Predigt am 11. Sonntag nach Trinitatis (16. August 2015) um 10 Uhr in St. Marien, Gera- Untermhaus.

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Transkript:

Predigt am 11. Sonntag nach Trinitatis (16. August 2015) um 10 Uhr in St. Marien, Gera- Untermhaus. 1. VOM ERHÖHEN UND ERNIEDRIGEN Gnade und Friede von dem, der da war und der ist und der kommt, sei mit euch allen! Der Predigttext des heutigen Sonntags steht im achtzehnten Kapitel des Evangelisten Lukas. Wir haben ihn als Evangelium gehört, und ich lese ihn noch einmal: Er sagte aber zu etlichen, die sich selbst vermaßen, dass sie fromm wären, und verachteten die andern, ein solch Gleichnis: Es gingen zwei Menschen hinauf in den Tempel zu beten, einer ein Pharisäer, der andere ein Zöllner. Der Pharisäer stand und betete bei sich selbst also: Ich danke dir, Gott, dass ich nicht bin wie die anderen Leute, Räuber, Ungerechte, Ehebrecher, oder auch wie dieser Zöllner. Ich faste zweimal in der Woche und gebe den Zehnten von allem, was ich habe. Und der Zöllner stand von ferne, wollte auch seine Augen nicht aufheben gen Himmel, sondern schlug an seine Brust und sprach: Gott, sei mir Sünder gnädig! Ich sage euch: Dieser ging hinab gerechtfertigt in sein Haus - vor jenem. Denn wer sich selbst erhöht, der wird erniedrigt werden; und wer sich selbst erniedrigt, der wird erhöht werden. Liebe Gemeinde, wer sich selbst erniedrigt, der wird erhöht werden. Na, da steige ich doch am besten wieder runter von der Kanzel. Denn: Wer sich selbst erniedrigt, der wird erhöht werden. Ich fürchte nur, Sie werden dann sagen: Ah, er ist nur runter gestiegen, weil er sich selbst erhöhen will. - Indem er sich erniedrigt, erhöht er sich auf raffinierte Weise - gleichsam hintenrum.

Ich versichere Ihnen aber, dass ich mich nur erniedrige, damit Sie denken, ich will mich dadurch erhöhen. Und weil Sie denken, ich will mich heimlich erhöhen, indem ich mich erniedrige, erniedrige ich mich tatsächlich, denn Sie werden schlecht von mir denken und dadurch werde ich eben erniedrigt. Nun weiß ich natürlich, dass ich nicht dagegen gefeit bin, dass Sie wiederum sagen: Aber gerade dadurch erhöhst du dich doch! Du denkst, du erniedrigst dich, indem du uns unterstellst, wir glaubten, dass du dich nur erniedrigst, damit du erhöht wirst! Aber indem du uns denken lässt, du stiegest von der Kanzel herab, um dich heimlich zu erhöhen und wir dieses Erhöhen als Trick auffassen, dich selbst zu erniedrigen, erhöhst du dich, denn wir sollen denken, dass du dich erniedrigst, während du dich doch erhöhst. Jetzt haben Sie mich aber erwischt!, würde ich dann sagen und insgeheim hoffen, dass Sie dieses offene Zugeben von Fehlern unwiderstehlich sympathisch finden. Schließlich gilt ja: Wer sich selbst erniedrigt, der wird erhöht werden. Armer Jesus, da sagt er einen so prägnanten Satz, der so schlagend plausibel und unwiderleglich ist, und doch entsteht daraus ein schreckliches Gefälle der Unklarheiten, ein entsetzliches Undsoweiter. Es ist nicht mehr klar, wer sich erhöht und wer sich erniedrigt, wer sich erhöht, indem er sich erniedrigt und wer sich erniedrigt, damit er erhöht wird. Zum Glück ist es bei uns ja nicht so. Aber man stelle sich vor, dass gerade der, der so demütig, fragend und offen daher kommt, sich in Wirklichkeit nur durchsetzen will, weil er weiß, dass die demütig fragende Haltung der beste Trick ist, um sich beliebt zu machen. Das lehne ich ab, weil es offenbarer Unsinn ist!, hat keine Chance, aber: Wir bitten um Erlaubnis, in diese Richtung nachdenken zu dürfen!

