Lektorenpredigt zu Lukas 7, Liebe Gemeinde,
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- Clara Dittmar
- vor 8 Jahren
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1 Lektorenpredigt zu Lukas 7, Liebe Gemeinde, ich weiß nicht, wann Sie zum letzten Mal einen Leichenzug gesehen haben. Das gab es früher eigentlich überall; heute kennt man diese Sitte nur noch in ländlichen Gebieten: Wenn dort jemand gestorben ist, findet der Trauergottesdienst in der Kirche statt. Danach geht die ganze Trauergemeinde hinter dem Sarg her, zum Friedhof, wo dann der Rest der Beerdigung stattfindet. Wenn man einem solchen Leichenzug begegnet, hält man inne. Auch wenn man es gerade vielleicht noch ganz eilig hatte, die Straße zu überqueren oder zu irgendeinem Ziel zu kommen. Doch der Anblick dieser vielen schwarzgekleideten Menschen, die einem Sarg folgen, ändert die Situation. Die Begegnung mit dem Tod erinnert uns an den letzten Horizont, in dem dieses Leben steht, und macht uns die Endlichkeit und Zerbrechlichkeit des Lebens klar. Von einem solchen Leichenzug ist auch in unserem heutigen Predigttext die Rede. Hören wir auf die Worte des Evangelisten Lukas, der im 7. Kapitel seines Evangeliums folgendes erzählt: Und es begab sich danach, dass Jesus in eine Stadt mit Namen Nain ging; und seine Jünger gingen mit ihm und eine große Menge. Als er aber nahe an das Stadttor kam, siehe, da trug man einen Toten heraus, der der einzige Sohn seiner Mutter war, und sie war eine Witwe; und eine große Menge aus der Stadt ging mit ihr. Und als sie der Herr sah, jammerte sie ihn und er sprach zu ihr: Weine nicht! Und trat hinzu und berührte den Sarg, und die Träger blieben stehen. Und er sprach: Jüngling, ich sage dir, steh auf! Und der Tote richtete sich auf und fing an zu reden, und Jesus gab ihn seiner Mutter. Und Furcht ergriff sie alle, und sie priesen Gott und sprachen: Es ist ein großer Prophet unter uns aufgestanden, und: Gott hat sein Volk besucht. Jesus ist unterwegs, zusammen mit seinen Jüngern und vielen anderen Menschen, die ihn begleiten. Er will gerade in die Stadt hinein, ist schon kurz vor dem Stadttor. Doch da kommt ihm und seinen Begleitern ein Leichenzug entgegen, der aus der Stadt herauskommt, auf dem Weg zum Friedhof. Schon das ist Grund genug, betroffen innezuhalten. Doch hier ist das Leid noch schwerer als bei anderen Todesfällen: der Tote ist jung. Ein Jüngling, so heißt es bei Lukas, vielleicht 15, vielleicht 17 Jahre alt. Viel zu jung zum Sterben jedenfalls. Und dazu kommt noch mehr: er war der einzige Sohn, das einzige Kind der Frau. Und darüber hinaus ist sie
2 auch noch Witwe, hat ihren Mann verloren. Und nun auch noch den Sohn und damit ihre ganze Familie. Alles ist weggebrochen, und sie ist ganz allein übrig geblieben. Es ist schon schlimm genug, einen Ehepartner zu verlieren. Was hatte man sich nicht alles vorgestellt für das gemeinsame Leben! Sich Treue und Liebe geschworen bis dass der Tod euch scheidet. Und natürlich immer gehofft, dass dieser Zeitpunkt weit weg liegt, irgendwann im hohen Alter, wenn das Leben hinter einem liegt. Und wenn es anders kommt und viel früher als erwartet der Ehemann, die Ehefrau stirbt bricht da nicht eine Welt zusammen? Doch es ist wohl das tiefste Unglück, das Eltern ereilen kann, wenn ein Kind stirbt. Normalerweise sollte es doch anders herum sein: die Eltern sterben irgendwann, und die Kinder haben dann die traurige Aufgabe, für die Beerdigung zu sorgen. Doch hier ist es der Sohn, der vor der Mutter stirbt. Wir wissen nicht, woran er gestorben ist durch einen Unfall, durch eine Krankheit vielleicht. Tot in der Blüte seines Lebens! Wer es nicht selbst erleben musste, kann nicht ermessen, was das