Judas Johannes 13, 21-30

Transkript

1 Judas Johannes 13, Würdest Du gerne Judas heissen? Wohl kaum. Mit Judas verbinden Menschen alles Böse. Bücher werden geschrieben, in denen der Name Judas nichts Gutes verheisst: Ein Freund Namens Judas Judassohn Der Judaslohn Der Judasfluch. Wer Judas heisst, der ist gestraft. Der aktuelle Song von Lady Gaga heisst: Judas. Er ist in diesem Jahr zu Ostern herausgekommen. Die Wellen der Empörung schlagen hoch. Wie kann Lada Gaga ausgerechnet zu Ostern ein solches Lied auf den Markt werfen?! Ich habe es mir angehört. Aber ich weiss wirklich nicht, was sie da eigentlich singt. Ist es eine Liebeserklärung an die am meisten verhasste Gestalt der Bibel? Aber wenn das denn so wäre, hat sie nicht recht, die gute Lady Gaga? Und haben wir nicht Unrecht, wenn wir für Judas nur Hass und Verachtung übrig haben? In diesem Godi Plus möchte ich genau dies behaupten: Wir haben kein Recht, Judas zu hassen. Und dafür, dass Judas von allen Kirchen so sehr gehasst wurde, dafür müssen wir uns schämen. Da ist jemand verurteilt worden, der vielleicht gar nicht so weit von uns weg ist. 1

2 Sehen wir uns den Judas mal genauer an! Judas. Einer von den glorreichen Zwölfen. Ein vertrauter Freund Jesu. Einer, der zur Kerngruppe gehörte. Jesus hat einmal gesagt: Grössere Liebe kann niemand zeigen als ein Freund, der sein Leben lässt für seine Freunde. Gibt es etwas Schlimmeres, als wenn ein Freund seinen besten Freund verrät? Judas der heimtückische Freund, bei dem am Ende herauskommt, dass er nie wirklich ein Freund gewesen ist. Judas die grosse Enttäuschung für alle, die einmal jemandem vertraut haben und dann verraten worden sind. Wer war Judas wirklich? - Judas Ischkarioth Mann aus Karioth : er kam aus einer kleinen Stadt in Juda. Juda ist einer der 12 Stämme Israels. Zurzeit Jesu gab es nur noch Juda im Süden. Judas war wahrscheinlich der einzige Judäer unter den Jüngern. Alle anderen kamen aus Galiläa. Judas war unter den Jüngern von Anfang an ein Aussenseiter. 2

3 Judas Ischarioth heisst aber auch Mann mit dem Dolch : Dolch, eine kleine Waffe, die man im Gewand verstecken und mit der man schnell und unauffällig jemanden töten kann. Der Mann mit dem Dolch ist ein Rebell, der im Untergrund gegen die herrschende Macht kämpft einer, der Israel von der Fremdherrschaft befreien will und dafür auch Gewalt in Kauf nimmt. Was wissen wir noch von Judas? Er kümmert sich um das Geld. Er hat als einziger unter den Jüngern ein Interesse am Geld. Er hält das Geld zusammen und will, dass es nicht für sinnlose Zwecke ausgegeben wird. Er steht im Ruf, hin und wieder in die eigene Tasche zu wirtschaften. Judas hat Jesus in Jerusalem dem Hohen Rat ausgeliefert. Er hat Kontakt geknüpft zum Hohen Rat zu den Priestern Israels, die die Oberaufsicht über den Tempel haben. Er ist von Jesus fortgeschickt worden, um zu tun, was er tun musste. Er hat vom Hohen Rat 30 Silberlinge entgegen genommen. Als er sah, dass Jesus verurteilt und gekreuzigt wurde, hat er sich aufgehängt...oder er ist mitten entzwei gebrochen und alle seine inneren Organe sind aus ihm heraus gefallen. Jedenfalls ist er auf grausige Weise gestorben. 3

