Fairness und Reziprozität im Diktatorspiel Franzen, Axel; Pointner, Sonja

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Transkript:

www.ssoar.info Fairness und Reziprozität im Diktatorspiel Franzen, Axel; Pointner, Sonja Veröffentlichungsversion / Published Version Konferenzbeitrag / conference paper Empfohlene Zitierung / Suggested Citation: Franzen, Axel ; Pointner, Sonja: Fairness und Reziprozität im Diktatorspiel. In: Rehberg, Karl-Siegbert (Ed.) ; Deutsche Gesellschaft für Soziologie (DGS) (Ed.): Die Natur der Gesellschaft: Verhandlungen des 33. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in Kassel 2006. Teilbd. 1 u. 2. Frankfurt am Main : Campus Verl., 2008. - ISBN 978-3-593-38440-5, pp. 2113-2125. URN: http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0168-ssoar-152149 Nutzungsbedingungen: Dieser Text wird unter einer Deposit-Lizenz (Keine Weiterverbreitung - keine Bearbeitung) zur Verfügung gestellt. Gewährt wird ein nicht exklusives, nicht übertragbares, persönliches und beschränktes Recht auf Nutzung dieses Dokuments. Dieses Dokument ist ausschließlich für den persönlichen, nicht-kommerziellen Gebrauch bestimmt. Auf sämtlichen Kopien dieses Dokuments müssen alle Urheberrechtshinweise und sonstigen Hinweise auf gesetzlichen Schutz beibehalten werden. Sie dürfen dieses Dokument nicht in irgendeiner Weise abändern, noch dürfen Sie dieses Dokument für öffentliche oder kommerzielle Zwecke vervielfältigen, öffentlich ausstellen, aufführen, vertreiben oder anderweitig nutzen. Mit der Verwendung dieses Dokuments erkennen Sie die Nutzungsbedingungen an. Terms of use: This document is made available under Deposit Licence (No Redistribution - no modifications). We grant a non-exclusive, nontransferable, individual and limited right to using this document. This document is solely intended for your personal, noncommercial use. All of the copies of this documents must retain all copyright information and other information regarding legal protection. You are not allowed to alter this document in any way, to copy it for public or commercial purposes, to exhibit the document in public, to perform, distribute or otherwise use the document in public. By using this particular document, you accept the above-stated conditions of use.

Fairness und Reziprozität im Diktatorspiel Axel Franzen und Sonja Pointner Einführung In der Spieltheorie sind in den letzten Jahren zunehmend verhaltenstheoretische Ansätze in den Vordergrund gestellt worden, die sich mit Abweichungen vom ökonomischen rationalen Entscheidungsmodell beschäftigen. Das ökonomische Standardmodell kann das Verhalten in vielen Situationen nicht erklären. So deuten die Ergebnisse in Diktator- und Ultimatumspielen darauf hin, dass in den Verhaltensweisen von Menschen neben egoistischen Motiven Altruismus, Fairness und Reziprozität eine große Rolle spielen (vgl. Diekmann 2004; Fehr/Gächter 2000; Forsythe u.a. 1994; Ockenfels 1999). Die aktuellen Befunde der experimentellen Spieltheorie scheinen damit die Vermutung einiger Anthropologen zu bestätigen, dass bestimmte Normen wie die Reziprozitätsnorm weit verbreitet sind und eine wichtige Funktion in modernen Gesellschaften haben. Alvin Gouldner behauptete zum Beispiel,»( ) dass die Reziprozitätsnorm ein kaum weniger allgemeines und kaum weniger wichtiges Element der Kultur ist als das Inzesttabu, obwohl ihre konkreten Varianten, ganz ähnlich wie bei diesem, zeitlich und räumlich variieren«(gouldner 1984: 118). In diesem Beitrag steht das Aufzeigen der Existenz und der Variationen der Normen Fairness, Reziprozität und Altruismus mit Hilfe des Diktatorspiels im Vordergrund. Wie Marcel Mauss (1968) schon betonte, ist die Entstehung dieser Normen keine Selbstverständlichkeit, sondern eine enorme zivilisatorische Leistung. 1 In vielen indigenen Völkern sind diese Normen weit weniger stark ausgeprägt als in westlichen Gesellschaften, wie insbesondere die Ergebnisse zum Ultimatumspiel veranschaulichen. Im Ultimatumspiel gibt es ein»verhandlungsszenario«: Ein Spieler (Proposer) kann eine fixe Summe aufteilen, jedoch hat der Mitspieler (Responder) die Möglichkeit, das Angebot abzulehnen. Nimmt er das Angebot an, bekommen beide Spieler die vereinbarte Summe, lehnt er ab, so erhält niemand etwas. 1»Die Gesellschaften haben in dem Maße Fortschritte gemacht, wie sie selbst, ihre Untergruppen und schließlich ihre Individuen fähig wurden, ihre Beziehungen zu festigen, zu geben, zu nehmen und zu erwidern.«(mauss 1968: 181)