ist unschlagbar, denn fragende Demut wirkt einfach unwiderstehlich. 2. WIR HABEN NUR DAS WORT Ich sage diese Dinge bewusst etwas burlesk. Aber diese Gedanken haben einen sehr ernsten Hintergrund. Denn alles, was wir erreichen können, unsere einzige Waffe, unsere einzige überzeugende Aktionsform, ist das Wort. Und wenn die Sprache unklar wird, die Wirklichkeit nicht mehr abbildet, sondern Blasen wirft und in Umwegen hierhin und dorthin mäandert, so dass niemals mehr klar ist, was bezeichnet und angestrebt wird, dann können wir nichts ausrichten in der Welt, nichts Geistliches jedenfalls. Wir strecken die geistlichen Waffen, wenn uns die Sprache verschludert. Nietzsche hat behauptet, das Christentum habe eine Umwertung der Werte verursacht. Was stark und gesund sei, werde denunziert, was stattdessen gelten solle, sei eigentlich die Moral der Sklaven und nicht das Ethos freier Menschen. Ich halte das für daneben geschossen, denn auch die Sprache der Sklaven sprechen die Herren besser, jedenfalls dann, wenn es darum geht, sich damit durchzusetzen. Auf der Strecke bleiben nicht die Starken und Gesunden. Die wissen sich schon zu verteidigen. Auf der Strecke bleibt die Sprache, die ihre Klarheit und Bezeichnungskraft verliert. Ist das Christentum daran beteiligt? Sehen wir auf das Gleichnis, das eine so klare kleine Geschichte sein soll, aber doch inwendig sehr schwierig ist, zum Teil auch erst schwierig geworden ist, weil die Dinge, die Sätze, der Gesten heute etwas anderes bedeuten als damals. 3. ZÖLLNER UND PHARISÄER Der Evangelist Lukas hat vielleicht schon die inneren Probleme dieser Geschichte geahnt, wenn er diese Einleitung gibt: Er sagte aber zu etlichen, die sich selbst vermaßen, dass sie fromm wären, und verachteten die andern, ein solch Gleichnis. Und dann wird die scheinbar klare Geschichte erzählt. Der Stolze brüstet sich. Und der Demütige erniedrigt sich. Und der Demütige geht gerechtfertigt von dannen. Und der Stolze wurde nicht gerechtfertigt. Er hat nicht erreicht, was er auch gar nicht anstrebte: Erbarmung zu finden. Für uns ist es schon klar, dass die Pharisäer diese aufgeblasenen Prahler und klein karierte Schriftkenner sind. Und die Zöllner die lieben Hasen, die allezeit demütig zu dem Herrn Jesus kommen.

