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Transkript:

Adipositas im Kindes- und Jugendalter Binge Eating Disorder Adipositas 1 2 Fallbeispiel: Adipositas BMI Sarah ist 9 Jahre alt und weist einen BMI von 30,5 auf (44 kg, 9 Jahre, 120 cm, BMI-Perzentil >99). Sie ist das mittlere von drei Kindern. Ihre beiden Brüder sowie ihre Mutter sind normalgewichtig, ihr Vater ist leicht übergewichtig. Seit ihrem 3. Lebensjahr weist Sarah Übergewicht auf, wobei dieses in den letzten Jahren ständig zugenommen hat. Sarah hat in der Schule Schwierigkeiten, mitzuhalten und ist schnell überfordert. Am meisten leidet sie jedoch unter den ständigen Hänseleien. Die Eltern von Sarah machen sich schon längere Zeit Sorgen um das zunehmende Gewicht ihrer Tochter. Die Eltern schildern, dass sie sich bereits sehr um eine ausgewogene Ernährung bemühen. Da aber beide Eltern berufstätig seien, käme es öfter vor, dass auch einfach TK Essen aufwärmen. Zudem falle es ihnen auch schwer, regelmässige Essenszeiten zu planen und einzuhalten. Sarah berichtet, dass es ihr schwer falle, selbst die Portionsgrösse zu kontrollieren, gerade, wenn es Brot und Käse gäbe, esse sie einfach so viel, wie es auf dem Tisch habe. Zudem esse sie auch häufig Snacks zwischendurch. Früchte und Gemüse esse sie nicht gerne. Übergewicht und Adipositas im Kindesalter werden meist mittels des Body-Mass-Index (BMI, kg/m 2 ) erhoben, der mit dem Anteil der Körperfettmasse positiv korreliert Erfassung des BMI bei Kindern und Jugendlichen bis zum 18. Lj. korrigiert für fortschreitendes Längenwachstum (BMI-Werte zu Alters- und Geschlechtsreferenzen in Beziehung gesetzt) 3 4 Definition der Adipositas im Kindes- und Jugendalter Darstellung der BMI-Verteilung. Perzentile für den BMI für Jungen (nach Kromeyer-Hauschild 2005) Alters- und geschlechtsparallelisierte Vergleichswerte zur Bestimmung von Übergewicht und Adipositas im Kindesund Jugendalter: US Center of Disease Control and Prevention (CDC)-Richtlinien: Kinder ab dem 85. BMI-Perzentil gefährdet übergewichtig zu werden ab dem 95. BMI-Perzentil als übergewichtig klassifiziert International Obesity Task Force (IOFT) schlägt vor Kindheits- Aquivalente des Erwachsenen-BMI zu verwenden, die Übergewicht bei einem BMI >25 und Adipositas bei einem BMI >30 diagnostizieren und in einem internationalen Cut-off-Index abgelesen werden können. Eine Überprüfung der Spezifität und Sensitivität Überlegenheit der CDC-Klassifikation (Zimmermann et al. 2004). 5 6 1

Darstellung der BMI-Verteilung. Perzentile für den BMI für und Mädchen (nach Kromeyer-Hauschild 2005) Extremes Übergewicht = Adipositas Adipositas (Extremes Übergewicht) ist die häufigste chronische Erkrankung im Kindes- und Jugendalter (WHO 1997) Jedes fünfte Kind in der Schweiz ist übergewichtig bzw. extrem übergewichtig (Overweight and Obesity in 6 12 year-old Swiss Children 2002, Zimmermann M. ETH Rüschlikon) 7 8 Adipositas: Epidemiologie Adipositas: Epidemiologie Prävalenz 8-Jährige: 8-12 % Prävalenz aller Kinder und Adoleszente: 20-27 % 33 % aller Eltern ebenfalls übergewichtig (NHANS III, JAMA 272:205, 1994) Übergewicht 1 19,1% 16,7% Adipositas 1 3,8% 3,8% 1 Definition nach Cole et al. (2000) weltweiter, ständiger Anstieg der Adipositas im USA: verdreifachte Prävalenz der Adipositas bei 6- bis 11- Jährigen von ca. 4% in den Jahren 1971 1974 (1. National Health and Nutrition Examination Survey, NHANES) Auf bis zu 16% in Erhebungsjahren 1999 2002 (Ogden et al. 2002). Schweiz: verfünffachte Prävalenz für Übergewicht und Adipositas seit 1980 9 10 Adipositas: Komorbide psychische Störungen Übergewichtige und adipöse Kinder, die um Behandlung ersuchen, leiden besonders deutlich unter Verhaltensauffälligkeiten (Roth et al. 2008). Essstörungen externalisierende Störungen, insbesondere die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) (Holtkamp et al. 2004). psychischer Beeinträchtigungen wie z. B. soziale Probleme Ängstlichkeit Depressivität Rückzug Somatisierung hin. 11 12 2

