem 1. Brief des Apostels Paulus an die Korinther im 2. Kapitel:

Siehe, ich sage euch ein Geheimnis: Wir werden nicht alle entschlafen, wir werden aber alle verwandelt werden; und dasselbe plötzlich in einem

Glaubensgrundkurs Lektion 7: Buße, Bekehrung, Rechtfertigung

Predigtthema: >>Gottes Willen erkennen & Nach Gottes Willen leben<<

Predigt für die Osterzeit (Kantate)

Du bist ein Mensch und hast viele Fragen.

Leiter- und Arbeitsunterlagen

Predigt für einen Sonntag in der Trinitatiszeit (11.) Gnade sei mit uns und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus.

Lesung: Röm 10,9-17 (=Predigttext)

Hochzeit zu Kana - und Jesus mittendrin. Johannes-Evangelium Kap. 2

Glaube der berührt. Von Jesus selbst berührt, meinem Gegenüber eine Begegnung mit Jesus ermöglichen!

nähern, wie die Hirten, wie die drei Könige, die spüren: Hier ist Gott. Und sie fallen nieder und beten an.

Manuskriptservice. Wer liebt, sucht das Verlorene

Von den Forderungen der Freiheit. Mascherode,

Predigt am 2. Sonntag nach Weihnachten 4. Januar 2015 Textgrundlage: Lukas 2,41-52 Der 12jährige Jesus im Tempel

Predigt am 31. Sonntag im Jahreskreis Listrup Engden Elbergen Thema: Müssen wir vor Gott Angst haben?

Prof. Dr. Christoph Dinkel Pfarrer. Predigt über Lukas 7, Der Predigttext für den heutigen Sonntag steht in Lukas 7,36-50:

Predigt für einen Sonntag in der Trinitatiszeit (19.) Die Gnade des Heiligen Geistes erleuchte unsere Herzen und Sinne.

Predigt mit Genesis 11, 1-9 von Catharina Bluhm

Grundlagen zur Predigtserie: Glauben im Alltag

Predigt zu Johannes 14, 12-31

Predigt zum Pfingstfest. Kanzelgruß: Gnade sei mit uns und Friede von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus.

Predigt zum Vaterunser

11. Sonntag im Jahreskreis - LJ C 16. Juni 2013

Mein Kind, Vielleicht kennst du mich nicht, aber ich weiß alles über dich. Psalm 139:1 Herr, du erforschst mich und kennst mich!

Predigt zu Philipper 4, 4-7

Versöhnt mit dem Vater. Über das Geheimnis der Beichte Believe and Pray,

Predigt zur Trinitatiszeit (5.Sonntag nach Trinitatis) Die Gnade des Heiligen Geistes erleuchte unsere Herzen und Sinne.

Rolf Theobold Wunderbar in SEINEN Augen Predigt über Lk. 18, August 2015, Pauluskirche

Predigt über Johannes 11, am in Altdorf (Pfr. Bernd Rexer)

«Ich will wissen, was ich glaube!»

Lesung aus dem Alten Testament

Transkript:

