Endlich geklärt: Keine angemessene Frist für die fristlose Kündigung eines Wohnraummietverhältnisses Abs. 3 BGB nicht anwendbar

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im 2. Quartal dieses Jahres hat es wieder einige interessante Urteile gegeben, über die wir Sie wie folgt unterrichten möchten:

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Transkript:

Endlich geklärt: Keine angemessene Frist für die fristlose Kündigung eines Wohnraummietverhältnisses - 314 Abs. 3 BGB nicht anwendbar BGH, Urteil vom 23. Juli 2016 VIII ZR 296/15 1 314 BGB trägt die amtliche Überschrift Kündigung von Dauerschuldverhältnissen aus wichtigem Grund ; es geht also um eine grundsätzliche Bestimmung für fristlose Kündigungen. Sein Absatz 3 lautet: Der Berechtigte kann nur innerhalb einer angemessenen Frist kündigen, nachdem er von dem Kündigungsgrund Kenntnis erlangt hat. Der Wortlaut ist jedenfalls auf den ersten Blick so eindeutig und klar, dass er keinen Auslegungsspielraum zu enthalten scheint, sieht man einmal von der Dehnbarkeit des unbestimmten Rechtsbegriffs angemessen ab. Dennoch waren die Meinungen im mietrechtlichen Schrifttum bislang geteilt. 2 Der VIII. Senat des BGH hat das Problem in der Vergangenheit erkannt und mehrfach angesprochen, brauchte es dort aber nicht zu entscheiden, weil es auf die Anwendbarkeit des 314 Abs. 3 BGB in jenen Fällen nicht ankam. 3 In dem Urteil vom 23. Juli 2016 hat er diese Frage nun geklärt und seine Entscheidung ausführlich und überzeugend begründet. Die Entscheidung ist geradezu ein Musterbeispiel für die Auslegung von gesetzlichen Bestimmungen. Der Fall: Seit 2006 hatte die Mieterin eine Wohnung in Düsseldorf gemietet; das Besondere an diesem Mietverhältnis war die Verbindung der Parteien durch den Beruf der Mieterin, bei der es sich um die (ehemalige) Küsterin der Vermieterin, einer Kirchengemeinde, handelte. Die Miete in Höhe von monatlich rd. 620 (zzgl. Betriebskostenvorauszahlung) hatte die Mieterin in den Monaten Februar und April 2013 nicht bezahlt. Diesen Rückstand mahnte die Vermieterin mit Schreiben vom 14. August 2013 an. Die Mieterin entschuldigte sich zwar im September 2013 schriftlich für diesen Verzug, beglich den Rückstand in der Folgezeit aber gleichwohl nicht. Daraufhin erklärte die Vermieterin mit Schreiben vom 15. November 2013 die fristlose Kündigung. Die Räumungsklage hatte beim Amtsgericht Erfolg, das Landgericht hat sie mit der Begründung abgewiesen, die fristlose Kündigung sei unwirksam, weil sie entgegen der Bestimmung des 314 Abs. 3 BGB nicht innerhalb angemessener Frist erfolgt sei. In einem solchen Fall sei dem Vermieter die Fortsetzung des Mietverhältnisses zuzumuten, zumal dann, wenn wie hier keine weiteren belastenden Umstände hinzugekommen seien. Im Übrigen hätten auf Grund der besonderen Umstände des Falles (ehemaliges Dienstverhältnis im kirchlichen Bereich) auch soziale und ethische Erwägungen nahegelegen. 1 Grundeigentum 2016, 1148 = WuM 2016, 616 = DWW 2016, 293 (Stand 27. Oktober 2016) 2 s. Urteil vom 23. Juli 2016 aao, RNr. 24 3 Urteil vom 23. Juli 2016 aao, RNr. 15