Adipositas: Ätiologie multifaktoriell Bewegung: Passiver Lebensstil Erhöhter Computer & TV Konsum Biologie: Körperliche Voraussetzungen Gene (60-80%) 120 000-150 000 Generationen 120 000-140 000 Generationen Evolution des Menschen und der Ernährung 400-500 Generationen Psychische Mechanismen: Negatives Körperkonzept, affektive Störungen Diätversuche/Auslassen von Mahlzeiten Angst, Stress Lernen: Wissen über Nahrungsmittel Individuelle und familiäre Gewohnheiten Belohnungen Vegetarier Jäger und Sammler Ackerbau Genetisch sind wir noch immer Jäger und Sammler. Es braucht rund 1000 Generationen für eine nachhaltige Anpassung an neue Ernährungsweisen. 13 14 Prinzip der Energiebilanz Medien und kindliches Essverhalten Energieaufnahme Fett Kohlen hydrate Eiweiss Gewicht Zunahme Stabil Abnahme Energieverbrauch Aktivität Wärme regulation Grund umsatz Kommerzielle Sender: 41 % der Werbespots für Nahrungs- und Genussmittel 47 % davon für Süssigkeiten und Schleckereien; ausgesendet am späten Nachmittag, Samstags und Sonntagvormittag 15 16 Kinder, die viel Fernsehen. Teufelskreis Gewichtszunahme Sind seltener im Alltag aktiv (z.b. zu Fuss oder mit dem Rad unterwegs) Führen seltener Gespräche Haben weniger Zeit für Freunde Üben seltener Musikinstrumente Reagieren weniger auf im Fernseher Gesehenes Sind häufiger durch Schule emotional belastet (Myrtek 2001; Kinderärztl.Praxis) Ich bin dick Ich tröste mich mit Essen Ich passe nicht in Norm Ich werde ausgelacht 17 18 3

Folgen des Übergewichts Adipositas: Folgen - Metabolisches Syndrom G E N E T I K V E R H A L T E N Ursachen Körper- Muskelzusamfasermensetzunmenzusamsetzung Hormone Enzyme Bewegungsmangel Fehlernährung Alkohol Stress Rauchen metabolische Folgen Abdominale Adipositas * Insulinresistenz / Hyperinsulinämie * Bluthochdruck 19 20 Adipositas: Folgen - Metabolisches Syndrom Adipositas: somatische Diagnostik Fettstoffwechselstörung Stoffwechselkrankheit Organschäden Diabetes mellitus Typ 2 Zuckerkrankheit Koronare Herzkrankheit Dyslipidämie Hypertonie M e t a b o l i s c h e s S y n d r o m Apoplex (Hirnschlag) Bluthochdruck Störung der Fibrinolyse Störung Blutgerinnung periphere art. Verschlusskrankheit Ausmaß des Übergewichts bzw. der Adipositas differenzialdiagnostisch ursächliche somatische Grunderkrankungen ausschliessen (unter anderem Prader- Willi-Syndrom, Bardet-Biedl-Syndrom, Cohen-Syndrom, Alström-Syndrom oder Mixoploidie) medizinische Folgeerscheinungen Motorische Entwicklungsstörung mentaler Retardierung assoziiert (Übersicht s. Pankau 2005). A r t e r i o s k l e r o s e Arterienverkalkung 21 22 Adipositas: psychologische Diagnostik Adipositas: Richtlinien zur Indikationsstellung Erfassung des gestörten Essverhaltens Erfassung der psychischen Belastung Störungsspezifische Diagnostik (z.b. Kinder-DIPS; Schneider et al. 2009) zur Erfassung komorbider psychischer Störungen Standardisierte Erfassung von Verhaltensaufälligkeiten (z. B. CBCL oder SDQ) Im Hinblick auf die Therapieplanung sowie auf die kontinuierliche Selbstbeobachtungsprotokolle zur Erfassung des charakteristischen Ess-, Ernährungs- und Bewegungsstils (Nahrungsmittelwahl, Bewegungsverhalten, Auftreten von Essanfällen) Verhaltens- bzw. Problemanalyse: Eruierung der auslösenden und aufrechterhaltenden Bedingungen des ungünstigen Verhaltens, z. B. heimliches Essen oder zu wenig körperliche Aktivität Motivation für die notwendigen Verhaltensänderungen 23 24 4

