ILeA. Beobachtungsheft zur psychosozialen Gesamtsituation. Wissenschaftliche Mitarbeit
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1 ILeA I n d i v i d u e l l e L e r n s t a n d s a n a l y s e n I n d i v i d u e l l e L e r n s t a n d s a n a l y s e n Beobachtungsheft zur psychosozialen Gesamtsituation Wissenschaftliche Mitarbeit
2 Herausgeber: Landesinstitut für Schule und Medien Berlin-Brandenburg, Ludwigsfelde-Struveshof Tel.: , Fax: Internet: Projektleitung: Katrin Liebers Erziehungswissenschaftliche Leitung ILeA 1/erziehungswissenschaftliche Beratung ILeA 2-6: Annedore Prengel Autorinnen und Autoren: Annedore Prengel Zeichnungen: Verena Fischer Layout: Christa Penserot, Nadine Boyde Landesinstitut für Schule und Medien Berlin-Brandenburg (LISUM); Auflage Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte einschließlich Übersetzung, Nachdruck und Vervielfältigung des Werkes vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf ohne schriftliche Genehmigung des LISUM in irgendeiner Form (Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Eine Vervielfältigung für schulische Zwecke ist erwünscht. Das LISUM ist eine gemeinsame Einrichtung der Länder Berlin und Brandenburg im Geschäftsbereich des Ministeriums für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg (MBJS). Die Materialien Individuelle Lernstandsanalysen (ILeA) werden vom LISUM im Auftrag des MBJS herausgegeben. Sie stellen jedoch keine verbindliche amtliche Verlautbarung des MBJS dar. ISBN
3 I L e A Individuelle Lernstandsanalysen Beobachtungsheft zur psychosozialen Gesamtsituation
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5 Inhalt Vorwort Einleitung Ziele von ILeA Ziele des ILeA-Beobachtungshefts zur psychosozialen Gesamtsituation Übersicht zu den Beobachtungsschwerpunkten Durchführung, Auswertung und pädagogische Angebote im Bereich psychosoziale Gesamtsituation Übergangserleben Zugehörigkeit zur Kindergruppe Körperliche Voraussetzungen Familiensituation Besondere Situationen Lehrer-Schüler-Beziehung und Selbstreflexion der Lehrkraft...13
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8 Vorwort Liebe Lehrerinnen und Lehrer, wir freuen uns, Ihnen das ILeA-Beobachtungsheft zur psychosozialen Gesamtsituation in den Jahrgangsstufen 1-6 übergeben zu können. Die ILeA-Materialien wurden von einer Projektgruppe entwickelt, in der Personen mit unterschiedlichen Kompetenzen eng zusammengearbeitet haben: praxiserfahrene Lehrerinnen sowie Mitarbeiterinnen aus dem Landesinstitut für Schule und Medien Brandenburg, der Schulverwaltung und der Wissenschaft. Das LISUM Berlin-Brandenburg hat diese Materialien für die Schule so weiterentwickelt, dass Lehrerinnen und Lehrer praxisnah darin unterstützt werden, einen guten Unterricht für alle Kinder ihrer Klasse zu gestalten. Dazu sind Kenntnisse über die Lernausgangslage der Schülerinnen und Schüler unerlässlich. Das Material soll dazu beitragen, dass Lehrkräfte auf möglichst zeitsparende und praxistaugliche Weise die Lernausgangslage der Kinder ihrer Klassen erfassen, verstehen und dokumentieren. Auf der Basis einer möglichst genauen Kenntnis der Lernausgangslagen einzelner Kinder können individuelle Lernpläne entwickelt und kann ein effektiver Unterricht für alle Kinder gestaltet werden. Das vorliegende Verfahren zur psychosozialen Gesamtsituation wurde in Ergänzung zu den ILeA-Materialien für die Fächer Deutsch und Mathematik entwickelt. Alle ILeA-Materialien können Sie im Internet unter abrufen. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen viele nützliche Anregungen für die Gestaltung eines individualisierenden Unterrichts in Ihrer Klasse. Dr. Götz Bieber Leiter der Abteilung Medien und Controlling des Landesinstituts für Schule und Medien Berlin-Brandenburg 5
9 1 Einleitung 1.1 Ziele von ILeA Kindliches Lernen stützende Schulpädagogik beruht seit den Anfängen des modernen Unterrichts in der Aufklärung vor mehr als 200 Jahren auf Kinderbeobachtungen. Förderliche Lehrerinnen und Lehrer beziehen sich seither auf die Lernausgangslagen ihrer Schülerinnen und Schüler Mit ILeA wird der Praxis ein Instrument zur Verfügung gestellt, das eine systematische pädagogische Diagnostik ermöglicht, die auf den didaktischen Kernkompetenzen der Lehrpersonen beruht. Zusammenfassend lässt sich die Konzeption des Verfahrens in zehn Punkten beschreiben: 1. Die Individuelle Lernstandsanalyse (ILeA) ist ein pädagogisches Diagnostikum, das Anleitungen zu Lernstandsanalysen und pädagogische Angebote enthält. Es dient dem Ziel, aufgrund der Lernausgangslagen individuelle Lernpläne zu erstellen und Unterricht zu verbessern. ILeA bezieht sich auf das ganze Leistungsspektrum heterogener Lerngruppen. 2. ILeA wurde für den Einsatz in der ganzen Schulklasse entwickelt und kann auch in Kleingruppen oder Einzelsituationen verwendet werden. Manche Teile sind für die Feinanalyse bei ausgewählten Kindern gedacht. 3. ILeA sollte zu Anfang des Schuljahres und darüber hinaus während des laufenden Schuljahres wiederholt eingesetzt werden, um die Entwicklung von Kindern zu begleiten. Manche Teile sind für die Verwendung in späteren Phasen des Schuljahres gedacht. 4. Dem Verfahren liegen die theoriegeleiteten pädagogischen Prinzipien Anerkennung, didaktische Diagnostik sowie didaktische Stufenmodelle zugrunde. Ein weiteres Prinzip beschreibt, dass mit ILeA Arbeitshypothesen erzeugt werden. 5. Das Verfahren bezieht sich auf die Fächer Deutsch (Lesen und Rechtschreibung) sowie Mathematik. Es bietet darüber hinaus eine Anleitung zur Analyse der psychosozialen Gesamtsituation; sie soll dazu beitragen, dass existenzielle Voraussetzungen für kognitives Lernen erfüllt sind. 6. Für beide Fächer arbeitet ILeA mit der gleichen Grundstruktur, die auf einem Stufenmodell beruht und der Maxime folgt Jedes Kind ist auf seiner Stufe kompetent. Einzelne Stufen können parallele Bausteine enthalten. 7. Um die erreichten Lernstufen festzustellen, werden diagnostische Aufgaben angeboten. Sie können wiederholt verwendet und um weitere Informationsquellen wie z. B. alltägliche Beobachtungen oder Analysen von Kinderarbeiten u. a. ergänzt werden. 8. Das Verfahren lässt, ausgehend von der individuellen Lernstandsanalyse, Aussagen in dreierlei Hinsicht zu: Es gibt Auskunft sowohl über individuell erreichte Lernstufen (kriteriale Bezugsnorm) als auch über individuell zurückgelegte Lernstationen (individuelle Bezugsnorm) und über erreichte Lernstände im Vergleich zu anderen Schülerinnen und Schülern (soziale Bezugsnorm) ILeA bezieht sich auf ausgewählte zentrale Aspekte der Rahmenlehrpläne für Grundschulen von ILeA beschränkt sich auf wenige Aspekte, um im Alltag praktisch handhabbar zu sein. 2 ILeA 2-6 und ILeA 1 unterscheiden sich hinsichtlich der Gewichtung der Bezugsnormen: In ILeA 1 wird der kriterialen Bezugsnorm Priorität eingeräumt, während in den Instrumenten für die höheren Jahrgangsstufen vergleichsweise stärker auf die soziale Bezugsnorm verwiesen wird. 6