2114 S E K T IO N M O D E L L B IL D U N G U N D S IM U L A T IO N Unter der Bedingung, dass die Spieler nur einmal anonym aufeinandertreffen, lautet die spieltheoretische Prognose, dass der Proposer nicht mehr als die kleinste mögliche Einheit anbieten wird und der Responder diese auch annimmt. Joseph Henrich u.a. (2004) haben das Entscheidungsverhalten im Ultimatumspiel in 15 verschiedenen Kulturen experimentell untersucht. 60 50 40 30 20 10 Machiguenga, Peru Hadza, Tanzania Quichua, Ecuador Torgud, Mongolia Khazax, Mongolia Tsimane, Bolivia Au, Papua N.G. Gnau, Papua N.G. Mapuche, Chile Sangu Farmers, Tanzania Unresettled, Zimbabwe Achuar, Ecuador Orma, Kenya Ache, Paraguay Lamelara, Indonesia Abbildung 1: Ultimatumspiel in 15 indigenen Völkern (Quelle: Marlowe 2004: 177) Die Ergebnisse zeigen, dass die Abgaben der Proposer zwischen 15 Prozent und 50 Prozent variieren (Abb. 1). Auf die Erklärung für diese unterschiedlichen Abgaben kann an dieser Stelle nicht im Detail eingegangen werden. Die Autoren vermuten, dass der kulturelle und soziale Kontext ausschlaggebend ist: Das Ausmaß der Integration in die jeweilige Gesellschaft scheint unterschiedliche Ausprägungen von Normen zu begünstigen. So sind Kulturen, die im engen Familienverbund leben, tendenziell weniger fair im Diktatorspiel. Am Beispiel der Machiguenga konnten Joseph Henrich und Natalie Smith (2004) dies nachweisen. Kooperation mit Personen außerhalb des Familienkreises ist bei den Machiguenga keine häufige Verhaltensweise und tritt auch entsprechend seltener in Experimenten auf, in denen die Probanden auf anonyme Mitspieler treffen. In westlichen Marktgesellschaften sind die Abgaben dagegen wesentlich höher, was eben damit zusammenhängen könnte, dass ihre Mitglieder stärker an anonyme Tauschsituationen gewöhnt sind.