2 Die Entscheidung: Auf die vom Landgericht zugelassene Revision hat der BGH das Berufungsurteil aufgehoben und das erstinstanzliche Urteil wieder hergestellt. 1) Fristlose Kündigung wegen Zahlungsverzug mit zwei Monatsmieten ( 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 b) BGB) An der grundsätzlichen Möglichkeit der fristlosen Kündigung wegen des Zahlungsverzugs der Mieterin in Höhe von zwei Monatsmieten über einen Zeitraum von mehr als zwei Monaten (hier: Februar und April 2013) konnte kein Zweifel bestehen. Davon ist auch das Berufungsgericht ausgegangen. 2) Zur Anwendbarkeit des 314 Abs. 3 BGB in der Wohnraummiete Die entscheidende Frage war jedoch, ob die fristlose Kündigung, wie das Berufungsgericht angenommen hat, gemäß 314 Abs. 3 BGB ausgeschlossen war, weil die Vermieterin nicht innerhalb angemessener Zeit, nachdem sie von dem Kündigungsgrund des Zahlungsverzuges (in Höhe von zwei Monatsmieten) Kenntnis erlangt hatte, die Kündigung ausgesprochen hatte. Der äußere Ablauf Nichtzahlung der Miete im Februar und nochmals im April 2013, Abmahnung (erst) Mitte August und Kündigung mit Schreiben vom 15. November 2013 könnte auf den ersten Blick für die Anwendung des 314 Abs. 3 BGB sprechen, und sie wäre ohne weiteres auch mit dem Wortlaut der Bestimmung zu vereinbaren. Für die Aussage des BGH, 314 Abs. 3 BGB sei im Wohnraummietrecht bei einer fristlosen Kündigung nach 543, 569 BGB generell nicht anwendbar, bedurfte es deshalb gewichtiger Argumente. Den betreffenden Ausführungen hat der BGH jedoch eine wichtige Klarstellung zum grundsätzlichen Sinn und den Grenzen des Kündigungsausschlusses bei längerem Zuwarten des Kündigenden vorangestellt. 4 a) Eine wichtige Vorbemerkung: Grundsätzliches zur Anwendung des 314 Abs. 3 BGB, zur umfassenden Berücksichtigung aller Umstände des Falles und zur Interessenabwägung Selbst wenn man mit dem Berufungsgericht entgegen der Auffassung des BGH die Vorschrift im Bereich der Wohnraummiete für grundsätzlich anwendbar halten würde, wäre ihre Anwendung im vorliegenden Fall rechtsfehlerhaft. Das Landgericht hat nämlich nicht berücksichtigt, dass die Zahlungsrückstände trotz der Mahnung bis zuletzt fortbestanden und die Vermieterin durch das Zuwarten mit der Kündigung Rücksicht auf die Belange der Mieterin genommen hat. Die Mieterin hätte also selbst nach der Mahnung vom August 2013 noch drei Monate Zeit gehabt, um die Rückstände zu tilgen. Hätte sie dies vor dem Zugang der Kündigung vom 15. November 2013 getan, so wäre die Kündigung nach der Vorschrift des 543 Abs. 2 Satz 2 BGB, auf die der BGH in diesem Zusammenhang ausdrücklich hinweist, aus- 4 Urteil vom 13. Juli 2016 aao, RNr. 13

3 geschlossen gewesen. Die Sichtweise des Berufungsgerichts liefe darauf hinaus, dass ein für den Mieter gerade günstiges Zuwarten unterbliebe und der Vermieter gehalten wäre, zur Vermeidung eigener Nachteile frühestmöglich eine fristlose Kündigung auszusprechen. 