Franziskus stellt sein Regierungsprogramm vor Er fordert Reformen und will bei sich selbst beginnen
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- Ina Hofmeister
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1 Franziskus stellt sein Regierungsprogramm vor Er fordert Reformen und will bei sich selbst beginnen Ausschnitte aus JA, die neue Kirchenzeitung Ab Seite 2 ein Auszug von Zitaten aus diesem Programm Lehrschreiben Evangelii gaudium Papst Franziskus hat am 26. November mit dem 180 Seiten umfassenden Apostolischen Lehrschreiben Evangelii gaudium eine Art Regierungserklärung präsentiert. Acht Monate nach seiner Wahl und zum Abschluss des Jahres des Glaubens legt er dar, wie er sich das Wirken der Kirche im 21. Jahrhundert vorstellt. Es geht ihm um eine pastorale und missionarische Neuausrichtung, die alle Bereiche der Kirche umfasst, auch das Papsttum; um eine arme Kirche, die den Schrei der Armen hört und sie in die Gesellschaft integriert und die sich für Frieden, sozialen Dialog und Bewahrung der Schöpfung einsetzt. Papst Franziskus verweist in seinem Lehrschreiben darauf, dass bereits Johannes Paul II. die Suche nach Formen der Primatsausübung angeregt habe, die zwar keineswegs auf das Wesentliche ihrer Sendung verzichtet, sich aber einer neuen Situation öffnet. In diesem Sinn sind wir wenig vorangekommen, hält Franziskus fest. Auch das Papsttum und die zentralen Strukturen der Universalkirche müssten dem Aufruf zu einer pastoralen Umkehr folgen. Als Bischof von Rom wolle er für Vorschläge offen bleiben, die darauf ausgerichtet sind, dass eine Ausübung meines Amtes der Bedeutung, die Jesus Christus ihm geben wollte, treuer ist und mehr den gegenwärtigen Notwendigkeiten der Evangelisierung entspricht. Heilsame Dezentralisierung Papst Franziskus hält eine heilsame Dezentralisierung in der katholischen Kirche für erforderlich. Es ist nicht angebracht, dass der Papst die örtlichen Bischöfe in der Bewertung aller Problemkreise ersetzt, die in ihren Gebieten auftauchen. Man könne seiner Ansicht nach vom päpstlichen Lehramt keine endgültige oder vollständige Aussage zu allen Fragen erwarten, welche die Kirche und die Welt betreffen. Von daher spüre ich die Notwendigkeit, in einer heilsamen Dezentralisierung voranzuschreiten, so der Papst. Denn eine übertriebene Zentralisierung kompliziere das Leben der Kirche und ihre missionarische Dynamik, anstatt ihr zu helfen. Mehr Kompetenzen für Bischofskonferenzen. Der Papst will die Rolle der Bischofskonferenzen stärken. Sie bräuchten mehr konkrete Kompetenzbereiche, einschließlich einer gewissen authentischen Lehrautorität. Bischofskonferenzen könnten eine vielfältige und fruchtbare Hilfe leisten, allerdings seien die entsprechenden Satzungen bislang noch nicht deutlich genug formuliert, sagte der Papst. Sie könnten ein stärkeres Element der Kollegialität sein. Laien sollen mehr Verantwortung tragen. Die Laien sollen nach Franziskus Überzeugung mehr Verantwortung in der Kirche tragen. Dies werde teilweise durch einen ausufernden Klerikalismus verhindert. Auch müssten Frauen mehr Raum in der Kirche erhalten, vor allem dort, wo die wichtigen Entscheidungen fielen. Dieses Thema dürfe nicht oberflächlich umgangen werden. Kritik an globaler Finanz- und Wirtschaftsordnung Der Papst prangert die Auswüchse der globalen Finanz- und Wirtschaftsordnung an. Als wichtigste Ursache aller sozialen Übel und der Gewalt bezeichnet Franziskus die ungleiche Verteilung des Reichtums auf der Welt. Das derzeitige Wirtschaftssystem sei in der Wurzel ungerecht. Diese Wirtschaft töte, weil sie allein nach dem Gesetz des Stärkeren funktioniere und eine Kultur des Abfalls schaffe, in der Menschen wie Müll behandelt würden. Solange die Probleme der Armen nicht von der Wurzel her gelöst werden, indem man