Titel: Pfarrer: Singen und Sehen Dr. Florian Ihsen Predigttext: Johannes 1,1-8 Datum: 26.12.2011 Zweiter Weihnachtstag (Das erste der Lieder geht der Predigt voraus) Liebe Gemeinde, Singen und Sehen, Klänge und Bilder bestimmen die Weihnachtsszenen, die Peter Cornelius in seinem ersten Weihnachtslied entwirft. Wie schön geschmückt der festliche Raum! Die Lichter funkeln am Weihnachtsbaum! O fröhliche Zeit! O seliger Traum! Die Mutter sitzt in der Kinder Kreis; Nun schweiget alles auf ihr Geheiß. Sie singet des Christkinds Lob und Preis. Und rings vom Weihnachtsbaum erhellt Ist schön in Bildern aufgestellt Des heiligen Buches Palmenwelt Die Kinder schauen der Bilder Pracht Und haben wohl das Singen acht, Das tönt so süß in der Weihenacht O glücklicher Kreis im festlichen Raum! 1
O goldne Lichter am Weihnachtsbaum! O fröhliche Zeit! O seliger Traum! Wie im Bilderbuch des 19. Jahrhunderts. Die verschneite Landschaft fehlt noch. O fröhliche Zeit! O seliger Traum! Sprechen Sie diese gesungenen Bilder an? Oder finden Sie diese Bilder eher kitschig, schwülstig? Aber - was heißt hier Kitsch? Kitsch lässt sich definieren als ein aus der Sicht des Betrachters minderwertiger Gefühlsausdruck. Der Kitsch ist einfach, trivial, sentimental. Ich möchte das Kitsch genannte hier zunächst vehement verteidigen. Was Kitsch ist, liegt am Betrachter. Jeder Kitsch ist auch Kunst. Eine einfache, schlichte Kunst. Wer bitteschön hätte das Recht, das Einfache und Schlichte zu diskreditieren? Dass es im Umfeld von Weihnachten viele einfache, schlichte Gefühle gibt, was manche als Kitsch empfinden, hat einen theologisch tiefen Grund: Gott ist einfach, schlicht, banal, trivial geworden. Das vermeintlich Einfache und Schlichte, das vermeintlich Triviale und Banale gehört zum Weihnachtskreis notwendig dazu. Gott hat sich unter die Menschen gemischt. Fleisch geworden. Und zwar in einer Handwerkerfamilie, in ländlichem Milieu. Wenn wir moderne Milieustudien auf die Familie Jesu übertragen, dann können wir sagen: Gott ist einer von denen geworden, die lieber Florian Silbereisen und Marianne und Michael hören als das Weihnachtsoratorium. Er ist einer von denen geworden, die lieber die Bildzeitung als die Süddeutsche, die lieber Rosamunde Pilcher als Thomas Mann lesen. Es ist beileibe kein Ausdruck von falsch verstandenem Niveau, ja es zeugt eher von falscher Arroganz, das vermeintlich Einfache abzuwerten. Gefühle und Sehnsucht, auch ganz einfache, gehören daher zu Weihnachten, ja zum christlichen Glauben dazu. Wie viele sind erschrocken über sich selbst, wenn ihnen bei Stille Nacht, heilige Nacht oder vergleichbaren Liedern die Tränen kommen und gewissermaßen verbotene Gefühle aus dem Unterbewusstsein hervortreten. Um es mit Sigmund Freuds Worten zu sagen: Gott ist nicht nur das Über-Ich, er ist so Mensch geworden, dass auch mein ES, mein verdrängtes Unbewusstes von ihm angenommen und durchdrungen ist. 2
Der christliche Glaube kann nicht alle Gefühle und Sehnsüchte befriedigen. Glaube ist vom Karfreitag nicht minder bestimmt als von Weihnachten. Trotzdem haben Gefühle und Sehnsüchte ihr eigenes Recht - zumindest solange Gefühle nicht auf Kosten des Denkens kultiviert werden: Ein zutiefst menschlicher, ja ein göttlicher Dienst ist es, den uns Weihnachtslieder wie die von Peter Cornelius leisten: Gefühle und Träume freilegen, Sehnsüchte und Ideale singen und sehen. O glücklicher Kreis im festlichen Raum! O goldne Lichter am Weihnachtsbaum! O fröhliche Zeit! O seliger Traum! Nun die Frage an Sie: War es so bei Ihnen vorgestern, gestern? Der glückliche Kreis? Goldene Lichter? Musikalische Klänge? Wohl dem, der es erleben durfte oder sagen kann: Es war rundum schön, ohne Abstriche. Vielleicht war Ihr Heiliger Abend einfach unspektakulär. Bei manchen war und ist Weihnachten schmerzlich. Klänge und Bilder, je gefühlsbetonter, desto mehr, tun weh. Je einfacher sich Sehnsucht ausdrückt, desto schmerzlicher ist es, wenn sie unerfüllt bleibt. So viel will ich doch gar nicht als ein wenig Liebe, Harmonie, Geborgenheit. Wie verdammt weh tut das, wenn nicht einmal die einfache Sehnsucht erfüllt wird. Wie soll je das Große wahr werden, wenn das Einfache und Schlichte schon so leicht scheitert? Sie kennen sicher auch kabarettistische Beiträge zu Weihnachten, etwa von Loriot, Herbert & Schnipsi, Familie Heinz Becker oder Monika Gruber. Meist haben sie ein ähnliches Schema: Da kommt Weihnachten der Opa, der lieber Sportschau schauen will. Der Bub will sich nicht schön anziehen und macht sich dreckig. Der Vater ist streitlustig. Die Mutter rackert sich ab und bemüht um gute besinnliche Stimmung. Am Ende geraten sie in Streit und der Baum fällt um. Die Sehnsucht nach dem seligen Traum geht in dem Moment kaputt, wenn Menschen versuchen, aus eigener Kraft den Traum wirklich zu machen. Bei aller Besinnlichkeit: Wir 3
