Gedanken zu Glaube und Zeit

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Herbert Kohlmaier - Heribert Franz Köck, Hg. Gedanken zu Glaube und Zeit Nr. 109 5. Januar 2013 Heribert Franz Köck Die schleichende Ausdehnung der Unfehlbarkeit auf nicht unfehlbare Akte des päpstlichen Lehramtes - Wie man in Rom auch päpstliche Enzykliken unfehlbar zu machen weiß Die päpstliche Unfehlbarkeit, wie sie auf dem Ersten Vatikanum 1870 definiert wurde, bezieht sich nur auf das außerordentliche Lehramt des Papstes, also auf feierliche Verkündigungen ex cathedra in Fragen der Glaubens- und Sittenlehre, also auf sogenannte und als solche eindeutig erkennbare Dogmatisierungen. Sie bezieht sich nicht auf das ordentliche Lehramt des Papstes, also jene seiner Lehräußerungen, die in anderer Form, etwa in Enzykliken, Apostolischen Schreiben aber auch in Ansprachen zu den verschiedensten Gelegenheiten ergehen. Das wird übrigens im Prinzip auch heute noch von der Schultheologie so gelehrt. Die Praxis sieht freilich anders aus. Man hat in Rom seit 1870 Mittel und Wege gesucht, um auch für die nicht unfehlbaren päpstlichen Lehräußerungen eine uneingeschränkte Verbindlichkeit in Anspruch nehmen zu können. Teils über einen absoluten Gehorsamsanspruch, teils über einen auf neuer Grundlage erhobenen oder auf Umwegen konstruierten Unfehlbarkeitsanspruch. Diese Entwicklung hat sich schleichend vollzogen und ist in ihrer Bedeutung, insbesondere aber in ihrer Gefährlichkeit für die notwendige Flexibilität der Pastoral, für die Freiheit der Theologie sowie für den unter Gewissenszwang kommenden Einzelnen erst nach dem Zweiten Vatikanum im Gefolge der Diskussion um die Verbindlichkeit bestimmter Aussagen in der Pillenenzyklika Humanae vitae von 1968 erkannt worden. Indirekt hat dazu leider eigentlich gegen die Intention des Ersten Vatikanums schon dessen Formulierung in Fragen der Glaubens- und Sittenlehre beigetragen, weil sie für sich allein genommen und nicht im Zusammenhang gelesen zweideutig ist und weit oder eng ausgelegt werden kann. Bei weiter Auslegung könnte man unter Sittenlehre alles verstehen, was in den Bereich der Moraltheologie fällt; und in den Bereich der Moraltheologie fällt das gesamte menschlichen Verhalten, also nicht nur die Verpflichtungen Gott und sich selbst gegenüber, sondern auch die Verpflichtungen gegenüber anderen und damit gegenüber der Gesellschaft schlechthin, national, regional und global. Auch die Verpflichtungen aus dem Naturrecht und aus der auf demselben aufbauenden Soziallehre der Kirche sind nicht nur rechtliche, sondern gleichzeitig auch moralische Verpflichtungen. Damit könnte man unter Sittenlehre alle von der Kirche vertretenen Regeln verstehen, welche den Menschen von der Wiege bis zum Grabe begleiten und für sein Verhalten (Tun, Unterlassen) maßgeblich sind. Und der Papst könnte folgte man der weiten Auslegung von

Glaubens- und Sittenlehre alle diese Regeln in den Rang eines ex cathedra verkündeten Dogmas erheben. Bei enger Auslegung kann man unter Sittenlehre aber nur jene sittlichen Regeln verstehen, die über das, was im Lichte der natürlichen Vernunft erkannt werden kann, hinaus (auch) aus der Offenbarung entnommen werden kann, wie z.b. dass man seine Pflichten gegenüber der politischen Organisationsform der Gesellschaft, also insbesondere gegenüber dem Staat, erfüllen soll. ( Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist.) Damit kann der Papst bei enger Auslegung von Glaubens- und Sittenlehre nur jene sittlichen Regeln in den Rang eines ex cathedra verkündeten Dogmas erheben, die nicht bloß naturrechtlichen Charakter, sondern auch ihren Niederschlag in der Offenbarung (in positiv-göttlichen Rechts- und