auf die absolute Autonomie der Märkte und der Finanzspekulation verzichtet und die strukturellen Ursachen der Ungleichverteilung der Einkünfte in Angriff nimmt, werden sich die Probleme der Welt nicht lösen und kann letztlich überhaupt kein Problem gelöst werden, so der Papst. Eine verbeulte und beschmutzte Kirche Die Kirche muss dagegen nach seinen Worten zuallererst eine arme Kirche für die Armen sein, die an die Ränder der Gesellschaft geht. Ihm sei eine verbeulte und beschmutzte Kirche, die auf die Straße geht, lieber als eine Kirche, die sich verschlossen und bequem an die eigenen Sicherheiten klammere, so Franziskus. Zu den Bedürftigen zählten dabei auch die Opfer der neuen Formen von Sklaverei wie die Ausgebeuteten in der Arbeitswelt und der Prostitution. Er erwähnt die neuen Formen der Armut und Hinfälligkeit : Obdachlose, Drogenabhängige, Flüchtlinge, indigene Völker, Vereinsamte. Die kirchlich Verantwortlichen und die Getauften seien berufen, diesen Menschen nahe zu sein und in ihnen den leidenden Christus zu erkennen. Diese Nähe sei ein Gebot, auch wenn das keine greifbaren und unmittelbaren Vorteile bringe. Der Papst kritisiert die viele Arten von Mittäterschaft am Leid der Ausgegrenzten. Auch das bequeme Schweigen zähle dazu. Absage an Eurozentrismus Die Neuevangelisierung müsse kulturgerecht sein. Jede Kultur biete Werte und positive Formen, das Evangelium zu verkünden, zu verstehen und zu leben: Wir können nicht verlangen, dass alle Völker aller Kontinente in ihrem Ausdruck des christlichen Glaubens die Modalitäten nachahmen, die die europäischen Völker zu einem bestimmten Zeitpunkt der Geschichte angenommen haben. Keine Weihe von Frauen Mit Blick auf die Frauen hat Papst Franziskus mehr Tätigkeitsfelder und Aufgaben in der Kirche gefordert, eine Zulassung zum Priesteramt für sie jedoch ausgeschlossen. Ihr Beitrag sei unentbehrlich, und er sehe mit Freude, wie viele Frauen pastorale Verantwortung gemeinsam mit den Priestern ausüben. Überdies warnt er vor Gruppenbildungen in der Kirche durch rückwärtsgewandte Gläubige, die einem vergangenen Stil von Katholizismus anhingen. Familie Weiter widmet sich der Papst in seinem Schreiben der Krise der Familie, deren Bande durch einen globalisierten Individualismus bedroht seien. Er bekräftigt die Ablehnung von Abtreibung und bekennt sich zu weiteren Anstrengungen für die christliche Ökumene und den Dialog mit Juden und Muslimen. In seinem Schreiben zitiert der Papst häufig seine Vorgänger Johannes Paul II. ( ) und Benedikt XVI. ( ) sowie einige Male auch die Konzilspäpste Johannes XXIII. ( ) und Paul VI. ( ). Ferner greift er auf die Konzilsdokumente 1
2 Lumen gentium und Gaudium et spes zurück. Auffallend oft erwähnt er den Text der Lateinamerikanischen Bischofsversammlung in Aparecida von 2007, an dem er maßgeblich beteiligt war. Ferner verweist er auf Texte der Bischofskonferenzen in Brasilien, Frankreich, USA und den Philippinen sowie auf Texte kontinentaler Bischofsräte. Zitate aus dem neuen Apostolischen Schreiben Evangelii gaudium In diesem Schreiben möchte ich mich an die Christgläubigen wenden, um sie zu einer neuen Etappe der Evangelisierung einzuladen, schreibt Papst Franziskus in der Einleitung zu seinem neuen Apostolischen Schreiben Evangelii gaudium. Im Folgenden der im Papst im O-Ton - eine Sammlung besonders prägnanter Zitate aus dem Lehrschreiben (mit den durchnummerierten Abschnitten in Klammer). Die große Gefahr der Welt von heute mit ihrem vielfältigen und erdrückenden Konsumangebot ist eine individualistische Traurigkeit, die aus einem bequemen, begehrlichen Herzen hervorgeht, aus der krankhaften Suche nach oberflächlichen Vergnügungen, aus einer abgeschotteten Geisteshaltung. (2) Ich kann wohl sagen, dass die schönsten und spontansten Freuden, die ich im