Kurzer Bericht über eine kurze Reise. Ungarn. 30. April 2007 bis 7. Mai 2007

Transkript

1 Hildegard Geisberger, Döbrastraße 3, München München, 10. Mai 2007 Kurzer Bericht über eine kurze Reise Ungarn 30. April 2007 bis 7. Mai 2007 Empfohlener Reiseführer: Lonely Planet Ungarn (gibt es jetzt auch in deutscher Sprache) Obgleich mehrfach gewarnt (Kofferraumaufbrüche, Fahrzeugdiebstahl), fuhren wir mit dem Auto nach Budapest. Wir wollten uns ja unterwegs noch Einiges anschauen. Nun gewinnt ja jeder Reisebericht durch die Schilderung von Katastrophen. Um Euch nicht auf die Folter zu spannen: Der Kofferraum ist heil geblieben. Ich besitze immer noch meine 6 Jahre alte Goretex-Jacke und den Blazer aus dem Nachlass meiner Schwiegermutter. Das Auto schlummerte in Budapest 4 Tage lang in der Tiefgarage des Hotels. Erste Station: Sopron im Nordwesten Ungarns (2 Nächte) Als erstes kamen die Kelten, dann die Römer. Sie lebten vom 1. bis 4. Jahrhundert in einer Siedlung namens Scarbantia (Ausgrabungen), die der heutigen Altstadt von Sopron entspricht. Im Mittelalter lag Sopron geradezu ideal an der Bernsteinstraße von der Ostsee zur Adria und weiter nach Byzanz. Um 1300 wurde Sopron das Privileg einer freien königlichen Stadt verliehen. Es entwickelte sich eine wohlhabende Mittelklasse aus Kaufleuten und Handwerkern, deren Reichtum Sopron zu einem Zentrum von Wissenschaft und Lehre avancieren ließ. Heute hat Sorpon ca Einwohner. Sopron zählt zu den schönsten mittelalterlichen Städten Ungarns sie ist dank ihrer gotischen und frühbarocken Architektur so eine Art Miniausgabe von Prag. Ein Streifzug durch die Gassen und Höfe der Altstadt ist eine Zeitreise in die Vergangenheit. Sehr schön die Dreifaltigkeitssäule (1701), die schönste Pestsäule in ganz Ungarn. Die Ziegenkirche wurde im 13. Jahrhundert erbaut. Unter dem Gotteshaus der Kapitelsaal, Teil eines Benediktinerklosters aus dem 14. Jahrhundert. Im Fabriziumhaus vermitteln die Wohnungen in den oberen Stockwerken, wie die Menschen im 17. und 18. Jahrhundert in Sopron gelebt haben. Sehr schön der quadratische Hauptplatz der mittelalterlichen Stadt. Im Café gibt s köstliche Crêpes mit Marillenmarmelade. Stille gibt es auch. Und gurrende Tauben. In der Nähe der Altstadt das Hotel Sopron mit dem Charme der 70er Jahre. Ruhig und gediegen. Es gibt Tennisplätze und einen kleinen Pool im Freien. Überwachter Parkplatz vorhanden. 1

2 Von Sopron aus Ausflug nach Fertöd, 27 km östlich von Sopron Dort ließen sich die Esterházy Mitte des 18. Jahrhunderts ein luxuriöses Schloss erbauen: 126 Gemächer, dazu eine Oper, eine Eremitage, zwei Diana und Venus gewidmete Tempel, ein chinesisches Tanzhaus, ein Puppentheater sowie einen 250 ha großen Garten im französischen Stil. Das Versailles Ungarns. Miklós Esterházy sprach damals die berühmten Worte: Alles, was sich der Habsburger Kaiser leisten kann, kann ich mir auch leisten. In den Chinoiserie- Räumen nahm Kaiserin Maria Theresia 1773 an einem Maskenball teil, und in der französischen Gartenanlage schmiss der Prunk liebende Miklós eines der größten Feste aller Zeiten für seine Freunde (darunter auch Goethe) mit Feuerwerk und chinesischen Laternen. Nach eineinhalb Jahrhunderten schändlicher Missachtung der Palast wurde im 19. Jahrhundert als Stallung und im Zweiten Weltkrieg als Krankenhaus genutzt erstrahlt das Gebäude inzwischen zumindest in Teilen wieder in seiner alten Pracht. Die Restaurierungsarbeiten sind aber noch nicht abgeschlossen. Weiterer Ausflug nach Köszeg, ca. 50 km südlich von Sopron Einwohner. Wird als das Schmuckkästchen der Nation bezeichnet. Ein wahrer Schatz an Bauwerken aus der Zeit der Gotik, Renaissance und dem Barock. Von Sopron in östlicher Richtung gen Budapest: Südlich von Györ die tausendjährige Erzabtei von Pannonhalma (UNESCO-Welterbe) Der Heilige Stephan stellte im Jahre 1002 die Stiftungsurkunde aus. Diese verpflichtete die Benediktinermönche, ununterbrochen für das Land und die Entwicklung des jungen Staates zu beten. Bald wurden die ersten Bücher geschrieben oder kopiert, in der Umgebung des Klosters begann die Entwicklung der mittelalterlichen Landwirtschaft. Um 1590 (Türkenzüge) mussten die Mönche das Kloster verlassen. In der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts kehrten die Mönche zurück. Es kam die Zeit des Bauens, da ein großer Teil der verlassenen Gebäude unbewohnbar geworden war. Was wir heute sehen stammt überwiegend aus der Barockzeit. Im Kloster leben zur Zeit ca. 50 Mönche. Sie unterrichten 300 Gymnasiasten (Internat). Betreuen 15 zur Erzabtei gehörige Pfarreien. Einstündige Führung (in englischer Sprache). Budapest (4 Nächte) Dort leben ca. 2 Millionen Menschen. Alle scheinen in den letzten Jahren ein Auto gekauft zu haben. Stau auf den Zufahrtsstraßen, lebhafter Autoverkehr überall in der Stadt. Stressige Fahrt zu unserem Ibis-Hotel im Zentrum (bietet Tiefgarage). Strassen werden aufgerissen, die Kanalisation saniert. Umleitungen. Das Navigationssystem funktioniert in Ungarn (noch) nicht. Wir bewegen uns in der Stadt zu Fuß und mit den öffentlichen Verkehrsmitteln: U-Bahn, Straßenbahn, Bus. Als EU-Bürger über 65 dürfen wir die Verkehrsmittel kostenlos benutzen. 2

