Siegfried Bernfeld Zionismus und Jugendkultur Werke, Band 3

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Transkript:

Siegfried Bernfeld Zionismus und Jugendkultur Werke, Band 3

D as Anliegen der Buchreihe Bibliothek der Psycho analyse besteht darin, ein Forum der Auseinandersetzung zu schaffen, das der Psychoanalyse als Grundlagenwissenschaft, als Human- und Kulturwissenschaft sowie als klinische Theorie und Praxis neue Impulse verleiht. Die verschiedenen Strömungen innerhalb der Psychoanalyse sollen zu Wort kommen, und der kritische Dialog mit den Nachbarwissenschaften soll intensiviert werden. Bislang haben sich folgende Themenschwerpunkte herauskristallisiert: Die Wiederentdeckung lange vergriffener Klassiker der Psychoanalyse wie beispielsweise der Werke von Otto Fenichel, Karl Abraham, Siegfried Bernfeld, W. R. D. Fairbairn, Sándor Ferenczi und Otto Rank soll die gemeinsamen Wurzeln der von Zersplitterung bedrohten psychoanalytischen Bewegung stärken. Einen weiteren Baustein psychoanalytischer Identität bildet die Beschäftigung mit dem Werk und der Person Sigmund Freuds und den Diskussionen und Konflikten in der Frühgeschichte der psychoanalytischen Bewegung. Im Zuge ihrer Etablierung als medizinisch-psychologisches Heilverfahren hat die Psychoanalyse ihre geisteswissenschaftlichen, kulturanalytischen und politischen Bezüge vernachlässigt. Indem der Dialog mit den Nachbarwissenschaften wiederaufgenommen wird, soll das kultur- und gesellschaftskritische Erbe der Psychoanalyse wiederbelebt und weiterentwickelt werden. Die Psychoanalyse steht in Konkurrenz zu benachbarten Psychotherapieverfahren und der biologisch-naturwissenschaftlichen Psychiatrie. Als das ambitionierteste unter den psychotherapeutischen Verfahren sollte sich die Psychoanalyse der Überprüfung ihrer Verfahrensweisen und ihrer Therapie-Erfolge durch die empirischen Wissenschaften stellen, aber auch eigene Kriterien und Verfahren zur Erfolgskontrolle entwickeln. In diesen Zusammenhang gehört auch die Wiederaufnahme der Diskussion über den besonderen wissenschaftstheoretischen Status der Psychoanalyse. Hundert Jahre nach ihrer Schöpfung durch Sigmund Freud sieht sich die Psychoanalyse vor neue Herausforderungen gestellt, die sie nur bewältigen kann, wenn sie sich auf ihr kritisches Potenzial besinnt. Bibliothek der Psychoanalyse Herausgegeben von Hans-Jürgen Wirth

Siegfried Bernfeld Zionismus und Jugendkultur Werke, Band 3 Herausgegeben und mit einem Nachwort von Ulrich Herrmann, Werner Fölling und Maria Fölling-Albers Psychosozial-Verlag

Siegfried Bernfeld: Werke Herausgegeben von Ulrich Herrmann Band 3 Gefördert mit freundlicher Unterstützung der Stiftung Dokumentation der Jugendbewegung. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Originalausgabe 2011 Psychosozial-Verlag Walltorstr. 10, D-35390 Gießen Fon: 06 41 96 99 78 18; Fax: 06 41 96 99 78 19 E-Mail: info@psychosozial-verlag.de www.psychosozial-verlag.de Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Umschlagabbildung: Siegfried Bernfeld Umschlaggestaltung & Satz: Hanspeter Ludwig, Wetzlar www.imaginary-art.net Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar www.majuskel.de Printed in Germany ISBN 978-3-8379-2077-2