Laufe meines Lebens gesehen habe, die ganz armer Leute waren, die wenig haben, an das sie sich klammern können. (7) Das Gute neigt immer dazu, sich mitzuteilen. Jede echte Erfahrung von Wahrheit und Schönheit sucht von sich aus, sich zu verbreiten, und jeder Mensch, der eine tiefe Befreiung erfährt, erwirbt eine größere Sensibilität für die Bedürfnisse der anderen. (9) Jesus Christus kann auch die langweiligen Schablonen durchbrechen, in denen wir uns anmaßen, ihn gefangen zu halten, und überrascht uns mit seiner beständigen göttlichen Kreativität. (11) Die evangelisierende Gemeinde stellt sich durch Werke und Gesten in das Alltagsleben der anderen, verkürzt die Distanzen, erniedrigt sich nötigenfalls bis zur Demütigung und nimmt das menschliche Leben an, indem sie im Volk mit dem leidenden Leib Christi in Berührung kommt. So haben die Evangelisierenden den Geruch der Schafe, und diese hören auf ihre Stimme. (24) Die freudige Evangelisierung wird zur Schönheit in der Liturgie inmitten der täglichen Anforderung, das Gute zu fördern. Die Kirche evangelisiert und evangelisiert sich selber mit der Schönheit der Liturgie, die auch Feier der missionarischen Tätigkeit und Quelle eines erneuerten Impulses zur Selbsthingabe ist. (24) Ich träume von einer missionarischen Entscheidung, die fähig ist, alles zu verwandeln, damit die Gewohnheiten, die Stile, die Zeitpläne, der Sprachgebrauch und jede kirchliche Struktur ein Kanal werden, der mehr der Evangelisierung der heutigen Welt als der Selbstbewahrung dient. Die Reform der Strukturenform der Strukturen, die für die pastorale Neuausrichtung erforderlich ist, kann nur in diesem Sinn verstanden werden: dafür zu sorgen, dass sie alle missionarischer werden, dass die gewöhnliche Seelsorge in all ihren Bereichen expansiver und offener ist, dass sie die in der Seelsorge Tätigen in eine ständige Haltung des Aufbruchs versetzt und so die positive Antwort all derer begünstigt, denen Jesus seine Freundschaft anbietet. (27) Die Pfarrei ist keine hinfällige Struktur; gerade weil sie eine große Formbarkeit besitzt, kann sie ganz verschiedene Formen annehmen, die die innere Beweglichkeit und die missionarische Kreativität des Pfarrers und der Gemeinde erfordern. (28) Der Bischof muss immer das missionarische Miteinander in seiner Diözese fördern, indem er das Ideal der ersten christlichen Gemeinden verfolgt, in denen die Gläubigen ein Herz und eine Seele waren (vgl. Apg 4,32). (31) Da ich berufen bin, selbst zu leben, was ich von den anderen verlange, muss ich auch an eine Neuausrichtung des Papsttums denken. Meine Aufgabe als Bischof von Rom ist es, offen zu bleiben für die Vorschläge, die darauf ausgerichtet sind, dass eine Ausübung meines Amtes der Bedeutung, die Jesus Christus ihm geben wollte, treuer ist und mehr den gegenwärtigen Notwendigkeiten der Evangelisierung entspricht. (32) Es ist noch nicht deutlich genug eine Satzung der Bischofskonferenzen formuliert worden, die sie als Subjekte mit konkreten Kompetenzbereichen versteht, auch einschließlich einer gewissen authentischen Lehrautorität. (32) Eine übertriebene Zentralisierung kompliziert das Leben der Kirche und ihre missionarische Dynamik, anstatt ihr zu helfen. (32) Eine Seelsorge unter missionarischem Gesichtspunkt steht nicht unter dem Zwang der zusammenhanglosen Vermittlung einer Vielzahl von Lehren, die man durch unnachgiebige Beharrlichkeit aufzudrängen sucht. (35) Die Priester erinnere ich daran, dass der Beichtstuhl keine Folterkammer sein darf, sondern ein Ort der Barmherzigkeit des Herrn, die uns anregt, das mögliche Gute zu tun. Ein kleiner Schritt inmitten großer menschlicher Grenzen kann Gott wohlgefälliger sein als das äußerlich korrekte Leben dessen, der seine Tage verbringt, ohne auf nennenswerte Schwierigkeiten zu stoßen. (44) Eine Kirche im Aufbruch ist eine Kirche mit offenen Türen. (46) Die Eucharistie ist, obwohl sie die Fülle des sakramentalen Lebens darstellt, nicht eine Belohnung für 2