3 Kontrolliert wird täglich. Vom Frühstück bis zum Abendessen sind wir viel auf den Beinen. Es gibt aber immer wieder Bänke, auf denen man sich ein wenig ausruhen kann. Der Burgberg Abseits von Fischerbastei und Matthiaskirche (viele Japaner!) gibt es ruhige, charmante Straßen. Das Budapester Historische Museum (auch Burgmuseum genannt), liebenswert verstaubt, zeichnet mit zahllosen Ausstellungsstücken auf drei Etagen die 2000-jährige Geschichte der Stadt nach. Ein Besuch lohnt sich. Die Römer in Ungarn: Aquincum Anfang des 1. Jahrhunderts erreichten die Römer das Donaugebiet. Ihre Herrschaft auf dem Gebiet von Budapest dauerte fast ein halbes Jahrtausend. Anfang des 2. Jahrhunderts wird Aquincum zur Hauptstadt der Provinz Pannonia Inferior. Die Stadt dehnte sich auf dem Gebiet des heutigen Óbuda (3. Bezirk von Budapest) aus. In der Blütezeit hatte Aquincum ca Einwohner. Die Zivilstadt umfasste den heutigen sog. Ruinengarten und seine Umgebung. Das Militärlager (Militär-Amphitheater für Zuschauer) und die rundherum liegende Zivilsiedlung entwickelten sich auf dem Gebiet des heutigen Flórián Platzes. Budapest ist die einzige Hauptstadt nördlich von Rom, die seine römischen Bestände den Besuchern auf einem größeren Gebiet präsentieren kann. Erhalten haben sich u.a. die Grundmauern des Forums, des Gerichtsgebäudes, des öffentlichen Bades, der Markthalle, diverser Tempel. Noch zu erkennen sind Wasserleitung, Kanalnetz, mit Steinplatten gepflasterte Straßen, Toiletten mit Wasserspülung etc. Im Lapidarium mehr als 1000 Steinobjekte (u. a. Grabsteine, Sarkophage, Altarsteine). Sehr empfehlenswert! Die Kommunisten in Ungarn: der Skulpturenpark Ganz anders, aber auch sehr empfehlenswert. 10 km südwestlich des Stadtzentrums. Hier wurden mehr als 40 Büsten, Skulpturen und Gedenktafeln von Lenin, Marx, Béla Kun und anderen heroischen Arbeitern aufgestellt, die in anderen ehemals sozialistischen Ländern auf dem Schrottplatz gelandet sind. Manche der monströsen Denkmäler wurden noch in den späten 1980er-Jahren errichtet. Im Museumsladen kann man CDs mit revolutionären Liedern erstehen. Die Margareteninsel So schön wie der Englische Garten in München. Die Kastanienbäume blühten weiß und rot. Auf den Spazierwegen ein Blütenteppich. Bis zur Türkenzeit residierten hier diverse kirchliche Orden. Die Türken verwandelten die 2,5 km lange Insel in einen Harem, der für alle Ungläubigen Sperrbezirk war. Es gibt mittelalterliche Ruinen (Franziskanerkloster, Dominikanerkonvent) und einen schönen Wasserturm. 3