INHALT Das jüdische Volk und seine Jugend Selbstanzeige (1919)... 11 Das jüdische Volk und seine Jugend (1919)....... 19 Zionistische Beiträge Jüdische Wissenschaft (1916)................... 175 Der jüdische Künstler und die Jugend (1917)..... 177 Die jüdische Wissenschaft und ihre psychologischen Aufgaben (1917)... 179 Die Assimilation um der Menschheit willen (1917). 191 Die Aufgabe (1917)... 215 Die Selbstwehr (1918)... 221 Vorbereitung für Palästina (1918)... 223 Tagesfragen (1918)............................ 231 1. Die Friedenskonferenz... 231 2. Palästina... 234 Mahnwort! (1919)... 239 Universität und Volkskultur (1920)... 243 Erziehung zu Arbeit und Gemeinschaft (1921)... 255 Über den Begriff der sozialistischen Erziehung (1921)... 269 Über die Lehrerausbildung (1922)... 279 Zionismus und Jugendkultur Zionismus und Jugendkultur (1915)... 291 Die Jugend und die Parteien (1917)... 303 5

Blätter aus der jüdischen Jugendbewegung Zur Einführung (1918)... 313 Jerubbaal (1918)... 317 Ein Verband der jüdischen Jugend Österreichs (1918)... 325 Grundsätze für die Organisation eines Bundes der jüdischen Jugend (1918)... 331 Österreichisch-jüdischer Jugendtag in Wien...... 335 Dokumente... 336 Berichte vom Wiener Jugendtag... 348 Zum Programm von Heinrich Margulies (1918). 369 Der Zentralverband der jüdischen Jugendgruppen Österreichs (1918).. 375 Briefwechsel über die Formen der jüdischen Verbindung (1919)... 385 Jugenderziehung Jugendbewegung (1919)... 391 Die jüdische Jugendbewegung und ihre Bedeutung für die Internationale der Jugend (1920)... 401 Jugendbewegung: Restauration (1920)... 407 Jüdische Erziehung Zum Problem der jüdischen Erziehung (1916).... 417 Jüdische Schulen? (1917)... 439 Vom Religionsunterricht an den Mittelschulen (1917).................... 449 Jüdische Lehrer! (1917)........................ 457 Berufswahl (1918)... 463 Jüdische Erziehungsfragen (1918)... 471 I. Einleitung... 471 II. Von den Erziehungszielen... 474 III. Unser Ziel... 479 Die neue Schule (1918)... 485 Das jüdische Kind (1919)... 491 6

Jüdische Bildungsarbeit in Wien Ein zionistischer Arbeitskreis für jüdische Erziehung (1918)... 497 I. Ankündigung und Programm... 497 II. Konstituierende Besprechung des Arbeitskreises für jüdische Erziehung vom 1.12.1918 im Jugendheim... 500 III. 1. Rundschreiben an die Ortsgruppen des Arbeitskreises für jüdische Erziehung 501 IV. 2. Rundschreiben an die Ortsgruppen des Arbeitskreises für jüdische Erziehung 507 Jüdisch-pädagogische Kurse Erstes Jahr (1917).. 513 I. Programm... 513 II. Eröffnungsfeier der jüdisch-pädagogischen Kurse... 517 III. Stunden-Einteilung... 518 IV. Kursbeschreibungen... 519 V. Erster Semesterbericht der jüdisch-pädagogischen Kurse (März 1918)... 525 Ein Allgemeines Jüdisches Pädagogium (1918)... 527 Jüdisch-pädagogische Kurse (Oktober 1918)... 533 I. Ankündigung und Programm... 533... 537 Jüdische Jugendkurse Erstes Jahr (Oktober 1918) 539 *** Nachweis der Erstveröffentlichungen und Archivalien von Ulrich Herrmann... 543 Editionsbericht............................... 621 Nachwort der Herausgeber.................... 623 Sachregister... 663 Personenregister... 675 Glossar... 679 7