Moralvorschriften) gefunden haben. Eine Analyse des der eigentlichen dogmatischen Formulierung der päpstlichen Unfehlbarkeit vorangehenden Konzilstextes und der Gesetzesmaterialien, insbesondere auch der dem Konzilsplenum vorgetragenen Erklärungen des Berichterstatters, zeigt klar, dass es nur um das depositum fidei, also das der Kirche anvertraute Glaubensgut geht, und dass daher richtigerweise nur jener Teil der kirchlichen und damit auch der päpstlichen Sittenlehre erfasst sein kann, der zum depositum fidei gehört. Insoweit hat das alles mit dem hier behandelten Problem, nämlich dem unfehlbaren außerordentlichen Lehramt des Papstes einerseits und dem nicht unfehlbaren ordentlichen Lehramt des Papstes, zu dem auch die päpstlichen Enzykliken gehören, andererseits, als solches gar nichts zu tun. Aber für das Verständnis der weiteren Entwicklung des Anspruchs des kirchlichen, insbesondere päpstlichen Lehramtes auf Gehorsam seitens der Gläubigen ist es wichtig, sich auch die Zweideutigkeit der bei der Dogmatisierung der päpstlichen Unfehlbarkeit verwendeten Formulierung Glaubens- und Sittenlehre vor Augen zu halten. Sie eignet sich nämlich dafür, den Unterschied zwischen geoffenbarter und natürlicher Sittenlehre zu verwischen und dem Adressaten päpstlicher Aussagen im Bereich der Sittenlehre zu suggerieren, hinter allen diesen Aussagen stünden Jesus und/oder Gott in gleicher Weise. Die Dichte kirchlicher, insbesondere päpstlicher Sittenlehre hat seit dem 19. Jahrhundert ständig zugenommen. Was früher den Theologen, insbesondere den Moraltheologen überlassen blieb, nämlich (moral-) theologische Theorien aufzustellen und diese gelegentlich sogar in umfangreicheren Systemen zusammenzufassen, hat immer mehr das päpstliche Lehramt an sich gezogen. Ihren Höhepunkt fand diese Entwicklung unter dem Pontifikat Pius XII., der zu allem und jedem etwas zu sagen wusste oder doch sagen zu müssen meinte; es ist bezeichnend, dass seine diesbezüglichen Lehren in einer von Utz und Groner herausgegebenen, drei sehr umfangreiche Bände umfassenden Sammlung unter dem Titel Die soziale Summe Pius XII. veröffentlicht wurden. Diese Proliferation päpstlicher Sittenlehre hat natürlich auch innerhalb der Kirche Reaktionen hervorgerufen. Es erhob sich die Frage, ob sich der Papst wirklich zu allem äußern müsse, die Frage, ob wirklich alles, was er in dieser Hinsicht gesagt habe, auch über jeden Zweifel erhaben, und die Frage, ob das alles auch verbindlich sei oder bloß als eine gutgemeinte Anleitung zu rechtem Verhalten angesehen werden könne, die wenn man sie nicht überzeugend finde auch nicht im Gewissen verpflichte. In diesem Zusammenhang wurden auch zwei grundsätzliche Frage aufgeworfen, nämlich ob die Zuständigkeit des kirchlichen, insbesondere auch des päpstlichen Lehramtes, sich wirklich auf alles und jedes erstrecke, und zweitens, ob Enzykliken und andere nicht ex cathedra ergehende Lehräußerungen, die ja nicht unfehlbar seien, überhaupt Verbindlichkeit wenn schon nicht in Form von religiösem Glauben, so doch in Form von religiösem Gehorsam beanspruchen könnten. Kurz: Je mehr Pius XII. lehrte, desto weniger wurde dieser nie 2

