in Berlin report * Astrid Schneider Photovoltaikhülle als primäre Energiequelle für Strom, Wärme und Mobilität

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Transkript:

60 * Astrid Schneider Photovoltaikhülle als primäre Energiequelle für Strom, Wärme und Mobilität Solares Forschungshaus in Berlin 1 Eckig, kantig und futuristisch steht ein neues Solarhaus mitten im alten Westberliner Stadtzentrum, einen Steinwurf entfernt vom berühmten Bahnhof Zoologischer Garten und dem Kurfürstendamm. Der Bauplatz für den temporären Forschungsbau ist ein freies Eckchen zwischen einer grosszügigen 50iger-Jahre-Bebauung, einem 80iger- Jahre-Bankgebäude und der traditionsreichen Universität der Künste. * Astrid Schneider Solar Architecture Pestalozzistrasse 12 D-10625 Berlin Mitten in diesen Showroom der Architektur der letzten 150 Jahre wurde nun ein Solarhaus neuster Generation gestellt. Auf allen Seiten spiegeln die glatten Glasfassaden und schwarzen Solarmodule die umliegende architektonische Zeitgeschichte als Spiegelbild der Herausforderung des Wandels. Das Deutsche Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS) ist Bauherr dieses durchaus spektakulären Bauwerks, welches in der Praxis zeigen soll, wie wir unsere Städte zu sich selbst versorgenden Gebäuden und regenerativen Systemen umbauen können. So wurde für das «Effizienz haus Plus mit Elektromobilität» das Motto geboren: «Mein Haus meine Tankstelle». Ziel ist es, mit dem Forschungshaus die Synergien zwischen solarem Gebäudeenergiesystem und Elektromobilität zu erforschen und Ideen für eine optimale Steuerung zu erproben, bezogen auf das gesamte von fluktuierenden regenerativen Quellen dominierte Energiesystem. Aus einem 2010 ausgelobten Wettbewerb gingen die Universität Stuttgart und das Planungsbüro des dort als Professor lehrenden Werner Sobek als erste Preisträger hervor. Bereits im Dezember 2011 wurde das Gebäude eröffnet. Nach einer kurzen Öffentlichkeitsphase wurde es vom März 2012 bis Mai 2013 von einer vierköpfigen Testfamilie bewohnt, um das Gebäude im Alltag zu erforschen. Die Messergebnisse liegen seit kurzem vor. Bis Ende des Jahres 2013 ist das Haus erneut täglich für Besucher geöffnet und wird als Informationszentrum für solares Bauen mit Abendvorträgen genutzt. Im Jahr 2014 soll sich eine zweite Messperiode mit einer weiteren Testfamilie anschliessen. Architektur Der Architekt und Ingenieur Werner Sobek steht für klare, schlichte Hightech-Entwürfe so entstand ein schlichter, lichtdurchfluteter, eleganter Effizienzhaus-Kubus. Garten- und Strassenfassade sind ganz als Glasfassaden ausgebildet,

61 umgeben von einer opaken Hülle ebenfalls allseitig mit Glas verkleidet. Seine an den Ideen der Moderne orientierte «rationale» und einer Konstruktionslogik folgende Formensprache favorisiert die Materialien Stahl und Glas. Auch die «Dekonstruktion» des Hauses wurde mitbedacht: alle Konstruktionen und Bauteil-Verbindungen sind so ausgeführt, dass das Gebäude sortenrein zerlegt und wieder recycelt werden kann. Alle opaken Hüllflächen, wie die Fassaden, der Boden und das Dach, sind als Leichtbau-Holztragwerke in Holztafelbauweise ausgeführt. Zwischen mit OSB-Platten beplankten Holzstegträgern ist eine rund 400 mm starke Zellulosedämmung eingeblasen. Die Zwischendecke ist aus Schallschutzgründen und zur besseren