10 1.2 Ziele des ILeA-Beobachtungshefts zur psychosozialen Gesamtsituation Das vorliegende Beobachtungsheft zur psychosozialen Gesamtsituation der Schülerinnen und Schüler wurde für Grundschulklassen in Brandenburg entwickelt. Es ist ein Baustein der Individuellen Lernstandsanalysen ILeA für die Grundschule. Ergänzend zu den Lernstandsanalysen im sprachlichen, schriftsprachlichen und mathematischen Bereich ermöglichen die Beobachtungen zur psychosozialen Gesamtsituation eine fundierte Kind-Umfeld- Diagnose. Das Gesamtkonzept der individuellen Lernstandsanalysen ist in ILeA 1 ein Leitfaden für die ersten sechs Schulwochen und darüber hinaus dargestellt. (Prengel/Liebers 2007, Die grundlegenden Prinzipien werden hier zusammenfassend benannt: I. Prinzip: Anerkennung Jedes Kind soll im Unterricht immer wieder erleben, dass es kompetent und liebenswert ist und geachtet wird. II. Prinzip: Didaktische Diagnostik Lernstände von Kindern werden erhoben, um den Unterricht zu verbessern. III. Prinzip: Didaktische Stufenmodelle Der Analyse der Lernstände von Kindern dienen didaktische Stufenmodelle des Schriftspracherwerbs und der Zahlerarbeitung. Sie werden um nicht chronologische Bausteine, die innerhalb einzelner Stufen angesiedelt sind, ergänzt. IV. Prinzip: Kind-Umfeld-Diagnose Die Analyse der psychosozialen Gesamtsituation berücksichtigt Wechselwirkungen zwischen Kind und Umfeld. V. Prinzip: Arbeitshypothesen Ergebnisse von Lernstandsanalysen sind Bilder, die wir uns von Kindern machen. Sie können nicht unmittelbar Realität abbilden und beziehen sich nur auf Teilbereiche kindlichen Lernens. VI. Prinzip: Förderung der Selbstevaluation Vorschläge zur Selbstevaluation für die Kinder der Jahrgangsstufe 1 werden im Reader angeboten, um Kinder bei der Reflexion ihrer Lernprozesse zu unterstützen. (Prengel/Liebers 2005, Das Beobachtungsheft zur psychosozialen Gesamtsituation bezieht sich vor allem auf das vierte Prinzip der Beachtung der Wechselwirkungen zwischen Kind und Umfeld. Es beruht auf der Einsicht, dass körperliches und emotionales Wohlbefinden wichtige Voraussetzungen für kognitive Lernprozesse sind. Fürsorgliches Verhalten der Lehrpersonen und gute Schüler-Schüler-Beziehungen unterstützen das Wohlbefinden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Wohlbefinden für jedes Kind sehr Unterschiedliches bedeuten kann. Dieses Beobachtungsheft zur psychosozialen Gesamtsituation ist darum eine zu empfehlende Ergänzung der individuellen Lernstandsanalysen ( ILeA 1-6 ). Die folgenden Abschnitte sollen Lehrerinnen und Lehrer in Grundschulen dabei unterstützen, zum Wohlbefinden aller Kinder ihrer Klasse beizutragen. 7