F R A N Z E N/ P O I N T N E R : F A I R N E S S U N D R E Z I P R O Z I T Ä T IM D IK T A T O R S P I E L 2115 In diesem Beitrag soll am Beispiel von Experimenten, die wir mit Studenten der RWTH Aachen 2005 und 2006 durchführten, veranschaulicht werden, inwieweit unterschiedliche Normen das Verhalten in Spielsituationen erklären können. Dazu haben wir auf das einfache Diktatorspiel und auf das sequenzielle Diktatorspiel zurückgegriffen. Im einfachen Diktatorspiel bestimmt der Diktator (oder Proposer) die Aufteilung einer fixen Geldsumme zwischen sich und einem anonymen Spielpartner. Die standardtheoretische Prognose für rationale Egoisten ist, dass der Diktator alles für sich behält und seinem anonymen Spielpartner nichts oder nur wenig mehr als den Nullbetrag zuweist. Das sequenzielle Diktatorspiel ist ein Diktatorspiel, das über zwei Runden gespielt wird, wobei die Spieler in der zweiten Runde die Rollen tauschen. In Runde 1 kann wie im einfachen Diktatorspiel der erste Spieler einen erhaltenen Geldbetrag beliebig aufteilen. In der zweiten Runde wird der gleiche Betrag von Spieler 2 aufgeteilt. Rückwärtsinduktion führt zum teilspielperfekten Gleichgewicht. In der zweiten Runde wird Spieler 2 alles für sich behalten und einen Betrag von Null abgeben, weil es die letzte Spielrunde ist. In der ersten Runde sollte Spieler 1 folglich alles für sich behalten und nichts abgeben. Das einfache wie auch das sequenzielle Diktatorspiel sind keine sozialen Dilemmata. Egoismus führt in diesen Spielen nicht zu sozial suboptimalen Auszahlungen und in beiden Fällen entsteht kein Kooperationsgewinn oder Pareto-Effizienz durch Teilen. Aber beide Spiele eignen sich für die Untersuchung von Fairness und Reziprozität. Altruismus und Fairness im einfachen Diktatorspiel In einem ersten Experiment im Jahr 2005 erhielten die Teilnehmer einer einführenden Vorlesung zur Spieltheorie zu Beginn der Veranstaltung schriftliche Instruktionen, in denen das Diktatorspiel erläutert wurde. Den Studierenden wurde mitgeteilt, dass sie einen Betrag von 10 Euro erhalten, den sie zwischen sich und einem zufällig ausgewähltem weiteren Teilnehmer aufteilen können wie sie wollen. Die Instruktionen waren nummeriert, so dass die Auszahlung an die Rezipienten erfolgen konnte, ohne die Identität der Teilnehmer aufzudecken. 2 Die Ergebnisse des einfachen Diktatorspiels zeigen, dass sich ein großer Teil der Untersuchungsteilnehmer 2 Tatsächlich wurden später von allen Teilnehmenden 20 Personen zufällig ausgewählt. Die Spieler mit den entsprechenden Nummern konnten sich dann die Beträge, die sie für sich selbst behielten und diejenigen, die ihnen von einem anderen Spieler zugewiesen wurden, in geschlossenen Briefumschlägen im Institutssekretariat abholen. Dieses Verfahren gewährleistet, dass weder der Versuchsleiter noch die anderen Mitspieler wissen konnten, wer für die Auszahlung ausgewählt wurde und welche Beträge die Spieler erhielten. Das Verfahren sollte absolute Anonymität garantieren und wurde in den Instruktionen erläutert.

2116 S E K T IO N M O D E L L B IL D U N G U N D S IM U L A T IO N fair verhielten (knapp 40 Prozent) und die Hälfte des Betrages (5 Euro) an den anonymen Spielpartner abgab. Aus Abbildung 2 ist ersichtlich, dass auch egoistische Motive eine Rolle spielen, da einige Personen den gesamten Betrag für sich behielten. Andere Personen haben sich dagegen altruistisch verhalten und wesentlich mehr als die Hälfte des Betrags an die Spielpartner abgegeben. 45 40 35 30 25 20 15 10 5 0 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 Abgaben für den Mitspieler in Euro (n = 80, x = 3,66). Berichtet werden relative Häufigkeiten. Abbildung 2: Ergebnisse des einfachen Diktatorspiels 2005 Das Experiment wurde ein Jahr später mit anderen Studierenden wiederholt, diesmal erhielten die Versuchspersonen 20 Euro. In der Aufteilung der Beträge ergibt sich eine ähnliche Verteilung wie im ersten Experiment (vgl. Abb. 3). Wiederum haben die meisten Versuchspersonen die Hälfte der Summe an die Spielpartner abgegeben, die ihnen anonym zugewiesen wurden. Egoistisch-rationale Entscheidungen treten dagegen selten auf. Wie viele andere experimentelle Befunde demonstrieren damit auch unsere Experimente mit dem einfachen Diktatorspiel, dass sich ein relativ großer Teil der Spieler an einer paritätischen Aufteilung der ihnen zugewiesenen Beträge orientiert. Diese Präferenz für eine Gleichverteilung der Beträge kann als Fairness bezeichnet werden.