Behandlungsziele bei Adipositas Schrittweise, aber umfassende Veränderung des Lebensstils des Kindes und dessen Familie! Aufbau der Motivation für Verhaltensänderungen und deren langfristige Aufrechterhaltung beim Kind und der Familie; Veränderung des Ess- und Ernährungsverhaltens des adipösen Kindes unter Einbezug der Familie (Einführen eines ausgewogenen Ernährungsstils, Normalisieren des Essverhaltens) Veränderung des Bewegungsverhaltens des Kindes und der Familie (Steigerung der körperlichen Aktivität, Reduktion passiver Verhaltensweisen) Langfristige Gewichtsstabilisierung bzw. Gewichtsreduktion (maximale Gewichtsreduktion pro Woche bei Jugendlichen mit abgeschlossenem Längenwachstum 0,5 kg) Wirksame Therapieprinzipien bei Adipositas (modifiziert nach Pudel) Reduktion der Energie- und Fettaufnahme Stärkebetonte und faserstoffreiche Ernährung Verhaltenstherapeutische Vermittlung flexibler Kontrollstrategien für die Nahrungsaufnahme Regelmässige körperliche Aktivität Integration in Langfristige interdisziplinäre Therapie 25 26 Adipositas: Therapie Adipositas: Therapieinhalte Medizin Psychosoziales Themen Bausteine Ernährung Bewegung Psychoedukation und Motivationsförderung Entstehungsmodell der Adipositas/Aufrechterhaltung Realistische Gewichtsziele Zielvereinbarungen und Verstärkerplan Motivation zur Behandlung Essverhaltensregeln Grundlagen einer ausgewogenen Ernährung Umgang mit Hänseleien Rückfallprophylaxe: Der»Dran-bleiben-Plan«Nachbehandlung Übungen 27 28 Therapieziele und Verstärkerplan Adipositas: Therapie Therapieerfolg definiert als: kurzfristige & schnelle Gewichtsabnahme Sehr strenge und nicht für längere Zeit geeignete Verhaltensvorschriften Können nicht über einen längeren Zeitraum aufrechterhalten werden Folgen: wiederholtes Therapieversagen und chronifizierter Verlauf 29 30 5

