Zur Geschichte der Diskriminierung gehörloser Menschen und die Folgen für ihr Verhältnis zu Institutionen und Kirche

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1 Vortrag bei der Arbeitstagung der deutschen Arbeitsgemeinschaft für Evangelischen Gehörlosenseelsorge im Schloss Beuggen / Rheinfelden am Zur Geschichte der Diskriminierung gehörloser Menschen und die Folgen für ihr Verhältnis zu Institutionen und Kirche Referent: Helmut Vogel Erziehungswissenschaftler und Historiker Pestalozziplatz 6, Frankfurt am Main vogel@deafhistorynow.de 1

2 Perspektiven zur Deaf History Deutschland Wissenschaftliche Forschungen Sammlungen Hobbyforschungen (breites Spektrum der Deaf History) Sammlungen: Verbandsarchive: Hamburg, Berlin und München usw., Gehörlosenmuseum in Frankfurt/Main Enger Bezug zu Deaf Studies (ein Teil der Indiszplinarität) Wichtige Aufgabe von der Deaf History: Die Geschichte der Gehörlosen wird den Gehörlosen zurück gegeben (vielmaliger Ausspruch: Ich wusste nicht!)

3 Die Deaf History lehrt uns,... dass die meisten Gehörlosen schon immer den Wunsch hatten, - miteinander in Verbindung zu treten - die Gebärdensprache zu pflegen und zu schützen - untereinander zu heiraten - Gemeinschaften auf lokaler, regionaler, nationaler oder sogar internationaler Ebene zu bilden (Vogel, Aufbruch des Taubseins, Menschen, , S. 54, nach: Paddy, Ladd, Deafhood, 2008, S..) 3

4 Taubstummen-Vereine in Deutschland 1848 T-Verein Berlin 1864 T-Verein Leipzig 1866 T-Verein Dresden 1870 T-Verein Mühlhausen, Thüringen 1872 T-Verein Hannover 1874 T-Verein Breslau 1875 T-Verein Nürnberg 1875 T-Verein Hamburg 1882 T-Verein München 1883 T-Lokalvereine Kiel, Altona, Heide und Schleswig 1883 T-Verein Stuttgart 1886 T-Verein Dortmund 1894 T-Verein Essen-Ruhr / Oldenburg 1900 T-Verein Karlsruhe / Osnabrück 4

5 9 Deutsche Taubstummen-Kongresse 1892 Hannover 1896 Nürnberg 1902 Berlin 1908 München 1894 Wiesbaden 1899 Stuttgart 1905 Leipzig 1911 Hamburg 1914 Breslau Oldenburg

6 8. Deutscher Taubstummen-Kongress 1911 in Hamburg Oldenburg

7 Geschichte der Deutschen Gehörlosen-Verbände 1892 Arbeitsausschuss für die Gründung eines Zentralverbandes deutscher Taubstummenvereine 1899 Zentralverband der deutschen Taubstummen (bis 1912) 1918 Reichsverband der Taubstummen Deutschlands 1918 Taubstummen-Partei-Bund 7

8 Gründungen der Gehörlosenverbände in den damaligen Provinzen des Deutschen Reiches 1849 Zentralverband für das Wohl der Taubstummen in Berlin 1882 Provinzial-Taubstummenverein für Schleswig-Holstein 1893 Württembergischer Taubstummen-Verein 1900 Sächsischer Taubstummenbund 1901 Zentralverband für das Wohl der Taubstummen in Bayern 1901 Provinzial-Taubstummenverein für Hannover 1904 Verein für badische Taubstumme Nur Gehörlose sind oft ordentliche Mitglieder in diesen Verbänden. Es gibt oft eine sehr hohe Anzahl von hörenden Fördermitgliedern (Wohltätern). Die Vorstandsposten sind eher den hörenden Persönlichkeiten, z.b. Taubstummen- Lehrer, Taubstummen-Seelsorger usw. vorbehalten. 8

9 Gehörlosen-Presse seit 144 Jahren 9

10 Gründungen der Taubstummen - Turnund Sportvereine 1888 Taubstummen-Turnverein Friedrich Berlin 1896 Berliner Taubstummen-Radfahrervereinigung 1900 Berliner Taubstummen-Schwimmverein 1902 Kölner Taubstummen-Turnverein 1903 Taubstummen-Turnverein Germania Elberfeld 1904 Taubstummen-Turnverein Hamburg, Taubstummen-Sportklub Lipsia Leipzig 1908 Taubstummen-Turnverein Frankfurt a. M Verband Deutscher Taubstummen-Turnvereine für Leibesübungen (heute: Deutscher Gehörlosen-Sportverband) Oldenburg