versiegende Strom päpstlicher Lehräußerungen ernst genommen und umso mehr wurden seine Grundlagen hinterfragt. Dem versuchte Pius XII. mit einer Reihe weiterer Lehräußerungen entgegenzutreten. Gegen den Einwand, dass die Kirche und der Papst ja nur für die Lehre der geoffenbarten Wahrheiten und nicht auch für alle sonstigen Wahrheiten zuständig seien, vertrat er die Auffassung, das Wort Jesu an seine Apostel bzw. Jünger Wer euch hört, hört Mich gelte uneingeschränkt; wann und was immer die Bischöfe und insbesondere der Papst lehren würden, das habe die Autorität Jesu hinter sich. Überdies habe die Kirche den ganzen Menschen zum Heil zu führen; daher könne kein Bereich von der Kompetenz der Kirche im Allgemeinen und des Papstes im Besonderen, die ihnen für den menschlichen Weg zum Heile notwendig erscheinenden Regeln aufzustellen, ausgenommen sein. Und weil durch die Bischöfe und insbesondere durch den Papst Jesus selbst spreche, könne für ihre Lehren selbst im Bereich des bloßen Naturrechts nicht das gelten, was man sonst als Maßstab anzulegen pflege, nämlich, dass der Wert einer Aussage von den Argumenten abhänge, auf die sie gestützt würde. Mit anderen Worten: auch wenn die kirchliche und insbesondere die päpstliche Lehre argumentativ auf schwachen Beinen stehe, sei sie doch zu akzeptieren, weil sie die Autorität Jesu für sich habe. Auf diese Weise hat der Papst erstens versucht, eine Verbindlichkeit seiner Lehräußerungen über die den ex cathedra-entscheidungen des außerordentlichen päpstlichen Lehramtes nach dem Unfehlbarkeitsdogma des Erstens Vatikanums zukommende Verbindlichkeit hinaus in Anspruch zu nehmen, und zwar auf der Grundlage der bis dahin von niemandem so verstandenen Bibelstelle Wer euch hört, hört Mich Er hat zweitens versucht, diese Verbindlichkeit seiner Lehräußerungen auf alle Bereiche des menschlichen Lebens zu erstrecken, und zwar auf der Grundlage des bis dahin so nicht gebrauchten Arguments, weil die Kirche den Menschen als ganzen zum Heil führen müsse, müsse sie auch für das gesamte Verhalten des Menschen Anweisungen geben können. Das erstgenannte Argument wurde freilich von den Kritikern nicht recht ernst genommen, weil es auf der Hand liegt, dass sich Bischöfe und Päpste nicht bei allem, was sie sagen, auf die Autorität Jesu berufen können, sodass auf diese Weise die Frage nach Umfang und Grenzen der kirchlichen bzw. päpstlichen Lehrautorität nicht einfach vom Tisch gewischt werden kann. Das zweitgenannte Argument, das die Differenz zwischen weltlichem und geistlichem Bereich aufhebt, hat Pius XII. überdies den Vorwurf des Integralismus eingetragen. Trotzdem wagte niemand, dagegen offen aufzutreten, um nicht in die Mühlen des Heilige Offiziums (d.h. der römischen Inquisition) zu geraten, mit dem viele bedeutende Theologen (wie Karl Rahner) damals aus viel harmloseren Gründen unliebsame Bekanntschaft machten. Das Zweite Vatikanum hat mehrere Aussagen zum Problem der Verbindlichkeit kirchlicher Lehräußerungen gemacht, denen damals, zu einer Zeit, als sich die große Mehrheit der Bischöfe und Gläubigen auf dem Weg zu einer kollegialen und dialogischen Kirche wähnte, nicht die nötige Beachtung geschenkt wurde. Die eine Aussage betrifft das ordentliche Lehramt des Papstes, wie es auch durch Enzykliken ausgeübt wird. Für diese Aussagen nimmt das Konzil zwar keine Unfehlbarkeit in Anspruch, wohl aber eine praktische Verbindlichkeit, weil die Gläubigen auch den Aussagen des ordentlichen päpstlichen Lehramtes mit vollem Gehorsam des Verstandes und des Willens anzuhängen hätten. Diese Verpflichtung währt nach der Aussage des Konzils offenbar so lange, bis der Papst eine andere Vorgabe macht, der dann ihrerseits mit vollem Gehorsam des Verstandes und des Willens anzuhängen ist, und zwar wieder bis zum Widerruf, und so fort. 3