5 Dem bleibt nichts hinzuzufügen. b) Keine Anwendung des 314 Abs. 3 BGB in der Wohnraummiete Im Mittelpunkt des Urteils vom 13. Juli 2016 steht die eingehende Prüfung der Frage, ob 314 Abs. 3 BGB bei der fristlosen Kündigung eines Wohnraumietverhältnisses überhaupt anwendbar ist. Diese Frage hat der VIII. Senat mit folgender überzeugender Begründung verneint: aa) Auslegung nach dem Wortlaut der 543, 569 BGB; kein Zusammenhang mit 314 Abs. 3 BGB Der BGH setzt zunächst beim Wortlaut der besonderen Bestimmungen für die fristlose Kündigung eines Wohnraumietverhältnisses an: 6 543 BGB enthält weder in der Generalklausel des Abs. 1 noch in den Regeltatbeständen des Abs. 2 ( insbesondere ) eine zeitliche Beschränkung für den Ausspruch der Kündigung oder einen Verweis auf 314 Abs. 3 BGB; angesichts der zumal bei den Tatbeständen des Zahlungsverzugs in Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 sehr detaillierten Regelungen hat dieses Argument zweifellos erhebliches Gewicht. Dasselbe gilt für 569 BGB mit seinen zusätzlichen umfangreichen und sehr speziellen Bestimmungen für die fristlose Kündigung. Der ungeschriebene Kern dieser Erwägungen ist folgender: Wenn das Gesetz schon die fristlose Kündigung eines Wohnraumietverhältnisses wegen der besonderen Bedeutung, die er diesem Komplex beimisst, in nahezu allen denkbaren Fallgestaltungen regelt und dabei vor allem die Belange des Mieters im Auge hat, hätte es nahegelegen, die Wahrung einer angemessenen Frist als grundsätzliche Voraussetzung einer fristlosen Kündigung in geeigneter Weise, zumindest also durch eine Verweisung auf 314 Abs. 3 BGB, eindeutig klarzustellen. Das Fehlen einer derartigen Klarstellung im Wortlaut der 543 und 569 BGB spricht daher gegen die Anwendbarkeit des 314 Abs. 3 BGB in der Wohnraummiete. bb) Auslegung nach dem Willen des Gesetzgebers: Gesetzesmaterialien und Entstehungsgeschichte der 314, 543 und 569 BGB (1) Das MietRefG von 2001 und die damalige Rechtslage Aus den Materialien zum MietrechtsreformG von 2001 ergibt sich, dass der Gesetzgeber zwar das Recht der Kündigung auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechungsgrundsätze und der verstreuten Einzelbestimmungen zusammenfassen wollte. Allgemein anerkannt 5 so wörtlich unter RNr. 13 6 aao RNr. 17

4 war damals auch der Grundsatz, dass eine längere Verzögerung der Kündigungserklärung insofern Bedeutung erlangen kann, als sie entweder Rückschlüsse auf das Fehlen einer Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Mietverhältnisses für den Kündigungsberechtigten zulassen oder die Kündigung als treuwidrig, somit als verwirkt erscheinen lassen kann; entsprechende Beispiele finden sind in der Rechtsprechung sowohl des VIII. als auch des XII. Senats für die Wohnraum- und die Gewerberaummiete. 7 (2) Der bewusste Verzicht des Gesetzgebers auf eine zeitliche Beschränkung des Kündigungsrechts im MietRefG Vor diesem Hintergrund hat der Gesetzgeber bewusst davon abgesehen, in das MietRefG eine dem jetzigen 314 Abs. 3 BGB entsprechende Bestimmung aufzunehmen, weil ein Bedürfnis hierfür nicht bestehe (BT-Drucks. 14/4553, S. 44). 8 (3) Der neue 314 BGB im SchuldrechtsreformG vom 26. November 2001 Ein Blick in die Begründung des Schuldrechtsreformgesetzes zeigt mit einer kaum zu überbietenden Deutlichkeit, dass der Gesetzgeber mit der neuen Vorschrift des 314 BGB eine allgemeine Regelung für das Recht der Leistungsstörung einführen wollte. Die spezifischen anderweitigen Bestimmungen für die Kündigung aus wichtigem Grund bei einzelnen Dauerschuldverhältnissen sollten davon nicht berührt werden (BT-Drucks. 