11 Reichsausschuss deutscher Taubstummen-Verbände für Leibesübungen (hier Foto 1928) Ab 1933: Verband deutscher T - Turn- und Sportvereine Aus: Blätter für Wohlfahrt der Gehörlosen, 1928, Nr.2, S.18 11

12 Verbandsgründungen in der Weimarer Republik 1918 Taubstummen-Partei-Bund 1918 Reichsverband der Taubstummen Deutschlands 1924 Deutscher Taubstummen-Bund 1927 Reichsverband der Gehörlosen Deutschlands (Regede) (Vorläuferorganisation des 1950 gegründeten Deutschen Gehörlosen-Bundes) München

13 Deutscher Taubstummen-Partei-Bund ( )

14 Richtlinien für den Taubstummen- Partei-Bund Deutschlands 1920 (Vorsitzender Wilhelm Mertens), in: Wochenschrift, , Nr. 14, S. 80

15 Herausgabe der Wochenschrift unter Willy Ballier für 3 Monate Zeichnung von Ferdinand Albert Burger ( )

16 Julius Heinrich über den Nationalsozialismus, Bei dieser Gelegenheit möchte ich auch auf die beschämende Tatsache hinweisen, dass sich in sonst intelligenten Kreisen Taubstummer auch die Hakenkreuz- Manie breit macht. Die Taubstummen sollten sich nicht auf solche Dinge einlassen. Mag sein, dass es unter Juden Wucherer und Schieber gibt, aber bei denen die das Christentum im Munde führen, gibt es auch Subjekte in Massen, deren Wucher und Schiebertrick zum Himmel stinkt.... Wenn ich die Liste derer ansehe, welche im Laufe der Zeiten im Zentralverein das Los ihrer Taubstummen Schicksalsgenossen zu mildern bestrebt waren, so stehen die Schicksalsgenossen jüdischen Glaubens mit an erster Stelle. Diesselben hatten stets ein offenes Herz und eine offene Hand, wenn es galt Hilfe zu bringen (Aus: Aus Berlin, Julius Heinrich, ADTZ, , Nr. 1, S. 1-2)

17 Kritischer Artikel zur Gründung des Regede 1927 in Weimar von Willy Ballier 17

18 Gründung des Regede 1927 in Weimar Max Härdtner Willy Ballier Felix Reich Fritz Albreghs Heinrich Siepmann Oldenburg

19 Gründung vom Reichsverband der Gehörlosen Deutschlands (Regede) (heute: Deutscher Gehörlosen-Bund) Gründungsmitglieder: Fritz Albreghs Johannes Liepelt Oskar Schönrock Willy Oppenheimer Paul Hoppe Wilhelm Mertens Paul Kroner Landesarchiv Berlin, Amtsgericht Berlin, Charlottenburg

20 Ballier: Die Einigung marschiert!, in: ADGZ, , Nr. 1, S Die Einigung geriet bald ins Stocken. Das Hindernis ist nun aus dem Wege geräumt: Herr Albreghs musste gehen, und sein Abgang war wenig rühmlich. Herr Albreghs mag ein tüchtiger Buchhalter sein, vielleicht auch ein guter Organisator. Er war aber keine Führernatur und ihm fehlte jeder diplomatische Takt. Das wurde ihm zum Verhängnis. Herr Albreghs war kein Opfer der "Verhetzungen". Er scheiterte an sich selbst!... Das unangebrachte Auftreten des früheren Regedevorsitzenden und seine Fehler haben viel Unheil angerichtet und er hat auch jedes Arbeiten im geschäftsführenden Vorstand unmöglich gemacht (!)

21 Neuer Vorstand des Regede unter Ballier nach der 1. Vertretertagung in Leipzig vom Von links: J. Liepelt (2. Vorsitzender), W. Ballier (1. Vorsitzender), L. Becker (1. Schatzmeister), A. Levy (2. Schatzmeister), K. Brachmann (2. Schriftführer), P. Hoppe (Beisitzer), W. Mertens (1. Schriftführer) Aus: Die Stimme, , Nr. 9 21

