Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit 11019 Berlin An den Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit Herrn Wolfgang Clement Scharnhorststr. 34-37 10115 Berlin Wernhard Möschel Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit Universität Tübingen Wilhelmstr. 7, 72074 Tübingen TEL +49 (0) 7071/ 29-72556 FAX +49 (0) 7071/29-2105 wernhard.moeschel@uni-tuebingen.de E-MAIL DATUM Köln, 17.01.2004 Ausbildungsplatzabgabe Sehr geehrter Herr Minister, die Bundestagsfraktion der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands hat sich im vergangenen Jahr für eine Gesetzesinitiative ausgesprochen, die die Einführung einer Ausbildungsplatzabgabe ab dem 30. September 2004 zum Ziel hat. Dazu wurden vom SPD-Parteitag im November 2003 konkrete Eckpunkte beschlossen. Zentral ist ein Quotenverfahren. Es bestraft Betriebe, die weniger Auszubildende einstellen, als der Quote entspricht, die für ihre Branche festgesetzt worden ist. Betriebe werden belohnt, wenn sie die Quote übertreffen. Die Einnahmen aus der Abgabe sollen in einen zentralen Fonds des Bundes fließen und für die Finanzierung zusätzlicher, vorrangig betrieblicher Ausbildungsplätze verwendet werden. Wir haben diesen Vorschlag eingehend diskutiert und sind zu dem Schluss gekommen, dass er nicht geeignet ist, den gegenwärtigen Mangel an etwa 20.000 Lehrstellen zu beheben, sondern die Wirtschaft per Saldo zusätzlich belasten würde. Das duale Ausbildungssystem hat sich trotz der vielschichtigen Probleme auf dem Bildungssektor und dem Arbeitsmarkt im Großen und Ganzen bewährt und der Bundesrepublik eine relativ niedrige Jugendarbeitslosigkeit beschert. Das bisherige System setzt daran an, dass sich die Unternehmen bei der Entscheidung über die Nachfrage nach Auszubildenden nicht ausschließlich am Vergleich der kurzfristigen Kosten mit dem kurzfristigen Nutzen orientieren. Die im Eckpunktepapier skizzierte Ausbildungsabgabe würde einer nur kurzfristigen Abwägung Vorschub leisten und dieses bewährte System daher eher gefährden als verbessern. HAUSANSCHRIFT Scharnhorststraße 34-37, 10115 Berlin VERKEHRSANBINDUNG U6 Zinnowitzer Straße S-Bahn Lehrter Stadtbahnhof
Seite 2 von 6 Die Ausbildungsplatzabgabe krankt erstens an einem Informationsproblem. Sie soll von denen erhoben werden, die zu wenig ausbilden. Aber der Staat weiß nicht und kann nicht wissen, wer zu wenig ausbildet. Es ist vorgesehen, eine Mindestausbildungsquote (Zahl der Lehrlinge relativ zur Zahl der Beschäftigten) zu definieren, bei deren Nichterfüllung die Abgabe fällig wird. Die optimale Ausbildungsquote ist jedoch von Branche zu Branche und von Betrieb zu Betrieb verschieden. In einer schrumpfenden Branche sollte weniger Nachwuchs ausgebildet werden als in einer expandierenden. Gleiches gilt für schrumpfende und expandierende Betriebe innerhalb derselben Branche. Die optimale Ausbildungsquote könnte zudem von der Größe der Betriebe abhängen. Selbst wenn die optimale Branchenstruktur an der Wertschöpfung gemessen konstant wäre, kann sich doch das optimale Einsatzverhältnis von Arbeit zu Kapital in den verschiedenen Branchen unterschiedlich entwickeln und damit auch die optimale Ausbildungsquote. Da die optimale Ausbildungsquote von Fall zu Fall verschieden ist und nicht vom Staat, sondern nur von den betreffenden Marktteilnehmern eingeschätzt werden kann, verzerrt jede Quotenregelung mit oder ohne Ausgleichsabgabe die Produktionsstruktur und den Wettbewerb. Eine effiziente Verwendung des Faktors Arbeit setzt zweitens voraus, dass er bei gleicher Leistungsfähigkeit überall das gleiche kostet. Diese Bedingung wäre aber im vorliegenden Fall verletzt: Wer innerhalb seiner Ausbildungsquote zum Tariflohn einen Lehrling einstellt, kann dies da er auf diese Weise Abgaben vermeidet per Saldo kostengünstiger tun als jemand, der seine Quote bereits erfüllt hat und zum gleichen Lohn zusätzliche Lehrlinge einstellt, ohne dadurch Abgaben einzusparen. Verglichen mit der optimalen Ausbildungsstruktur wird deshalb innerhalb der Quote zu viel und außerhalb der Quote zu wenig ausgebildet. Diese zweite Verzerrung könnte theoretisch dadurch beseitigt werden, dass der Staat die Quoten entweder für handelbar erklärt oder aber für jeden Lehrling, der über die Quote hinaus ausgebildet wird, einen Ausbildungszuschuss zahlt, der genauso hoch ist wie die Ausbildungsabgabe, die innerhalb der Quote fällig wird. Beides ist jedoch bisher nicht vorgesehen. Zwar sollen Ausbildungszuschüsse gezahlt werden. Ihre Höhe bleibt jedoch der Entscheidung der Fondsverwalter überlassen (was zu Filz und Korruption führen kann). Wenn der Zuschuss pro zusätzlichen Ausbildungsplatz tatsächlich genau so hoch wäre wie die Abgabe, so wäre es doch drittens äußerst schwierig, ja praktisch unmöglich, die angestrebte Aufkommensneutralität zu erreichen. Denn dafür müsste die Quote ja genau so festgesetzt werden, dass die Einnahmen aus der Abgabe den Ausgaben für die Zuschüsse gleicher Höhe entsprechen. Niemand kann aber vorhersagen, wie stark sich derartige Abgaben und Zuschüsse auf die Bereitschaft zur Ausbildung auswirken würden. Ein besonderes Problem ist viertens die vorgesehene Stichtagsregelung. Danach sollen die Ausbildungszuschüsse nur denen zustehen, die nach dem 30. September über ihre Quote hinaus Lehrlinge einstellen. Damit ergibt sich für diese Unternehmen ein Anreiz, die Pflichtquote nicht vor dem 30.