F R A N Z E N/ P O I N T N E R : F A I R N E S S U N D R E Z I P R O Z I T Ä T IM D IK T A T O R S P I E L 2117 45 40 35 30 25 20 15 10 5 0 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 Abgaben für den Mitspieler in Euro (n = 71, x = 7,8). Berichtet werden relative Häufigkeiten. Abbildung 3: Ergebnisse des einfachen Diktatorspiels 2006 Ergebnisse des sequenziellen Diktatorspiels Bisher können die Ergebnisse als Nachweis für altruistische bzw. faire Verhaltensweisen dienen. Mit dem sequenziellen Diktatorspiel kann auch der Nachweis für die Reziprozitätsnorm erbracht werden. Die Vorstellung, dass Reziprozitätsnormen weit verbreitet sind, wurde in der sozialwissenschaftlichen Literatur unter anderem schon von Alvin Gouldner (1960), Marcel Mauss (1968) oder Georg Simmel (1908) postuliert. Reziprozität findet man als Strategie auch im iterierten Gefangenendilemma, bekannt unter dem Namen»Tit for Tat«(Axelrod 1987). Diese Art von Reziprozität kann man im Unterschied zur Norm aber als strategische oder egoistische Reziprozität bezeichnen. Im (unendlich) iterierten Gefangenendilemma kann freundlich-kooperatives Verhalten die beste Strategie rationaler Spieler sein, die Auszahlungen zu maximieren, sofern zukünftige Auszahlungen nicht zu stark abdiskontiert werden. Uns interessieren aber im Folgenden die Existenz und das Ausmaß von altruistischer Reziprozität. Darunter wird das Zurückgeben von Einsätzen oder Beträgen in Entscheidungssituationen verstanden, in denen die Spieler keine Zukunft haben. Einige Studien (Ben-Ner u.a. 2004; Diekmann 2004) haben diese Art von Reziprozi-

2118 S E K T IO N M O D E L L B IL D U N G U N D S IM U L A T IO N tät mit dem sequenziellen Diktatorspiel nachgewiesen. Bei Andreas Diekmann (2004) wurden drei Versuchsbedingungen konstruiert, die Versuchspersonen erhielten vom»ersten Spieler«einen Anteil von 0,2, 0,5 oder 0,6 der zehn Punkte (also zwei, fünf oder sechs Punkte), die jeweils zwei Schweizer Franken Wert waren. Insgesamt sollte eine Summe von 20 Franken (entspricht etwa 14 Euro) aufgeteilt werden. Der erste Spieler war in der Experimentsituation nicht real, sondern fiktiv, jedoch war dies den Versuchspersonen nicht bekannt. Etwa die Hälfte der Versuchspersonen gab genau den Anteil in der zweiten Runde zurück, den sie in der ersten Runde vom fingierten Spieler erhielten. Haben die Spieler also einen Anteil von 20 Prozent vom (fingierten) Diktator der ersten Runde erhalten, dann gaben die Diktatoren in der zweiten Runde auch mehrheitlich 20 Prozent ihrer Summe ab. Haben sie 50 Prozent vom ersten Spieler erhalten, wurden von über 45 Prozent der Personen auch 50 Prozent zurückgegeben und erhielten sie 60 Prozent, dann teilten sogar an die 60 Prozent der Untersuchungseinheiten ebenfalls 60 Prozent ihres Betrages aus. Diekmann interpretiert dies als Beleg für die Existenz einer Norm der Reziprozität. Die Ergebnisse können tatsächlich nicht durch reinen Altruismus erklärt werden, denn dann hätten in jeder Versuchsbedingung alles oder wenigstens gleich große Beträge abgegeben werden müssen. In der Studie von Avner Ben-Ner u.a. (2004) wurden die Versuchsteilnehmer auf zwei Räume aufgeteilt und die erste Gruppe instruiert, 10 Dollar wie im einfachen Diktatorspiel so aufzuteilen, wie sie möchten. Die Versuchspersonen im zweiten Raum erhielten die ihnen zugewiesenen Beträge in Kuverts und sollten dann ihrerseits die zuvor erhaltenen 10 Dollar aufteilen wie sie wollten. Die Autoren nahmen dabei eine weitere Variation vor: Die Beträge der Teilnehmer der zweiten Runde sollten einmal an Diktatoren der ersten Spielrunde direkt zurückgegeben werden und bei einer zweiten Gruppe an irgendwelche Diktatoren (aber nicht an dieselben) der ersten Runde. Versuchspersonen in der ersten Bedingung verhielten sich reziprok (wie bei Diekmann 2004) und gaben im Durchschnitt 70 Cent jedes erhaltenen Dollars aus der ersten Runde an den direkten Spielpartner zurück. Das Abgabeverhalten der Versuchspersonen in der zweiten Bedingung, die einen Betrag an einen anderen Spieler zurückgeben sollten, wurde dagegen nicht von den erhaltenen Beträgen beeinflusst. Wir haben das sequenzielle Diktatorspiel durch eine zusätzliche Variation erweitert. In einer Bedingung (negative Reziprozität) erhielten die Spieler von ihrem Spielpartner (die Abgaben der ersten Spieler wurden fingiert) niedrige Vorleistungen, in der zweiten Bedingung bekamen sie hohe Vorleistungen (positive Reziprozität). Darüber hinaus haben wir (wie bei Ben-Ner u.a. 2004) zwischen direkter (oder spezifischer) und indirekter (oder generalisierter) Reziprozität unterschieden. Geringe bzw. hohe Vorleistungen konnten von den Versuchspersonen an die direkten

