Cradle to Cradle als Design Prinzip in der Architektur

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1 16. Status-Seminar «Forschen und Bauen im Kontext von Energie und Umwelt» Cradle to Cradle als Design Prinzip in der Architektur Michael Braungart EPEA Internationale Umweltforschung GmbH, Trostbrücke 4 D Hamburg braungart@braungart.com, Zusammenfassung Abstract Résumé Im Laufe des letzten Jahrhunderts, hat die Betrachtungsweise von Gebäuden als Teil der Natur zu vielen verschiedenen Ideen und Entwürfen im Bereich Architektur geführt. Heute veranlasst das Bestreben nach einem Schuldmanagement gegenüber der Natur viele Architekten dazu, etwaige negative Auswirkungen von neuen Gebäuden auf die Umwelt zu vermeiden oder wenigstens zu minimieren. Begriffe wie die «CO 2 Bilanz» und «Energieeffizienz» spiegeln diese Mentalität deutlich wieder. Das Cradle to Cradle -Design andererseits gestattet den Architekten eine völlig andere Herangehensweise, bei der ein Gebäude nicht nur als Teil seiner Umwelt agiert, sondern die Umwelt von dem Gebäude sogar profitiert. Ganz deutlich zeigen sich die unterschiedlichen architektonischen Herangehensweisen beim Vergleich zwischen einem Passivhaus und einem Aktivhaus. Die Idee hinter dem Passivhaus lässt sich in einem Wort zusammenfassen: weniger. Weniger Energie. Weniger Wasser. Weniger Umweltbelastung. Leider wird durch die beständige Reduktion unterschwellig die Botschaft vermittelt, dass es besser wäre, das Gebäude existiere überhaupt nicht. Dem gegenüber zelebriert das Aktivhaus seine Existenz, indem es Menschen und Umwelt positiv beeinflusst. Es bietet mehr. Mehr positive Interaktion mit seiner Umwelt und einen höheren Nutzwert. Das Aktivhaus impliziert somit die Säulen des Cradle to Cradle -Prinzips (Abfall ist Nahrung, Gebrauch von erneuerbaren Energien, Aktive Unterstützung von Diversität) und muss sich nicht für seine Existenz entschuldigen. Over the course of the last century, ideas pertaining to the built environment have led to many different ideas and designs in architecture. Today many architects and building designers attempt to avoid any negative impact that a new building might create through the process of guilt management and minimization. Terms such as carbon footprint and energy efficiency abound from this type of mentality. On the other hand, the Cradle to Cradle design principles allow architectural design to take an entirely different approach where the built environment not only interacts with the environment but improves it. A perfect example of the architectural differences can be seen when comparing between the Passive House to the Active House. The idea behind the Passive House can be summed up in one word: less. Less energy. Less water. Less environmental impact. Unfortunately, this conveys an underlying message that it is seeking to minimize the fact that it even exists. On the contrary, the Active House boasts its existence by being a positive influence on its surroundings and provides more, more interaction with its surroundings, more benefits for the environment. The Active House is therefore an example of what Cradle to Cradle represents: having a large, positive influence rather than a sorry I am here attitude. 2./3. September 2010 ETH-Zürich 1

