Zu Lk 15, : Gleichnis vom verlorenen Sohn Barmherzigkeit: Mitte des Evangeliums
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- Oswalda Arnold
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1 Zu Lk 15, : Gleichnis vom verlorenen Sohn Barmherzigkeit: Mitte des Evangeliums In den Gleichnissen, die von der Barmherzigkeit handeln, offenbart Jesus die Natur Gottes als die eines Vaters, der nie aufgibt, bevor er nicht mit Mitleid und Barmherzigkeit die Sünde vergeben und die Ablehnung überwunden hat. Wir kennen von diesen Bildreden drei ganz besonders: die Gleichnisse vom verlorenen Schaf und von der wiedergefundenen Drachme und das vom Vater und seinen beiden Söhnen (vgl. Lk 15,1-32). In diesen Gleichnissen wird besonders die Freude des Vaters im Moment der Vergebung betont. Darin finden wir den Kern des Evangeliums und unseres Glaubens, denn die Barmherzigkeit wird als die Kraft vorgestellt, die alles besiegt, die die Herzen mit Liebe erfüllt und die tröstet durch Vergebung." So Papst Franziskus in der Bulle zur Ankündigung des Heiligen Jahres der Barmherzigkeit: Mit diesem Gleichnis stoßen wir tatsächlich in die Mitte der Verkündigung Jesu, zum Kern seiner Botschaft vor. Oder anders: Wenn wir deutlich machen wollen, was die Kernbotschaft Jesu war und ist, brauchen wir nur dieses Gleichnis vorzutragen Dass dieses Gleichnis zu den bekanntesten Gleichnissen gehört und uns seit Kindheit an vertraut ist, macht uns die Auslegung nicht leichter, da die Zuhörerinnen und Zuhörer schon alles zu kennen scheinen. Selbst unsere Kommunionkinder kannten dieses Gleichnis jedenfalls in groben Zügen schon, bevor ich es mit ihnen besprach. Meist allerdings wird der Schwerpunkt auf den ersten Teil des Gleichnisses gelegt, manchmal wird der zweite Teil zumindest in der Kinderkatechese weggelassen. Wenn ich auch immer wieder neu bei jedem Lesen von der Geschichte und seiner erzählerisch-literarischen Qualität beeindruckt und angerührt bin, so könnte es mir schnell passieren, das zu wiederholen, was ich schon mehrfach gepredigt habe. Deshalb möchte ich einen etwas anderen Ansatz wagen. Ich möchte Ps 73 zu Hilfe nehmen und von diesem Psalm aus vor allem den zweiten Teil unseres Gleichnisses näher beleuchten, bei dem es um den ersten, den älteren Sohn geht, der zu Hause geblieben ist. Denn die Haltung dieses Sohnes begegnet uns in gewisser Weise auch im 73. Psalm. Das beherrschende Wort dieses Psalms ist, so sagt es Martin Buber, das Herz. Dieses Wort begegnet uns sechsmal. Das Herz ist nach biblischem Verständnis die Mitte des Menschen. Das Erbarmen geht von dieser Mitte aus. Deshalb sprechen wir von Barmherzigkeit Wenn ein Gleichnis zu Herzen geht und das Herz treffen will, dann das Gleichnis von den verlorenen Söhnen und dem barmherzigen Vater. 1
2 Am Ende des Psalms (73, 23-28) heißt es Ich aber - Gott nahe zu sein ist mein Glück. Ich setze auf Gott, den Herrn, mein Vertrauen. Ich will all deine Taten verkünden. Um zu dieser Erkenntnis zu kommen, hat der Psalmist einen langen Weg hinter sich, einen Weg der Enttäuschung Verärgerung, Verbitterung, des Zweifels und der Verzweiflung. Der Psalmist bemüht sich um ein rechtschaffenes Leben nach Gottes Gebot. Doch macht es ihn geradezu krank, wenn er sieht, dass es den, wie er sagt Frevlern, also Menschen, die kein Gebot kennen und denen nichts heilig ist, gut geht: Sie leiden ja keine Qualen, ihr Leib ist gesund und wohlgenährt. Sie kennen nicht die Mühsal der Sterblichen, sind nicht geplagt wie andere Menschen. Darum ist Hochmut ihr Halsschmuck, wie ein Gewand umhüllt sie Gewalttat. Sie sehen kaum aus den Augen vor Fett, ihr Herz läuft über von bösen Plänen. Sie höhnen, und was sie sagen, ist schlecht; sie sind falsch und reden