Seite 3 von 6 September zu überschreiten. Der Attentismus der Arbeitgeber würde sich nachteilig auf die Planungssicherheit der Jugendlichen auswirken. Selbst wenn die Regelung wie beabsichtigt für den Fiskus aufkommensneutral gestaltet werden könnte, entstünde doch fünftens für die Betriebe eine Nettobelastung. Denn zum einen müsste ein Teil der Einnahmen, die der Staat aus der Abgabe erzielt, dafür eingesetzt werden, die Verwaltungskosten des zentralen Fonds zu finanzieren. Diese Mittel würden nicht an die Unternehmen zurückfließen. Zum anderen kämen auf die Unternehmen zusätzliche Bürokratiekosten zu. Die Beweislast für die Erfüllung der Quote würde bei ihnen liegen. Die Berichtspflicht, Beweisführung und Verwaltung der Zahlungsvorgänge würden die Arbeitskosten der Unternehmen erhöhen und ihre Ausbildungsbereitschaft negativ beeinflussen. Die Ausbildungsplatzabgabe ist nicht dazu geeignet, das Problem des Lehrstellenmangels zu beheben. Sie zielt auf eine Lehrstellengarantie und setzt damit Anreize für die Interessengruppen, Löhne weiter anzuheben, Regulierungen im Lehrstellenbereich auszudehnen, den Faktor Arbeit zu verteuern und damit das im Ganzen bewährte Lehrstellensystem zu untergraben. Köln, den 17. Januar 2004 Mit vorzüglicher Hochachtung gez. Professor Dr. Wernhard Möschel
Seite 4 von 6 An der Beratung dieses Briefes haben folgende Mitglieder des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit mitgewirkt: Professor Dr. Wernhard Möschel Professor für Bürgerliches Recht, Handels- und Wirtschaftsrecht an der Universität Tübingen Professor Dr. Charles B. Blankart Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin (Vorsitzender) (Stellvertretender Vorsitzender) Professor Dr. Hermann Albeck an der Universität Saarbrücken Professor Dr. Peter Bernholz Professor für Nationalökonomie, insbesondere Geld- und Außenwirtschaft, an der Universität Basel Professor Dr. Norbert Berthold an der Bayerischen Julius-Maximilians-Universität in Würzburg Professor Dr. Dres. h.c. Knut Borchardt Professor für Wirtschaftsgeschichte und Volkswirtschaftslehre an der Universität München Professor Dr. Axel Börsch-Supan Direktor des Mannheimer Forschungsinstituts Ökonomie und Demographischer Wandel Universität Mannheim Professor für Makroökonomik und Wirtschaftspolitik an der Universität Mannheim Professor Dr. Friedrich Breyer, an der Universität Konstanz Professor Dr. Christoph Engel Direktor am Max-Planck-Institut zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern Max Planck Institute for Research on Collective Goods und Professor für Rechtswissenschaften an der Universität Osnabrück Professor Dr. Dr. h.c. Gérard Gäfgen an der Universität Konstanz
Seite 5 von 6 Professor Dr. Jürgen von Hagen an der Universität Bonn Leiter des ZEI Bonn Professor Dr. Dr. h.c. Herbert Hax Professor für Betriebswirtschaftslehre an der Universität zu Köln Professor Dr. Dr. h.c. Helmut Hesse Präsident der Landeszentralbank in der Freien Hansestadt Bremen, in Niedersachsen und Sachsen-Anhalt i.r. Honorarprofessor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Göttingen Professor Dr. Dres. h.c. Norbert Kloten Präsident der Landeszentralbank in Baden-Württemberg i.r. Honorarprofessor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Tübingen Professor Dr. Günter Knieps Direktor des Instituts für Verkehrswissenschaft und Regionalpolitik; Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg Professor Dr. Manfred Neumann an der Universität Erlangen-Nürnberg Professor Dr. Manfred J.M. Neumann Professor für Wirtschaftliche Staatswissenschaften, insbesondere Wirtschaftspolitik, an der Universität Bonn Professor Dr. Dr. h.c. mult. Helmut Schlesinger Präsident der Deutschen Bundesbank i.r. Honorarprofessor an der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer Professor Dr. Monika Schnitzer an der Ludwig-Maximilians-Universität München Professor Dr. Olaf Sievert Präsident der Landeszentralbank in den Freistaaten Sachsen und Thüringen, Leipzig i.r. Honorarprofessor an der Universität des Saarlandes Professor Dr. Dr. h.c. Hans-Werner Sinn Präsident des Ifo-Instituts München Professor für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft Universität München
Seite 6 von 6 Professor Dr. Roland Vaubel an der Universität Mannheim Professor Dr. Christian Watrin Professor für wirtschaftliche Staatswissenschaften an der Universität Köln Professor r. Carl Christian von Weizsäcker an der Universität zu Köln