11 2 Übersicht zu den Beobachtungsschwerpunkten Die folgende Übersicht nennt die Beobachtungsschwerpunkte zur psychosozialen Gesamtsituation, die in diesem Heft als Bestandteil individueller Lernstandsanalysen vorgeschlagen werden, wie Übergangserleben, Zugehörigkeit zur Kindergruppe, Körperliche Voraussetzungen, Familiensituation. Besondere Situationen. Ein weiterer Beobachtungsschwerpunkt bezieht sich auf die Selbstreflexion der Lehrpersonen und soll helfen, die Lehrer-Schüler-Beziehung zu klären. 8
12 3 Durchführung, Auswertung und pädagogische Angebote im Bereich psychosoziale Gesamtsituation 3.1 Übergangserleben Kinder müssen alltäglich den Schritt von der außerschulischen Lebenswelt in die Welt schulischen Lernens meistern, alle haben Übergänge zu bewältigen. Das gilt besonders für Kinder, die umgezogen sind und/oder aus anderen Städten, Ländern oder von anderen Kontinenten kommen. Viele Schülerinnen und Schüler kommen dabei voller Vorfreude zur Schule, andere haben Angst. In diesem Zusammenhang ist natürlich die Einschulungssituation ein besonders wichtiger Übergang. Der Schritt vom Vorschulkind zum Schulkind ist eine Entwicklungsaufgabe, die vom Kind hohe Leistungen erfordert und mit Diskontinuitäten in den Erfahrungen des Kindes einhergehen kann. Der Übergang betrifft dabei vor allem das werdende Schulkind, aber auch die Eltern, die Kita und die Schule sind von der Übergangssituation betroffen, denn sie sollten Rahmenbedingungen des Gelingens schaffen. Am Gelingen der Übergangssituationen sind alle beteiligt, die Kinder, ihre Familien und Freunde sowie die abgebende und die aufnehmende Institution mit ihren Lehrpersonen. Aus Erfahrung wissen wir, dass Übergangssituationen oft gut gelingen, mitunter aber auch große Probleme für die Beteiligten aufwerfen können. Sogenannte Resilienzfaktoren, positives Selbstwertgefühl, Selbstwirksamkeitsüberzeugungen und aktive Problemlösestrategien, helfen Kindern Übergänge zu meistern, sie sollten darum durch die beteiligten Erwachsenen besonders gefördert werden. Gibt es Kinder in Ihrer Klasse, die Probleme haben, sich in der Schule wohl zu fühlen, und z. B. häufig weinen, sehr still, zurückgezogen oder laut und aggressiv sind, brauchen sie besondere Beachtung. Halten Sie solche Beobachtungen und besondere Vorkommnisse schriftlich in Ihrem Lehrertagebuch fest. Notieren Sie die Namen der Kinder, die besondere Unterstützung zum Einleben in der Schule brauchen, in Ihrem Lehrertagebuch und versuchen Sie alles zu ergründen, was die Kinder stärkt. Beobachtungsschwerpunkte: Wie gelingt die Übergangssituation für das Kind? Wie gelingt für das Kind ein Schul- oder Klassenwechsel? Welche Unterstützung erhält das Kind durch Eltern und/oder andere erwachsene Bezugspersonen? Hat das Kind in der Schule eine Bezugsperson? Welche persönlichen Ressourcen stärken das Kind beim Übergang? Wie kann das Kind durch die Schule gestärkt werden? Wie reagieren Eltern auf die neue Situation? 9
13 Pädagogische Angebote: Fotos und Namensschilder aller Kinder in der Klasse gut sichtbar anbringen, besondere Vorlieben der schulängstlichen oder problembelastet wirkenden Kinder herausfinden und Gegenstände aus dem Kontext ihrer Vorliebe in der Klasse deponieren (Beispiel: Eine Lehrerin fand heraus, dass ein täglich heftig weinender schulängstlicher Junge ein großer Pferdeliebhaber war. Sie hängte in der Klasse ein Hufeisen für ihn auf. Das Übergangsobjekt half ihm, seine Angst zu überwinden.), Abschiedsrituale mit Vater oder Mutter vereinbaren, Erfolgserlebnisse auf der Ebene der aktuellen Kompetenzen des Kindes ermöglichen, sozial-emotionale Unterstützung für Kinder durch weitere Personen anregen oder organisieren (Großeltern, bestimmte Lehrkräfte oder Erzieher), Förderung von Stressbewältigung und Hilfe für die Entwicklung von Problemlösefähigkeiten, Selbstwirksamkeitserfahrungen ermöglichen. 