4 Andrássy út (-Straße) zieht sich über 2,5 km bis zum Heldenplatz. Ein schöner, von Platanen gesäumter Boulevard mit imposanten Gebäuden aus dem baufreudigen 19. Jahrhundert. Unterwegs u.a. die prächtige Ungarische Staatsoper (Führungen). Der Heldenplatz mit Milleniusdenkmal sieht so aus wie sein Name verspricht, nämlich auftrumpfend, angeberisch und ziemlich scheußlich. Auf der 36 m hohen Säule thront der Erzengel Gabriel, der die ungarische Krone und ein Kreuz in der Hand hält. In den Kolonnaden zu beiden Seiten der Säule können wir 14 Statuen von Herrschern und Staatsmännern bewundern, beginnend mit König Stephan und endend mit Kossuth. Allegorische Figuren auf den Kolonnaden symbolisieren Arbeit, Wohlstand, Krieg, Frieden, Wissen und Ruhm. Stöhn! Seufz! Das Parlament, 1902 fertig gestellt, 700 Räume, von denen einige besichtigt werden können, ist eine ziemlich größenwahnsinnige Mischung aus neogotischem, neoromanischem und neobarockem Stil und macht schon was her. Wer s mag wird selig. Zu besichtigen ist die angeblich 1000 Jahre alte Stephanskrone, die wichtigste Nationalikone Ungarns. Der Legende nach soll sie der erste Abt der Benediktinerabtei Pannonhalma Stephan als Geschenk von Papst Sylvester II. überreicht haben. Jedenfalls stammt die Krone, die im Parlament ausgestellt ist, aus dem 12. Jahrhundert. Im Laufe der Jahrhunderte verschwand sie mehrmals, um doch immer wieder aufzutauchen. Während der Invasion der Tataren ließ man die Krone auf dem Weg zu einem sicheren Versteck in der Aufregung fallen. So erhielt sie ihr leicht schiefes Aussehen. Am riesigen Freiheitsplatz hinter dem Parlament die amerikanische Botschaft in einem nobel restaurierten Jugendstilgebäude und edle Bankgebäude. Thermalbäder Budapest liegt an einer geologischen Verwerfung, die die Budaer Berge von der Großen Tiefebene trennt. Mehr als Kubikmeter warmes bis heißes Mineralwasser (21 bis 76 Grad) sprudeln täglich aus den rund 120 Thermalquellen. Das Király-Bad hat eine Wassertemperatur zwischen 26 und 40 Grad. Das original türkische Bad wurde 1570 gebaut, die zentrale Kuppel mit ihren Lichtöffnungen ist traumhaft schön. Einige Gebäudeteile des Rudas-Bades stammen noch von 1566, sind noch original erhalten und strahlen auch heute noch eine orientalische Atmosphäre aus. Die Kuppel hat einen Durchmesser von 10 m und wird von 8 Säulen getragen. Darunter befindet sich ein oktogonales Becken. Die Wassertemperatur liegt bei 16 bis 42 Grad. Es gibt ein Schwimmbecken und 6 Heilbecken. Im Jugendstilpalast des Gellért-Bades glaubt man in einer Kathedrale zu baden. Die Thermalbäder für Männer und Frauen sind getrennt. Das an Kalzium, Magnesium und Wasserstoff reiche Wasser ist gut gegen Gelenkschmerzen, Arthritis und gegen einen schwachen Blutkreislauf. Ob ich da mal eine Woche lang kure? Mag schon sein. Mineralwasser ist gut, Schönheit ist besser. Schönheit heilt. 4

5 -o-o-o-o- So, jetzt reicht s mir und Euch auch, nehme ich an. -o-o-o-o- Zusammenfassung Es war eine sehr schöne Reise. Ich werde noch viel über Ungarn lesen und jetzt besser verstehen als vor der Reise. Nichts geht über die unmittelbare Anschauung (Schopenhauer). Stimmt genau! Alle Ungarn, mit denen wir zu tun hatten, waren liebenswürdig und hilfsbereit. Schade, dass ich nicht Ungarisch spreche. Alte Menschen sprechen manchmal ein wenig Deutsch. Jüngere nicht selten Englisch. Gelegentlich auch ein wenig Französisch. In den Kleinstädten haben wir gut und sehr preisgünstig gegessen. In Budapest liegen die Preise ordentlicher Restaurants nicht mehr weit unter Münchner Niveau. Aber anders als in der Münchner Innenstadt ist die Zubereitung der Speisen sei es Fisch oder Fleisch vorzüglich. Wir aßen abends immer in der Nähe des Hotels in einem Restaurant mit italienischer Küche. Köstlich! Die Bevölkerungsdichte liegt in Ungarn bei 109 Menschen pro Quadratkilometer. 65 % der Ungarn leben in Städten. Ungarn hat eine der höchsten Selbstmordraten der Welt: 60,1 pro Menschen. Mehr gibt es nur in Russland und einigen ehemaligen Sowjetrepubliken. Psychologen rätseln immer noch über die Ursachen. Es wird noch Jahre dauern und Milliarden Euro kosten bis Budapest im gleichen Glanz erstrahlt wie das viel kleinere Prag. Alle Voraussetzungen für den Aufstieg in die Erste Liga des europäischen Traums (nicht selten war es ein Alptraum für die Menschen) sind gegeben. Die Lage der Stadt ist zauberhaft. Geschichte atmet aus allen Mauerritzen. Was die Architektur angeht, den Gestaltungswillen der einander ablösenden Eliten, das Selbstbewusstsein einer eigensinnigen Kultur da hat Budapest, die Schöne, begehrt, verstümmelt, geschändet und immer wieder aus der Asche auferstehend, viele Geschichten zu erzählen. 5