2 1. Mehr statt weniger Architektur ist die Kunst und die Wissenschaft des planvollen Entwurfs der gebauten menschlichen Umwelt. Sie ist ein Mittel sich auszudrücken. Ein gutes Beispiel sind die verschiedenen Gebäude auf der EXPO in Shanghai. Der deutsche Pavillon ist nicht als Gebäude zu begreifen, sondern vielmehr als «dreidimensionale begehbare Skulptur», die «die Balance zwischen Erneuern und Bewahren» widerspiegeln soll. Die Architektur bzw. der Bau von Häusern und Gebäuden ist aber nicht nur der Ästhetik verpflichtet, sondern gleichermaßen ihrer Umwelt. Angeregt durch politische Rahmenbedingungen, die in nationalen und internationalen Umweltkonferenzen ausgehandelt wurden, soll der Anteil regenerativer Energien in Deutschland bis 2010 mindestens verdoppelt werden. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen Lösungen entwickelt werden. In der Architektur findet sich die scheinbar optimale Lösung mit dem «Passivhaus». Dieses Haus verfügt per Definition über ein komfortables Innenklima, das ohne aktives Heizungs- und Klimatisierungssystem erreicht werden kann. Ein derartiges Gebäude heizt und kühlt sich demnach unter passiver Nutzung der Sonnenenergie. Das bedeutet, dass durch die Wärme- und Energiesparverordnungen, die zur Abdichtungen von Gebäuden dienen jedes Gebäude muss heute bekanntermaßen einen Dichtigkeitsnachweis haben ist die durchschnittliche Innenraumbelastung drei- bis viermal schlechter als die durchschnittliche städtische Luft. Da vielfach Einrichtungsstücke und andere Produkte, die in Innenräumen verwendet werden, im Allgemeinen nicht für Innenräume hergestellt werden, sondern sich an den klassischen Designprinzipien: Kosten, Ästhetik und Funktion orientieren, führt das Ausgasungsverhalten dieser Produkte zu drastischen Gesundheitsbeeinträchtigungen. Gasdichte Gebäude werden dadurch quasi zu Gaskammern. Die Ausgasungsmenge liegt oftmals über einem Milligramm pro Quadratmeter. So sind laut Erhebungen des «National Institute of Allergy and Infectious Diseases» in den USA bereits 40 % aller Kinder sind Allergiker vor circa 20 Jahren waren es noch zwei bis drei Prozent. Allein die Allergiker kosten das amerikanische Gesundheitssystem jährlich 18 Billionen Dollar. Diese Entwicklung zeigt uns, dass die Lösung für ein «umweltfreundliches» Gebäude nicht darin besteht, seinen Innenraum quasi luftdicht zu verschließen. Ein Gebäude sollte vor allem von seiner Umwelt profitieren und im Gegenzug genauso eine Bereicherung für Menschen und Umwelt sein. Man könnte sich vorstellen, ein Gebäude zu konstruieren, das der Umwelt nutzt, anstatt zu versuchen, Schädlichkeit in Teilbereichen partiell zu reduzieren also nicht den ökologischen Fußabdruck zu minimieren, sondern einen großen Abdruck zu machen, der gleichzeitig ein Feuchtgebiet ist. Dieses Ziel lässt sich nicht dadurch erreichen, indem man Dinge richtig macht ökoeffizient handelt so wie bisher. Dieses Ziel lässt sich erreichen, wenn man «die richtigen Dinge macht» und ökoeffektiv handelt. 1.1 Cradle to Cradle An diesen Ansatz hält sich das Cradle to Cradle Prinzip. Hierbei werden alle Produkte und Materialien zwei unterschiedlichen Metabolismen zugeordnet. Es wird zwischen biologischen und technischen Nährstoffen unterschieden. Alles, was verschleißt (beispielsweise Bezugsstoffe, Schuhsohlen, Waschmittel) ist biologischer Nährstoff. Alles, was nicht verbraucht, sondern lediglich genutzt wird, gelangt in technische Kreisläufe. Menschen sind die einzigen Lebewesen, die Abfälle erzeugen. Die Biomasse der Ameisen und Termiten beträgt ein Vielfaches der Menschen, jedoch sind sie kein Umweltproblem, da diese Lebewesen intelligent genug sind, ihre Stoffwechselprodukte in Kreisläufe zurückzugeben. 2 M. Braungart 16. Status-Seminar 2./3. September 2010 ETH-Zürich

3 Abb. 1: Cradle to Cradle -Metabolismen Baumaterialien und Bautätigkeiten sind bei weitem die größte Einzelquelle für Abfälle. Durch falsch verstandenes Recycling werden neben der bisherigen Umweltbelastung zusätzliche Belastungen in Kauf genommen. Beispielsweise sind alte Zeitungen nicht dazu geeignet, Dämmmaterial daraus zu machen, da sie dafür nicht konzipiert worden sind. Es ist ein Produktdesign zu fordern, das die nächste Nutzung des Bauwerkes bereits einplant ein so genanntes «Design for Reincarnation». Im Buch «Cradle to Cradle» haben wir dies konzeptionell vorgestellt. 2. Mehr «Aktiv Haus» Nehmen wir uns ein Beispiel an der Natur. Sie spart nicht, sie verzichtet nicht, sie vermeidet nicht. Das ganze Schuldvokabular der Öko-Effizienz ist auf Naturprozesse nicht anwendbar. Die traditionelle Schuld-Denkweise führt zu hässlichen, zerstörungsminimierenden Schuld- und Gebäudekomplexen. Dagegen ist Natur verschwenderisch und vielfältig. Es ist deshalb besser, ökologische Intelligenz statt ökologischer Effizienz in Gebäuden einzusetzen. Wir nennen das «Öko-Effektivität». Könnte man nicht ein Gebäude konzipieren, das Sauerstoff herstellt, die Luft reinigt, Kohlenstoff speichert, Wasser speichert, Wasser reinigt, Lebewesen vielfach Heimat bietet, ausschließlich Solarenergie nutzt, sich selbst vervielfältigt, Farben und Aussehen mit den Jahreszeiten wechselt und dazu noch hochwertige Substanzen herstellt und wieder in Kreisläufe zurückbringt? Architekten können vielleicht nicht immer Künstler sein, wie es Joseph Beuys für alle Menschen postuliert hat. Aber jeder Architekt könnte ein kreativer und intelligenter Nährstoffmanager sein. Wir haben versucht, ein solches Konzept in Gebäude umzusetzen. Gemeinsam mit Kollegen vor Ort haben wir beispielsweise ein Projekt am Oberlin College gestaltet. Das Haus übernimmt fast alle Funktionen eines Baumes. Dabei wird mehr Energie erzeugt, als das Gebäude selbst braucht. Die Baumaterialien sind gezielt auf ihre Kreislauffähigkeit ausgewählt. 16. Status-Seminar 2./3. September 2010 ETH-Zürich M. Braungart 3