F R A N Z E N/ P O I N T N E R : F A I R N E S S U N D R E Z I P R O Z I T Ä T IM D IK T A T O R S P I E L 2119 Spielpartner zurückgegeben werden oder aber an eine dritte Person. 3 Bei der Möglichkeit der Zurückgabe eines Betrags an die Person, die in der Runde zuvor den Betrag ausgeteilt hat, kann direkte Reziprozität gemessen werden. Wenn die Aufteilung der Beträge nicht mehr an die spezifische Person möglich ist, sondern an eine andere Person, die mit der Aufteilung des ersten Betrags nichts zu tun hat, dann wird indirekte Reziprozität gemessen. Beide Formen der Reziprozität haben Entsprechungen in realen Verhaltenssituationen. So kommt es vor, dass zum Beispiel Reisende in Restaurants nach freundlicher Bedienung auch dann ein angemessenes Trinkgeld geben, wenn sie vermutlich nie mehr in dieselbe Gegend zurückkehren (direkte Reziprozität) und Menschen spenden nicht selten mit der Begründung Blut, dass sie selbst Rezipienten anonymer Spenden werden könnten und zwar durch Spender, die nicht von ihrer eigenen persönlichen Spende profitierten (indirekte Reziprozität). Spezifische negative und positive Reziprozität In Abbildung 4 ist das Ergebnis der Versuchsbedingung mit geringen Vorleistungen und direkter Erwiderung auf den fingierten Spieler zu sehen (direkte negative Reziprozität). Für die Versuchspersonen war ersichtlich, dass der fingierte Spieler 20 Euro bekam und davon nur einen kleinen Teil (5 Euro) abgab. 4 Falls negative Reziprozität existiert, so ist zu erwarten, dass die Versuchspersonen von ihrem Betrag (20 Euro) ebenfalls nur geringe Beträge abgeben. Tatsächlich lässt sich dieses Verhalten in unserem Experiment beobachten. Die meisten der Versuchspersonen antworteten mit geringen Beträgen (Modalwert liegt bei 5 Euro). Relativ viele Spieler gaben aber auch die Hälfte der Summe ab. Dennoch scheinen sich die Spieler mehrheitlich (der Mittelwert der Abgaben beträgt x = 5,65) an dem Betrag zu orientieren, den sie von ihrem Mitspieler in der ersten Runde erhielten. 3 Den Versuchspersonen wurde gesagt, dass diese Person zufällig ermittelt wird. Die Experimentsituation wurde den Versuchspersonen so dargestellt, dass sie den Eindruck hatten, der erste Teil des Experiments hätte an der LMU München stattgefunden. Daher nahmen die Versuchspersonen an, dass die direkten Spielpartner (direkte Reziprozität) und die zufällig ermittelten Spielpartner (indirekte Reziprozität) Studierende an der LMU München sind. 4 Die Versuchspersonen erhielten wie beim einfachen Diktatorspiel schriftliche Instruktionen, aus denen hervorging, dass Ihnen ein Spieler aus der ersten Runde 5 Euro zugewiesen hatte. Wir haben zu diesem Zweck den Anweisungen für die Teilnehmenden unseres Experiments einen fingierten Antwortbogen des ersten Spielers hinzugefügt. Dieser fingierte Antwortbogen erhielt zwei Kästen. In dem ersten Kasten stand der Betrag, den der Spieler für sich behalten wollte (in unserem Fall 15 Euro) und in dem zweiten Kasten der Betrag, den er an den Mitspieler abgeben wollte (in unserem Fall 5 Euro).