3 die Vollkommenen, sondern ein großzügiges Heilmittel und eine Nahrung für die Schwachen. Diese Überzeugungen haben auch pastorale Konsequenzen, und wir sind berufen, sie mit Besonnenheit und Wagemut in Betracht zu ziehen. Häufig verhalten wir uns wie Kontrolleure der Gnade und nicht wie ihre Förderer. Doch die Kirche ist keine Zollstation, sie ist das Vaterhaus, wo Platz ist für jeden mit seinem mühevollen Leben. (47) Ich will keine Kirche, die darum besorgt ist, der Mittelpunkt zu sein, und schließlich in einer Anhäufung von fixen Ideen und Streitigkeiten verstrickt ist. (49) Angst und Verzweiflung ergreifen das Herz vieler Menschen, sogar in den sogenannten reichen Ländern. Häufig erlischt die Lebensfreude, nehmen Respektlosigkeit und Gewalt zu, die soziale Ungleichheit tritt immer klarer zutage. Man muss kämpfen, um zu leben - und oft wenig würdevoll zu leben. (52) Ebenso wie das Gebot Du sollst nicht töten eine deutliche Grenze setzt, um den Wert des menschlichen Lebens zu sichern, müssen wir heute ein Nein zu einer Wirtschaft der Ausschließung und der Disparität der Einkommen sagen. Diese Wirtschaft tötet. Es ist unglaublich, dass es kein Aufsehen erregt, wenn ein alter Mann, der gezwungen ist, auf der Straße zu leben, erfriert, während um zwei Punkte in der Börse Schlagzei-len gemacht werden. (53) Wir haben die Wegwerfkultur eingeführt, die sogar gefördert wird. Es geht nicht mehr einfach um das Phänomen der Ausbeutung und der Unterdrückung, sondern um etwas Neues: [...] Die Ausgeschlossenen sind nicht Ausgebeutete, sondern Müll, Abfall. Nein zur neuen Vergötterung des Geldes (Kapitelüberschrift vor 55) Die Finanzkrise, die wir durchmachen, lässt uns vergessen, dass an ihrem Ursprung eine tiefe anthropologische Krise steht: die Leugnung des Vorrangs des Menschen! Wir haben neue Götzen geschaffen. Die Anbetung des antiken goldenen Kalbs (vgl. Ex 32,1-35) hat eine neue und erbarmungslose Form gefunden im Fetischismus des Geldes und in der Diktatur einer Wirtschaft ohne Gesicht und ohne ein wirklich menschliches Ziel. (55) Die Gier nach Macht und Besitz kennt keine Grenzen. In diesem System, das dazu neigt, alles aufzusaugen, um den Nutzen zu steigern, ist alles Schwache wie die Umwelt wehrlos gegenüber den Interessen des vergötterten Marktes, die zur absoluten Regel werden. (56) Hinter dieser Haltung verbergen sich die Ablehnung der Ethik und die Ablehnung Gottes. (57) In diesem Sinn rufe ich die Finanzexperten und die Regierenden der verschiedenen Länder auf, die Worte eines Weisen des Altertums zu bedenken: Die eigenen Güter nicht mit den Armen zu teilen bedeutet, diese zu bestehlen und ihnen das Leben zu entziehen. Die Güter, die wir besitzen, gehören nicht uns, sondern ihnen. [Zitat Johannes Chrysostomus, Anm.] (57) Das Geld muss dienen und nicht regieren! Der Papst liebt alle, Reiche und Arme, doch im Namen Christi hat er die Pflicht daran zu erinnern, dass die Reichen den Armen helfen, sie achten und fördern müssen. Ich ermahne euch zur uneigennützigen Solidarität und zu einer Rückkehr von Wirtschaft und Finanzleben zu einer Ethik zugunsten des Menschen. (58)... solange die Ausschließung und die soziale Ungleichheit in der Gesellschaft und unter den verschiedenen Völkern nicht beseitigt werden, wird es unmöglich sein, die Gewalt auszumerzen (59)... erzeugt die soziale Ungleichheit früher oder später eine Gewalt, die der Rüstungswettlauf nicht löst, noch jemals lösen wird (60) Außerdem müssen wir zugeben, dass, wenn ein Teil unserer Getauften die eigene Zugehörigkeit zur Kirche nicht empfindet, das auch manchen Strukturen und einem wenig aufnahmebereiten