4 Woran man sich erinnert, wenn man an Judas denkt, ist nur das Gruselige: - Dass ihm das Geld wichtiger war, als der Freund. - Dass er den Freund durch einen Kuss verriet. - - Dass er sich selbst aufgehängt hat. Aber das hat der Kirche nicht gereicht. Warum hat es ihr nicht gereicht? - Ein Mensch, dem so viel angelastet wird, darf nicht sterben. - Er muss für immer und alle Zeiten leiden. - Dante Alighieri ( ) verbannte Judas in die allertiefste Hölle. 4

5 - Einmal im Jahr darf Judas auf die Erde zurück und sich an einem Eisberg ein wenig kühlen. - Aber das steht nicht in der Bibel. Es zeigt nur, dass niemand Judas vergeben will. Auf Judas konzentrieren sich in der Kirche alle, die grenzenlos hassen wollen. Wer grenzenlos gehasst wird, dem muss auch nie vergeben werden. Nie vergeben kann die Kirche denen, die sich selbst töten. Sie werden deshalb auch Selbstmörder genannt und dürfen nicht kirchlich bestattet werden. Das war lange Zeit so. Und fällt euch etwas auf? Judas Juda Juden: Wer Judas hasst, der ist nicht weit davon entfernt, die Juden zu hassen. So sind besonders zu Ostern immer wieder Gewalttaten gegen Jüdinnen und Juden geschehen. Man hat sie gejagt und getötet und auch noch gesagt: das ist richtig so. Denn die Juden hätten doch auch Jesus getötet. Warum hat Judas Jesus verraten? - Weil er geldgierig war. Sagen einige. Er hat Jesus verraten und verkauft. Sagen sie. Für 30 Silberlinge. So ein schäbiger Kerl. Dass Menschen andere für Geld verraten, preisgeben das gibt es. Das gab es immer. Je enger Menschen zusammenleben, desto gefährlicher ist es, ihnen zu vertrauen. Der Verräter kommt immer aus den eigenen Reihen. Am schlimmsten sind die, die 5

6 sich kaufen lassen, ihre engsten Freunde zu verraten. Unter allen Bösen ist der käufliche Verräter der Böseste. - Weil er Jesus falsch verstanden hat. Von den Jüngern heisst es: Und wir hatten gehofft, Jesus sei es, der Israel erlösen würde. Israel aus der Hand der Feinde erlösen wie sollte so etwas gehen ohne Waffengewalt? Hitler, Gadhaffi, Osama Bin Laden wie sollte man die Bösewichter der Geschichte loswerden, wenn nicht mit Waffengewalt? Hat Judas, der Mann mit dem Dolch, nicht genauso in die Welt geblickt, wie die meisten Menschen es heute noch tun? Er hoffte auf einen Befreiungsschlag, und als Jesus einen anderen Weg einschlug hat er da nicht einfach ein bisschen nachhelfen wollen? Mit dem Rücken zur Wand würde Jesus sich doch wehren, so hat Judas gedacht. Aber seine Rechnung ging nicht auf. Jesus wehrte sich nicht. Jesus liess weder seine Jünger noch seine Engel zu den Waffen greifen. Sein Reich ist nicht von dieser Welt aber das ist nicht so leicht zu verstehen! - Weil der Satan in ihn hineinkam. Weil Gott es so wollte. Weil Jesus ihn dazu bestimmt hat. Er hat es eigentlich gar nicht selbst gewollt, sondern er war wie die Marionette in den Händen anderer Mächte. 6