Das jüdische Volk und seine Jugend

SELBSTANZEIGE (1919) In diesen Tagen ist mein Buch Das jüdische Volk und seine Jugend erschienen. Ich habe es mit keinerlei Vorwort und Nachwort umrahmt; denn es scheint mir, als hätte dies ein gutes Buch nicht nötig, als wirkte es für sich allein genügend und als würde es einem schlechten doch nichts nützen. Ich lege es dem Leser vor, und er wird selbst entscheiden, was ich damit wollte und was ich von diesem meinem Wollen verwirklichen konnte. Aber der jüdischen Jugend möchte ich doch an dieser Stelle ein paar Worte sagen. Zunächst: Ich möchte sie bitten, dieses Buch zu beachten. Darum, weil hier meines Wissens zum ersten Male im Zusammenhang das dargestellt wird, was die jüdische Jugend vom Denken und den Ergebnissen der Pädagogen anderer Völker wissen muß, soll ihr das schwere Werk gelingen, das ihr aufgetragen ist. Freilich, das Buch, von dem ich spreche, ist in keinerlei Weise ein wissenschaftliches. Es wird darum anderer in irgend einer geordneten Aufzählung, sondern ich habe versucht, so wie ich Stanley Hall, Maria Montessori, Berthold Otto, Gustav Wyneken verstanden habe, ihre Gedanken anzuwenden auf ein konkretes Problem, auf die Gestaltung der jüdischen Erziehung, auf das Leben der jüdischen Jugend. Das Buch ist ein persönliches. Es argumentiert nicht, es beweist nicht, sondern es ruft auf. Ich bekenne, was meine Anschauung, was meine Wertung, was mein Wunsch und meine Hoffnung ist, so klar ich es vermag, so eindringlich als mir gegeben ist, und hoffe, daß sich gerade in der jüdischen 11

Das Buch handelt von dem, was uns nottut. Aber jeder wird enttäuscht sein, der es mit der Erwartung öffnet, darin ein weisung für das, was er heute tun und morgen unterlassen soll. Diese Anweisung kann nicht gegeben werden, und wehe einer Jugend, die erst solche Rezepte braucht, um ihren richtigen Weg zu gehen. Auf nichts ist es mir angekommen als darauf, die allgemeine Einstellung dafür zu geben, wie die einzelnen konkreten großen und kleinen Fragen des jüdischen Jugendlebens gelöst werden sollten und könnten. In erster Linie kommt es dabei darauf an, sich kritisch einzustellen gegenüber allem, was heute in Erziehungsdingen gesagt und getan wird, bei uns wie bei den anderen. trieben habe, ich bin mir dessen nicht bewußt, aber es kann sein. Dann bitte ich zu bedenken, daß keine Übertreibung stark genug sein kann gegenüber so fest eingewurzeltem, so in der Seele und in der Wirtschaft begründetem Aburteil, wie nun das ist, was man heute europäische Erziehung nennt. Demgegenüber gilt es festzustellen, was Jugend ist, oder besser, was sie sein sollte, weil sie allein es könnte. Nur die Wissenschaft von der Jugend kann hier die rechte Beraterin sein. Ich habe mich daher bemüht, die Ergebnisse der Wissenschaft in einer Weise darzustellen, die einem Aufrufe anstünde. Und wenn dieses Kapitel von der Jugend in seinem Stil und Aufbau auch weit genug entfernt ist von der Art, wie mit Recht in wissenschaftlichen Büchern dieselben Ergebnisse behandelt werden, so bin ich mir doch nicht bewußt, auch nur in einem Worte von der wissenschaftlichen Wahrheit abgewichen zu sein. Dann hieß es, die Frage der jüdischen Erziehung unter dem Aspekt der Frage der jüdischen Kultur, der Kultur überhaupt und ihres Zusammenhanges mit dem Volke und seinen Führern zu betrachten, und dann erst konnte es gewagt werden, das Konkrete darzustellen. Ich habe aus vielen Gründen mich entschlossen, dies nicht in Form einer Abhandlung und nicht in Form eines Aufrufes zu tun, sondern als Erzählung, als Utopie, als Phantasie: das jüdische Erziehungswesen, wie ich es mir vorstelle, wie ich meine, daß es sein sollte, wenn die Tatsache der Eigenart der Jugend, wenn die Idee einer 12