Wärmespeicherung mit einer Hanfdämmung gefüllt. Die Bodenbeläge sind aus natürlichem geöltem Holz. Insgesamt wurde auf giftige Kunststoffe auch für die Installationsrohre verzichtet. Gebäudekonzept Einem kompakten minimierten Innenraum steht eine grosszügige Hülle für die Solarenergiegewinnung und Aussenwirkung gegenüber. So ist nur etwas mehr als die Hälfte des «Kubus» mit «Innenraum» gefüllt, die Hülle des Würfels öffnet sich zur Strasse hin als repräsentativer überdachter Vorraum. Hier sind auch induktive Bodenfelder installiert, über denen die Elektroautos und Elektrobikes induktiv also berührungslos geladen werden können. Eines der Hausfeatures, die bei den Testbewohnern am besten ankam: Auto abstellen und die Sonne lädt es automatisch, ohne Stecker. Dieser wird nur für die Schnellladung benötigt. Durch die Glasfassade können Besucher einen Blick auf den als «Showroom» ausgebildeten Technikraum werfen, in welchem sich Wärmepumpe, Wechselrichter und das ganze Lüftungssystem mit Luftwärmetauscher befinden. Ein Monitor informiert auch Besucher über das Energiesystem. Die zweite Schicht bildet der «Energiekern», die klassische «Installationszone» des Hauses mit Treppen und Bädern und Hausnebenräumen. Die dritte Schicht bilden die eigentlichen zur Gartenseite orientierten Wohnräume, welche in einem über das ganze Gebäude offenen Raumgefüge verbunden sind. Türen haben nur die drei Schlafräume im Obergeschoss und die Bäder. Die Eingangs- und Gartenfassade sind als grosse einheitliche Glasfassaden ausgebildet. Zur Verwendung kam eine Dreifachverglasung. Tragende Stahlstützen wurden hinter die Fassade frei in den Raum gestellt. Der Sonnenschutz wird auf der Gartenseite durch Aluminiumjalousien Aufbau Aussenwand 12,5 mm GK-Beplankung, gestrichen 60 mm Installationsebene mit Hanfdämmung Dampfbremse 20 mm OSB Platte 360 mm Zellulosedämmung 20 mm OSB Platte Feuchtigkeitssperre 30 mm Vertikallattung 30 mm Agraffenprofil (Alu) 30 mm Dünnschicht PV Module als vorgehängtes Fassadenelement Konzept Isometrie 2 3 4 7 Deckenaufbau 15 mm Holzbelag schwimmend verlegt 3 mm Ausgleichsschicht (Kork) 2 x 12,5 mm Trocken-Estrich 30 mm Holzfaserelemente m. Alukaschierung zur Verlegung der Fussbodenheizung 25 mm Wabenelement mit Schüttung 25 mm OSB Platte 300 mm Hanfdämmung 15 mm OSB Platte 45 mm Feder Abhangung 12,5 mm Gipskarton-Beplankung auf Metall- Unterkonstruktion 1 öffentlich innen privat Energiekern aussen 1 Photovoltaik-Module, in die Fassade integriert und auf dem Dach 2 Energie- und Technikzentrale 3 Batterie 4 Informationsdisplay und konduktives Ladesystem 5 Feststehende Lamellen 6 Treppe 7 Induktives Ladesystem 5 6 2 3 4

62 1 Blick von Südwesten auf Photovoltaikfassade und Gartenseite. 2 Aufbau Decke zwischen und. 3 Isometrie Aufbau Photovoltaikfassade. 4 Isometrie Gebäudekonzept. 5 PV-System Dach in Ost- West-Ausrichtung / Nordfassade mit s chwarzem Glas. 6 Ostansicht mit öffentlichem Vorhof. 7 E-Mobil auf induktiver Ladeplatte und PV- Fassade. 8 Schnitt durch Photovoltaikfassade. 5 9 Schnitt durch Glasfassade. 10 Gebäudeschnitt. 11 Photovoltaikfassade. 6 Bildnachweise: Bild 1, 5, 7: Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Berlin (BMVBS) Bild 2 4 und 8 10: Werner Sobeck Stuttgart, WSGreenTechnologies und ILEK (Universität Stuttgart) Bild 6: Schwarz Architekturfotografie für das BMVBS Bild 11: Jens Gebhardt, ZEBAU Gmbh 7 Ein Artikel von Astrid Schneider, Solar Architecture, Berlin Die Autorin ist selbst freischaffende Architektin und spezialisiert auf die Photovoltaikgebäudeintegration und solare Gebäudekonzepte. Zudem ist sie energiepolitisch engagiert für ein 100% erneuerbares Energiesystem. www.astrid-schneider.de