7 Und wir anderen? Müssen uns fragen, wo wir käuflich sind. Wo wir für Geld oder andere Vorteile unseren Glauben, unsere Prinzipien, unsere Liebe oder eine Freundschaft verraten haben verraten würden? Und wir anderen? Müssen uns fragen, wo wir Jesus falsch verstehen. Wo wir Gott am liebsten so sehen möchten, dass er all unsere Feinde fortjagt. Wo wir Gott am liebsten zum Handeln zu zwingen würden. Wo unser Gebet zur Kampfhandlung wird. Ein Gebet, dass zur Kampfhandlung gegen andere wird, ist wie ein Kuss, mit dem ein Freund seinen Freund verrät. Es hört sich gut an und sieht vielleicht gut aus, aber es ist heimtückisch und gemein. Und wir anderen? Müssen uns fragen, ob wir immer das tun, was wir wollen. Oder ob das, was wir tun, nicht ganz anderen Mächten unterworfen ist. Sind wir wirklich freier als Judas? Beim letzten Abendmahl sagte Jesus zu seinen Jüngern: Einer von euch wird mich verraten? Da waren alle erschrocken und fragten ihn: Bin ich es? Keiner war sich seiner selbst sicher. Das sollte uns eine Lehre sein! Keiner kann sagen, dass er nie und nimmer wie Judas handeln würde. Was immer Judas getrieben hat, Jesus zu verraten, es kann auch uns einmal treiben. Wehe wenn wir dann keine Gnade mehr finden! Und jetzt? Genau. Es geht darum, Gnade zu finden. Gross von der Gnade zu denken. Gross von der Vergebung zu denken. Je grösser wir von der Vergebung denken, desto weniger müssen wir Judas hassen. Desto weniger müssen wir uns fürchten. Die englische Kriminalschriftstellerin Dorothy Sayers denkt gross über die Vergebung. Für sie hat Judas den grossen Fehler gemacht, sich zu früh aufzuhängen. Hätte Judas erlebt, was 7

8 seine anderen Jünger erlebt haben dass Jesus auferstanden war er hätte sich nicht töten müssen. Das Dumme für Judas war, dass er den Ostermorgen nicht mehr erlebt hat. Judas hat zwar den schrecklichen Preis gesehen, den Jesus bezahlt hat. Diesen furchtbaren Tod am Kreuz. Aber er hat nicht den Sieg gesehen, den Jesus dann errungen hat. Gross von der Gnade denken heisst, Judas nicht mehr hassen müssen. Im Gegenteil. Traurig darüber werden, dass manche ihn immer noch in der Hölle sehen wollen. Schliessen möchte ich mit einer Geschichte, die man sich über Leonardo Da Vincis Abendmalsgemälde erzählt. Leonardo Da Vinci wurde beauftragt, für eine Kirche in Mailand zu malen, wie Jesus mit seinen Jüngern zum letzten Mal Brot und Wein teilt. Der Künstler machte sich an die Arbeit. Er studierte die Jünger, fragte sich bei jedem einzelnen, wie er wohl ausgesehen haben mag. Ein Maler braucht Leute, die ihm Modell stehen. Leonardo Da Vinci ging durch die Strassen Mailands und sah sich die Leute dort an. Wenn er jemanden fand, der aussah, wie er sich Petrus vorstellte, oder Matthäus oder wie sie alle hiessen dann bat er sie, für das grosse Kunstwerk Modell zu sitzen. Und so kam Leonardo da Vinci nach und nach zu elf Gesichtern. Am Ende fehlten ihm nur noch zwei: Jesus und Judas. Die Zeit verging. Die Gestalt mit dem roten Gewand und dem blauen Überwurf war fertig. Aber das Gesicht Jesu blieb leer. Da begegnete ihm ein junger Mann. Sein Gesicht war so rein und voller Unschuld und Güte, dass Leonardo Da Vinci sofort wusste: dieses Gesicht würde 8