Klima in einigen unserer Pfarreien und Gemeinden zuzuschreiben ist oder einem bürokratischen Verhalten, mit dem auf die einfachen oder auch komplexen Probleme des Lebens unserer Völker geantwortet wird. (63) Unser Schmerz und unsere Scham wegen der Sünden einiger Glieder der Kirche und wegen unserer eigenen Sünden dürfen nicht vergessen lassen, wie viele Christen ihr Leben aus Liebe hingeben. (76) So nimmt die größte Bedrohung Form an, der graue Pragmatismus des kirchlichen Alltags, bei dem scheinbar alles mit rechten Dingen zugeht, in Wirklichkeit aber der Glaube verbraucht wird und ins Schäbige absinkt [Zitat Kard. Joseph Ratzinger, 1996, Anm.]. Es entwickelt sich die Grabespsychologie, die die Christen allmählich in Mumien für das Museum verwandelt. (83) Die spirituelle Weltlichkeit, die sich hinter dem Anschein der Religiosität und sogar der Liebe zur Kirche verbirgt, besteht darin, anstatt die Ehre des Herrn die menschliche Ehre und das persönliche Wohlergehen zu suchen. Es ist das, was der Herr den Pharisäern vorwarf... (93) Darum tut es mir so weh festzustellen, dass in einigen christlichen Gemeinschaften und sogar unter gottgeweihten Personen Platz ist für verschiedene Formen von Hass, Spaltung, Verleumdung, üble Nachrede, Rache, Eifersucht und den Wunsch, die eigenen Vorstellungen um jeden Preis durchzusetzen, bis hin zu Verfolgungen, die eine unversöhnliche Hexenjagd zu sein scheinen. Wen wollen wir mit diesem Verhalten evangelisieren? (100) Ich sehe mit Freude, wie viele Frauen pastorale Verantwortung gemeinsam mit den Priestern ausüben, ihren Beitrag zur Begleitung von Einzelnen, 3
4 von Familien oder Gruppen leisten und neue Anstöße zur theologischen Reflexion geben. Doch müssen die Räume für eine wirksamere weibliche Gegenwart in der Kirche noch erweitert werden. (103) Das den Männern vorbehaltene Priestertum als Zeichen Christi, des Bräutigams, der sich in der Eucharistie hingibt, ist eine Frage, die nicht zur Diskussion steht, kann aber Anlass zu besonderen Konflikten geben, wenn die sakramentale Vollmacht zu sehr mit der Macht verwechselt wird. (104) Die Jugendlichen finden in den üblichen Strukturen oft keine Antworten auf ihre Sorgen, Nöte, Probleme und Verletzungen. Uns Erwachsenen verlangt es etwas ab, ihnen geduldig zuzuhören, ihre Sorgen und ihre Forderungen zu verstehen und zu lernen, mit ihnen eine Sprache zu sprechen, die sie verstehen. (105) Die Herausforderungen existieren, um überwunden zu werden. Seien wir realistisch, doch ohne die Heiterkeit, den Wagemut und die hoffnungsvolle Hingabe zu verlieren! Lassen wir uns die missionarische Kraft nicht nehmen! (109) Die Evangelisierung ist Aufgabe der Kirche. Aber dieses Subjekt der Evangelisierung ist weit mehr als eine organische und hierarchische Institution, da es vor allem ein Volk auf dem Weg zu Gott ist. (111) Obwohl es zutrifft, dass einige Kulturen eng mit der Verkündigung des Evangeliums und mit der Entwicklung des christlichen Denkens verbunden waren, identifiziert sich die offenbarte Botschaft mit keiner von ihnen und besitzt einen transkulturellen Inhalt. Darum kann man bei der Evangelisierung neuer Kulturen oder solcher, die die christliche Verkündigung noch nicht aufgenommen haben, darauf verzichten, zusammen mit dem Angebot des Evangeliums eine bestimmte Kulturform durchsetzen zu wollen, so schön und alt sie auch sein mag. (117) Wir können nicht verlangen, dass alle Völker aller Kontinente in ihrem Ausdruck des christlichen Glaubens die Modalitäten nachahmen, die die europäischen Völker zu einem bestimmten Zeitpunkt der Geschichte angenommen haben, denn der Glaube kann nicht in die Grenzen des Verständnisses und der Ausdrucksweise einer besonderen Kultur eingeschlossen werden. (118) Jeder Getaufte ist, unabhängig von seiner Funktion in