63 gewährleistet, im Osten durch den grossen Dachüberstand. Schnitt opake Fassade Wohnen Photovoltaik-Fassadensystem An der geschlossenen Südfassade sind rahmenlose Dünnschichtsolarmodule als hinterlüftete Fassadenbekleidung vorgehängt. Die rahmenlosen Glas-Glas-CIS-Dünnschichtmodule von Würth wurden in ein speziell entwickeltes Tragesystem der Firma Sto integriert. Dieses Fassadensystem besteht aus neuartigen 12 mm starken Trägerplatten aus Blähglasgranulat, welches mit Epoxidharz gebunden wurde. Diese Glasgranulatplatten werden werkseitig auf so genannte Agraffenprofile aus Aluminium geschraubt. Danach werden beim Produzenten die Dünnschichtsolarmodule mit einem speziell zugelassenen Klebstoff auf die Glasgranulatplatten geklebt. Mit den rückseitig befestigten Agraffenprofilen werden die Fassadenplatten in die Unterkonstruktion eingehängt. Auf diese Weise entsteht eine elegante mit schlanken offenen Lichtfugen ausgestattete rahmenlose Fassadenkonstruktion. Während die Klebung von ESG-Glasscheiben auf die Unterkonstruktion mit den Glasgranulatplatten bereits bauaufsichtlich zugelassen ist, benötigte die Verwendung der Solarmodule eine Zustimmung im Einzelfall. Grund ist, dass die Dünnschichtsolarmodule selbst bereits ein «Verbundglas» sind und die äussere Schicht dementsprechend nicht von der Unterkonstruktion selbst, sondern ausschliesslich von der inneren Scheibe des Solarverbundes getragen wird. Bisher werden solche Konstruktionen vom Deutschen Institut für Bautechnik nur mit mechanischer Lastabtragung und mechanischer Sicherung gegen Wind auch der äusseren Glasscheibe zugelassen, da man sich in der Regel auf die langanhaltende statische Zuverlässigkeit geklebter (oder laminierter) Verbindungen nicht verlassen will. Man darf also auf die vom Hersteller beantragte Bauzulassung der Photo voltaikfassade als Gesamtsystem sehr gespannt sein. Optisch und konstruktiv sowie energetisch ist das neue System sehr vielversprechend: Die Montage ist denkbar einfach. Durch die klassische Konstruktion mit Konterlattung ist eine optimale Hinterlüftung möglich. Für die ebenfalls opake Nordfassade wurde das gleiche Wandsystem genutzt, nur dass statt Solarmodulen schwarze Glaspaneele zum Einsatz kamen. Somit ist auch ein im Erscheinungsbild recht bruchloser Wechsel zwischen Photovoltaik-Modulen und «normaler» Fassade möglich. Ein wahrer Preisvergleich zwischen den «Zusatzkosten» für Solarstromerzeugung könnte hier auch angemessen gezogen Aussen Dachaufbau Bautenschutzmatte Kunstoffabdichtung, mechanisch befestigt OSB Platte 20 mm Zellulosedämmung Brettschichtholzträger bzw. Holzstegträger OSB Platte 25 mm Feuchteadaptive Dampfbremse Hanfmatten 50 mm Gipskarton-Beplankung 12,5 mm Bodenaufbau Holzbelag schwimmend verlegt 15 mm Ausgleichsschicht (Kork) 3 mm Trocken-Estrich 2x12,5 mm Holzfaser Elemente mit Alukaschierung zur Verlegung der Fussbodenheizung 30 mm Wabenelement mit Schüttung 25 mm OSB Platte 25 mm Zellulosedämmung 400 mm Feuchteresistente Spanplatte 15 mm Unterlüftungszwischenraum Streifenfundament Wandaufbau Dünnschicht PV Module Agraffenprofile Vertikallattung und Hinterlüftung Feuchtigkeitssperre OSB-Platte 20 mm Zellulosedämmung OSB-Platte 20 mm Dampfbremse Installationsebene mit Hanfmatte 60 mm Gipskarton-Beplankung 12,5 mm 8