9 seinem Jesus Modell stehen. Der junge Mann kam ins Atelier und stellte sich dem Künstler zur Verfügung. Doch auch danach wies das Gemälde noch eine Lücke auf. Judas fehlte immer noch. Kein Gesicht in Mailand war so, wie Leonardo Da Vinci sich diesen verworfenen Menschen vorstellte. Weitere Jahre vergingen. Dann aber, als aus den Jahren Jahrzehnte geworden waren, fand Leonardo Da Vinci einen Mann in den Strassen Mailands, der sah so zerquält, zerbrochen und verloren aus, wie Judas ausgesehen haben musste. Leonardo Da Vinci lud den Mann in sein Atelier ein. Er kam. Er liess sich porträtieren. Endlich ist das ganze Bild fertig. Der Augenblick, als Jesus seinen Jüngern mitteilt, dass ihn einer von ihnen verraten wird dieser Augenblick ist nun für Jahrhunderte festgehalten. Und mit Judas ist auch der letzte weisse Fleck im Fresko ausgefüllt. Als der letzte Pinselstrich getan war, erhebt sich der Mann, dem Judas sein Gesicht gegeben hat und sagt: Signor Da Vinci, ich habe Ihnen mein Gesicht schon einmal zur Verfügung gestellt. Sie haben mich schon einmal gemalt. Leonardo blickt ihn verwundert an und konnte sich beim besten Willen nicht erinnern. Damals, erklärte der Mann, damals habe ich Ihnen für diesen da Modell gestanden. Und er zeigt auf den Mann im roten Gewand mit dem blauen Überwurf, auf die lichte Gestalt Jesu. Was kann das Leben aus einem Menschen machen, der einmal unschuldig begonnen hat? Wehe, wenn wir für diesen Menschen keine Gnade mehr kennen! Gott, ich möchte dir danken dafür, dass unter deinen Jüngern auch Judas war. Was er getan hat an jenem letzten Abend, als Jesus mit seinen Jüngern zusammen war, ist mir ein Rätsel. Kein Mensch kann es lösen. Aber wer kann das Rätsel lösen, warum Menschen Böses tun? Wer kann das Rätsel lösen, warum Menschen Freundschaft verraten? Wer kann das Rätsel lösen, warum Menschen sich von dem abwenden, was ihnen heilig und wertvoll ist? 9

10 Und dann wer kann das Rätsel lösen, warum Jesus in seinem Volk keinen Glauben fand? Und wer kann das Rätsel lösen, warum Menschen den Drang fühlen, sich selbst das Leben zu nehmen? Warum die einen glauben und leben und die anderen nicht glauben oder nicht leben wollen? Gott, nur du weißt, warum das alles so ist, und nur du siehst Wege, wo wir schon längst keine mehr sehen. Darum Gott Israels, Vater Jesu Christi, möchte ich dir klagen, dass unsere Kirchen jahrhundertelang beifällig zugeschaut haben, wenn in ihren Städten und Dörfern Jüdinnen und Juden verfolgt und getötet wurden, und wenn in den Passionsspielen zur Osterzeit der Hass auf Judas jedes Jahr neu geschürt wurde. Und Gott, ich möchte dir klagen, dass unsere Kirchen jahrhundertelang Menschen die Gnade verweigerten, wenn sie freiwillig aus dem Leben schieden, und auch dass ihre Angehörigen allein gelassen wurden in Trauer und Schmerz. Und überhaupt bitte ich dich um einen hellsichtigeren und klareren Blick auf deine Gnade, die keine Grenze kennt, gerade dann, wenn Menschen über sich erschrecken, wie einst Judas über sich erschrak. Zeige uns, dass es von dir kommt, wenn wir erschrocken sind und etwas bereuen, was sich nicht rückgängig machen lässt. Und gib uns dann Menschen, die uns in Jesu Namen kraftvoll Vergebung zusprechen können. Lass uns niemals, wenn wir schuldig werden, 10

11 einsam hängen bleiben in der Weltuntergangsstimmung, die Judas erlebte, als nur noch Jesu Tod festzustellen war und Ostern noch auf sich warten liess. Hilf uns immer wieder zu neuem Mut und neuem Leben, für uns selbst, für einander und für die Welt, die du geschaffen hast und liebst. 11