Eine andere Aussage betrifft das Lehramt der Kirche und des Papstes in Sachen des Naturrechts. Dafür wird zwar keine Unfehlbarkeit in Anspruch genommen, aber doch das Recht, das Naturrecht authentisch auszulegen. Da auf diese Weise der formelle Unfehlbarkeitsanspruch offenbar auf jene Lehren beschränkt werden soll, die sich auf das depositum fidei und damit auf die Offenbarung stützen, meint authentisch wohl so viel wie maßgeblich oder verpflichtend. Auch hier währt die Verpflichtung der Gläubigen offenbar so lange, bis die Kirche bzw. der Papst diese authentische Interpretation des Naturrechts korrigieren, worauf dann die korrigierte Version als verbindlich anzusehen ist, und zwar wieder bis zu einer Neuinterpretation, und so fort. Eine dritte Aussage betrifft das ordentliche Lehramt der Bischöfe. Demselben wird sogar Unfehlbarkeit zugesprochen, für den Fall, dass alle Bischöfe in der ganzen katholischen Welt eine bestimmte Lehre übereinstimmend vortragen. Diese Aussage mag den Bischöfen, die spätestens seit der von Paul VI. der Kirchenkonstitution Lumen gentium von 1964 vorangestellten Nota explicativa praevia, wonach das Kollegium der Bischöfe immer nur mit und unter dem Papst als Haupt lebens-, lehr- und liturgiefähig sei, ohnedies nicht recht wissen, welchen Sinn und welche Rolle die Kollegialität überhaupt hat, als ein kleiner Trost erschienen sein. Überdies erinnerte die Lehre vom unfehlbaren ordentlichen Lehramt aller Bischöfe irgendwie an die traditionelle Formel, dass das katholisch sei, was von der ganzen Kirche immer und überall geglaubt worden ist, und erschien daher fürs erste harmlos. Und manche mögen darin sogar eine stärkerer Akzentuierung der Unfehlbarkeit der Kirche als ganzer gegenüber der Unfehlbarkeit des Papstes als solchen erblickt haben. Dabei sollte sich gerade diese harmlose Aussage in der Folge als Waffe traditionell denkender Kreise in der Kirche in ihrem Kampf gegen jede Änderung auch der nichtunfehlbaren Aussagen des ordentlichen päpstlichen Lehramtes erweisen und spielte in Zusammenhang mit der Enzyklika Humanae vitae eine entscheidende Rolle. Alle drei Aussagen ist gemeinsam, dass sie vom Konzil zwar nicht als förmliche Dogmen vorgetragen wurden, aber doch die Autorität einer Dogmatischen Konstitution des Konzils hinter sich haben, also von der höchsten Lehrautorität in der Kirche stammen, auch wenn diese gemäß dem Wunsche Johannes XXIII. darauf verzichtet hat, neue Dogmen zu verkünden. Die beiden ersten Aussagen erscheinen überdies von Anfang an dadurch relativiert, dass sie, ohne Wenn und Aber genommen, vom Gläubigen gegebenenfalls auch ein sacrificium intellectus fordern würden, was mit einer anderen, ebenfalls traditionellen Lehre der Kirche dass nämlich die letzte und höchste Instanz für den Einzelnen sein Gewissen sei nicht vereinbar erscheint. Aus diesem Grund haben ja auch einzelne Bischöfe, ja ganze Bischofskonferenzen in Zusammenhang mit Humane vitae die Auffassung vertreten, der einzelne Gläubige, der nach seinem Gewissensurteil zur Meinung gelangt, für sich schon die zukünftige bessere Einsicht der Kirche gewonnen zu haben, sei nicht verpflichtet, sich an die Lehre von Humanae vitae zu halten. Wenn sich die Kurie auch heute noch weigert, eine Revision dieser Lehre in Angriff zu nehmen, und wenn es ihr bisher auch gelungen ist, alle Päpste seit Paul VI. auf Linie zu halten (was freilich bei Johannes Paul II. nicht schwierig war, weil er selbst der spiritus rector von Humanae vitae gewesen ist), dann mit dem Argument, selbst wenn eine Enzyklika keine ex cathedra-entscheidung darstelle und daher nicht per se unfehlbar sei, so wäre doch ihr Inhalt dann unfehlbar und irreversibel, wenn sie nichts anderes enthalte als das, was (auch) die Bischöfe auf dem ganzen katholischen Erdkreis übereinstimmend lehren. So hätten die Bischöfe im Gefolge der von Pius XI. 1930 in der Enzyklika Casti connubii vertreten Auffassung, dass der ehelichen Akt seiner Natur nach nur zur Zeugung von Nachkommen bestimmt sei und die Anwendung von Verhütungsmaßnahmen deshalb ein unsittliches Verhalten darstelle, diese Auffassung auf der ganzen Welt verbreitet und übereinstimmend vorgetragen. Das erfülle aber das vom Zweiten Vatikanum für 4