64 Schnitt transparente Fassade Wohnen werden, da sich beim Fassadenaufbau nur die Paneelschicht unterscheidet. Transparente Fassade Brettschichtholz 100 x 400 Blende Alu schwarz Blende Alu grau Sonnenschutz (Lamellen) Blende Alu weiß Absturzsicherung VSG 10 mm Dreifachverglasung Blende Alu grau Kreuzstütze Stahl Zwischendeckeaufbau Holzbelag 15 mm Ausgleichsmatte 3 mm Trocken-Estrich 2 x 12,5 mm Holzfaser FB-Heizung 30 mm Papier Wabenelement mit Schüttung Hanfdämmung federabgehängte Unterkonstruktion 45 mm Gipskarton-Beplankung 12,5 mm Photovoltaik-Dachsystem Um eine optimale Flächenausnutzung zu erzielen, kam ein flach aufgeständertes, durchdringungsfreies Flachdachmontagesystem von K2-Systems zum Einsatz, welches die Standardsolarmodule mit einer Neigung von 10 Grad nach Osten und Westen orientiert. Das System aus Aluminiumprofilen wurde statisch berechnet und im Windkanal getestet. Genau wie das Fassadensystem ist es jedoch weder normgerecht noch besitzt es eine allgemeine bauaufsichtliche Zulassung. Auch das Dach konnte so nur mit Zustimmung im Einzelfall genehmigt werden. Deutlich wird hier, welch grosse Herausforderungen noch bestehen, um den ganzen Solarbereich in den Bausektor zu integrieren. Dabei sollte diskutiert werden, ob sich die Solarsystem zwangsweise den traditionellen deutschen Baunormen oder ob sich die Baunormen den innovativen Solarsystemen anpassen sollten. Energiesystem Sonstiges Streifenfundament Terrasse Eichendielen Aussen 9 Das Energiesystem des Gebäudes basiert vollständig auf der Kraft der Sonne. Ziel ist es, dass die Solarsysteme in der Jahresbilanz mehr Strom herstellen, als das gesamte Gebäude sowie die Elektromobilität an Strom verbrauchen. Das «Effizienzhaus Plus-Niveau» ist erreicht, wenn sowohl ein negativer Jahresprimärenergiebedarf als auch ein negativer Jahresendenergiebedarf vorliegen. Für die Gebäudeheizung wird eine strombetriebene Luft-Wasser-Wärmepumpe eingesetzt. Wegen des temporären Charakters des Experimentalhauses wurde auf die Verlegung eines Erdregisters oder die Einbringung von Bohrlöchern zur Nutzung der flachen Geothermie verzichtet. Zur Nachheizung des Warmwassers ist ein elektrischer Heizstab eingebaut, um die Legionellenbildung sicher zu verhindern. Die Gebäudeheizung erfolgt über eine Fussbodenheizung und eine Zuluftvorwärmung mit Wärmerückgewinnung aus der Abluft. Eine Litium-Ionen-Batterie soll den direkten Eigenverbrauchsanteil des Solarstromes erhöhen. Ein Touchpanel und eine auch über das Smartphone abrufbare Visualisierung und Fernbedienung des Hauses ermöglicht den Bewohnern ihren Energieverbrauch zu reflektieren und zu optimieren. So können zum Beispiel die avisierten Fahrtstrecken mit den E-Mobilen in der Vorschau eingegeben werden, damit das Hausenergiesystem bei Bedarf Energie aus den Elektroautobat-