14/6040, S. 177). 9 (4) Das Ergebnis: Abschließende Regelung der fristlosen Kündigung eines Mietverhältnisses in 543, 569 BGB Das Ergebnis dieser Erwägungen fasst der BGH dahin zusammen, dass die fristlose Kündigung eines Mietverhältnisses in den 543 und 569 BGB abschließend geregelt und eine Anwendung des 314 Abs. 3 BGB somit ausgeschlossen ist. Damit befindet sich der BGH in Übereinstimmung mit der wohl überwiegenden Meinung des Schrifttums. Die teilweise vertretene Gegenauffassung verkennt die aus den Materialien ersichtliche eindeutige Zielsetzung des Gesetzgebers. 10 3) Unwirksamkeit der Kündigung aus anderen Gründen ( 242 BGB)? Schon bisher hat der VIII. Senat in vergleichbaren Fällen stets geprüft, ob die Kündigung möglicherweise aus einem anderen Grund unwirksam ist so auch hier. Mit einer kurzen, aber überzeugenden Begründung verneint er auch im vorliegenden Fall diese Frage. In Betracht kommt die Annahme eines treuwidrigen Verhaltens der Vermieterin, weil sie nach dem Eintritt des zweiten Zahlungsverzugs vom April 2013 noch sieben Monate bis zur Kün- 7 aao RNr. 20 8 aao RNr. 21 9 aao RNr. 22, 23 10 aao RNr. 24

5 digung Mitte November 2013 zugewartet hat (Stichwort: illoyale Verspätung 11 ). Treuwidrig kann ein solches Verhalten dann sein, wenn zu der Verzögerung (Zeitmoment) ein Umstandsmoment hinzutritt und die Gesamtwürdigung der Umstände die Kündigung als Verstoß gegen Treu und Glauben ( 242 BGB) erscheinen lassen. Ein derartige Umstandsmoment ist gegeben, wenn der Vertragspartner auf Grund besonderer Gegebenheiten darauf vertrauen durfte, dass der Berechtigte von der Kündigungsmöglichkeit keinen Gebrauch mehr machen würde. Solche Umstände waren hier jedoch nicht ersichtlich und sie liegen, wie der BGH abschließend anmerkt, auch nicht darin begründet, dass es sich bei der Vermieterin um eine Kirchengemeinde und bei der Mieterin um ihre frühere Küsterin handelt. 12 Anmerkungen 1) Grundsätze für die Auslegung einer gesetzlichen Bestimmung Das Urteil vom 13. Juli 2016 ist ein Musterbeispiel für die Auslegung einer auf den ersten Blick nicht auslegungsbedürftigen, weil scheinbar eindeutigen gesetzlichen Bestimmung. Von den verschiedenen anerkannten Auslegungsmethoden hat der BGH entscheidend auf die Entstehungsgeschichte der Norm und den Willen des Gesetzgebers, wie er sich aus den zugrundeliegenden Materialien ergibt, den erkennbaren Sinn und Zweck der Norm, die systematische Auslegung, die sich am Zusammenhang der einzelnen Norm mit ihrer Stellung im Gesetz orientiert, und im unmittelbaren Anschluss hieran auf den Wortlaut der 543 und 569 BGB abgestellt. Demgegenüber hat der weitgefasste Wortlaut des 314 Abs. 3 BGB geringeres Gewicht. Auf diese Weise ist der VIII. Senat, ohne dies im Einzelnen theoretisch-abstrakt zu auszuführen, zu einem überzeugenden und sachgerechten Ergebnis gelangt. 2) Mögliche Gründe für die Unwirksamkeit der Kündigung im Einzelfall: Verwirkung oder der allgemeine Grundsatz von Treu und Glauben ( 242 BGB) Zu Recht hat der BGH in der vorliegenden Entscheidung an zwei Stellen geprüft, ob die Kündigung, da der spezielle Ausschlussgrund des 314 Abs. 3 BGB nicht eingreift, aus einem anderen Grund unwirksam, insbesondere verwirkt sein könnte. 