Predigt für die Trinitatiszeit (11.So.n.Trinitatis) Kanzelgruß: Gemeinde: Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen. Amen. Das Wort Gottes für diese Predigt lesen wir im Evangelium nach Lukas im 7. Kapitel: 37 Und siehe, eine Frau war in der Stadt, die war eine Sünderin. Als die vernahm, dass er zu Tisch saß im Haus des Pharisäers, brachte sie ein Glas mit Salböl 38 und trat von hinten zu seinen Füßen, weinte und fing an, seine Füße mit Tränen zu benetzen und mit den Haaren ihres Hauptes zu trocknen, und küsste seine Füße und salbte sie mit Salböl. 39 Als aber das der Pharisäer sah, der ihn eingeladen hatte, sprach er bei sich selbst und sagte: Wenn dieser ein Prophet wäre, so wüsste er, wer und was für eine Frau das ist, die ihn anrührt; denn sie ist eine Sünderin. 40 Jesus antwortete und sprach zu ihm: Simon, ich habe dir etwas zu sagen. Er aber sprach: Meister, sag es! 41 Ein Gläubiger hatte zwei Schuldner. Einer war fünfhundert Silbergroschen schuldig, der andere fünfzig. 42 Da sie aber nicht bezahlen konnten, schenkte er's beiden. Wer von ihnen wird ihn am meisten lieben? 43 Simon antwortete und sprach: Ich denke, der, dem er am meisten geschenkt hat. Er aber sprach zu ihm: Du hast recht geurteilt. 44 Und er wandte sich zu der Frau und sprach zu Simon: Siehst du diese Frau? Ich bin in dein Haus gekommen; du hast mir kein Wasser für meine Füße gegeben; diese aber hat meine Füße mit Tränen benetzt und mit ihren Haaren getrocknet. 45 Du hast mir keinen Kuss gegeben; diese aber hat, seit ich herein gekommen bin, nicht abgelassen, meine Füße zu küssen. 46 Du hast mein Haupt nicht mit Öl gesalbt; sie aber hat meine Füße mit Salböl gesalbt. 47 Deshalb sage ich dir: Ihre vielen Sünden sind vergeben, denn sie hat viel Liebe gezeigt; wem aber wenig vergeben wird, der liebt wenig.

48 Und er sprach zu ihr: Dir sind deine Sünden vergeben. 49 Da fingen die an, die mit zu Tisch saßen, und sprachen bei sich selbst: Wer ist dieser, der auch die Sünden vergibt? 50 Er aber sprach zu der Frau: Dein Glaube hat dir geholfen; geh hin in Frieden! Wir beten: Gemeinde: Herr, segne du dein Evangelium an unseren Herzen. Amen. 'Ihre vielen Sünden sind vergeben, denn sie hat viel Liebe gezeigt. ' Liebe Gemeinde, ein starker, ein evangelischer Satz, der die Mitte unseres heutigen Bibelwortes ausmacht. Wir wollen versuchen, solch unbegreifliches Evangelium begreiflicher zu machen. Mit einer einfachen Geschichte macht der Evangelist Lukas einen theologischen Sachverhalt deutlich: 'die Liebe ist des Gesetzes Erfüllung.' Das hört sich so leicht an and ist doch so schwer zu leben. Wie wichtig and schön die Liebe ist, muss nicht erklärt and verdeutlicht werden, das weiß sicher jeder selber zu sagen. Wie schwer es oft ist, Liebe zu erfahren, das kennt aber auch jeder. Und manch einem klingt die kritische Feststellung in den Ohren: in unseren Gemeinden, in unserer Kirche wird zu wenig geliebt. ES wird viel geredet, es ist wohl auch an der Lehre kaum etwas auszusetzen, aber an der Liebe, dem praktischen, liebevollen Umgang miteinander, da. hapert es gewaltig. Jeder lebt mehr oder weniger für sich, kümmert sich um sich selbst and seine Familie und deren Probleme, kaum einer hat Zeit für andere, für Sorgen und Nöte anderer. Und wie viele Menschen unter uns hätten es so nötig, dass jemand Zeit für sie hat. Liebevolle Zuwendung, Opfer an Zeit und Nerven, Zurückstellen von eigenen Interessen und Ideen im Dienst solcher, die Liebe. nötig haben. Es gibt keinen Menschen, den es nicht nach Nähe und Liebe dürstet, der nicht nach Annahme verlangt. Solche Liebe möchte erlebt und erfahren werden und wie oft erfahren wir nichts als den Mangel an solcher Liebe. Es fällt wohl nicht sonderlich schwer, dieses kritische Wort an vielen Stellen zu bestätigen. Die Welt, in der wir leben, wird zunehmend kälter, gefühlsarmer, liebloser und das geht dann auch an der Kirche nicht vorbei. Gerade unter diesem Thema 'Liebe' bietet die Erzählung aus dem Lukasevangelium