65 terien abruft oder aber dafür sorgt, dass diese randvoll geladen sind. Ergebnisse des ersten Messjahres und der Bewohnerbefragung Insgesamt wurde erreicht, dass das Gebäude über seine Hülle in der Jahresbilanz so viel Strom bereit stellt, wie für Heizung, Warmwasser und Strombedarf für Beleuchtung, Haushaltsgeräte und Anlagentechnik benötigt wurde, also für den gesamtem Gebäudebetrieb. Das Ziel, auch noch die Elektromobilität voll mit abzudecken, scheiterte daran, dass im Testzeitraum sehr deutlich viel weniger Sonne schien als in den bei der Simulation zugrunde gelegten zehn Vorjahren. Ein aussergewöhnlich trüber Winter mit rund 40% weniger Sonnenstunden erbrachte rund 20% weniger Strom. So konnte nur ein Viertel der für die Elektromobilität benötigten Strommenge selbst erzeugt werden. Insgesamt ergibt sich ein stark abweichendes Bild gegenüber der Vorausberechnung. Verbräuche im ersten Messjahr: Wärmepumpe: 5865 kwh (Messung) anstelle 2217 kwh (Planung) Hilfsenergien: 3099 kwh (Messung) anstelle 2275 kwh (Planung) Beleuchtung: 526 kwh (Messung) anstelle 375 kwh (Planung) Haushalt: 2910 kwh (Messung) anstelle 2125 kwh (Planung) Dies führt in der Jahressumme zu einem etwa 75% erhöhten tatsächlichen Energieverbrauch von 12 400 kwh anstelle der geplanten 6992 kwh. Gleichzeitig zeigt der Vergleich der gemessenen Stromerträge aus den Photovoltaikanlagen mit den vorherberechneten Ertragswerten witterungsbedingte Mindererträge (13 306 kwh anstelle der prognostizierten 16 625 kwh) von etwa 20%. Die beiden gegenläufigen Effekte führen dazu, dass in der Messperiode nur 906 kwh Energieüberschüsse anstelle der prognostizierten 9633 kwh erzielt werden konnten. Bei normaler Witterung könnte jedoch die E- Mobilität komplett mit abgedeckt werden. Genau 3984 kwh wurden zusätzlich aufgewandt für die Infomonitore, Visualisierung sowie für die experimentelle Batterie aus recycelten Autobatterien. Diese Grössen werden jedoch ausser Betracht gelassen, da sie nur durch den «Show- und Experimentalcharakter» bedingt sind. Die Elektromobile haben mit 3974 kwh im Mess jahr weniger Energie verbraucht als die angenommenen 6000 kwh, allerdings fehlt hier der Bezug zur zurückgelegten Fahrtstrecke, da die Fahrt- und Ladedaten der E-Mobile derzeit noch wissenschaftlich ausgewertet werden. Immerhin konnte unter anderem durch die Batterie und die Elektromobilität ein durchgängiger Eigennutzungsanteil des erzeugten Solarstroms von über 40% erzielt werden. Der Rest des erzeugten Stroms wird zu anderen Zeiten als den Bedarfszeiten erzeugt und mit dem öffentlichen Stromnetz über Einspeisung und Bezug ausgetauscht. Im Sommer produziert das Haus Energieüberschüsse und im Winter benötigt es «Zuschüsse». Dieses Problem lässt sich auch mit der Batterie nicht lösen, da diese nur Tagesbedarfe speichert und ausgleicht. Insofern bleibt das Effizienzhaus Plus zu einem hohen Anteil seines Strombedarfes vom Strombezug aus dem öffentlichen Stromnetz und den damit verbundenen unberechenbaren zukünftigen Strombezugspreisen abhängig, während auch ungewiss sein kann, welche Vergütung für eingespeisten Solarstrom langfristig gezahlt wird, da möglicherweise immer dann Stromüberschuss in Deutschland herrscht, wenn die Sonne scheint mit den damit verbundenen niedrigen Marktpreisen. Energieverbräuche für Lüftungs- und Heizungskonzept Besonders markant ist die Abweichung der Energieverbräuche in den Bereichen Wärmepumpe und Hilfsenergien für die Ventilation. Das wärmeseitige Energiekonzept steht hier zur Disposition, zumal es