13 Solche Gründe hat er zu Recht verneint: Weder hat die Mieterin nach den Feststellungen der Vorinstanzen außer der pro-forma-entschuldigung in ihrem Schreiben vom 3. September 2013 nach der Mahnung vom August 2013 irgendeine nachvollziehbare Erklärung für die Zahlungsrückstände 11 aao RNr. 15; ebenso Urteil vom 15. April 2015 VIII ZR 281/13, WuM 2015, 416 = Grundeigentum 2015, 853 = NZM 2015, 536 = NJW 2015, 2417 = ZMR 2015, 693 = DWW 2015, 292, RNr. 29 (hier bereits besprochen) 12 aao RNr. 25 a.e. 13 RNr. 13 15, 25

6 vorgetragen, etwa eine vorübergehende finanzielle Notlage, Krankheit oder einen ähnlichen Grund, noch hat sie den Rückstand wenigstens teilweise getilgt, womit immerhin der Tatbestand des 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 b BGB, nicht aber die Alternative der Nr. 3 a entfallen wäre. Auch für die Annahme, die Mieterin habe nach dem Zeitablauf darauf vertrauen dürfen, dass die Vermieterin von ihrem Recht zur fristlosen Kündigung keinen Gebrauch mehr machen werde, fehlen jegliche Anhaltspunkte. 14 Das bloße Schweigen der Vermieterin von der Mahnung bis hin zur Kündigung rechtfertigt ein solches Vertrauen unter den gegebenen Umständen nicht; es war vielmehr ein weiteres Entgegenkommen der Vermieterin, die anstatt nach der im Grunde substanzlosen Entschuldigung der Mieterin vom September 2013 sogleich zu kündigen noch geraume Zeit zugewartet und damit der Mieterin ausreichend Gelegenheit zur Tilgung des Rückstandes gegeben hatte. Wenn die Mieterin davon keinen Gebrauch machte, kann ihr dies nicht zum Vorteil und der Vermieterin zum Nachteil gereichen. Auswirkungen für die Praxis: Wichtig: Wie der BGH nach Erlass des vorliegenden Urteils entschieden hat, macht nur die vollständige Tilgung des Rückstandes eine nach 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BGB erfolgte Kündigung unwirksam. 15 1) Mieterseite Nach der höchstrichterlichen Klarstellung zur Nichtanwendbarkeit des Ausschlusstatbestandes des 314 Abs. 3 BGB in der Wohnraummiete sollte der Mieter spätestens nach einer Mahnung dem Vermieter in nachvollziehbarer Weise mitteilen, weshalb es zu dem Rückstand gekommen ist und wie er diesen in absehbarer Zeit zu tilgen gedenkt; auf schlichten Zeitablauf zu vertrauen, wird ihm in Zukunft (in aller Regel) nichts mehr helfen. 2) Vermieterseite In jedem Fall empfiehlt es sich, mit einer Mahnung eine Frist für die Tilgung des Rückstandes zu verbinden und die Kündigung für den Fall anzudrohen, dass eine Tilgung nicht erfolgt. Im Übrigen muss der Vermieter stets bedenken, dass in besonders gelagerten Ausnahmefällen auch künftig eine an sich begründete Kündigung auf Grund besonderer Umstände verwirkt, also unwirksam sein kann ( 242 BGB). Überdies kann ein längeres Zuwarten des Kündigungsberechtigten, i.d.r. also des Vermieters, die Annahme rechtfertigen, dass die Fortsetzung des Mietverhältnisses für ihn nicht unzumutbar ist, wie 543 BGB dies zwingend voraussetzt. 16 Dies alles gilt aber, wie auch das vorliegende Urteil wieder deutlich macht, nur in Ausnahmefällen. 14 so ausdrücklich aao RNr. 25 15 BGH, Urteil vom 24. August 2014 VIII ZR 261/15 (noch nicht veröffentlicht, St. 28. Oktober 2016) 16 aao RNr. 15