eine Reihe von Blickrichtungen. Wir können, und das ist sicher das Naheliegendste, auf diese Frau sehen, auf die sogenannte Sünderin und dann auf Jesus Christus und wie er mit ihr umgeht; wir können auf den Pharisäer Simon schauen und dann auch auf die Freunde des Simon, die am Schluss fragen: 'wer ist dieser, der auch die Sünden vergibt?' Alle Blickpunkte zusammen verbanden sich zu dem, was die Geschichte sagen will. Das eindrücklichste Bild ist wohl das erste, der Anfang der Geschichte; 'und siehe, eine Frau war in den Stadt'. Eigentlich eine Nebensache, denn Jesus Christus war bei dem Pharisäer Simon zu Gast; aber durch das 'siehe wird es plötzlich wichtig. Menschen, die nicht vorgesehen sind, muss man plötzlich sehen. Solche, deren Ansehen gar nicht in den geselligen Rahmen passen, treten in den Blick. Da kommt also diese Frau, vorgestellt als Sünderin, die im Hause eines anständigen Juden nichts verloren hat. Ungeladen ist sie und sie kommt trotzdem. Von Jesu Aufenthalt hat sie gehört, holt das Salböl, tritt von hinten an den hohen Gast heran und fällt ihm weinend zu Füßen. Ihre Tränen fallen auf Jesu Füße, die sie mit ihren Haaren trocknet und küsst und mit dem Salböl einreibt. Können wir das so sehen, richtig sehen, mit den Augen Jesu, mit einem befreiten Blick, wie es anvisiert war: 'und siehe, eine Frau war in der Stadt'? 'Da aber der Pharisäer das sah,...' Da begegnet uns ein anderes Sehen und steht Jesu Sehen gegenüber. Beides ist nicht das gleiche, sondern gegenteilig. Jesus Christus sieht, wer diese Frau war und was mit ihr geschehen ist, dass sie das jetzt tut; er sieht die Veränderung, die Umkehr, er sieht das neue Ansehen dieser Frau, die in der Öffentlichkeit gar kein Ansehen mehr hat. Der Pharisäer sieht, was er schon längst wusste, er sieht keine Veränderung. Alles, was die Frau tut, bleibt im Rahmen dessen, wofür sie bekannt ist; alles riecht nach ihrem Metier: die zärtlichen Berührungen, die Haare, die Küsse, das Öl. Was er weiß, bestimmt sein Sehen, ein vor-verurteilendes: man weiß, wer und was für eine Frau das ist. Lieblos ist es allemal, so zu sehen und zu denken. Eine Schublade haben für jeden; Menschen nach ihrem Tun ein für allemal abzuqualifizieren; 'von der kann man ja gar nichts anderes mehr erwarten, die hat doch schon immer...', 'der kann ja nicht anders, bei den Eltern, bei den Voraussetzungen,...'. Wer einmal lügt, der braucht den Mund nicht mehr aufzutun - sein Urteil in der Öffentlichkeit ist gefällt, sein Ansehen ist weg.