von oben herab. Sie reißen ihr Maul bis zum Himmel auf und lassen auf Erden ihrer Zunge freien Lauf. Darum wendet sich das Volk ihnen zu und schlürft ihre Worte in vollen Zügen. Sie sagen: «Wie sollte Gott das merken? Wie kann der Höchste das wissen?» Wahrhaftig, so sind die Frevler: Immer im Glück, häufen sie Reichtum auf Reichtum. Der Psalmist beschreibt eine Erfahrung, wie sie wohl viele gläubige, religiöse und rechtschaffene Menschen machen, tatsächlich eine Erfahrung, die an der eigenen aufrechten Haltung zweifeln lässt. Musste nicht der ältere Sohn ähnlich empfinden, als er sah, wie liebevoll der Vater mit dem jüngeren, so missratenen Sohn umging? Sind nicht deshalb seine Verbitterung und sein Zorn so gut nachvollziehbar? Hier allerdings bekehrt sich der Psalmist zu einer anderen Haltung. Trotz aller Verbitterung reagiert er nicht trotzig. Er ist nicht bereit, es den Frevlern gleich zu tun: "Dann hätte ich an deinen Kindern Verrat geübt", sagt er. Deshalb sucht er bei Gott die Antwort, in dem er das Heiligtum betritt: "Es war eine Qual für mich, bis ich eintrat ins Heiligtum Gottes." Hier, in der Nähe Gottes, wird ihm bewusst, wie das Ende der Frevler aussieht: 2
3 Ja, du stellst sie auf schlüpfrigen Grund, du stürzt sie in Täuschung und Trug. Sie werden plötzlich zunichte, werden dahingerafft und nehmen ein schreckliches Ende, wie ein Traum, der beim Erwachen verblasst, dessen Bild man vergisst, wenn man aufsteht. Mein Herz war verbittert, mir bohrte der Schmerz in den Nieren; ich war töricht und ohne Verstand, war wie ein Stück Vieh vor dir. Das allerdings ist eine Erkenntnis, zu der der ältere Sohn noch nicht gekommen ist. Denn am Schicksal seines jüngeren Bruders hätte er doch sehen können, wohin letztlich ein solch ausschweifendes, von Gott entfremdetes Leben geführt hat. Er ist, so würden wir sagen, in der Gosse gelandet. Ausgebrannt, leer, hungrig herunter-gekommen wirft er sich als Häufchen Elend dem Vater zu Füßen. Der Vater will seinem ältesten Sohn genau das vermitteln. Hier zeigt sich, dass er sich genauso barmherzig und liebevoll ihm gegenüber verhält wie zu dem jüngeren Sohn. Er kommt zu ihm hinaus, er kommt ihm entgegen. Er spricht liebevoll ihm zu. Er bettelt geradezu um Verständnis. Der ältere Sohn scheint verhärtet, unzugänglich. Für ihn ist der Bruder endgültig gestorben. "Mein Kind, du bist immer bei mir." Dem Vater nahe zu sein ist doch sein Glück. Der ältere Sohn scheint nicht zu begreifen, was dem Psalmisten aufgeleuchtet ist: "Wer dir fern ist geht zugrunde." Das musste der jüngere Sohn erfahren. Wie schön wäre es, wenn der ältere Sohn mit dem Psalmisten hätte sagen können: "Ich aber bleibe immer bei dir, du hältst mich an meiner Rechten." Jesus lässt offen, wie sich der ältere Sohn entscheiden wird. Ergreift er die ausgestreckte Hand des Vaters oder weist er sie auch weiterhin zurück? Jesus in seiner Person ist das Angebot der Barmherzigkeit Gottes, Gottes ausgestreckte Hand. Deshalb erzählt er diese Geschichte, um selbst seinen hartnäckigsten Widersachern dieses Angebot zu machen. Besonders in dem Verhalten des Vaters seinem älteren Sohn gegenüber kommt die tiefe Sehnsucht Gottes, die sich hinschenkende Liebe seinen Kindern gegenüber zum Ausdruck. Seine Liebe liefert sich dem Menschen aus. Er riskiert Ablehnung und Zurückweisung denn er gibt seine barmherzige Zuwendung, seine zärtliches Liebeswerben nicht auf. Er lehnt jeden Zwang, jede Gewalt ab und wagt diese ohnmächtige, verletzbare, bis zum Äußersten gehende Liebe. Das Symbol dieser unergründlichen Liebe ist das durchbohrte, 3