2120 S E K T IO N M O D E L L B IL D U N G U N D S IM U L A T IO N 60 50 40 30 20 10 0 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 Abgaben für Spieler 1 in Euro (n = 20, x = 5,65). Berichtet werden relative Häufigkeiten. Abbildung 4: Spezifische negative Reziprozität (gegeben wurden 5 Euro) Die Ergebnisse, in denen die Versuchspersonen hohe Vorleistungen (15 Euro) erhielten sind in Abbildung 5 dargestellt. Spezifische positive Reziprozität würde vorliegen, wenn in etwa die Beträge von den Versuchspersonen retourniert werden, die sie auch in der ersten Runde erhalten haben. Diesmal zeigen die Ergebnisse aber, dass sich positive Reziprozität nur zu einem geringen Ausmaß feststellen lässt (25 Prozent der Personen gaben 15 Euro ab). Mehrheitlich (etwa 50 Prozent) gaben die Versuchsteilnehmer diesmal 10 Euro (der Mittelwert beträgt x = 10,15) ab. 5 5 Die Mittelwerte der spezifischen negativen und positiven Reziprozität unterscheiden sich statistisch signifikant voneinander (T = -4,196, p = 0,000).

F R A N Z E N/ P O I N T N E R : F A I R N E S S U N D R E Z I P R O Z I T Ä T IM D IK T A T O R S P I E L 2121 60 50 40 30 20 10 0 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 Abgaben für Spieler 1 in Euro (N = 20, x = 10,15). Berichtet werden relative Häufigkeiten. Abbildung 5: Spezifische positive Reziprozität (gegeben wurden 15 Euro) Generalisierte negative und positive Reziprozität Als Nächstes stellen wir die Ergebnisse des Experiments dar, in denen die Abgabe der Summe durch die Versuchsperson nicht direkt an Spieler 1 erfolgt, sondern an einen anderen Spieler. Den Versuchspersonen wurde in den schriftlichen Instruktionen mitgeteilt, dass Spieler 1, der ihnen die Summe zugeteilt hatte, auf keinen Fall etwas von ihrem Betrag bekommen kann, sondern vielmehr eine andere Person unter den Studierenden der LMU München zufällig ausgewählt würde. In Abbildung 6 wird zunächst die Versuchsbedingung mit geringer Vorleistung betrachtet. Die Spieler haben 5 Euro von dem ersten Spieler bekommen und mussten entscheiden, wie viel von ihrem Betrag sie an einen ihnen unbekannten Spieler abgeben wollen.

2122 S E K T IO N M O D E L L B IL D U N G U N D S IM U L A T IO N 60 50 40 30 20 10 0 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 Abgaben an den unbekannten Mitspieler in Euro (N = 18, x = 5,67). Berichtet werden relative Häufigkeiten. Abbildung 6: Generalisierte negative Reziprozität (gegeben wurden 5 Euro) Deutlich wird, dass unter den Bedingungen geringer Vorleistung auch zu einem großen Ausmaß geringe Beträge weitergegeben werden. Etwa 33,3 Prozent der Personen zeigen also generalisierte negative Reziprozität und geben damit ihre Erfahrung geringer Auszahlung weiter. Ein Teil bestraft sogar in hohem Ausmaß, etwa 28 Prozent der Versuchspersonen gaben nichts von ihrem Betrag ab. Allerdings gibt es auch einen ähnlich großen Anteil an Personen, welche die geringe Vorleistung nicht weitergeben, sondern fair agieren und die Hälfte der Summe verteilen. Wesentliches Ergebnis ist aber, das hier der Mittelwert von x = 5,67 fast identisch ist mit dem Mittelwert der spezifischen negativen Reziprozität ( x = 5,65), das heißt die Versuchspersonen haben nicht zwischen diesen unterschiedlichen Bedingungen differenziert. 6 Bei niedriger Vorleistung wird auch nur wenig zurückgegeben, unabhängig, ob dies direkt an die erste Person ausgezahlt wird oder ob ein unbeteiligter Dritter der anonyme Spielpartner ist. Im Fall der generalisierten positiven Reziprozität wird aus Abbildung 7 deutlich, dass diese Form der Reziprozität nicht auftritt. 6 Die Mittelwerte unterscheiden sich nicht signifikant voneinander (T = -,012, p = 0,991).