Das Geheimnis der Ernährungspyramide Körperliche Aktivität Täglich, mindestens 30 min Adipositas: Therapie Richtlinien von Barlow & Dietz (1998) Interventionen sollten möglichst früh beginnen Die Familie muss zu Veränderungen bereit sein Die Kliniker müssen die Familien über medizinische Komplikationen im Zusammenhang mit Adipositas aufklären Die Kliniker müssen die Familie und alle Betreuungspersonen in das Behandlungsprogramm miteinbeziehen Die Behandlungsprogramme sollten zu dauerhaften Veränderungen führen (keine Kurzzeitdiäten) Als Teil des Behandlungsprogramms soll die Familie lernen, sowohl das Essen als auch die Aktivität zu beaufsichtigen Das Behandlungsprogramm sollte der Familie helfen, kleine graduelle Veränderungen durchzuführen Kliniker sollten ermutigend und einfühlsam sein und nicht kritisieren Eine Vielzahl von erfahrenen Professionellen sollte verschiedene Aspekte des Gewichtsmanagementprogramms durchführen 31 32 Adipositas: Verlauf Der Verlauf der Adipositas im Kindesalter muss als chronisch angesehen werden, wobei das Risiko der Persistenz der Störung parallel zum Alter ansteigt Damit assoziiert ist ein steigendes Risiko zur Entwicklung von somatischen Begleiterkrankungen sowie psychosozialer Begleiterscheinungen. Binge Eating Disorder (BED) 33 34 BED: Fallbeispiel Binge eating disorder (BED) Magdalena ist 8 Jahre alt. Ihre Eltern sind seit einem Jahr geschieden. Magdalena habe schon immer Mühe mit dem Essen gehabt. Nachdem sie als Säugling nicht richtig trinken wollte und leicht untergewichtig war, sei sie als Mutter immer unter Druck gestanden, das Kind bekäme zu wenig. Magdalena hatte dann aber altersentsprechend zugenommen. Als Magdalena etwa 4 Jahre alt gewesen sei, habe sie begonnen, grosse Mengen und schnell zu essen. Sie habe folglich den Zugang zu Süssigkeiten total eingeschränkt und nur sehr selten eine Ausnahme gemacht. Seit einem Jahr sei es den Eltern aufgefallen, dass öfter Nahrung im Kühlschrank fehle und dass Magdalena, wenn sie einmal Süssigkeiten bekäme, diese in ihrem Zimmer horte und heimlich esse. Seit ca. einem Jahr sei auch das Gewicht von Magdalena ständig angestiegen. Heute wiegt Magdalena bei einer Grösse von 120 cm 38 kg (BMI 26,4; BMI-Perzentil >90). Der Vater berichtet, dass er das Gefühl habe, dass Magdalena wegen ihres Aussehens in der Schule gehänselt werde und oftmals gerade aus diesem Grund zu Hause nur herumsitze und in ihrem Zimmer heimlich esse. Bei der Exploration des Essverhaltens fällt auf, dass Magdalena sich regelmässig bei sozialen Anlässen überisst. Anschliesend ginge es ihr nicht gut, sie fühle sich voll und es sei ihr peinlich vor den anderen. 35 Kernsymptom der BED: regelmäßige Essanfälle ohne nachfolgende unangemessene kompensatorische Verhaltensweisen (z. B. Erbrechen, Fasten, exzessive körperliche Betätigung) Erhöhte Werte in Bezug auf figur-, gewichts- und essensbezogene Sorgen emotionales und external gesteuertes Essen erhöhte allgemeine Psychopathologie (Ängstlichkeit und Depressivität, geringem Selbstwert und von Eltern berichteten externalisierenden Schwierigkeiten) Essanfälle oft in Zusammenhang mit unstrukturiertem Essverhalten, Auslassen von Mahlzeiten, häufigem Naschen sowie häufigeren Diätversuchen 36 6

BED: Klassifikation Die aktuellen DSM-IV-Kriterien erlauben keine adäquate Abbildung des Erscheinungsbildes der BED bei Kindern Kinder mit Essanfällen häufig der Diagnosekategorie «nicht näher bezeichnete Essstörungen» zugeordnet. Beschreibung und Klassifikation von Essstörungen im Kindesalter vermehrt altersadaptierte spezifische Kriterien empfohlen (Workgroup for Classification of Eating Disorders in Children and Adolescents (WCEDCA, 2007). Für die BED im Kindesalter kindspezifische Diagnosekriterien von Tanofsky-Kraff et al. (2008) revidiert und dem neuesten Forschungsstand angepasst Provisorische Forschungskriterien für BED (nach Tanofsky-Kraff et al. 2008) A. Wiederkehrende Episoden von Essen mit Kontrollverlust. Essen mit Kontrollverlust ist gekennzeichnet durch beide der folgenden Merkmale: 1. Subjektives Gefühl des Kontrollverlusts über das Essen 2. Suchen nach Nahrung in Abwesenheit von Hunger oder nach der Sättigung 37 38 Provisorische Forschungskriterien für BED (nach Tanofsky-Kraff et al. 2008) BED: Epidemiologie C. Episoden von Essen mit Kontrollverlust treten durchschnittlich an mindestens 2 Tagen pro Monat wahrend 3 Monaten auf D. Die Essanfälle gehen nicht mit dem regelmässigen Einsatz unangemessener kompensatorischer Verhaltensweisen einher, und sie treten nicht ausschlieslich im Verlauf einer Anorexia nervosa, Bulimia nervosa oder Binge Eating Disorder auf. Bryant-Waugh et al. 1996: 1% aller adipöser Kinder und Jugendlicher regelmäßige Essanfälle bzw. Essen mit Kontrollverlust auch bei Kindern häufiger auf als das Vollbild der BED und sind mit Prävalenzraten: Essanfälle: 15% (Levine 2006) Kontrollverlust: 37% regelmäßiger Essanfälle von ca. 6% in nichtklinischen sowie von bis zu 35 40% in klinischen Stichproben adipöser Kinder Regelmäßige Essanfälle bei Mädchen tendenziell häufiger Steigerung mit zunehmendem Alter der Kinder 39 40 BED: Komorbide psychische Störungen (Lebenszeitprävalenz) BED: Ätiologie Keine systematischen Studien mit Kindern Erwachsene Patienten Depressionen 40% Angststörungen 40% Zwangsstörungen 8% Substanzmissbrauch 23% Persönlichkeitsstörungen Ängstlich vermeidend 11% Zwanghaft 10% Borderline 9% PTSD 26% zwei Hauptfaktorengruppen: 1. Vorliegen von Vulnerabilitätsfaktoren zur Entwicklung einer psychischen Störung (z. B. psychische Erkrankungen in der Familie, Missbrauchserlebnisse, negatives Selbstbild, kritische Lebensereignisse) 2. Vorhandensein von Faktoren, die die Entwicklung von Übergewicht und Adipositas in der Kindheit begünstigen (vgl. Adipositas) 41 42 7