der Kirche und dem Bildungsniveau seines Glaubens, aktiver Träger der Evangelisierung, und es wäre unangemessen, an einen Evangelisierungsplan zu denken, der von qualifizierten Mitarbeitern umgesetzt würde, wobei der Rest des gläubigen Volkes nur Empfänger ihres Handelns wäre. (120) Der erste Schritt dieser stets respektvollen und freundlichen Verkündigung besteht aus einem persönlichen Gespräch, in dem der andere Mensch sich ausdrückt und seine Freuden, seine Hoffnungen, die Sorgen um seine Lieben und viele Dinge, von denen sein Herz voll ist, mitteilt. (128) Im Mittelpunkt des Evangeliums selbst stehen das Gemeinschaftsleben und die Verpflichtung gegenüber den anderen. Der Inhalt der Erstverkündigung hat eine unmittelbare sittliche Auswirkung, deren Kern die Liebe ist. (177) Man kann nicht mehr behaupten, die Religion müsse sich auf den Privatbereich beschränken und sie existiere nur, um die Seelen auf den Himmel vorzubereiten. Wir wissen, dass Gott das Glück seiner Kinder, obwohl sie zur ewigen Fülle berufen sind, auch auf dieser Erde wünscht, denn er hat alles erschaffen, damit sie sich daran freuen können (1 Tim 6,17), damit alle sich daran freuen können. Daraus folgt, dass die christliche Umkehr verlangt, besonders [...] all das zu überprüfen, was das Sozialwesen ausmacht und zur Erlangung des Allgemeinwohls beiträgt. (182) Folglich kann niemand von uns verlangen, dass wir die Religion in das vertrauliche Innenleben der Menschen verbannen, ohne jeglichen Einfluss auf das soziale und nationale Geschehen, ohne uns um das Wohl der Institutionen der menschlichen Gemeinschaft zu kümmern, ohne uns zu den Ereignissen zu äußern, die die Bürger angehen. Wer würde es wagen, die Botschaft des heiligen Franz von Assisi und der seligen Teresa von Kalkutta in ein Gotteshaus einzuschließen und zum Schweigen zu bringen? Sie könnten es nicht hinnehmen. Ein authentischer Glaube der niemals bequem und individualistisch ist - schließt immer den tiefen Wunsch ein, die Welt zu verändern, Werte zu übermitteln, nach unserer Erdenwanderung etwas Besseres zu hinterlassen... Die Erde ist unser gemeinsames Haus, und wir sind alle Brüder. (183) Jeder Christ und jede Gemeinschaft ist berufen, Werkzeug Gottes für die Befreiung und die Förderung der Armen zu sein, so dass sie sich vollkommen in die Gesellschaft einfügen können; das setzt voraus, dass wir gefügig sind und aufmerksam, um den Schrei des Armen zu hören und ihm zu Hilfe zu kommen. [...] Diesem Schrei gegenüber taub zu bleiben, wenn wir doch die Werkzeuge Gottes sind, um den Armen zu hören, entfernt uns dem Willen des himmlischen Vaters und seinem Plan... (187) Warum komplizieren, was so einfach ist? (194) Im Herzen Gottes gibt es einen so bevorzugten Platz für die Armen, dass er selbst arm wurde (2 Kor 8,9). Der ganze Weg unserer Erlösung ist von den Armen geprägt. (197) Für die Kirche ist die Option für die Armen in erster Linie eine theologische Kategorie und erst an zweiter Stelle ein kulturelle, soziologische, politische oder philosophische Frage. Gott gewährt ihnen seine erste Barmherzigkeit. Diese göttliche Vorliebe hat Konsequenzen im Glaubensleben aller Christen, die 4
5 ja dazu berufen sind, so gesinnt zu sein wie Jesus (vgl. Phil 2,5). [...] Aus diesem Grund wünsche ich mir eine arme Kirche für die Armen. Sie haben uns vieles zu lehren. Sie haben nicht nur Teil am sensus fidei, sondern kennen außerdem dank ihrer eigenen Leiden den leidenden Christus. Es ist nötig, dass wir alle uns von ihnen evangelisieren lassen. (198) Solange die Probleme der Armen nicht von der Wurzel her gelöst werden, indem man auf die absolute Autonomie der Märkte und der Finanzspekulation verzichtet und die strukturellen Ursachen der Ungleichverteilung der Einkünfte in Angriff nimmt, werden sich die Probleme der