4 Abb. 1: Adam Joseph Lewis Center for Environmental Studies, Oberlin College Abb. 2: Grasdach des Ford Rouge Plant Ein anderes Beispiel ist der Park 20/20 in der Nähe von Amsterdam, der als Cradle to Cradle Businesspark deklariert ist. Die Schwerpunkte liegen hier auf der schadstofffreien Raumluft, dem Wasserrecycling, den Grünflächen sowie auf der Außenverglasungen, die unter anderem zur Energieerzeugung genutzt werden. 5 Das Gelände der Ford Rouge Plant ziert ein riesiges Grasdach für eine Produktionshalle, das durch die Sturmwasserrückhaltung 30 Millionen Dollar netto an Baukosten einspart. Viele Elemente des Bauprinzips «Baum» werden dabei berücksichtigt. Als weiteres Beispiel dient das NIKE Headquarter in Hilversum. 3. Ausblick Die Natur als Vorbild für die Architektur ist selbstverständlich standortabhängig. Die Vielfalt natürlicher Lebensformen ebenso wie von lokalen kulturellen Gegebenheiten sollten von der Architektur der Gebäude respektiert und gefördert werden. Die traditionellen Designprinzipien Kosten, Ästhetik und Funktion, werden ergänzt durch ökologische Intelligenz, Gerechtigkeit und Lebensfreude. Solche «Aktiv Häuser» implizieren die gezielte Auswahl von Materialien für definierte Nutzungsperioden. Ein «Materials Pooling» für technische Nährstoffe sozusagen, so dass Materialien wiederum in technischen oder biologischen Nährstoffkreisläufen eingesetzt werden können. Anders als es derzeit gehandhabt wird, wo beispielsweise im Baustahl wertvolle Buntmetalle durch Primitiv-Recycling von Autos verloren gehen, wäre dieser Werkstoff dann ein echter technischer Nährstoff. Anders als in Zement und Beton, in denen bedenklich Additive und problematische Zusatzstoffe eine Kontamination der Biosphäre verursachen, entstünden dann echte Nährstoffkreisläufe. Auf dem Weg zum «lebendigen Gebäude» kann man auf das Umweltmanagement des Bundesverbandes Umweltbewusstes Management B.A.U.M. ( verweisen, das unser Konzept eines Gebäudepasses am ehesten in die Praxis umgesetzt hat. Abb.3: Das Rathaus von Chicago mit Dachbegrünung Abb. 4: Zukunftsversion eines Wohnhauses. 4 M. Braungart 16. Status-Seminar 2./3. September 2010 ETH-Zürich

5 Ein solches Gebäude zu konstruieren, erfordert einen erheblichen Gestaltungs- und Regelungsbedarf. Vivian Loftness und Volker Hartkopf haben dies im «Intelligent Workplace» für den Büroalltag vorgeführt. Ein solcher Standard könnte vielfältig angepasst und an den menschlichen Bedürfnissen orientiert sein. Die Notwendigkeit besteht, Bedürfnisse natürlicher Systeme aktiv zu fördern, anstatt einseitig unsere westliche Baukultur weltweit den Menschen überzustülpen. 4. Literatur/Referenzen [1] Kölnmesse International GmbH (Hrsg.), EXPO 2010: Pavillon-Architektur ( deutschland.de), gesehen: 07/2010. [2] Adamson, B.: Passive Climatization of Residential Houses in People s Republic of China, Lund University, Report BLK, 1987, S. 2. UND Feist, W.: Forschungsprojekt Passive Häuser; Institut Wohnen und Umwelt, Darmstadt [3] Braungart, M.; Bujanowski, A.; Sinn, C.: Primitives Produktdesign, Müllmagazin, 1998, Nr. 10, S [4] McDonough, W.; Braungart, M., cradle to cradle Remaking The Way We Make Things, Water Durable Book, North Point Press, New York 2002, zu beziehen über [5] Prlic, T.: Öko-Städte als Klimaretter, Architektur und Bau Forum, Nr. 5., 03/ Status-Seminar 2./3. September 2010 ETH-Zürich M. Braungart 5