wahren Kultur die wirkliche Grundlage der Erziehung wären. Dieses Kapitel erscheint mir als das Wichtigste, nicht weil ich meine, daß die Zukunft der jüdischen Erziehung genau so sein wird, wie ich es darstelle bis in die kleinsten Details, obzwar ich wirklich glaube, daß vieles gerade so verwirklicht werden wird, weil es nur so verwirklicht werden kann; nicht darum scheint mir dies Kapitel das Wichtigste, weil es eine Art Plan für die Zukunft darstellt, sondern deshalb, weil es nötig ist, sich einmal aus den Banden des Bestehenden zu entwinden und einmal ein wirklich Neues sich intensiv bis in die Einzelheiten hinein vorzustellen, um endlich geistige Freiheit gegenüber dem Bestehenden zu erlangen. In diesem Sinne wünsche ich, daß dieses Kapitel gelesen werde, und in diesem Sinne hoffe ich, wird es fruchtbar werden. Zuletzt ist es die Frage der Gesellschaft, die ich freilich nur ganz kurz in meinem Buche streife, die Frage nach dem Zusammenhang eines bestimmten freien, der Jugend gemäßen und zu wahrer Kultur führenden Erziehungswesens mit der wirtschaftlichen Ordnung eines Staates. Nur wenige Worte sind dieser Frage gewidmet, daher sei mir gestattet, in dieser Selbstanzeige umso eindringlicher festzustellen, daß alles, was wir denken, alles, was wir planen und hoffen, nichtige Luftgespinste sind, so lange wir nicht die Frage in allem Ernste stellen und mit aller Vorsicht beantworten, unter welchen realen wirtschaftlichen Bedingungen allein das von uns Erhoffte und für nötig Befundene verwirklicht werden kann. Gerade dieser Gedankengang liegt der Jugend im allgemeinen am fernsten, und den muß sie lernen in den Mittelpunkt ihrer Überlegungen zu stellen. tung hin von dem Buche unbefriedigt bleiben, in der ich selbst auch seinen schwersten Fehler erblicke; daß es nicht beweist, daß es nicht ganz und gar sachlich ist, daß es nicht ein wissenschaftliches Gebäude darstellt. Vielleicht ist es zugleich ein Vorzug, dennoch bleibt es ein Fehler. Und ich möchte sagen: Es muß diese Arbeit geleistet werden, sie kann aber nicht Sache eines Einzelnen sein, schon gar nicht seine Leistung in wenigen Monaten oder Jahren. Gerade das ist unser aller Aufgabe: was wir als Recht fühlen, was wir als nötig hoffen, in all seinem Zusammenhang mit allen anderen 13

Dingen und Bestrebungen, mit strenger Sachlichkeit und fest gebunden an die Tatsachen und ihre Gesetze, zu erkennen, zu formulieren, als tragenden Untergrund des künftigen Gebäudes hinzustellen. Wenn ich hoffen dürfte, daß das die Folge meines Buches sein wird, daß in der jüdischen Jugend der eine und der andere den Beschluß faßt, mehr als nur das Fühlen und Denken einer freien Stunde in den Dienst unserer wichtigsten Aufgabe zu stellen, jener Aufgabe, für die wir dreifach verantwortlich sind als Menschen, als Juden und als Jugend, der Erziehung als Kunst und als Wissenschaft zu widmen, dann darf ich es in Ruhe an seine Leser kommen lassen, trotz aller Fehler und Unzulänglichkeiten, die es haben mag, ob ich sie nun selbst erkenne oder nicht. 14