So oft geschieht das unter uns, dass jedes Tun der Menschen eingeordnet wird in das Bild, das wir - woher auch immer - lange schon haben. Da ist kein Platz für liebevolles Sehen, keine Chance für eine Wandlung, eine Veränderung, eine Umkehr. Der Bericht von Jesu Sehen bleibt überaus eindrücklich. Das Bewegende an diesem Bild, wie die Frau Jesus Christus so zärtlich und gefühlvoll behandelt sind die Tränen der Frau, von denen Lukas erzählt. Die Frau muss weinen und Tränen können bewegen; sie teilen eine innere Bewegung mit. Sie drücken aus, was tief in einem Menschen leben kann an Freude und Schmerz, an Leichtem und Schwerem. Und das ist das ganz wörtlich zu verstehen. Vielleicht hat manch einer diese Erfahrung auch schon gemacht: dass es nach geweinten Tränen irgendwie leichter geht. Das Schwere ist nicht weg, aber es hat nicht mehr so ein Gewicht wie vorher. Ja, Tränen drücken Unsagbares aus und sie können auch erleichtern. Und dann dürfen sie nicht unterdrückt werden. Sie müssen auch heraus, sie müssen geweint werden dürfen, wie bei dieser Frau. Und das Schöne an dieser Szene ist: Jesus Christus lässt sie gewähren, er unterbricht sie nicht, er lässt sich ihre Tränen gefallen. Er sucht nicht nach Worten, um diese peinlich scheinende Situation zu beenden. Und so erscheint dieses Bild wie ein Lehrstück für gute Seelsorge. Da ist ein Mensch, den eine Last drückt, den etwas bewegt, der Schmerzen hat; und was Jesus Christus hier fühlend und liebend sieht, das geht ihm als Ruf voraus bei den Elenden. Das lässt diese Frau mutig werden, so zu handeln, vor ihm ihre Gefühle so ganz offen zu zeigen, völlig unbeeindruckt von dem, was man jetzt über sie denkt und redet, welche Zweideutigkeit man ahnt und unterstellt. Sie erfährt Seelsorge durch sein zulassendes Verhalten, das nicht nur einladende und heilende Kraft hat, sondern so deutlich von Gottes annehmender Liebe spricht, wie sie an Jesus Christus immer wieder erfahren werden kann. Und dann taucht hinter diesem Bild der schönen Seelsorge Jesu tatsächlich der Mangel unserer Liebesfähigkeit auf. Aber es entsteht auch die Bitte, darin zu wachsen: dass wir lernen, Menschen anzunehmen, anstatt sie zu verurteilen; dass wir sie mit Jesu Augen liebend sehen und nicht alles in ein liebloses Schema pressen, aus dem sie nie mehr heraus kommen; dass wir zuhören und gewähren lassen, dass wir einladen und darin Jesu Einladung spüren lassen. Und dann erscheint auch das zweite Bild, das uns hier vor Augen gestellt wird. Simon gilt es zu betrachten. Er sieht mit den anderen als Jesu Augen. Er beobachtet die stumme und doch so aussagekräftige Seelsorge, wie die Frau sie erfährt und bleibt davon doch unberührt. Sie rührt ihn nicht an, ja, er muss innerlich

widersprechen. Aber er soll sehen lernen, mit Jesu Augen sehen lernen. Und wir erleben ein zweites Stück Seelsorge. Einen Weg soll der Simon gehen, von seinem Standpunkt, dass er sich so gut wie nichts vorzuwerfen hatte und einen dicken Trennungsstrich zu öffentlichen Sündern zog, bis hin zu solcher Liebe, wie Jesus Christus sie hier lebt. Dabei redet Jesus Christus nicht, er versucht nicht Simon zu überreden oder zu überzeugen; er erklärt und verteidigt das Verhalten der Frau nicht; denn wer wie Simon, nicht sieht, der sieht auch nicht ein; er muss sehen lernen. Die unklare Geschichte muss klar werden und dazu erzählt Jesus Christus eine weitere Geschichte. Dieses Gleichnis lässt dem Simon Zeit zu verstehen und sich selbst zu entdecken. Nicht Schritt für Schritt auf dem Wege der Logik, den jeder einsehen muss, sondern so, dass es zur Einsicht in Freiheit kommt. Anwenden muss Simon die Geschichte selber und dann zum Sehen des Glaubens kommen. Wie kommt jemand dazu, so zu handeln, wie diese Frau? Das ist die Frage, die Jesus Christus mit dem Gleichnis aufschließen will, um damit zum Glauben zu führen. Die Antwort auf die Frage, wer von den beiden Schuldnern den Gläubiger mehr lieben wird, liegt klar auf der Hand und wird von Simon ganz sachgerecht beantwortet. Aber die Geschichte greift tiefer und verändert den Blickwinkel schlagartig. Denn es ist ja nicht die Liebe der Frau - zweideutig zu beurteilen, wie wir sahen die die Vergebung ergreift, sondern ihre praktische Liebe ist Ausdruck und Zeugnis erlassener Schuld. Den Schuldnern wurde vergeben und sie lieben den Gläubiger beide, der eine am meisten. Die Schuldnerin, die am meisten liebt kann nicht anders als geglaubt haben, es gibt einen Gläubiger, der mir vergibt. Auf diesen Glauben baut sie ihre Liebe. Sie konnte lieben, weil Jesus Christus ihr mit dem Glauben den Mut geschenkt hat, so zu lieben. Und dann wendet mit Simon Jesus Christus den Blick wieder auf die Frau: 'Siehst du diese Frau?' Er muss sie nicht verteidigen, das Gleichnis öffnet die Augen für ihr Tun. Und nun ist Simon plötzlich selber drin in der Geschichte; er hat den Beobachter- und Verurteilerposten aufgegeben und erscheint als der, der weniger liebt, weil ihm weniger vergeben wurde. Der Vergleich ist klar - die Erfahrung der Vergebung fehlt ihm; d.h. ja, die Erfahrung, solche Vergebung zu benötigen, die Erkenntnis: ich bin eben nicht vollkommen, sondern verloren und blind, ich brauche diesen Jesus Christus, er muss mich das neue Sehen lehren, damit ich Annahme und Liebe erfahren kann. Und er wird das wohl wissen, im Kopf, mit dem Verstand. Aber mit der ganzen Person, mit dem Gefühl?