4 offene Herz seines Sohnes. Ein griechisches Wort in unserem Evangelium bringt dies zum Ausdruck. "ἐσπλαγχνίσθη" ("esplangchnisthe"): "Er hatte Mitleid" übersetzt die Einheitsübersetzung sehr schwach. In dieser griechischen Vokabel steckt das Wort Eingeweide, Herz. Den Vater trifft es in die Eingeweide, ins Herz. Wir könnten übersetzen: "Es zerreißt ihm das Herz." Ein solches von Liebe überströmendes Herz schlägt in der Brust des Vaters. Das soll mit dieser Wortwahl angedeutet werden. Dieses Wort gebraucht Lukas für Jesus auch bei der Auferweckung des Jünglings von Nain und beim barmherzigen Samariter, dem es das Herz zerreißt, als er den unter die Räuber Gefallenen sieht. Am Kreuz wird das geöffnete, mit der Lanze durchbohrte Herz das Realsymbol dieser unergründlichen Liebe, "Aus dem geöffneten Herzen deines Sohnes kommt die Fülle des Erbarmens" beten wir am Ende der Herz-Jesu-Litanei. Wer dies begriffen hat, wer dies glauben kann, der kann doch nur mit dem Psalmisten stammeln "Was habe ich im Himmel außer dir? / Neben dir erfreut mich nichts auf der Erde. Auch wenn mein Leib und mein Herz verschmachten, / Gott ist der Fels meines Herzens / und mein Anteil auf ewig. Ja, wer dir fern ist, geht zugrunde; / Ich aber - Gott nahe zu sein ist mein Glück." Den Zuhörerinnen und Zuhörern wurde zur Predigt ein Handzettel mit dem Text des 73. Psalms ausgehändigt, um das Verfolgen der Predigt zu erleichtern: 4
5 Psalm 73 1 Lauter Güte ist Gott für Israel, / für alle Menschen mit reinem Herzen. 2 Ich aber - fast wären meine Füße gestrauchelt, / beinahe wäre ich gefallen. 3 Denn ich habe mich über die Prahler ereifert, / als ich sah, dass es diesen Frevlern so gut ging. 4 Sie leiden ja keine Qualen, / ihr Leib ist gesund und wohlgenährt. 5 Sie kennen nicht die Mühsal der Sterblichen, / sind nicht geplagt wie andere Menschen. 6 Darum ist Hochmut ihr Halsschmuck, / wie ein Gewand umhüllt sie Gewalttat. 7 Sie sehen kaum aus den Augen vor Fett, / ihr Herz läuft über von bösen Plänen. 8 Sie höhnen, und was sie sagen, ist schlecht; / sie sind falsch und reden von oben herab. 9 Sie reißen ihr Maul bis zum Himmel auf / und lassen auf Erden ihrer Zunge freien Lauf. 10 Darum wendet sich das Volk ihnen zu / und schlürft ihre Worte in vollen Zügen. 11 Sie sagen: «Wie sollte Gott das merken? / Wie kann der Höchste das wissen?» 12 Wahrhaftig, so sind die Frevler: / Immer im Glück, häufen sie Reichtum auf Reichtum. 13 Also hielt ich umsonst mein Herz rein / und wusch meine Hände in Unschuld. 14 Und doch war ich alle Tage geplagt / und wurde jeden Morgen gezüchtigt. 5
6 15 Hätte ich gesagt: «Ich will reden wie sie», / dann hätte ich an deinen Kindern Verrat geübt. 16 Da sann ich nach, um das zu begreifen; / es war eine Qual für mich, 17 bis ich dann eintrat ins Heiligtum Gottes / und begriff, wie sie enden. 18J a, du stellst sie auf schlüpfrigen Grund, / du stürzt sie in Täuschung und Trug. 19 Sie werden plötzlich zunichte, / werden dahingerafft und nehmen ein schreckliches Ende, 20 wie ein Traum, der beim Erwachen verblasst, / dessen Bild man vergisst, wenn man aufsteht. 21 Mein Herz war verbittert, / mir bohrte der Schmerz in den Nieren; 22 ich war töricht und ohne Verstand, / war wie ein Stück Vieh vor dir. 23 Ich aber bleibe immer bei dir, / du hältst mich an meiner Rechten. 24 Du leitest mich nach deinem Ratschluss / und nimmst mich am Ende auf in Herrlichkeit. 25 Was habe ich im Himmel außer dir? / Neben dir erfreut mich nichts auf der Erde. 26 Auch wenn mein Leib und mein Herz verschmachten, / Gott ist der Fels meines Herzens / und mein Anteil auf ewig. 27 Ja, wer dir fern ist, geht zugrunde; / du vernichtest alle, die dich treulos verlassen. 28 Ich aber - Gott nahe zu sein ist mein Glück. / Ich setze auf Gott, den Herrn, mein Vertrauen. / Ich will all deine Taten verkünden. 6
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