F R A N Z E N/ P O I N T N E R : F A I R N E S S U N D R E Z I P R O Z I T Ä T IM D IK T A T O R S P I E L 2123 60 50 40 30 20 10 0 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 Abgaben an den unbekannten Mitspieler in Euro (N = 19, x = 5,95). Berichtet werden relative Häufigkeiten. Abbildung 7: Generalisierte positive Reziprozität (gegeben wurden 15 Euro) Der Mittelwert der Abgaben liegt bei x = 5,95 und ist damit kaum höher, als unter Bedingungen geringer Vorleistung. 7 Die Verteilung besitzt zwei Modi, bei der Abgabe von 5 Euro und bei 10 Euro. Generalisierte positive Reziprozität, in diesem Fall die Abgabe von 15 Euro, tritt nur einmal auf. Zusammenfassung Unsere experimentellen Untersuchungen mit dem sequenziellen Diktatorspiel demonstrieren die Existenz spezifischer und generalisierter negativer Reziprozität: Spieler, die weniger als die Hälfte bekommen haben, geben auch nur wenig zurück. Paradoxerweise gilt das auch für das sequenzielle Diktatorspiel bei wechselnden Spielpartnern. Geringe Vorleistungen wurden von unseren Versuchspersonen im Unterschied zu den Befunden von Ben-Ner u.a. (2004) auch mit geringen Abgaben an unbeteiligte Dritte bestraft. Spezifische positive Reziprozität konnte in unseren Experimenten dagegen im Unterschied zu den Befunden von Diekmann (2004) nicht festgestellt werden. Die Versuchspersonen gaben mehrheitlich nur etwa die Hälfte zurück, obwohl sie von 7 Die Mittelwerte unterscheiden sich nicht signifikant voneinander (T = -,174, p = 0,863).

2124 S E K T IO N M O D E L L B IL D U N G U N D S IM U L A T IO N ihren Mitspielern 75 Prozent der Beträge (15 Euro) in der ersten Runde erhalten hatten. Ganz ähnlich fallen dazu die Ergebnisse zur generalisierten positiven Reziprozität aus. Auch hier zeigt sich, dass eine hohe Vorleistung von Spieler 1 nicht gleichermaßen honoriert wird. Vielmehr geben die Versuchspersonen nicht mehr als die Hälfte ihrer Beträge an einen dritten Spieler weiter. Insgesamt legen die Ergebnisse damit nahe, dass sich zwar spezifisch negative und generalisierte negative Reziprozität beobachten lässt, aber weder spezifisch positive noch generalisierte positive Reziprozität in unseren Experimenten auftrat. Ingesamt sind diese Ergebnisse mit dem ERC-Modell von Gary Bolton und Axel Ockenfels (2000) nicht kompatibel. Die soziale Nutzenfunktion der Autoren (u i = a iy i b i(1/2- σ i) 2 ) unterstellt, dass Abweichungen von der Gleichverteilung negativ in die Nutzenfunktion eingehen (wobei mit σ i der Anteil der Ressource bezeichnet wird, den Spieler i erhält). Individuen sind damit in der Formulierung von Bolton und Ockenfels (ebd.) ungleichheitsavers, wobei positive Abweichungen von der Gleichverteilung (Spieler erhalten mehr als die Hälfte der Ressourcen) genauso negativ beurteilt werden wie negative Abweichungen (Spieler erhalten weniger als die Hälfte). Unsere experimentellen Ergebnisse unterstellen aber eine asymmetrische soziale Nutzenfunktion: während nämlich geringe Vorleistungen mit geringen Zahlungen bestraft werden und damit eine Gleichverteilung der Ressourcen wieder hergestellt wird, reagieren unsere Versuchspersonen auf hohe Vorleistungen nur mit fairen Auszahlungen und verzichten auf die Herstellung der Gleichverteilung. Eine derartig asymmetrische Formulierung könnte etwa durch die Aufhebung der Quadrierung der Ungleichheitsrelation wie in u i = a iy i b i(1/2- σ i) hergestellt werden. 8 Die Abweichung von einer egalitären Aufteilung wird damit nur dann als negativ empfunden, wenn die Individuen weniger als die Hälfte der Beträge erhalten. Ob unsere experimentellen Befunde robust sind und ob eine entsprechende Umformulierung der Nutzenfunktion sinnvoll ist, müssen weitere Untersuchungen zur Reziprozität zeigen. Literatur Axelrod, Robert (1987), Die Evolution der Kooperation, München. Ben-Ner, Avner/Putterman, Louis/Kong, Fanmin/Magan, Dan (2004),»Reciprocity in a Two- Part Dictator Game«, Journal of Economic Behavior & Organization, Jg. 53, S. 333 352. 8 Die von Bolton und Ockenfels (2000) formulierte Nicht-Linearität des zweiten Terms könnte auch hier durch die Wahl des Betrags des quadrierten Terms oder durch einen Exponenten von 3 (statt von 2) berücksichtigt werden.

