Sabine Lütje Radieschen & Co 3

Transkript

1 Unverkäufliche Leseprobe der Fischer Schatzinsel Sabine Lütje Radieschen & Co 3 Preis (D) 10,95 (A) 11,30 SFR 17,50 ISBN: Roman, 240 Seiten, gebunden Fischer Schatzinsel Alle Rechte vorbehalten. Die Verwendung von Text und Bildern, auch auszugsweise, ist ohne schriftliche Zustimmung des Verlags urheberrechtswidrig und strafbar. Dies gilt insbesondere für die Vervielfältigung, Übersetzung oder die Verwendung in elektronischen Systemen. S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2010

2 Er schüttelte den Kopf.»Ich glaube, heute wird es nichts. Aber morgen bestimmt.unterricht?«, fragte Hannah, als sie weitergingen.»was denn für Unterricht? Wir haben doch frei.frau Oswald bringt mir Stricken bei«, erklärte Will.»Dann kann ich Opa im Herbst ein Paar dicke Socken schenken. Bis dahin wird ja nichts mehr von seinen Hausschuhen übrig sein, wenn Wilma so weitermacht.«hannah schaute ihn an. Will konnte kaum eine halbe Stunde hier sein, und schon hatte er sich mit Frau Oswald von der Kasse zum Stricken verabredet? Verrückt. Auf der anderen Seite des Torhauses sah Hannah sich mit großen Augen um. Hier war nun also die Vergangenheit, von der Professor Lilienthal so geschwärmt hatte. Und sie war unerwartet schön, diese vergangene Zeit! Vor ihnen lag ein riesiges Gelände aus hügeligen Wiesen. Schmale und breite Wege schlängelten sich hindurch und verbanden 24

3 die roten und weißen Backsteinhäuser miteinander. Die meisten Gebäude waren offenbar alte Bauernhöfe. Mit Scheunen und Ställen. Mit Blumenbeeten und Obstgärten. Zwischen den verstreuten Höfen lag ein See, der von Schilf und Wiesen umgeben war. Am gegenüberliegenden Ufer stand eine Wassermühle. Und hoch über allem, auf den hintersten Hügeln, thronten zwei Windmühlen. Eine große und eine kleine.»ich hätte nie gedacht, dass es hier so riesig ist!«, rief Hannah begeistert.»und hast du die Tiere gesehen? Da hinten sind Esel!«Will zeigte in die andere Richtung.»Da drüben sind Schafe!«Hannah suchte die Weiden ab.»da sind Ziegen!Da am See sind zottelige Kühe!Da vorne sitzen Hühner auf dem Zaun!Na ja«, meinte Will und fuhr sich durch die blonden Strubbelhaare.»Hühner wären nicht unbedingt nötig gewesen.«hannah sah ihn grinsend an. Er war und blieb ein Hühnerschisser. So viel war sicher. 25

4 Will zeigte auf eine andere Wiese, wo ei ne Handvoll Menschen zwischen Autos, Wohnwagen und Hängern herumwuselte.»und da hinten wird der Jahrmarkt aufgebaut. Siehst du? Die anderen sind schon beim Abladen.Dann nichts wie hin«, erwiderte Hannah.»Wir müssen nur einen kleinen Umweg machen, ich habe gerade was entdeckt!«wilma lief zwischen Hannah und Will den schmalen Weg entlang. Als sie zu einer reetgedeckten Kate kamen, blieb der kleine Hund wie angewurzelt stehen. Die schwarze Nase zuckte unruhig hin und her.»o nein!«, rief Hannah lachend.»du wirst doch hoffentlich kein Schweineschisser sein?ach nein, bestimmt nicht«, sagte Will.»Obwohl «Er musterte die gewaltige Muttersau, die ihren Rücken grunzend am Zaun schubberte.»wenn sie so aussehen, kann man schon Angst bekommen. Mit so einem Riesenschwein möchte ich mich lieber nicht anlegen.«er machte eine tiefe 26

5 Verbeugung und fragte höflich:»entschuldigung, liebe Frau Sau Sie haben doch nichts dagegen, wenn wir Ihre Ferkel ein wenig streicheln? Nein? Das ist beruhigend. Danke sehr.«hannah steckte lachend die Hand durch den Zaun, und sofort kamen die fünf Ferkel angetrabt. Ungefähr zwei, drei Wochen alt, schwarz-weiß gefleckt und unglaublich niedlich. Mit ihren feuchten kleinen Rüsseln

6 schnüffelten sie an Hannahs Hand. Vorne zuckten die Ohren und hinten wackelten die Ringelschwänze, während die Ferkel sich gegenseitig wegdrängelten und dabei lustig quiekten. Wilma wich von dem Zaun zurück, wedelte aber und begann, aufgeregt zu fiepen.»vielleicht können sie sich unterhalten«, meinte Will und beugte sich vor, um zwei Ferkeln den Rücken zu kratzen.»auf jeden Fall sehen diese kleinen Schweine klug aus. Sie haben so wache Augen. Als ob sie viel denken.und immer, wenn ihnen was Schlaues einfällt, wackeln sie hinten mit dem Ringelschwanz und vorne mit den Ohren«, sagte Hannah und strich mit beiden Händen über das weiche Borstenfell.»So wild wie sie wackeln, fällt ihnen wohl dauernd etwas Schlaues ein.da könntest du recht haben«, sagte eine dunkle Stimme hinter ihnen.»madame Stachnitzky!«Hannah strahlte die Wahrsagerin an.»sind Sie auch auf 28

7 Erkundungstour? Wie gefällt es Ihnen in der Vergangenheit? Ist es nicht schön hier?«madame Stachnitzky schaute über das weite Museumsgelände und nickte.»vieles ist schön hier. Doch vor allem ist es voll. Voll mit Geschichten. Geschichten über das Leben und den Tod. Geschichten voller Angst und Glück.«Hannah und Will hatten aufgehört, den Ferkeln die Rücken zu kratzen. Sie standen neben der Wahrsagerin und ließen ihre Blicke über die alten Häuser wandern. Die Höfe waren hübsch über die hügeligen Wiesen verteilt. Die Sonne schien. Die Rosen dufteten. Ein Kuckuck rief den Sommer. Leben und Tod, dachte Hannah. Angst und Glück. Vom Glück war hier noch etwas zu merken. Aber Angst? Nein. Wirklich nicht. Und doch und doch bekam sie eine Gänsehaut, als ob sie frieren würde.»es gibt viele Geheimnisse hier«, murmelte Madame Stachnitzky leise.»ich glaube, für eines ist die Zeit gekommen.«29

8 »Was soll das heißen?«, fragte Will, und Hannah hielt gespannt die Luft an. Die Wahrsagerin zögerte einen Moment. Dann sagte sie:»es gibt hier ein Geheimnis, das entdeckt werden will.«