bedeutet. Ein junger Mensch, der sein Leben noch vor sich hatte, mit so vielen Möglichkeiten und Begabungen, einfach tot. Vielleicht war er vorher das einzige, was die Mutter noch am Leben hielt, nach dem Tod ihres Mannes. War doch da noch ihr einziger Sohn, für den sie da sein musste und konnte. Nicht dass er den Ehemann ersetzen könnte, das nicht. Kein Mensch kann einen anderen ersetzen. Aber es war da noch jemand, eine Aufgabe, eine Hoffnung. All das ist mit dem Tod des Sohnes weg. Und die Frau findet sich im Leichenzug wieder, der die Stadt Richtung Friedhof verlässt. Und nun steht ein Fremder da, gefolgt von einer ganzen Anzahl Menschen. Und dieser Fremde steht nicht unbeteiligt und gleichgültig da, sondern betroffen. Sie jammerte ihn, heißt es. Und dann geschieht das Unerwartete: der Fremde spricht sie an. Jesus sagt zu der trauernden Mutter: Weine nicht! Wie kann er so etwas sagen? Wie sollte eine Frau, der alles genommen wurde, was ihr lieb war, nicht weinen? Doch dann tritt Jesus näher, berührt den Sarg. Wie kann er nur? Was fällt ihm ein? Fassungslos bleiben die Träger stehen. Alle schauen auf Jesus. Es ist ruhig geworden. Und dann sagt er in die Stille die unglaublichen Worte: Jüngling, ich sage dir, steh auf! Und das Unbegreifliche geschieht: der Tote bewegt sich, steht auf, spricht wieder! Der schon längst als gestorben beklagt und beweint worden war, ist ins Leben
3 zurückgekehrt! Und Jesus nimmt ihn und gibt ihn seiner Mutter: Da hast du deinen Sohn wieder er lebt! Es ist seltsam, dass in der Geschichte kein Wort über die Reaktion der Mutter steht. Ob sie Freudentränen geweint oder fassungslos war, gejubelt oder gelacht hat, wissen wir nicht. Wir können allenfalls vermuten, wie die Auferweckung ihres Sohnes auf sie gewirkt hat. Überliefert ist nur die Reaktion der Menschenmenge aus dem Leichenzug. Von diesen Menschen heißt es: Furcht ergriff sie alle, und sie priesen Gott und sprachen: Es ist ein großer Prophet unter uns aufgestanden, und: Gott hat sein Volk besucht. Furcht zuerst denn was da geschehen ist, ist mindestens ebenso erschreckend wie wunderbar. Was ist da für eine Macht am Werk, die einen Toten ins Leben zurückruft? Doch dann kommt das Wunderbare und Erlösende zur Wirkung, und die Menschen danken Gott für dieses Wunder. Und über Jesus sagen sie zwei Dinge: ein großer Prophet sei unter ihnen auferstanden ein von Gott Gesandter also. Und: Gott habe sein Volk besucht Gott sei selbst in die Welt, zu den Menschen gekommen. Und wenn wir diese beiden Äußerungen zusammendenken, heißt der Jubel der Menge doch: Gott selbst ist in diesem Jesus da. Gott, der das Leid der trauernden Mutter gesehen hat und der dieses Leid in Freude wendet. Eine überaus tragische und schlimme Geschichte hat ein glückliches Ende genommen. Ein Happy End, so wie in vielen Filmen? Wo alle Probleme ausgeräumt sind, alle Bösewichte erledigt, und am Ende löst sich alles in Wohlgefallen auf? Wir wissen, dass es im Leben anders zugeht als in solchen Filmen. Und auch hier gibt es kein klassisches Happy End. Obwohl es auf den ersten Blick ganz danach aussieht: die Frau kann mit ihrem Sohn heimgehen, der lebt und mit ihr reden kann. Statt der Trauerfeier kann ein Freudenfest stattfinden. Vielleicht hat sie danach mit ihrem Sohn jedes Jahr an diesem Tag ein zweites Geburtstagsfest gefeiert, voller Freude und Dankbarkeit. Aber wie mag es sonst gewesen sein? Werden sich die beiden vom Grauen des frühen Todes jemals erholt haben? Wird die Frau jemals wieder ohne Angst um ihren Sohn gelebt haben? Wir wissen es nicht. Aber es ist klar: ihren Sohn hat die Frau wieder bekommen. Aber nicht ihren Mann. Sie bleibt eine Witwe, eine arme Frau, eine Randfigur in der Gesellschaft.