nicht exorbitant viel kälter war als erwartet im Messzeitraum. Auffällig ist, dass zwar ein künstliches Belüftungskonzept erdacht wurde aber der Glaube an technische Systeme zu einer Gebäudeplanung geführt hat, welche die natürliche Lüftung nicht optimiert. So wurde von den Test-Bewohnern zu Recht bemängelt, dass es keine reguläre Möglichkeit zur Querlüftung des gesamten Gebäudes gibt. Einzig und alleine die Öffnung der Haustür ermöglicht eine Querlüftung im Erdgeschoss. Allerdings möchte man die Haustür ungerne offen stehen lassen. Im Obergeschoss gibt es allerdings gar keine Öffnungsmöglichkeit in der strassenseitigen Fassade. Durch die offene Grundrissgestaltung steigt jedoch alle warme Luft aus dem im Erdgeschoss gelegenen Wohnbereich in das Obergeschoss mit den Schlafräumen und die warme Luft ist hier schwer wegzulüften. So positiv das transparente und offene Erscheinungsbild der Innenräume mit den grossen Glas- Schnitt opake Fassade Wohnen öffentlich Energiekern privat Rampe Schaufenster Haustechnik Küche Essen Terrasse Informationsdisplay und Bildschirm Konduktives Ladesystem Induktives Ladesystem Photovoltaik Stahlbeton-Streifenfundamente Unterlüfteter Raum unter Bodenplatte Bad/WC Kind 1 Flur Querschnitt A-A 10

66 fassaden ist, so ist es doch problematisch, dass es keine klassischen «Fenster» im Haus gibt, sondern «nur» wenige bodenhohe Fenstertüren. Der hohe Glasfassadenanteil führt zu einer sehr schweren Dreifachverglasung, um die Energiekennwerte zu halten. Die Fenstertüren sind jedoch nicht mit Beschlägen zum Ankippen ausgestattet, sondern lassen sich nur entweder öffnen oder schliessen. So muss das mechanische Lüftungssystem insbesondere sommerliche Wärmelasten weg ventilieren. Daher sind die benötigten Ventilationsenergien in den Sommermonaten Juni, Juli und August am höchsten. Zudem führt die mechanische Belüftung auch nicht zwangsweise zum erwünschten Ergebnis. So lässt sich die Temperatur der Zuluft nicht raumbezogen variieren. Dabei waren es die Testbewohner gewöhnt, das Schlafzimmer gar nicht zu heizen, konnten hier aber weder die Vorerwär- mung der Zuluft abstellen, noch nachts die Fenster schräg anstellen. Ein zu erwartendes Ergebnis ist auch, dass die vorgewärmte Zuluft zu einer unbehaglich trockenen Luft im Winter führt, wie die Messergebnisse deutlich zeigen. Wie es sein kann, dass die Innenraumtemperatur im Sommer durchschnittlich rund fünf Grad über der Aussentemperatur liegt, ist sicherlich ebenfalls erforschenswert. Ist es eventuell möglich, dass die Hinterlüftung der schwarzen Photovoltaikfassade mit 3 cm zu gering ausgeführt ist und es so zu einer ungewollten sommerlichen Erwärmung der Südwand kommt? Die Wärmepumpenanlage inklusive internem Pufferspeicher und Heizstab kommt nur auf eine Gesamtperformance von rund 2,2. Das ist sowohl der direkten elektrischen Nachheizung für das Trink-Warmwasser geschuldet, als dem Verzicht auf Geothermie. Interessant wäre, das Forschungshaus nun zu optimieren, beispielsweise durch eine wesentlich bessere natürliche Lüftung und eine individuellere Steuerung der Temperatur und Raumzonierung. In einem zweiten Schritt wäre es wünschenswert, noch weitere Haustechnikund Konstruktionsvarianten auszuprobieren. Der Ansatz, ein komplettes Haus zu bauen und zu monitoren, ist ein ebenso mutiger wie richtiger Ansatz. Schön