Beitrag: Billiglohn und miese Unterkünfte - Wanderarbeiter in Deutschland

Transkript

1 Manuskript Beitrag: Billiglohn und miese Unterkünfte - Wanderarbeiter in Deutschland Sendung vom 27. Januar 2015 von Hans Koberstein und Joe Sperling Anmoderation: Sie haben sich von Deutschland etwas versprochen. Sie sind nicht gekommen, um zu bleiben. Sie wollten nur Geld verdienen, vernünftig behandelt werden und dann wieder nach Hause. Aber sie werden getäuscht und betrogen: Wanderarbeiter aus Osteuropa. Denn sie schuften für Dumpinglöhne, und werden dabei oft noch um das bisschen Geld geprellt, das ihnen zusteht. Sie hausen in miesen Unterkünften und müssen dafür teuer bezahlen. Sie sind arm, aber ihre Arbeitgeber und Vermieter bereichern sich an ihnen. Zum Beispiel in Frankfurt am Main, wie Joe Sperling in seiner Reportage zeigt. Text: Es ist Samstag, und doch wird auf vielen der Frankfurter Großbaustellen gearbeitet. Die Stadt erlebt einen Bauboom, ganze Viertel entstehen hier neu. Die Arbeiter sind oft eigens aus Osteuropa angereist, schuften hier monatelang für ihre Familien zuhause. Viele von ihnen fahren nach Feierabend in diese heruntergekommenen Wohnblocks in Frankfurt-Griesheim. Nach Angaben der Stadt Frankfurt dürfen hier seit Jahren bis zu 1200 Wanderarbeiter untergebracht sein. Moderne Lohnsklaven, die häufig nicht einmal bezahlt werden. Wir treffen Rumänen, die sich ohne Rechts- und Sprachkenntnisse dagegen auch nicht wehren können. O-Ton Simion Craciun, Rumäne: Vielleicht kriegst du Geld, vielleicht nein. Ist wie Lotto. Kriegt man oft kein Geld? O-Ton Simion Craciun, Rumäne:

2 Hab ich 3000 Euro nicht gekriegt von Deutschland. O-Ton Joan Veber, Rumäne: Ich arbeite und kein Geld, arbeite und kein Geld. Zwei Monate Arbeit und kein Geld. Wieviel Geld fehlt Ihnen, wieviel haben Sie nicht bekommen? O-Ton Joan Veber, Rumäne: 5700 Euro. O-Ton Frontal 21: Wieviel? O-Ton Joan Veber, Rumäne: 5700 Euro. Haben Sie nicht bekommen? Passiert das vielen Arbeitern hier, die hier wohnen, dass sie arbeiten, aber das Geld zum Schluss nicht bekommen? O-Ton Simion Craciun, Rumäne: Ja, viele Leute. Joan Veber, Rumänen: Viele Leute, zu viele Leute. Nicht zahlen. Das ist eine große Mafia. O-Ton Dietmar Schäfers, stellvertretender Bundesvorsitzender IG Bau: Das sind überhaupt keine Einzelfälle, das sind Massenfälle. Leider haben wir fast wöchentlich mit solchen Fällen zu tun, wo der vertraglich vereinbarte Lohn letztendlich nicht gezahlt wird. Und das ist eine riesen Sauerei. Und so sind sie untergebracht: Wir bekommen Bilder zugespielt, die aus dem Inneren der Absteige stammen sollen. Sie zeigen kleine überfüllte Zimmer, vergammelte Kochstellen in der Gemeinschaftsküche, Schimmel in den Gemeinschaftsbädern und Wohnräumen. Wir treffen Julian Anitiei. Der Rumäne lebt hier seit Monaten. Er bestätigt uns die Zustände. Alles ist dreckig und voller Schimmel, da ist ewig nicht sauber gemacht worden.