3.2 Zugehörigkeit zur Kindergruppe Die Grundschulforschung hat herausgefunden, dass es immer wieder einsame und unbeachtete Kinder in der Schule gibt, die niemanden als Freundin oder Freund haben. Einzelne Kinder werden von der Mehrheit der Kinder der Klasse gar ausgestoßen. Hilfreiche Kinder- Kinder-Beziehungen sind aber eine unerlässliche Voraussetzung für gelingende Lern- und Entwicklungsprozesse. Um allen Kindern die Erfahrung von Zugehörigkeit zu ermöglichen, sollten Lehrerinnen gute Beziehungen fördern. Bitte erspüren Sie im Alltag des Klassenlebens, ob es in Ihrer Klasse Kinder gibt, die zu wenig Kontakt zu anderen Kindern haben, diskriminiert oder nicht beachtet werden. Beobachten Sie, wie die Kinder miteinander sprechen, spielen und arbeiten. Halten Sie die Namen der Kinder, die in der Kindergruppe isoliert oder diskriminiert werden sowie besondere Vorkommnisse in Ihrem Lehrertagebuch fest. Bitte bemühen sie sich, Wege zu finden, das isolierte Kind unaufdringlich in die Kindergruppe zu integrieren. Beobachtungsschwerpunkte: Hat das Kind ausreichende und gleichberechtigte Kontakte zu anderen Kindern? Wird das Kind nicht beachtet oder isoliert oder diskriminiert? Wer sind die Freunde/Freundinnen Pädagogische Angebote: Fotos und Namensschilder aller Kinder in der Klasse gut sichtbar anbringen, an jedem Morgen ein Begrüßungsritual durchführen, das alle Kinder einschließt, Kreisspiele und andere Spiele ohne Wettkampfcharakter ausführen, isolierten Kindern Verantwortung übertragen, isolierte Kinder vor allen loben, wenn ihnen etwas gelungen ist, Diskriminierungen durch andere Kinder nicht dulden, 10
14 gemeinsames gleichberechtigtes Tun von Kindern organisieren, als Lehrerin oder als Lehrer nie ein Kind herabsetzen oder bloßstellen, als Lehrerin oder als Lehrer nie spöttisch oder ironisch über Kinder reden. 3.3 Körperliche Voraussetzungen Körperliches Wohlbefinden Körperliches Wohlbefinden ist eine zentrale Voraussetzung für erfolgreiches Lernen. So können z. B. Hunger, Durst, Schlaf- und Bewegungsmangel beeinträchtigend beim Lernen wirken. Sie können in Ihrem Tagebuch bzw. im tabellarischen Überblick festhalten, von welchen Kindern in Ihrer Klasse Sie vermuten, dass sie von Beeinträchtigungen oder Entbehrungen betroffen sind. Dazu können z. B. auch Seh- oder Hörstörungen, chronische oder schwere Krankheiten gehören. Beobachtungsschwerpunkte: Fühlt sich das Kind körperlich und seelisch wohl? Gibt es eventuell Hinweise auf beeinträchtigende Faktoren (Schlaf-, Bewegungs-, Ernährungsmängel)? Gibt es Hinweise auf Seh- oder Hörstörungen? Sind chronische oder schwere Krankheiten bekannt, die das Wohlbefinden oder das Lernen beeinträchtigen? Ist das Kind links- oder rechtshändig? Pädagogische Angebote: Arztbesuch empfehlen, um Vermutungen abklären zu lassen, Wasser oder Früchtetee zum Trinken täglich in der Klasse anbieten, mit den Eltern