leben nicht im Traum. Wir sind Menschen mit Ecken und Kanten, auch an Weihnachten. Und was für Ecken und Kanten! Wenn Weihnachten, wenn Religion überhaupt nur häusliches Familienidyll wäre, wäre es blanke Lüge. Es ist gut, dass Peter Cornelius Liederzyklus aus dem behaglichen Wohnzimmer herausführt in die Klänge und Bilder der Bibel. Hören wir die Lieder 2-4 Die biblischen Geschichten und Bilder von der Geburt Jesu wollen gerade nicht kurzzeitig mit Gefühlen berauschen, betäuben, in Narkose setzen, sondern unser Leben in Bewegung setzen und heil machen. Nicht die selbstproduzierte Weihnachtsstimmung heilt, sondern der Gott Jesu, der uns sucht und liebt und birgt und uns etwas zu sagen und zu geben hat, auch in, mit und unter dem Kitsch. O Menschenkind halt treulich Schritt Die Kön ge wandern, o wandre mit Der Stern der Liebe, der Gnade Stern Erhelle dein Ziel, so du suchst den Herrn Und fehlen Weihrauch und Myrrhe und Gold Schenke dein Herz dem Knäblein hold Schenk ihm dein Herz. Schenke ihm dein Herz. Das heißt doch: Noch hast du ihm dein Herz nicht geschenkt. Noch schaffst du den Sprung nicht über deinen Schatten, deine engen Grenzen. Schau und sieh, du hast noch Möglichkeiten. Du hast Zukunft. Schenk ihm dein Herz. Gott will nicht etwas von dir, er will dich. Hören wir die letzten Lieder. 4
Das zarte Knäblein ward ein Mann. Für mich ist das der wichtigste Satz in dem Liederzyklus. Der Mann Jesus ist es, auf den es ankommt. Der erwachsene Jesus. Der unbequeme Mann. Der wilde Mann. Jesus ist kein Softie, kein Liebhaber von Harmonie, der uns in den Schaf wiegt und zuruft: Schatzilein, Du darfst nicht traurig sein. Seine Botschaft lautet nicht: Schlaf in himmlischer Ruh, sondern: nimm dein Kreuz und folge mir nach. Der erwachsene Mensch aus Nazareth ist es, der in die Nachfolge ruft, der die Zufriedenen hinterfragt, der sich auf die Seite der hoffnungslos Sehnenden schlägt, der sich kreuzigen lässt. Seine Stimme ist mild und weich, heißt es bei Peter Cornelius. Aber wer sie ernst nimmt, erschrickt: Den Kleinen gehört das Himmelreich. Ausgerechnet! Das Klein-Sein versuche ich doch zu umgehen. Das Klein-Sein macht mir Angst. Ich mag nicht klein sein. Sie wohl auch nicht. Und wenn den Kleinen das Himmelreich gehört, ist die Stimme des Heilands alles andere als mild und weich. Der Mann aus Nazareth stellt mich in Frage, gibt mir zu denken. Singen und sehen an Weihnachten. Dazu gehören auch andere Bilder, Gedanken und Klänge. Das tiefsinnige hochphilosophische Weihnachtslied des Johannesevangeliums beispielsweise, das wir eben als Evangeliumslesung gehört haben: Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott. Und das Wort ward Fleisch. Wir sahen seine Herrlichkeit. Für Martin Luther das Weihnachtsevangelium schlechthin, das ihn zu seinem nicht minder großartigen Lied inspiriert hat. Gelobet seist du Jesu Christ. In unser armes Fleisch und Blut verkleidet sich das ewig Gut. Unser Fleisch und Blut ist arm und darf auch arm sein. Gott ist nicht Traum geworden, nicht Ideal geworden, er ist Mensch geworden. Ein Mensch, der sterben muss. Seit die Christen Weihnachten feiern, ist dem Fest der Schmerz eingeschrieben. Und der Zweite Weihnachtstag ist seit dem 3. Jahrhundert bis auf den heutigen Tag auch ein Märtyrergedenktag: Stephanus, der erste Märtyrer des Christentums wird für seinen Glauben verfolgt und ermordet. Der 26.12, als Stefanustag ist ein Mordsfest und älter als das Weihnachtsfest. 5
Was singen und sehen wir an Weihnachten? In unser armes Fleisch und Blut verkleidet sich das ewig Gut. Unser Fleisch, Blut, Herz darf arm sein. Klänge einfacher Sehnsucht können und dürfen unser armes Herz wärmen und öffnen. Öffnen dafür, dass das zarte Knäblein ein Mann wird. Jeder Mensch will erwachsen werden. Auch dieser Mensch aus Nazareth. Auch in uns und für uns. Amen. 6