4 Also doch kein Happy End. Es ist eben kein Film, sondern das richtige Leben. Und zu dem gehören eben immer auch die leidvollen Erfahrungen, nicht zuletzt der Tod. Wenn Jesus diesen jungen Mann aus dem Tod ins Leben zurückholt, ist das eine einzelne Ausnahme. Ein einzelner Sieg über den Tod, der den Tod aber nicht einfach beseitigt. Es gibt auch künftig noch Leid und Tod und Trauer! Mit Jesu Auferstehung ist es auch nicht anders. Dieses eine Osterfest feiert ein ganz besonderes Ereignis, die Auferweckung Jesu von den Toten. Und obwohl er auferstanden ist und wir wegen seiner Aufstehung den Sieg über den Tod behaupten und bezeugen, bleibt der Tod eine Realität. Alle müssen wir einmal sterben, früher oder später. Und dass Tote auferweckt werden, mögen wir uns manchmal wünschen mehr als alles in der Welt. Aber leider vergeblich! Was neu ist, ist eine Hoffnung über den Tod hinaus. Der Glaube, dass der Tod nicht das Ende ist, sondern der Anfang eines anderen Lebens. Eines Lebens, das so anders ist, dass wir es uns kaum vorstellen können und nur in Bildern davon reden können. Doch diese Hoffnung hat ihren Grund in der Auferstehung Jesu, und wir glauben, dass auch wir einmal auferstehen werden, in ein neues, ein anderes Leben hinein. Bis dahin bleibt eine Geschichte wie die von der Auferweckung des jungen Mannes aus Nain eine bemerkenswerte Ausnahme. Einer ist dem Tod entkommen, unerwartet, wunderbarerweise, jedenfalls für eine gewisse Anzahl von Jahren. Doch von diesem Ereignis fällt etwas Licht in die Dunkelheit der todverfallenen Welt. Es gibt eine Hoffnung auch wenn der Tod vor Augen steht. Gott hat ihn in Jesus schon überwunden. Kein Happy End auch nicht für die unter uns, die selbst einen Menschen verloren haben. Die Trauer bleibt uns, und der Mensch, den uns der Tod genommen hat, fehlt uns, unser ganzes Leben lang. Aber vielleicht kann uns die Erzählung eine Hoffnungsgeschichte sein, ein Lichtblick sogar. Wie sagte doch die Menschenmenge über Jesus? Gott hat sein Volk besucht. Ich möchte das so verstehen: Gott steht uns und unserem Leid nicht unbeteiligt gegenüber. Wir jammern ihn, wenn es uns schlecht geht, wenn wir trauern, und er ist uns in Jesus Christus nahe. Das mag uns Trost und Ermutigung sein! Amen.
5 Lied nach der Predigt: EG 115 Jesus lebt, mit ihm auch ich Gebet: Gott, himmlischer Vater, Du hast uns das Leben geschenkt, doch dieses Leben dauert eine begrenzte Zeit. Immer wieder müssen wir Abschied von Menschen nehmen, die uns lieb sind, und eines Tages müssen wir selbst dieses Leben wieder hergeben. So denken wir heute an diejenigen, die um einen geliebten Menschen trauern, um Eltern, Verwandte, Ehepartner oder gar um ein eigenes Kind. Steh Du den Trauernden bei, hilf ihnen, in Leid und Schmerz nicht zu verzweifeln. Danke, dass Du Dein Volk besuchst, dass Du auch bei allen bist, die Not und Leid erfahren. Schenke Du uns Mut, sie zu begleiten, auch noch nach langer Zeit dem Gespräch über die Toten und die Trauer um sie nicht aus dem Weg zu gehen. Gott, die Auferstehung deines Sohnes Jesus Christus Ist ein Hoffnungszeichen für uns: Ein Zeichen der Hoffnung darauf, dass das Leben siegt, dass sich am Ende jenseits der Grenze des Todes ein weites Land auftut, wo alle Fragen, Zweifel und Ängste dieses Lebens in Dir aufgehoben sind. Darauf lass uns vertrauen. Amen.
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