Störungsmodell BED BED: Diagnostik Konflikte um Selbstwert, emotionale Zuwendung, Autonomie, emotionale Spannungszustände Essanfälle Entgleisung der Hunger- Sättigungs-Regulation Gefühle von Schuld, Scham und Ekel Soziale Isolation 43 44 BED: Therapie BED: Therapie Richtlinien des»national Institute for Clinical Excellence«(NICE 2004) Ansatzpunkte: Schwerpunkt der Behandlung = Erkennen der auslösenden und aufrechterhaltenden Faktoren von Essanfällen Techniken der Selbstbeobachtung sowie der Stimulus- und Reaktionskontrolle Bei Kindern, jünger als 8 Jahre, sollten Eltern genau über das Störungsbild informiert und maßgeblich in die Planung und Implementierung der Verhaltensmodifikation einbezogen werden. unregelmäßiges Ernährungsangebot, rigide Nahrungsmittelverbote in Kombination mit einer beeinträchtigten Fähigkeit zur Emotionsund Impulskontrollregulation abbauchen Psychoedukation über anfallsartiges Essen im Kindesalter Selbstbeobachtung anfallsartigen Essens und Vermitteln eines verhaltenstherapeutischen Konzepts für das Auftreten von Essanfällen Strategien zur Reduktion anfallsartigen Essens bei Kindern Regelmäßiges Essverhalten Stimulus- und Reaktionskontrolltechniken: Notfallkärtchen Umgang mit negativem Körperbild Rückfallprophylaxe 45 46 BED: Therapie BED: Verlauf ABC-Modell bei Essanfällen (Aus Munsch et al. 2009) Die erfolgreiche Behandlung der Essanfälle bei BED ist prädiktiv für eine langfristige Stabilisation des Körpergewichts, eine klinisch relevante Gewichtsreduktion konnte jedoch weder in psychotherapeutischen Behandlungsverfahren noch in Gewichtsreduktionsprogrammen festgestellt werden. Auftreten von Essanfällen bzw. Kontrollverlust assoziiert mit: kontinuierlichen Gewichtszunahme erhöhter Essstörungspsychopathologie Bereitschaft zur Teilnahme und Beendigung einer Behandlungsmaßnahme (negativ). moderate Stabilität essanfallsartiger Symptome für den Altersbereich zwischen Geburt und 5. LJ 47 48 8

Take-home massages 30 Minuten Pause Adipositas im Kindes- und Jugendalter stellt ein Störungsbild dar, das weltweit zunehmend häufiger auftritt aktuelle Befunde geben Hinweise, dass bereits im Kindesalter regelmäßige Essanfälle im Sinne einer BED auftreten können Ätiologie Adipositas: multifaktoriell (Genetik, Lifestyle, psychische Belastungen, Lernerfahrungen) Ätiologie BED: multifaktoriell (Vulnerabilität für psychische Störung, unphysiologisches Essverhaltens, psychische Belastungen) Therapie: Einbezug der Familie, multiprofessionell, langfristig, VT Techniken 49 50 9