3 Was kostet das? Ich zahle 220 Euro pro Bett, bei vier Personen sind das 880 Euro im Monat für das Zimmer. Ich will mir selbst ein Bild machen miete mich in dem Arbeiterwohnheim ein. Drehe mit versteckter Kamera. Ich muss im Voraus zahlen beim Hausmeister. 70 Euro pro Woche - das wären 280 Euro im Monat - für ein Bett im Vierbettzimmer. O-Ton Frontal21, Gedächtnisprotokoll: Und gibt s ne Quittung? O-Ton Hausmeister, Gedächtnisprotokoll: Nein, ohne Quittung! O-Ton Frontal 21, Gedächtnisprotokoll: Ohne Quittung? O-Ton Hausmeister, Gedächtnisprotokoll: Mit Quittung ist 19 Prozent mehr! O-Ton Frontal 21, Gedächtnisprotokoll: Wirklich ohne Quittung? O-Ton Hausmeister, Gedächtnisprotokoll: Ja! Bewohner berichten, das sei hier oft so. Erst nach Ende der Dreharbeiten, nachdem ich mich als Reporter zu erkennen gegeben habe, bekomme ich eine Quittung. Der Betreiber des Wohnheims erklärt dazu, alle Einnahmen korrekt zu versteuern. Für mein Geld bekomme ich Bettzeug und ein Bett in einem verschimmelten Schlafraum. Julian zeigt mir, wie es hier aussieht. Da ist jede Menge Schimmel auf der Wand. Die ist schon komplett schwarz. Das geht bis da oben hin, und bei dem Kollegen gegenüber ist noch mehr Schimmel, das geht da so rüber. Der Betreiber erklärt dazu schriftlich, Schimmelstellen seien ausschließlich auf fehlerhaftes Lüftungsverhalten der Mieter zurückzuführen. Schimmel würde regelmäßig kurzfristig beseitigt. Doch Julian schläft in diesem Vierbettzimmer schon seit zwei Monaten. Und noch schlimmer: Er zeigt uns die aufgeplatzten

4 Fußbodenplatten. Hier platzt der Boden auf und die Substanz, mit der er geklebt ist, enthält Asbest. Julian arbeitet im Abbruchunternehmen mit Asbest kennt er sich aus. Wenn du Asbest einatmest, besonders wenn es warm wird im Zimmer und der Staub fliegt, das kann zu Krebs führen. Mihai Balan vom Europäischen Verein für Wanderarbeiterfragen kümmert sich seit Jahren um die Rumänen. Er hat Fußbodenproben aus zwei Zimmern dieser Unterkunft im Labor untersuchen lassen. O-Ton Mihai Balan, Europäischer Verein für Wanderarbeiterfragen: Das Analyseergebnis: Chrysotil-Asbest. Da sieht man die Fasern. Diese Proben sagen, dass der Fußboden asbestverseucht ist. Wir zeigen die Gutachten und Bilder der geplatzten Fußböden dem Asbestexperten des Umweltbundesamtes. Sehen Sie da eine Gesundheitsgefahr? O-Ton Heinz-Jörn Moriske, Asbestexperte Umweltbundesamt: Gesundheitsgefahr kann bestehen, muss nicht bestehen. Es ist ein Risiko. Aber das Risiko ist da und das Risiko allein reicht schon, dass auf Dauer dieser Raum trotzdem nicht als Aufenthaltsraum genutzt werden kann. Also, da muss was passieren, das kann nicht so bleiben, wie es ist. In diesem Mannheimer Bürgerhaus residiert der Betreiber, die Wohnheime für Arbeiter Frankfurt-Mannheim GmbH. Das Unternehmen verdient prächtig an seinen Unterkünften: rund 1,7 Millionen Euro Bilanzgewinn laut letztem Jahresabschluss. Kein Interview vor der Kamera mit dem Geschäftsführer und Alleingesellschafter. Der schiebt seinen Anwalt vor. Der erklärt uns, sein Mandant habe längst ein eigenes Asbestgutachten in Auftrag gegeben. O-Ton Helmut Reitz, Rechtsanwalt des Wohnheimbetreibers: In den Zimmern ist keinerlei Asbest festgestellt worden, in den Fluren ist Asbest in den Böden. Diese sind aber nur