wäre es, die Erfolge des ersten Hauses angemessen zu würdigen und aus den Fehlern zu lernen und ohne zu verzagen Energiemessung im ersten Messjahr von März 2012 bis Februar 2013 11 Erzeugung PV-Anlage: PV-Dach: 11 578 kwh/a PV-Fassade: 5 047 kwh/a Summe PV: 13 306 kwh/a Simulation PV-Erzeugung: 16 625 kwh/a Mindererträge von rund 20% durch rund 40% geringere Anzahl Sonnenscheinstunden im Messzeitraum Stromverbrauch für den Hausbetrieb: 4224 kwh für die Heizwärmebereitstellung mit der Wärmepumpe 1641 kwh für die Trinkwarmwasserbereitung mit der Wärmepumpe 3099 kwh für die Hilfsenergie (Antriebe etc.) der Anlagentechnik 526 kwh für die Beleuchtung 2910 kwh für Haushaltsgeräte und Haushaltsprozesse Der Stromverbrauch für den Hausbetrieb beträgt in der Summe 12 400 kwh/a. Für den Betrieb der Elektromobile wurden 3974 kwh verbraucht. Damit wurden tägliche Stadtfahrten der Familie durch ganz Berlin abgedeckt. Für den Betrieb des Hauses als «Showcase», so z.b. für einen ständig betriebenen Info- Monitor, eine nächtliche Beleuchtung der Strassenfassade und des Technikraumes, sowie anderer durch den temporären Charakter bedingter Verbräuche wie der Beheizung des Abwasserrohres beträgt der Verbrauch 3984 kwh und sollte bei den Ergebnissen ausser Betracht bleiben. Energie-Bilanz: Vollständige Deckung des Strombedarfes für den Stromverbrauch im Gebäude selbst. In einem meteorologischen Standard-Jahr kann die Elektromobilität im bisherigen Umfang mit abgedeckt werden. Die Show-Case-Funktionen sind nicht abdeckbar über die PV-Anlagen. gleich weiter und noch energischer zu forschen. Schliesslich zeigte sich der Unterschied zwischen Planung, Simulation und Praxisergebnissen doch sehr deutlich. Wünschenswert wäre es, die Reihe nun gegebenenfalls auch gleich parallel mit weiteren Prototypen-Bauten mit ganz unterschiedlichen solaren Energiekonzepten fortzusetzen. Vielleicht kann man sogar die «Forschungskiste» selbst in den Folgejahren noch umbauen und technisch variieren. Jetzt wirklich experimentelles Bauen im noch grösseren Stil zu praktizieren das wäre Forschergeist und sicherlich gut angelegtes Bundesgeld. Den Bewohnern hat es insgesamt viel Spass gemacht und sicherlich würden sich etliche weitere begeisterte Test familien finden. Gebäudedaten Bruttogrundfläche 187 m 2 Beheizte Nettogrundfläche 149 m 2 Gebäudevolumen 643 m 3 Hüllflächenfaktor A/V 0,75-1 U-Werte Gebäudehülle in (W/m 2 K) Aussenwand, Dach, Boden 0,11 Fenster 0,70 Durchschnitt Gebäudehülle 0,33 Anlagentechnik Luft-Wasser-Wärmepumpe mit Pufferspeicher 5,8 kw WW-Boiler mit elektrischem Heizstab (Legionellenschaltung) Warmwasserspeicher (288 Liter) Kontrollierte Be- und Entlüftung mit Wärmerückgewinnung Fussbodenheizung Photovoltaiksystem Dach: 60 monokristalline Standard- Solarmodule mit je 240 Wp in Ost-West- Ausrichtung mit einer Neigung von 10 Fläche APV=98,2 m 2, Leistung 14,1 kwp Südfassade: CIS-Dünnschichtmodule Fläche APV=73 m 2 ; Leistung 8 kwp Batterie: 40 kwh Lithium-Ionen-Batterie zur Zwischenspeicherung Bautafel Architekten: ILEK an der Universität Stuttgart + Werner Sobek Stuttgart + WSGreenTechnologies Wissenschaftliche Begleitung Messung Energiedaten: Fraunhofer-Institut für Bauphysik IBP Gebäudestandort: Fasanenstrasse 87 in 10623 Berlin Öffnungszeiten in 2013, Mi So 13 18 h Kontakt: effizienzhaus@zebau.de