Kontakt aufnehmen und, falls diese nicht willens oder in der Lage sind die Situation abzustellen, das Jugendamt über den Hilfebedarf/die Vernachlässigung informieren, für hungernde Kinder Sponsoren für Essen suchen, während des Schultages allen Kindern ausreichende Angebote zum Austoben und Entspannen bieten, Eltern beraten bzw. ihnen Beratungs- oder Hilfestellen empfehlen. Händigkeit In jeder Grundschulklasse können sich linkshändige Kinder befinden. Da die Gegenstände des täglichen Lebens auf die Mehrheit der Rechtshänder zugeschnitten sind, brauchen Linkshänder einige besondere Hilfen. Für erfolgreiches schulisches Lernen ist es aus hirnorganischen Gründen unbedingt notwendig, Linkshändigkeit zu akzeptieren. Die in früheren Jahren verbreiteten Umpolungen" haben den betroffenen Kindern sehr geschadet. Bitte beobachten Sie, ob sich in Ihrer Klasse linkshändige Kinder befinden. Falls Sie bei einem Kind vermuten, dass es linkshändig ist, können Sie es bitten, die Tafel zu wischen oder einen Gegenstand abzubürsten. Sie können dann beobachten, ob das Kind spontan die 11
15 linke Hand bevorzugt. Bitte tragen Sie in Ihr Lehrertagebuch bzw. im tabellarischen Überblick ein, welche Kinder vermutlich linkshändig sind. Pädagogische Angebote: linkshändigen Kindern die für sie optimale Schreibhaltung zeigen, die notwendigen Utensilien für Linkshänder besorgen, mit den Eltern sprechen und ihnen die notwendigen Informationen geben, Informationen aus dem Internet unter abrufen. 3.4 Familiensituation Die Familie legt eine Grundlage für viele schulische Lernprozesse. Wenn Kinder in die Schule kommen, ist dies auch mit vielen Veränderungen und neuen Ansprüchen an die Eltern verbunden. Ein gelingender Schulanfang bzw. Schulwechsel ist auch davon abhängig, inwieweit Schule, Kindergarten und Eltern gemeinsam handeln und sich auf gemeinsame Ziele verständigen. Wenn Lehrerinnen und Lehrer das familiäre Umfeld der Kinder kennen, können sie das Verhalten der Kinder in der Schule besser verstehen. Um die Lebenssituation von Kindern kennen zu lernen, sind Hausbesuche ganz besonders aufschlussreich. Jedes Kind sollte nach Möglichkeit einmal von der Lehrkraft zu Hause besucht werden. Nutzen Sie intensiv auch die anderen Möglichkeiten, um mit den Eltern ins Gespräch zu kommen (das verbindliche Elterngespräch, informelle Gespräche, z. B. beim Abholen der Kinder, Einbeziehung von Eltern in schulische/außerschulische Aktivitäten, Arbeit mit Elternvertretungen). Vorschläge für Hausbesuche: Wenn Sie Hausbesuche durchführen, ist sorgfältige Terminplanung gemeinsam mit den Eltern erforderlich. Lassen Sie sich zeigen, wo das Kind spielt und wo es seine Hausaufgaben machen kann. Lassen Sie sich das Lieblingsspielzeug, das Lieblingsbuch zeigen und über Hobbys, Interessen und Stärken des Kindes berichten. Lassen Sie sich Familienerlebnisse und die Lebensgeschichte des Kindes erzählen. Schreiben Sie bitte nach jedem Hausbesuch in Ihrem Lehrertagebuch auf, z. B. was Sie besonders berührt hat und was wichtig ist für das Kind. 3.5 Besondere Situationen Gewalt gegen Kinder umfasst die drei Formen Vernachlässigung, körperliche und psychische Misshandlung und sexuellen Missbrauch. Es kann in glücklicherweise seltenen Fällen vorkommen, dass Sie vermuten müssen, dass ein Kind vernachlässigt, misshandelt oder missbraucht wird. Es gehört zu den Aufgaben von Lehrerinnen, in solchen Fällen nicht wegzuschauen, sondern ruhig und professionell zu handeln und sozialpädagogische Hilfe einzuschalten. Beobachtungsschwerpunkte: Verfügt das Kind über Strategien, um mit schwierigen Situationen fertig zu werden? Kann das Kind Konflikte mit anderen Kindern und Lehrkräften gut meistern? 12