Simon zeigt, wie weit der Weg ist vom Verstand zum Herz. Wir sehen vieles ein, bekennen und beten and doch mangelt es oft an der tätigen, aus der Vergebung lebenden Liebe. Wie viele Hindernisse gilt es bei jedem von uns auszuräumen, welche Vorurteile sind bei uns abzubauen, welche Berührungsängste sind bei uns abzulegen, bis der Glaube den Weg vom Kopf zum Herzen geschafft hat, bis es vom Bekenntnis zur tätigen Liebe und Annahme, kommt? Und schließlich ist da noch das dritte und letzte Bild, das ebenfalls bewegend ist. Da sitzen die Freunde Simons und tuscheln geheimnisvoll über das, was sie gesehen haben und fragen: 'wer ist dieser, der auch die Sünden vergibt?' Und man könnte, die. Frage anschließen: 'was für ein Glaube ist das, der die Frau rettet' Da ist ein Mensch, den keiner mehr haben und annehmen, höchstens noch benutzen und dann verurteilen will; ein Mensch, der in der Öffentlichkeit und bei sich selbst kein Ansehen mehr hat, den niemand und der sich selbst nicht mehr leiden kann. Und in der Begegnung mit Jesus Christus wird ein ahnendes Vertrauen geweckt, das sich nicht in Worte fassen lässt: wenn keiner mehr zu mir steht, Gott tut es. Auch für das verbauteste Leben hat die vergebende Liebe Gottes in Jesus Christus noch einen Weg. Liebe Gemeinde, davon und nur davon leben wir als Christen, die nichts anderes sind, als diese Frau - Menschen, die vor Gott nichts vorzuweisen, auf keine Sauberkeit und moralische Unanfechtbarkeit hin zu weisen haben, sondern mit Vergebung reich beschenkt und zur Liebe befreit sind. Und von daher ließe sich schließlich sagen: wenn jemand äußert, in unserer Kirche, in unsere Gemeinde wird zu wenig geliebt, dann ist zuallererst das eine lieblose Aussage. Es wird geliebt und solche Liebe ist erfahrbar. Auch in unserer Gemeinde haben viele Menschen Liebe, Annahme und offene Arme erlebt und erfahren sie noch. Aber selbst, wenn solches für unsere Augen unsichtbar bliebe, die Liebe Gottes in Jesus Christus zu uns ist nie zu leugnen, sie wird verteilt, Sonntag für Sonntag, sie darf erfahren werden in seinem Evangelium, in seinem Abendmahl. Und wir vertrauen darauf, dass solche Liebe Gottes in uns nicht ohne Frucht bleibt, nämlich Liebe zum Nächsten. Wir wollen auf diesem Wege immer stärker aus dem Geschenk der Vergebung leben und um den Mut zur Liebe immer neu bitten. AMEN!

Kanzelsegen: Gemeinde: Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen. Liedvorschlag: Herzlich lieb hab ich dich, o Herr, ELKG 247 Verfasser: P. Andreas Schwarz Schwebelstraße 7 75172 Pforzheim T: 07231 / 45 33 99 Fax: 07231 / 45 33 97 e-mail: pforzheim@elkib.de