die Unfehlbarkeit des ordentlichen Lehramts der Bischöfe aufgestellte Kriterium (d.h. weltweite übereinstimmende Lehre der Bischöfe) und hätte daher die Lehre von Casti connubii unfehlbar gemacht, weshalb Pauli VI. gar nicht anders gekonnt hätte, als diese Lehre in Humanae vitae zu wiederholen, und weshalb davon auch in aller Zukunft nicht abgegangen werden könne. Dieses Argument ist natürlich anfechtbar, weil die Unfehlbarkeit des ordentlichen Lehramts der Bischöfe der Bischöfe nicht daran hängt, dass die Bischöfe zu irgendeinem Zeitpunkt irgendeine Lehre übereinstimmend vortragen oder vorgetragen haben, sondern daran, dass in ihm der unveränderliche Glaube der gesamten Kirche zum Ausdruck kommt. Wenn sich also nicht zeigen lässt, dass das, was die Bischöfe heute übereinstimmend lehren, immer und überall in der Kirche als eine von Gott geoffenbarte Wahrheit angesehen wurde, dann verhilft dies einer von allen Bischöfen von einem gewissen Zeitpunkt an übereinstimmend vorgetragenen Lehre nicht zur Unfehlbarkeit. Überdies sind vom Papst eingesetzte und ihm zum Gehorsam verpflichtete Bischöfe, die nur das lehren dürfen, was der Papst vorgibt, von vornherein keine Zeugen des Glaubens ihrer jeweiligen Ortskirchen! Und weil es sich um eine von Gott geoffenbarte Wahrheit und nicht um eine bloße Wahrheit, so plausibel sie auch immer sein mag, handeln muss, kann auch eine von den Bischöfen noch so übereinstimmend vorgetragene Lehre im Bereich des Naturrechts derselbe nicht zur Unfehlbarkeit und Irreversibilität verhelfen. Den meisten Gläubigen, ja selbst vielen Geistlichen und auch manchen Theologen sind derartige Überlegungen allerdings viel zu kompliziert. Je nach ihrer Grundhaltung ignorieren sie entweder die Lehre von Humane vitae und andere unhaltbar erscheinende kirchliche Lehren oder sie halten an ihnen in der Hoffnung fest, der Heilige Geist werde irgendwann den Sinn im anscheinenden Unsinn enthüllen und die römische Sturheit sich als prophetische Unbeugsamkeit erweisen. Das alles tut der von der Schultheologie wie schon gesagt bis heute vertretenen Unterscheidung zwischen unfehlbaren ex cathedra-entscheidungen und nicht unfehlbaren Enzykliken und dergleichen keinen Abbruch. Es relativiert diese Unterscheidung aber stark, weil man in Rom, wie gezeigt wurde, mittlerweile bereits Wege gesucht und (wenn auch nur scheinbar) gefunden hat, um auch die nicht unfehlbaren Lehren in Enzykliken als letztlich doch unfehlbar hinzustellen. Zur Ermöglichung einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit diesen Lehren muss die Kritik also schon bei Frage nach der (Un-)Fehlbarkeit der in Enzykliken enthaltenen Lehren ansetzen, eine Frage, die heute für das praktische Leben der Menschen, aber auch für die Glaubwürdigkeit der Kirche, von größerer Bedeutung ist als die dogmatischen Fragen nach der Unbefleckten Empfängnis Mariae oder deren leiblichen Aufnahme in den Himmel. Herausgeber: Dr. Herbert Kohlmaier und em. Univ. Prof. Dr. Heribert Franz Köck. Die Aussendung dieser persönlichen (keiner bestimmten Organisation zuzurechnenden) Diskussionsbeiträge vor allem zur Kirchenreform erfolgt per E-Mail namentlich adressiert an 918 Empfänger in mehreren Ländern, insbesondere in Österreich, Deutschland und der Schweiz, mit deren Einverständnis. Häufig erfolgt eine Weiterverbreitung. Kontakt: 1230 Wien, Gebirgsgasse 34, Tel. (+43 1) 888 31 46, E-Mail: kohli@aon.at (Kohlmaier), sowie 1180 Wien, Eckpergasse. 46/1, Tel. (+43 1) 470 63 04, E-Mail: heribert.koeck@gmx.at (Köck). Weiterversendung und Vervielfältigung mit Angabe des Autors sind frei. 5