F R A N Z E N/ P O I N T N E R : F A I R N E S S U N D R E Z I P R O Z I T Ä T IM D IK T A T O R S P I E L 2125 Bolton, Gary E./Ockenfels, Axel (2000),»ERC: A Theory of Equity, Reciprocity, and Competition«, The American Economic Review, Jg. 90, H. 1, S. 166 193. Diekmann, Andreas (2004),»The Power of Reciprocity. Fairness, Reciprocity, and Stakes in Variants of the Dictator Game«, Journal of Conflict Resolution, Jg. 48, H. 4, S. 487 505. Fehr, Ernst/Gächter, Simon (2000),»Fairness and Retaliation: The Economics of Reciprocity«, The Journal of Economic Perspectives, Jg. 14, S. 159 181. Forsythe, Robert/Horowitz, Joel L./Savin, N. E./Sefton, Martin (1994),»Fairness in Simple Bargaining Experiments«, Games and Economic Behavior, Jg. 6, H. 6, S. 347 369. Gouldner, Alvin W. (1960),»The Norm of Reciprocity: A Preliminary Statement«, American Sociological Review, Jg. 25, H. 2, S. 161 178. Gouldner, Alvin W. (1984), Reziprozität und Autonomie. Ausgewählte Aufsätze, Frankfurt a.m. Henrich, Joseph/Boyd, Robert/Bowles, Samuel/Camerer, Colin/Fehr, Ernst/Gintis, Herbert (2004), Foundations of Human Sociality: Economic Experiments and Ethnographic Evidence from Fifteen Small-Scale Societies, Oxford. Henrich, Joseph/Smith, Natalie (2004), Comparative Experimental Evidence from Machiguenga, Huinca, and American Populations, in: Henrich, Joseph/Boyd, Robert/Bowles, Samuel u.a. (Hg.), Foundations of Human Society, Oxford, S. 125 167. Marlowe, Frank (2004),»Dictators and Ultimatums in an Egalitarian Society of Hunter-Gathers: The Hadza of Tanzania«, in: Henrich, Joseph/Boyd, Robert/Bowles, Samuel u.a. (Hg.), Foundations of Human Society, Oxford, S. 168 193. Mauss, Marcel (1968), Die Gabe. Form und Funktion des Austauschs in archaischen Gesellschaft, Frankfurt a.m. Ockenfels, Axel (1999), Fairneß, Reziprozität und Eigennutz. Ökonomische Theorie und experimentelle Evidenz, Tübingen. Simmel, Georg (1908), Soziologie. Untersuchung über die Formen der Vergesellschaftung, Leipzig.