16 Falls Sie die Vermutung haben, dass ein Kind in Ihrer Klasse vernachlässigt, misshandelt oder missbraucht wird, müssen Sie umgehend tätig werden: Besprechen Sie gleichzeitig diese Fälle im Team und mit der Schulleitung. Notieren Sie Ihre Beobachtungen konkret, detailliert und mit Datum versehen in Ihrem Lehrertagebuch. Wenden Sie sich umgehend an das zuständige Jugendamt. Legen Sie nicht Ihre Vermutungen dar, sondern beschreiben Sie die konkreten Anhaltspunkte, die Ihnen aufgefallen sind (z. B. blaue Flecken an bestimmten Körperstellen, Aussagen des Kindes, Hunger, Anzeichen für fehlende Hygiene, ungepflegte oder abgerissene Kleidung,...). Schreiben Sie zu jedem Telefonat oder persönlichen Gespräch einen Aktenvermerk. Möchten Sie Kinder unterstützen, geben Sie ihnen die Telefonnummern des Kinderund Jugendtelefons ( , Montag bis Freitag 15:00 19:00 Uhr). Sollten Sie sich selbst beraten lassen wollen, können Sie sich an das Jugendamt oder auch den Kinderschutzbund wenden ( ). 3.6 Lehrer-Schüler-Beziehung und Selbstreflexion der Lehrkraft Für Kinder ist es entscheidend, ob sie mit ihrer Lehrerin oder mit ihrem Lehrer gut klarkommen, sich angenommen fühlen und die Fürsorge der Lehrkraft auch individuell wahrnehmen. Die Befindlichkeit der Lehrerin/des Lehrers bildet eine weitere zentrale Bedingung des Lernens. Darum ist es immer wieder eine große Herausforderung für die Lehrkräfte, auch sich selbst und ihre Empfindungen den Kindern gegenüber zu ergründen. Sie können sich in ihrem Lehrertagebuch Gedanken zu folgenden Fragen aufschreiben: Zur Beziehungsebene: Welche Namen von Kindern meiner Klasse kenne ich, welche kann ich noch nicht behalten? Gibt es Kinder in meiner Klasse, die ich nicht so gut leiden kann/besonders gut leiden kann? Was kann ich tun, um bei jedem Kind anerkennenswertes und liebenswertes Verhalten zu entdecken? Was kann ich tun, um allen Kindern die Erfahrung von Zugehörigkeit zur Klassengemeinschaft zu ermöglichen? Mit welchen Kolleginnen und Kollegen kann ich über meine Empfindungen sprechen? Auf der Sachebene: Was kann ich in meinem Unterricht besonders gut/was noch nicht so gut? In welcher Literatur oder bei welchen Kolleginnen und Kollegen kann ich mir Informationen und Rat holen? Bitte organisieren Sie Ihren Unterrichtsvormittag so, dass Sie möglichst jeden Tag 10 Minuten Zeit einem Einzelgespräch mit einem Kind widmen können. Im Einzelgespräch können Sie sowohl die emotionale Befindlichkeit des Kindes als auch Fragen des Lernens thematisieren. Die hier zuletzt angesprochene Ebene der Selbstreflexion der Lehrkraft und der Beziehungen zwischen ihr und den Kindern bildet die Grundlage für jede diagnostische und pädagogische Arbeit, denn Kinder brauchen, um sich gut entwickeln und gut lernen zu können, vor allem persönlichen Halt bei Lehrkräften, denen sie vertrauen. 13