Aber erinnern wir uns, dass die Zöllner die Menschen sind, die mit der Besatzungsmacht zusammen arbeiten. Sie können gar nicht ehrlich sein, denn sie leben davon, den Reisenden mehr abzuknöpfen, als diese bezahlen müssen. Sie haben einen Blick, der alle Kunden taxiert: Wie viel kann ich dem abnehmen? Ihr Blick ist der Betrug als Lebenshaltung. Sie handeln weitgehend willkürlich. Sie können gar nicht unschuldig sein, denn ein korrekter Zöllner ist ein toter Zöllner; er kann sich dann von seiner Arbeit nicht ernähren. Es gibt keine guten Zöllner, deswegen haben die auch meist ein schlechtes Gewissen. Es gibt keine guten Zöllner, aber eine Menge gute Pharisäer. Denn die tun, was in Gottes Gesetz geschrieben steht. Und sogar mehr. Sie leben wie die Priester, leben nach deren Reinheits- und Speisevorschriften - auch und selbst im Alltag. Wir Christen werden ja im Neuen Testament Heilige genannt. Ihr seid von Gott geliebt, seid seine auserwählten Heiligen. So schreibt es der Apostel im Kolosserbrief. So liegt es heute sehr viel näher, dass wir die Pharisäer sind, die Heiligen Gottes! Wenn wir zum Altar schreiten sagen wir allerdings nicht mehr: Hab Dank, Herr, dass ich nicht bin wie dieser Bild-Journalist, der immer übertreiben muss, damit er keinen Ärger von seiner Redaktion bekommt! Sondern wir sagen: Gott, sei mir Sünder gnädig! Weil dieser Satz eben der korrekte ist und in der Bibel, eben in unserem Gleichnis steht. Aber reicht es, die richtigen Worte zu sagen? Die Geschichte erzählt, wie ein Kleinkrimineller - oder ein Großkrimineller, das wissen wir nicht -. Aber dass er ein Krimineller ist, wissen wir fast sicher. Die Geschichte erzählt, dass so ein Krimineller vor Gott rein da steht, weil er um Erbarmen bittet, während der, der ein tadelloses Leben lebt, und vielleicht deswegen ein bisschen von sich eingenommen ist, nach Hause geht und das nicht findet, was er nicht gesucht hat: Erbarmen. 4. DIE ANSTRENGUNG, GUT ZU SEIN UND DAS ERBARMEN Das ist eigentlich eine schreckliche Geschichte für alle, die - wie ich und sie vielleicht auch versuchen, einigermaßen gut zu leben, nicht zu sehr auf Kosten anderer, mit nicht zu vielen offenen Konflikten,

ohne Mitmenschen zu verletzen. Dies alles gilt nichts vor Gott. Was gilt denn vor ihm? Es gilt nicht, was wir tun, selbst wenn wir Böses tun. Es gilt nicht, was wir tun, auch wenn wir Gutes tun. Es geht nicht darum, was wir tun, sondern was wir suchen. Und je mehr wir mit uns zufrieden sind, je weniger suchen wir das Erbarmen, wie es der Zöllner tat. Jesu vertrackte kleine Geschichte spitzt zu, treibt die Situation ins Paradoxe: Der Kriminelle erreicht eher das Erbarmen als der Mann, der alles tut, um gut zu leben. Wer ein schlechtes Gewissen hat, ist Gott näher, weil er sein Leben eher in Frage stellt. Und wer sein Leben nicht verliert, der wird es nicht gewinnen. Die Sprache der Logik und die des Verstandes dreht vor solchen Zumutungen leer, aber die Bezeichnungskraft dieser religiösen Sprache ist hoch. Das Paradox spricht zielsicher aus, was vor Gott gilt - und was nicht. Jeder tiefe religiöse Satz enthält ein Paradox. Wir sind Sünder und Gerechte zugleich, sagt Luther. Gott hat die Weisheit der Welt zur Torheit gemacht und die Torheit vor der Welt zur Gottesweisheit. Wir leben in einer spannenden Zeit. Alles passiert gleichzeitig!, So beginnt ein Image-Film der Postbank, der gerade fast jeden Werbeblock bevölkert. Ich glaube in unserer Zeit, die wir Moderne nennen oder manchmal auch schon Postmoderne, ist uns diese Wahrheit wieder nahe gekommen. Wir sind Sünder und Gerechte zugleich. Wir sind demütig und hoffärtig zugleich, halten zu viel von uns - und stellen gleichzeitig unser Licht unter den Scheffel. Wir sind mutig und furchtlos. Dann wieder trauen wir uns keinen Schritt. Und doch sind wir darin verstanden, sogar geliebt. Als Zöllner, die sich an die Brust schlagen.

Und als Pharisäer, die etwas in ihrem Leben erreichen wollen. Beide biblischen Figuren sind wir. Und egal, ob wir scheitern oder triumphieren, suchen wir seine Nähe. So werden wir finden, was wir nicht gesucht haben: Erbarmen. Amen. Und der Friede Gottes, der höher und weiter ist als unsere menschliche Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.