22 22

23 Willy Ballier und Johannes Liepelt, 1./2. Vorsitzenden des Regede, Oldenburg

24 Rede bei der Uraufführung in Berlin am vom Arbeitsausschussleiter im Regede und Direktor Dr. Lehmann (Berlin) (statt dem erkrankten Willy Ballier)... Der Film, den wir sehen sollen, ist ganz ein Werk der Gehörlosen: Von ihnen angeregt, von ihnen gestaltet und auch von ihnen finanziert. Sie stellen sich mit diesem Film der Öffentlichkeit vor und bitten um Beachtung. Sie wollen uns durch den Film sagen: Seht, so sind wir Gehörlosen, wir Taubstummen! Und sie hoffen, daß die Zuschauer nachdenklich zu sich sprechen werden: So sind also die Taubstummen! Die hatte ich mir allerdings ganz anders vorgestellt. Die habe ich bisher gründlich verkannt!... 24

25 ... Er soll zeigen, wie die Taubstummen in der Schule lernen und später im Leben ihre Arbeit tun wie andere Menschen. Er soll uns überzeugen, daß sie wirklich nützliche und vollwertige Mitglieder der menschlichen Gesellschaft sind. Er führt uns auf die Sportplätze und in die Schwimmhallen und mit taubstummen Touristen in die Berge, damit wir sehen, daß sie auch hier Tüchtiges zu leisten vermögen. Er führt uns in die Werkstätten gehörloser Künstler, damit wir das vielen Unglaubliche glauben: Daß Taubstumme auch als Künstler schöpferisch tätig sein können. Er läßt uns schließlich auch einen Blick tun in das Vereins- und Familienleben der Gehörlosen, damit wir erkennen, daß sie Menschen sind wie du und ich

26 Aufführungen des Filmes Verkannte Menschen in Deutschland (auf Filmverleihen): Uraufführung am in Berlin München Stuttgart Dresden Frankfurt/Main Gelsenkirchen Bis Ende 1933 oder Anfang

27 Neue Führung des Regede nach der 3. Vertretertagung an Ostern 1933 in Berlin im Sinne des Nationalsozialismus Fritz Albreghs Willy Ballier Aus: DDG, , Beilage, Nr

28 Organisationsleiter Willy Ballier für die Selbstgleichschaltung im Regede bis Ende 1933

29 Meine Inspektionsfahrt durch die Gaue des Deutschen Reiches, von Fritz Albreghs, DDG, , Nr. 47, S :... es hat keinen Zweck, es zu verheimlichen, dass durch die Änderung der politischen Verhältnisse der alte Film wertlos geworden ist. Das Reichsministerium für Propaganda und Volksaufklärung, welchem der Film vorgeführt worden ist, hat dahin entschieden: "In gegenwärtiger Fassung ist der Film unbrauchbar!... 29

30 Sachbearbeiter Matz, DDG, , Folge 17, S der Reichsverband hatte zu Ostern 1933 eine Schuldenlast von RM Der gesamte Reichsverband hatte ungefähr 4000 Mitglieder und diese 4000 Mitglieder hatten etwa RM 25000,- Schulden. Ich will nicht sagen, dass der Reichsverband gar nichts gemacht hat, - ja, wohl hat er etwas gemacht, er hat einen Film geschaffen und mit Hilfe dieses Films, der absolut nichts wert gewesen ist, ist der Reichsverband an den Abgrund gebracht worden. So wie unser deutsches Vaterland im Januar 1933 am Rande des Abgrundes stand, so stand auch der Reichsverband vor dem Zusammenbruch

31 Oldenburg

32 Gedenktafel an ermordete taube Juden Im Institut für Deutsche Gebärdensprache an der Universität Hamburg (Prof. Fischer) 32

33 Neuanfang durch die Gründung des Deutschen Gehörlosen-Bundes am 14./ in Düsseldorf Archiv GL-Verein Stuttgart Oldenburg

34 Heutige Landesverbände 1946 Landesverband Schleswig-Holstein 1946 Landesverband Hessen 1950 Landesverband Württemberg 1951 Landesverband Bayern 1950 Landesverband Niedersachsen 1950 Landesverband Baden 1952 Landesverband Berlin 34

35 Vorläufer der heutigen Landesverbände?? 1882 Provinzial-Taubstummenverein für Schleswig- Holstein (1946 Landesverband Schleswig-Holstein) 1893 Württembergischer Taubstummen-Verein (1950 Landesverband Württemberg) 1900 Sächsischer Taubstummenbund (1990 Landesverband Sachsen) 1901 Centralverband für das Wohl der Taubstummen in Bayern (1951 Landesverband Bayern) 1901 Provinzial-Taubstummenverein für Hannover (1950 Landesverband Niedersachsen) 1904 Verein für badische Taubstumme (1950 Landesverband Baden) 35