Welt nicht lösen und kann letztlich überhaupt kein Problem gelöst werden. Die Ungleichverteilung der Einkünfte ist die Wurzel der sozialen Übel. (202) Ich bete zum Herrn, dass er uns mehr Politiker schenke, denen die Gesellschaft, das Volk, das Leben der Armen wirklich am Herzen liegt! (205) Unter diesen Schwachen, deren sich die Kirche mit Vorliebe annehmen will, sind auch die ungeborenen Kinder. Sie sind die Schutzlosesten und Unschuldigsten von allen, denen man heute die Menschenwürde absprechen will, um mit ihnen machen zu können, was man will, indem man ihnen das Leben nimmt und Gesetzgebungen fördert, die erreichen, dass niemand das verbieten kann. Um die Verteidigung des Lebens der Ungeborenen, die die Kirche unternimmt, leichthin ins Lächerliche zu ziehen, stellt man ihre Position häufig als etwas Ideologisches, Rückschrittliches, Konservatives dar. Und doch ist diese Verteidigung des ungeborenen Lebens eng mit der Verteidigung jedes beliebigen Menschenrechtes verbunden. (213) Eine Haltung der Offenheit in der Wahrheit und in der Liebe muss den interreligiösen Dialog mit den Angehörigen der nicht christlichen Religionen kennzeichnen, trotz der verschiedenen Hindernisse und Schwierigkeiten, besonders der Fundamentalismen auf beiden Seiten. Dieser interreligiöse Dialog ist eine notwendige Bedingung für den Frieden in der Welt und darum eine Pflicht für die Christen wie auch für die anderen Religionsgemeinschaften. (250) Wir Christen müssten die islamischen Einwanderer, die in unsere Länder kommen, mit Zuneigung und Achtung aufnehmen, so wie wir hoffen und bitten, in den Ländern islamischer Tradition aufgenommen und geachtet zu werden. Bitte! Ich ersuche diese Länder demütig darum, in Anbetracht der Freiheit, welche die Angehörigen des Islam in den westlichen Ländern genießen, den Christen Freiheit zu gewährleisten, damit sie ihren Gottesdienst feiern und ihren Glauben leben können. Angesichts der Zwischenfälle eines gewalttätigen Fundamentalismus muss die Zuneigung zu den authentischen Anhängern des Islam uns dazu führen, gehässige Verallgemeinerungen zu vermeiden, denn der wahre Islam und eine angemessene Interpretation des Korans stehen jeder Gewalt entgegen. (253) Jedes Mal, wenn wir auf Maria schauen, glauben wird wieder an das Revolutionäre der Zärtlichkeit und der Liebe. An ihr sehen wir, dass die Demut und die Zärtlichkeit nicht Tugenden der Schwachen, sondern der Starken sind, die nicht andere schlecht zu behandeln brauchen, um sich wichtig zu fühlen. (288) Es ist nicht fortschrittlich, sich einzubilden, die Probleme zu lösen, indem man ein menschliches Leben vernichtet. Doch es trifft auch zu, dass wir wenig getan haben, um die Frauen angemessen zu begleiten, die sich in sehr schweren Situationen befinden, wo der Schwangerschaftsabbruch ihnen als eine schnelle Lösung ihrer tiefen Ängste erscheint, besonders, wenn das Leben, das in ihnen wächst, als Folge einer Gewalt oder im Kontext extremer Armut entstanden ist. Wer hätte kein Verständnis für diese so schmerzlichen Situationen? (214) Das ökumenische Engagement entspricht dem Gebet Jesu, des Herrn, der darum bittet, dass Alle eins sein sollen (Joh 17,21). Die Glaubwürdigkeit der christlichen Verkündigung wäre sehr viel größer, wenn die Christen ihre Spaltungen überwinden würden... (244) Ein ganz besonderer Blick ist auf das jüdische Volk gerichtet, dessen Bund mit Gott niemals aufgehoben wurde... Als Christen können wir das Judentum nicht als eine fremde Religion ansehen, noch rechnen wir die Juden zu denen, die berufen sind, sich von den Götzen abzuwenden und sich zum wahren Gott zu bekehren (vgl. 1 Thess 1,9). (247) 5
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Fürbitten I. (W. Schuhmacher) Fürbitten II
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