5 dann gefährdend, wenn sie beschädigt sind. Nur dann. Soweit dort Platten gar nicht mehr vorhanden sind oder Platten beschädigt sind, ist bereits der Austausch und die Behebung in Auftrag gegeben. Doch die Asbestfunde stammen laut Gewerkschaft IG Bau nicht aus den Fluren, sondern aus zwei Zimmern. Die Zustände im Heim sind den Behörden seit Monaten bekannt passiert ist nichts. Wir bitten die Stadtverwaltung Frankfurt um ein Interview, wollen wissen, wer zuständig ist. Man verweist uns ans Bauamt. Das aber erklärt, für Arbeiterunterkünfte nicht zuständig zu sein, und verweist uns an weiter die Arbeitsschutzbehörde beim Regierungspräsidium Darmstadt. Aber auch diese Behörde erklärt sich für nicht zuständig, kein Interview, verweist uns zurück an das Bauamt der Stadt Frankfurt. Erst als wir dort erneut nachfragen, stellt man nach und nach doch eine gewisse Zuständigkeit fest von der man zuvor einfach nichts gewusst habe. O-Ton Mark Gellert, Bauaufsicht Frankfurt / Main: Wir haben jetzt kürzlich davon erfahren, durch eine Stellungnahme des Regierungspräsidiums, dass wir dafür zuständig sind. Wir werden in den kommenden Tagen vor Ort gehen und wir werden die entsprechenden Maßnahmen einleiten. Wir nehmen uns dieses Themas an - und zwar ganz energisch. Drei Tage später besichtigen Bau- und Wohnungsamt die Unterkunft. Das verblüffende Ergebnis: Aus dem Vorhandensein von Asbest könne keine direkte Gesundheitsgefahr abgeleitet werden und es gebe auch kein Schimmel. Erst auf nochmalige Nachfrage heißt es: Die Überprüfung sei nur stichprobenartig erfolgt und man könne Schimmelstellen grundsätzlich nicht ausschließen. Allzu gründlich können die Behörden nicht hingesehen haben, sonst wäre diese Stelle aufgefallen, die noch am 22. Januar, fünf Tage nach der Behördenbegehung, vor sich hin schimmelt. Vielleicht will man s aber auch gar nicht so genau wissen. Denn die Wanderarbeiter werden auf den Baustellen gebraucht - und ausgebeutet. O-Ton Dietmar Schäfers, stellvertretender Bundesvorsitzender IG Bau: Sie sind Arbeitssklaven. In manchen Situationen muss man erst nicht nach Katar fahren, um sich die Arbeitssklaven dort anzuschauen. Und das ist schon eine ganz schlimme

6 Situation, denn die Leute kommen hierhin mit Hoffnungen, mit Erwartungen und stellen fest, dass sie in einem Land wie Deutschland regelrecht aufs Kreuz gelegt werden. Joan Veber reist enttäuscht in seine Heimat zurück. Nur zwei Drittel seines Lohns hat er zum Schluss bekommen und auch das nur mit Hilfe der Gewerkschaft. Joan Veber war für Bauindustrie und Vermieter in Frankfurt ein gutes Geschäft. Zur Beachtung: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der vorliegende Abdruck ist nur zum privaten Gebrauch des Empfängers hergestellt. Jede andere Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtgesetzes ist ohne Zustimmung des Urheberberechtigten unzulässig und strafbar. Insbesondere darf er weder vervielfältigt, verarbeitet oder zu öffentlichen Wiedergaben benutzt werden. Die in den Beiträgen dargestellten Sachverhalte entsprechen dem Stand des jeweiligen Sendetermins.