17 Literatur Beisenherz, Gerhard H. (2001): Kinderarmut und Wohlfahrtsstaat in Deutschland. Opladen. Cierpka, M. (2002). Zur Entstehung und Verhinderung von Gewalt in Familien. In K. Gebauer & G. Hüther (Hrsg.), Kinder brauchen Wurzeln. Neue Perspektiven für eine gelingende Entwicklung (S ). Walter-Verlag. Cierpka, M. (2003). Gewalt in der Schule - nein danke! FAUSTLOS - ein Lernprogramm für Kindergarten und Grundschule. Online Familienhandbuch. Cierpka, M. (2005). FAUSTLOS - Wie Kinder Konflikte gewaltfrei lösen lernen. Freiburg: Herder. Cierpka, M. (Hrsg.) (2004). FAUSTLOS - Ein Curriculum zur Förderung sozial-emotionaler Kompetenzen und zur Gewaltprävention für den Kindergarten. Göttingen: Hogrefe. Cierpka, M. (Hrsg.) (2005): Möglichkeiten der Gewaltprävention. Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht. Geiling, Ute (2000): Pädagogik, die Kinder stark macht. Ansätze zur Arbeit mit Kindern in Not. Opladen (darin Adressenverzeichnis S ). Griebel, Wilfried/Niesel, Renate (2004): Transitionen. Fähigkeiten von Kindern in Tageseinrichtungen fördern, Veränderungen erfolgreich zu bewältigen. Weinheim und Basel Kahlert, J. u.a.: (Hrsg.) (2002): Achtsamkeit und Anerkennung. Materialien zur Förderung des Sozialverhaltens in der Grundschule. Köln. Kostenlos bei der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung Klieme, Eckhard: Was sind Kompetenzen und wie lassen sie sich messen? In: Pädagogik 56 (2004), H. 6, S Köller, Olaf/Baumert, Jürgen: Entwicklung schulischer Leistungen. In: Oerter/Montada (2002): Entwicklungspsychologie, 5. vollst. Überarb. Aufl., Weinheim u. a. Largo, Remo H. (2000): Kinderjahre. Die Individualität des Kindes als erzieherische Herausforderung. München. LISUM Bbg (2003) (Hg.): FLEX-Handbuch. Ludwigsfelde (darin zahlreiche praxisbezogene Literaturhinweise zum Anfangsunterricht, Marx, Rita und Saliger, Susanne (2004): PAGS - Unterrichtsmaterialien zur Prävention von Aggression und Gewalt an Schulen. Potsdam. Petillon, Hanns (1993): Das Sozialleben des Schulanfängers. Die Schule aus der Sicht des Kindes. Weinheim. Prengel, Annedore/Liebers, Katrin (2007): ILeA 1 ein Leitfaden für die ersten sechs Schulwochen und darüber hinaus. Ludwigsfelde: LISUM Brandenburg. Im Internet unter: Prengel, Annedore/Liebers, Katrin (2005): Reader zum Leitfaden IleA 1 Im Internet unter: Prengel, Annedore/Geiling, Ute/Carle, Ursula (2001): Schulen für Kinder. Flexible Eingangsphase und feste Öffnungszeiten in der Grundschule. Bad Heilbrunn. Prengel, Annedore (2005): Anerkennung von Anfang an Egalität, Heterogenität und Hierarchie im Anfangsunterricht und darüber hinaus. In: Geiling, Ute/ Hinz, Andreas (Hrsg.): Integrationspädagogik im Diskurs. Auf dem Weg zu einer inklusiven Pädagogik? Bad Heilbrunn, S : Schick, A. (2004). Faustlos durch den Kindergarten. Kindergartenpädagogik Online- Handbuch 14
18 Schick, A. & Cierpka, M. (2003). Faustlos Aufbau und Evaluation eines Curriculums zur Förderung sozialer und emotionaler Kompetenzen. In M. Dörr & R. Göppel (Hrsg.), Bildung der Gefühle. Innovation? Illusion? Intrusion? (S ). Gießen: Psychosozial- Verlag. pdf Wustmann, Corina (2004): Resilienz. Widerstandsfähigkeit von Kindern in Tageseinrichtungen fördern. Weinheim und Basel. 15
19
20 ISBN
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